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Das Ende der wegen des Schattendorfer Urteils begonnenen Streiks in der

AZ:

Am Dienstag nach dem Ende des Streikes wird unter dem Titel „Die Lage in der Region.“460 über die Geschehnisse in den Bundesländern berichtet. In der Steiermark sei die Situation wegen des bewaffneten Aufmarsches der Heimwehren kritisch gewesen, erwähnt wird im Zuge dessen Judenburg mit tausend Mann. Es wird über Verhandlungen zu einem Waffenstillstand zwischen Landeshauptmann Paul, Heimwehrleitung und SDAP berichtet, während derer die Sozialdemokraten „teilweise Erleichterungen bezüglich des Telephonverkehrs der Aemter zugestanden“ hätten. Tags darauf wird in einem weiteren Artikel („Auch in Steiermark müssen die Heimwehren abziehen.“461) über die Ereignisse vom 19. Juli berichtet und betont, dass die Heimwehren „[i]n den kleineren steirischen Orten“ „freiwillig abgezogen“ seien, „erst dann haben die Eisenbahner den Verkehr wieder aufgenommen.“ Die Abfolge der beiden Ereignisse, zuerst der Heimwehr-Abzug, danach das Streikende, wird besonders hervorgehoben. Das tags zuvor erwähnte besetzte Judenburg wird in dieser Meldung geschickt als Stadt ausgenommen.

Die Gegnerinnen in der Berichterstattung sind die Heimwehren, Landesbezüge stellen einerseits Judenburg, andererseits die besetzten kleineren steirischen Orte dar.

Arbeiterwille:

In einem ersten Kommentar einen Tag nach den Vorfällen mit dem Titel „Die Heimwehr hat ihr wahres Gesicht gezeigt.“462 werden die Ereignisse in Wien als Katastrophe und höhere Gewalt bezeichnet und damit die Schuld an den Ausschreitungen von der Arbeiterschaft genommen. Die SozialdemokratInnen sollten die Klügeren sein und müssten erneute Gewaltausbrüche und ein weiteres Blutbad vermeiden. Die Wiener Polizei wird zwar als brutal beschrieben, aber man zeigt auch Verständnis für die Behörden und den steirischen Landeshauptmann, der die Verhandlungen zur Beilegung der Krise angestrebt habe. Österreich wird als „kleine, so schwer heimgesuchte Republik“ bezeichnet, und es gehe beim Streik um den Kampf des Staates gegen „ein paar größenwahnsinnige Ehrgeizlinge“. Industrie- und Verkehrsstreik werden voneinander getrennt, was für den Zeitpunkt des jeweiligen Streikendes

460 Vgl. AZ, 19.7.1927. Morgenblatt, S. 2.

461 Vgl. ebda, 20.7.1927. Morgenblatt, S. 2.

462 Vgl. Arbeiterwille, 19.7.1927, S. 2.

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ausschlaggebend ist. Der von den Heimwehren angedrohte „Marsch gegen Bruck und Graz“

richte sich auf zwei sozialdemokratisch dominierte Städte, mit der erwähnten Misshandlung eines sozialdemokratischen „Schwerinvaliden“ durch Heimwehrleute wird zusätzlich auf die Symbolik „Stark gegen Schwach“ angespielt. Der Streik sei nach Angaben der SDAP beendet worden, noch bevor die Heimwehr in Bruck hätte einschreiten können, demnach sei die Aussage, „der Streik wurde gebrochen“, falsch. Die Bauern werden als irregeleitet beschrieben, würden aber bald erkennen, die Falschen gewählt zu haben. Im Text wird stets die Heimwehr und nicht der Steirische Heimatschutz genannt und Walter Pfrimer besonders radikal dargestellt. Die Wortwahl ist scharf („Schattendorfer Arbeitermörder“, „blutige Halbnarren“, größenwahnsinnige Ehrgeizlinge“) und sehr bildhaft („Vulkan qualvoller Entrüstung“,

„Hexenkessel der Leidenschaften“, „Orgien des Irrsinns“).

Als Gegnerinnen treten hauptsächlich die Heimwehren hervor, namentlich angegriffen werden die Heimwehrführer Walter Pfrimer und Felix Pistor, auch wird die Wiener Polizei zu Beginn attackiert. Mit der Darstellung Österreichs als kleiner Republik wird der internationale Bezug hergestellt, durch Pfrimer und den steirischen Landeshauptmann der Landesbezug.

Reichspost:

In einem zweiteiligen Bericht mit dem Titel „In Steiermark 20.000 Mann marschbereit.“463, am Donnerstag, dem 21. Juli erschienen, wird im ersten Teil („Die Wirkung der Wiener Revolte“), das Volksblatt zitiert und bereits am Beginn die Heimwehren als unpolitisch bezeichnet.

Allerdings werden „zahlreiche Politiker“, mehrheitlich christlichsoziale, als aktive Helfer der Heimwehren genannt, etwa als Informanten oder Wagenlenker, um die Streiks zu umfahren.

Die positive Darstellung des „Gewehr bei Fuß“-Stehens der Heimwehren deutet auf die Positionierung der Reichspost innerhalb der politischen Diskussion über eine Entwaffnung der Wehrverbände hin. Die beschriebene Disziplin in den Formationen und Schlagworte wie

„Diensteinteilung“ oder „Permanenzdienst“ zeichnet das Bild eines hohen Organisierungsgrades der Wehren, auf die Zahl von 20.000 Mann im Titel wird im Bericht nicht weiter eingegangen. Der zweite Teil („Zwei Tage in Steiermark“) stellt den Bericht eines

„Freundes unseres Blattes“ dar, dessen Identität anonym bleibt. Auch der Ort der Berichterstattung bleibt unbekannt, er wird lediglich „G.“ oder eine „kleine steirische Stadt“

genannt, worin sich ein „Elektrizitätswerk“ befindet, die Oststeiermark ist die genaueste

463 Vgl. Reichspost, 21.7.1927, S. 3.

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Angabe. Es wird die Begeisterung der Jugend für die Heimwehren beschrieben, was sich mit Texten aus den sozialdemokratischen Blättern deckt, worin das Anwerben von Jugendlichen kritisiert wird. Die Sozialdemokratie beziehungsweise der Sozialismus wird mit dem Kommunismus gleichgesetzt („sozialistische und kommunistische Wegelagerer“), ebenso wird nicht konkret zwischen der Heimwehr, den Heimatschutzverbänden und dem Bauernkommando unterschieden. Der erwähnte Ersatzverkehr mit Autos zwischen Gleisdorf und der ungarischen Grenze deutet darauf hin, dass der Verkehrsstreik nicht in ganz Steiermark gebrochen worden ist. Aus dem Text geht weiters hervor, dass Postbeamte, Gendarmerie und Militär mit den Heimwehren zusammengearbeitet beziehungsweise Heimwehrmitglieder Exekutivaufgaben durchgeführt hätten, etwa hätten die Heimwehren einen Sozialdemokraten verhaftet und bei Patrouillengängen Verdächtige kontrolliert. Gleichzeitig wird der Sozialdemokratie vorgeworfen, Personen angehalten und Ausweise kontrolliert zu haben.

Die Gegner im Reichspost-Bericht sind der Republikanische Schutzbund und die streikenden Arbeiter, im letzten Satz des Textes wird der Sozialdemokrat Koloman Wallisch namentlich angegriffen. Landesbezüge stellen neben Wallisch einerseits der Bericht aus der Oststeiermark, andererseits die Zitierung des Volksblattes dar, was auch Teil der Medienbezüge neben der Erwähnung eines „Sozialdemokratischen Organs“ und deutscher Radioberichte ist.

Grazer Volksblatt:

Im Bericht „Die Lage in Steiermark. Falsche Nachrichten.“464, der noch am selben Tag des Streikendes im 6-Uhr-Blatt erschienen ist, wird der Republikanische Schutzbund zwar als

„politisch eingestellte illegale Formation“, jedoch nicht ausschließlich negativ beschrieben. Er habe in Graz für Ruhe unter seinen Mitgliedern gesorgt und es habe auch keine „größere[n]

Überschreitungen des Schutzbundes“ stattgefunden. Über die Heimwehr und den Heimatschutz wird positiv berichtet, „die Ruhe zu schützen und nicht zu stören“ beziehungsweise die Landesregierung zu unterstützen. Die Situation in Judenburg sei am gefährlichsten gewesen, Walter Pfrimer wird dahingehend allerdings nicht namentlich erwähnt. Neben den Schutzverbänden werden besonders die Sicherheitsbehörden, „die in äußerst taktvoller Weise vorgingen“, für die Herstellung von Ruhe und Ordnung hervorgehoben. Einen Tag später erscheint ein weiterer Bericht mit dem Titel „Wieder vollständige Ruhe. Ausgezeichnetes und verständnisvolles Wirken der Heimatschutzverbände. – Die rasche Wiederkehr geordneter

464 Vgl. Grazer Volksblatt, 18.7.1927. 6-Uhr-Blatt, S. 4.

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Verhältnisse ein Erfolg dieser Verbände.“465, darin werden die „verhetzenden Presseergüsse“

verurteilt und die gute Organisation der Wehrverbände erwähnt. Heimatschutzverbände,

„Heimwehrorganisationen“ und „Schutzbünde“ werden als in der Bevölkerung sehr beliebte,

„unpolitische[] Wehrformationen“ bezeichnet, die bis zu den „entlegensten Orten“ reichten, was als Gegensatz zum zentralistisch organisierten Republikanischen Schutzbund gelesen werden kann. Das Volksblatt schreibt auch über den möglichen wirtschaftlichen Schaden Österreichs im Ausland, diese Internationalität ist in anderen Kommentaren nichtmarxistischer Blätter nicht zu finden. Im Bericht werden weiters die engen Kontakte zwischen Anton Rintelen und der „Heimwehrleitung“ hervorgehoben, was ebenfalls in keinem der anderen untersuchten Texte erwähnt wird. Die der Heimwehr zugeordneten Gebiete um Oststeiermark, Weiz, Weststeiermark, Leibnitz, Mureck und Radkersburg werden zwar separat vom Judenburger Heimatschutz unter Pfrimer genannt, generell werden im Text aber Heimwehrverbände und Heimatschutzverbände nicht klar getrennt. Die Berichterstattung im Arbeiterwille wird aufgegriffen und die unterschiedliche Tonalität zwischen „Halbnarren und Abenteuern“ eines Artikels und der Nachgiebigkeit auf Grund des energischen Auftretens der Heimwehren eines anderen Textes festgestellt. Auffallend oft wird positiv über die Heimwehren berichtet466 beziehungsweise ihre Kundgebungen und jene des Steirischen Heimatschutzes, von Pfrimer unterzeichnet, abgedruckt.467

Die hauptsächlichen Gegner der beiden Berichte sind lediglich die Streikverantwortlichen, der Republikanische Schutzbund wird zwar als illegal bezeichnet, allerdings hält sich die Kritik an ihm in Grenzen. Den internationalen Bezug stellt die Sorge um den wirtschaftlichen Schaden der Streiks für die Auslandsbeziehungen dar, den Landesbezug die genannten heimwehrdominierten Gebiete. Medienbezug wird durch die Kritik an der hetzenden Presse und der Zitierung des Arbeiterwille geschaffen.

NFP:

Am Mittwoch, dem 20. Juli erscheinen – auf derselben Seite – zwei Berichte zu den Vorfällen, wovon einer über Koloman Wallischs „[Z]weitägige Diktatur des Proletariats in Bruck an der Mur“468 und der zweite über „[d]as drohende Eingreifen der Heimwehren in der Steiermark“469

465 Vgl. ebda, 19.7.1927. 6-Uhr-Blatt, S. 3.

466 Vgl. ebda, 18.7.1927. 6-Uhr-Blatt, S. 1f, 19.7.1927. 6-Uhr-Blatt. S 3 beziehungsweise 20.7.1927, S. 4.

467 Vgl. ebda, 20.7.1927, S. 4 beziehungsweise 21.7.1927, S. 4.

468 Vgl. NFP, 20.7.1927. Morgenblatt, S. 5.

469 Vgl. ebda.

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handelt. Aus den beiden Texten geht eine offenkundige Stärke des Republikanischen Schutzbundes im obersteirischen Bruck an der Mur hervor. Wallisch wird heftig angegriffen und mehrmals als „Diktator“ bezeichnet, im Gegenzug dazu seien die „bürgerliche[n]

Vertreter“ um Verhandlungen bemüht gewesen. Es werden häufig typische sozialistische Begriffe wie etwa „Revolutionär“ oder „Diktatur des Proletariats“ verwendet, vermutlich dürften solche Schlagwörter größere emotionale Reaktionen unter den LeserInnen hervorrufen als die eigentlichen Streiks, über die lediglich aus Graz berichtet wird. Walter Pfrimer, die Ereignisse in Judenburg und die gesamtsteirische Situation werden in keinem der Artikel erwähnt. Am darauffolgenden Samstag ist ein längerer Kommentar über Wallisch mit dem Titel

„Der kleine Diktator. Bolschewistische Zwei-Tage-Idylle in Bruck an der Mur.“470 abgedruckt, in dem wiederum äußerst scharf gegen den Sozialdemokraten geschrieben wird. Die NFP hat ihr Feindbild offenbar in der Person Koloman Wallischs etabliert, über den bei den vorgefundenen Meldungen zur obersteirischen Situation überproportional häufig geschrieben wird. Auch ist der polemische Ton im Vergleich zu dem aller anderen analysierten Texte jener Zeitung sehr ungewöhnlich für das angesehene, liberale Wiener Blatt.

Eindeutiger Gegner in den untersuchten Texten ist Koloman Wallisch, auch wird die Sozialdemokratie im Allgemeinen angegriffen. Internationale Bezüge wurden in den beiden untersuchten Texten keine festgestellt, Landesbezüge durch die Berichterstattung aus Bruck beziehungsweise Graz.

Tagespost:

Im Kommentar „Der wahre Schutzbund.“471, ebenfalls am 20. Juli erschienen, wird zwar eingeräumt, dass die Streiks nicht das Ziel gehabt hätten, „das Chaos vollständig zu machen“.

Dennoch wird vom „Terror“ aus der Bundeshauptstadt geschrieben, ein Übergreifen auf die Bundesländer sei maßgeblich durch den Heimatschutz verhindert worden. Damit hält die Tagespost wie das Volksblatt ihren Anti-Wien-Kurs bei. Die Heimwehrverbände, vor allem der Tiroler, werden als unpolitisch bezeichnet, diese Aussage ist ebenfalls im Volksblatt zu finden.472 Die „Bauern und Bürger“ hätten sich gegen die „dunklen politische[n] Zwecke“

gewehrt, womit augenscheinlich nicht nur die Sozialdemokratie sondern implizit die Parteipolitik an sich kritisiert wird. Die „bürgerliche[] Bevölkerung“ habe mit Unterstützung

470 Vgl. ebda, 23.7.1927. Morgenblatt, S. 1f.

471 Vgl. Tagespost, 20.7.1927. Morgenblatt, S. 1.

472 Vgl. S. 73.

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der Exekutive den normalen Zustand wiederhergestellt, was als Zusammenarbeit zwischen Heimwehren beziehungsweise Heimatschutz und öffentlichen Einrichtungen gemutmaßt werden kann. Die positive Erwähnung der Wiener Polizei im selben Satz mit den Heimwehren ist ein weiterer Hinweis darauf. Die Sozialdemokratie wird beschuldigt, den Staat missbraucht zu haben, womit ein wichtiger ideologischer SDAP-Parteiprogrammpunkt, der Schutz des Gesamtstaates, ins Negative gekehrt wird. Ebenso verhält es sich mit der behaupteten Verbindung zum Kommunismus, dessen Ziel, die sozialistische Revolution, das „Ende [] aller Freiheit“ bedeuten würde. Die sozialistische Presse wird als „verhetzend“ beschrieben. Das Ansehen Österreichs im Ausland und die damit verbundene heimische Wirtschaft werden ebenfalls thematisiert. Die Tagespost schreibt äußerst positiv über die Heimwehren,473 dies gipfelt in einer nahezu eine Seite umfassenden Berichterstattung und den Abdruck einer Mitteilung des steirischen Heimatschutzes, unterzeichnet von Walter Pfrimer.474 Die Veröffentlichungen von Heimwehr und Heimatschutz sind mit jenen im Volksblatt weitestgehend ident.

Gegnerin ist vorrangig die Sozialdemokratie, deren Presse und die Bundeshauptstadt Wien als Ausgangspunkt der Unruhen, impliziert die Parteipolitik. Internationaler Bezug wird durch die Wichtigkeit der Wirtschaftsbeziehungen ins Ausland hergestellt, Landesbezug durch den Steirischen Heimatschutz, die Heimwehr und Pfrimer. Medienbezug stellt die

„sozialdemokratische Presse“ dar, implizit die inhaltlichen Parallelen zum Volksblatt.

Resümee:

Erwartungsgemäß gleichen sich die beiden sozialdemokratischen Blätter bezüglich der untersuchten Texte, lediglich unterscheidet sich die Ausdifferenzierung der Gegnerschaft.

Beschränkt sich die AZ auf die Heimwehren, gibt der Arbeiterwille die Namen der Heimwehrführer beziehungsweise Heimatschutzführer wieder. Auch gestaltet sich die Berichterstattung der steirischen Geschehnisse, vermutlich auf Grund der schwerwiegenden Ereignisse in Wien, in der AZ weniger umfangreich. Die beiden „christlichsozialen“ Zeitungen haben im Republikanischen Schutzbund zwar denselben Gegner, während aber die Reichspost die Arbeiter im Allgemeinen angreift, werden beim Volksblatt hauptsächlich die Streikverantwortlichen und nur am Rande der Schutzbund genannt, im Gegenteil wird der Grazer Schutzbund positiv erwähnt. Die liberalen Blätter scheinen mit ihrer Parteiergreifung

473 Vgl. ebda, 19.7.1927. Morgenblatt, S. 3 beziehungsweise Abendblatt, S. 2.

474 Vgl. ebda. 20.7.1927. Morgenblatt, S. 9 beziehungsweise 21.7.1927. Abendblatt, S. 3.

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gegen die Sozialdemokratie ihre bisherige politische Objektivität verloren zu haben. Die Tagespost ändert darüber hinaus durch ihre implizite Kritik am Parteiensystem und die äußerst positive Berichterstattung über die Heimwehr und den Heimatschutz andeutungsweise ihren Kurs in Richtung Faschismus. Die NFP verliert mit ihrer scharfen, polemischen Wortwahl gegen Koloman Wallisch ihre bisherige Neutralität, was für ein international renommiertes, liberales Tagblatt ungewöhnlich scheint. Beide Blätter unterscheiden sich hinsichtlich Regionalität/Nationalität, während die NFP hauptsächlich einen obersteirischen Gemeinderat attackiert, kritisiert die Tagespost die Hauptstadt Wien als Ursprung der Unruhen, hebt die Gegenwehr der Bundesländer hervor und behält ihren Anti-Wien-Kurs bei.

4.5 Ein Zusammenstoß zwischen Steirischem Heimatschutz und Republikanischem Schutzbund in St. Lorenzen im Mürztal am

Sonntag, dem 18. August 1929

AZ:

Im Leitartikel „Heuchlerischer Heimwehrüberfall.“475, einen Tag nach den Vorfällen erschienen, wird von einem friedlichen Fest der SozialdemokratInnen geschrieben, dass durch die Heimwehr gestört worden sei. Als Festredner dieser Veranstaltung sei Koloman Wallisch eingeladen gewesen, worin die Heimwehr „nichts dreinzureden“ habe. Offenbar wird dabei auf das besonders feindschaftliche Verhältnis zwischen Heimwehren und Wallisch angespielt. Die Heimwehr habe deshalb in St. Lorenzen zur gleichen Zeit am gleichen Festplatz ihre Aufmärsche anmelden wollen, was die Behörden verhindert hätten, woraufhin sie den Festplatz besetzt habe. Die Behauptung, es sei die „republikanische Fahne herabgerissen“ worden, steht anderen Meldungen gegenüber, die Heimwehrmitglieder hätten der Veranstaltung lediglich beiwohnen wollen. Der Schutzbund habe daraufhin auf den Hauptplatz ausweichen müssen, wo es zum Zusammenstoß gekommen sei. Es wird betont, dass man sich nur verteidigt hätte, die Heimwehrleute „begannen zu schießen.“ Diese werden als „mit Revolvern und Gewehren wohl ausgerüstet“ beschrieben, die Ausrüstung des Schutzbundes bleibt unerwähnt, allerdings hätte dieser „die schießenden Heimwehren mit blutigen Köpfen heimgeschickt“, was ebenfalls auf eine Bewaffnung schließen lässt. Ignaz Seipel wird die „Protektion“ der Heimwehren, die Ablehnung der inneren Abrüstung aller Wehrverbände, die Bewaffnung der Heimwehren und

475 Vgl. AZ. 19.8.1929, S. 1f.

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die Zerstörung der Republik unterstellt. Die Sozialdemokraten beschreiben sich in einer staatstragenden Rolle und müssten handeln, da die gesetzlichen Möglichkeiten nicht ausreichen würden, um einen Bürgerkrieg zu verhindern. Die Heimwehren säßen drohend und bewaffnet im Nacken des Staates und des Bundeskanzlers. Diesem wird darüber hinaus Untätigkeit und Blindheit vorgeworfen, ebenso sei das Bürgertum blind und sehe die Gefahr der Heimwehren nicht. Bundeskanzler Streeruwitz wird nicht direkt in Verbindung mit den Heimwehren gebracht, der Leitartikel schlägt damit nur gegen die heimwehrtreuen Christlichsozialen einen harten Kurs ein. Bundeskanzler und Bürgertum werden implizit in eine Opferrolle manövriert, was auf die ambivalente Beziehung innerhalb der CSP in Bezug auf die Heimwehren hinweist.

Begriffe wie „Putschpläne[]“, „Bürgerkriegsabsichten“, „Putsch und Bürgerkrieg“ sind bezeichnend für die weitere politische Entwicklung.

Die GegnerInnen im Leitartikel sind vornehmlich die Heimwehr in der Obersteiermark, die nicht als Heimatschutz bezeichnet wird, und CSP-Obmann Seipel. Die für St. Lorenzen zuständige Bezirkshauptmannschaft Judenburg kann nicht als Gegnerin bezeichnet werden, da sie zwar die sozialdemokratische Kundgebung aufzulösen suchte, diese galt aber, da sie am Hauptplatz nicht angemeldet war, als illegal. Weiters haben die Behörden das Ansuchen der Heimwehr-Kundgebung abgelehnt. Internationaler Bezug wird durch die zugeschriebene schlechte Position von Seipel und Streeruwitz im Ausland hergestellt, Landesbezug durch die

„steirischen Arbeiter“ in der Unterüberschrift beziehungsweise der Berichterstattung aus der Region Obersteiermark.

Arbeiterwille:

Am Dienstag, dem 20. August, wird ein Kommentar unter dem Titel „Was nun?“476 abgedruckt, der samt dem ersten Absatz des Textes aus der Stunde zitiert wird, zu jener Zeit Nebenausgabe des linksliberalen Tag. Das Leitthema stellt den Kampf der Demokratie gegen den Faschismus dar, die „Demokratie in ihrer Gänze ist bedroht“, und die Ereignisse in St. Lorenzen werden dahingehend als wegweisend für die Zukunft Österreichs beschrieben. Hervorgehoben wird im Artikel, dass dieser Kampf die Überparteilichkeit voraussetzen müsse, der Kommentar schließt allerdings eine Koalition aus und beschreibt stattdessen geschickt eine nicht näher definierte

„Rekrutierung der geistigen Verteidigungsarmee der Demokratie“. Frankreich wird diesbezüglich als Beispiel angeführt, das ebenfalls kurz vor dem Faschismus gestanden habe

476 Vgl. Arbeiterwille, 20.8.1929. Zweite Auflage, S. 1.

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und dies nur durch die Konzentration aller demokratischen Parteien verhindert worden sei.

Auch wird die Auflösung aller Wehrverbände gefordert, genannt werden aber lediglich Heimwehr beziehungsweise Heimwehren, der Schutzbund bleibt unerwähnt. Im Text werden nur die Namen christlichsozialer Politiker genannt und die Reibereien innerhalb der CSP damit angesprochen, dass Heimwehrführer Steidle Bundeskanzler Streeruwitz gedroht habe, da dieser die Heimwehren als „illegale Formation“ bezeichnet hätte. Die Priorität des Staates vor der eigenen Partei weist auf die hohe Bedeutung der Demokratie für die Sozialdemokratie hin, allerdings muss erwähnt werden, dass jener Kommentar der am wenigsten polemische ist, der vorgefunden werden konnte. Im Allgemeinen ist selbst die Berichterstattung zum Thema sehr aggressiv, es wird häufig auf andere Tageszeitungen Bezug genommen und etwa die Tagespost als „Heimwehrpresse“477 bezeichnet oder auch die Reichspost und das Grazer Volksblatt angegriffen.478

Die GegnerInnen dieses Kommentars sind hauptsächlich der Faschismus, weniger ausgeprägt die CSP und die Heimwehren, ebenso wie in der AZ wird der Heimatschutz nicht explizit genannt. In anderen Artikeln werden die katholischen Tagblätter und die Tagespost angegriffen.

Internationalen Bezug stellt Frankreich mit seinem erfolgreichen Kampf gegen den Faschismus dar, Landesbezug die genannten Zeitungen aus Graz. Was den Medienbezug betrifft, wird im Arbeiterwille sehr häufig Bezug auf andere Tagblätter genommen, in jenem Fall sogar der Titel aus der Stunde zitiert.

Reichspost:

Im Leitartikel „Eine traurige Ernte.“479 vom Montag nach den Zusammenstößen wird zu Beginn der Schutzbund beschuldigt, „Terror“ auszuüben, womit der ideologische Gegensatz zu

„Putsch“ und „Bürgerkrieg“ auf sozialdemokratischer Seite geschaffen wird. Die Heimwehrbewegung wird als Volksbewegung in Stadt und Land beschrieben, der auch Arbeiter angehören würden. Es dürfte damit auf die äußerst heimwehrfreundliche „Alpine Montangesellschaft“ angespielt werden, die sich durch die Finanzierung der Heimwehren der sozialdemokratischen Gewerkschaften entledigt hat. Die Angst vor dem Faschismus sei von der Sozialdemokratie erfunden worden, um im Ausland Verbündete zu finden, „weil sich mit dem Schlagwort ‚Faschismus‘ die Demokraten aller Länder schrecken lassen.“ Der „liberale[n]

477 Vgl. ebda beziehungsweise 25.8.1929. Zweite Auflage, S. 2.

478 Vgl. ebda, 21.8.1929. Zweite Auflage, S. 1. beziehungsweise 25.8.1929. Zweite Auflage, S. 3.

479 Vgl. Reichspost, 19.8.1929, S. 1f.

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Presse in Deutschland und in anderen Ländern“ wird dabei unterstellt, den Sozialdemokraten

„blind“ zu folgen. Ein faschistisches Regierungssystem in Österreich sei „schlichtweg unmöglich“ und werde auch von niemandem gewollt, diese Fehleinschätzung dürfte aus einer gewissen Kurzsichtigkeit gegenüber den regionalen Gegebenheiten heraus entstanden sein, was von anderer Seite die Anti-Wien-Stimmung bestätigen würde. Die Beschreibung der Heimwehren als starke, einheitliche Volksbewegung kann als weiteres Indiz dafür angeführt werden. Die SozialdemokratInnen werden als „minder straff organisierte[] Genossen“

„blind“ zu folgen. Ein faschistisches Regierungssystem in Österreich sei „schlichtweg unmöglich“ und werde auch von niemandem gewollt, diese Fehleinschätzung dürfte aus einer gewissen Kurzsichtigkeit gegenüber den regionalen Gegebenheiten heraus entstanden sein, was von anderer Seite die Anti-Wien-Stimmung bestätigen würde. Die Beschreibung der Heimwehren als starke, einheitliche Volksbewegung kann als weiteres Indiz dafür angeführt werden. Die SozialdemokratInnen werden als „minder straff organisierte[] Genossen“