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Der Rücktritt von CSP-Bundeskanzler Michael Mayr wegen einer geplanten

Mittwoch, dem 1. Juni 1921

AZ:

Am Freitag nach der Demission erscheint ein Kommentar mit dem Titel „Die Regierungskrise.“446, der mit der Missbilligung einer nach Meinung des Autors sinnlosen Einberufung eines Ausschusses beginnt, da dieser sofort vertagt wird, „wozu er denn einberufen worden ist“. Weiters werden über eine nicht namentlich genannte Quelle „aus Graz“

Informationen weitergegeben, die das wechselnde Abstimmungsverhalten der steirischen christlichsozialen MandatarInnen unter Einfluss von Rintelen und Ahrer behandeln, jene zwei Politiker hätten sich damit „bewußt gegen die christlichsoziale Regierung frondiert“.

446 Vgl. AZ, 3.6.1921. Morgenblatt, S. 2.

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Gegnerin im Kommentar ist erwartungsgemäß die Christlichsoziale Partei, hauptsächlich werden dabei Anton Rintelen und Jakob Ahrer angegriffen. Als internationalen Bezug lässt sich die als schwierig beschriebene Lage Österreichs werten, der Landesbezug wird durch die Informationen über die Abstimmung im steirischen Landtagsklub der CSP hergestellt.

Arbeiterwille:

Einen Tag nach der Demission, am Donnerstag, dem zweiten Juni, wird ein Kommentar mit dem Titel „Rücktritt der Regierung Mayr“447 veröffentlicht, worin die Differenzen zur Anschlussabstimmung zwischen CSP und GDVP als Vorwand bezeichnet werden, um Bundeskanzler Mayr loszuwerden, auch habe sich die steirische CSP den Großdeutschen aus Angst vor Enthüllungen angeschlossen. Einerseits wird „die Heimtücke, Bosheit und [der]

Haß“ der steirischen Christlichsozialen, die Regierung umzubringen, angesprochen, andererseits die Regierung kläglich und unfähig bezeichnet. Als Mayrs Gegner in der Bundespartei werden Seipel, Kunschak und Mataja genannt, deren Befindlichkeiten Mayr nicht mehr befriedigen habe können, aber auch die Reichspost und die Wiener Stimmen seien gegen Mayr bezüglich der Grenzziehung im Norden gestanden. Mayr selbst wird im Kommentar nicht angegriffen, sondern sogar sein „Bekenntnis zur Republik“ hervorgehoben. Die Arbeiterschaft habe zwar keine Schuld am Rücktritt, müsse aber Interesse zeigen, dass „für Staat und Volk kein Schaden erwächst“, besonders was die Kreditverhandlungen und den Wiederaufbau betreffe.

Als Gegner lassen sich einerseits der „Habsburgerflügel“ der CSP, namentlich Ignaz Seipel, Leopold Kunschak, Heinrich Mataja und Jakob Ahrer, andererseits die Großdeutschen ausmachen. Internationalen Bezug erhält der Artikel durch die Hervorhebung der Entente als Kreditgeberin für Österreichs Wiederaufbau, Landesbezug durch Ahrer und die Abstimmung im steirischen Landtag. Mit der Erwähnung der Reichspost und den Wiener Stimmen wird auch der Medienbezug hergestellt.

Reichspost:

Im Kommentar „Der Rücktritt des Ministeriums Mayr“448, ebenfalls am Donnerstag erschienen, wird zu Beginn vordergründig die Völkerbundanleihe angesprochen, die für Österreichs Wirtschaft und Freiheit besonders wichtig sei, die Schuldfrage wird anfangs ausgeblendet. In

447 Vgl. Arbeiterwille, 2.6.1921, S. 1f.

448 Vgl. Reichspost, 2.6.1921. Morgenblatt, S. 1f.

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Bezug auf die Festsetzung des Datums der Volksabstimmung wird zwar die steirische Landesregierung genannt, aber nicht, dass diese unter christlichsozialer Führung steht. Als Schuldige werden lediglich die Großdeutschen angeführt. Im Gegenteil wird das

„christlichsoziale Ministerium Mayr“ für dessen gute Arbeit gelobt, besonders im Vergleich zu den vorhergehenden Regierungen, die jedoch die SDAP-CSP-Koalition darstellen. Es wird auch über Männer aus den einzelnen Bundesgebieten berichtet, die Verhetzung und Terror betreiben, gemeint dürften damit die verschiedenen zersplitterten Heimwehrgruppen sein, die ebenfalls den Anschluss fordern und weniger der zentralistische Republikanische Schutzbund.

Im Text haben Demokratie, Verfassung, Wirtschaft, die Auslandskredite und die „Freiheit und Zukunft des österreichischen Alpendeutschtums“ hohen Stellenwert. Bemerkenswert erscheint, dass bis auf Mayr keine Namen genannt werden.

Die Gegnerinnen in diesem Kommentar sind hauptsächlich die Parteiführung der Großdeutschen und die steirische Landesregierung, wobei die CSP nicht explizit erwähnt wird.

Internationaler Bezug wird ebenfalls mit der Erwähnung der Entente beziehungsweise des Völkerbundes als Kreditgeber hergestellt, Landesbezug durch die Vorkommnisse im steirischen Landtag.

Grazer Volksblatt:

Im Kommentar „Rücktritt des Kabinettes Mayr.“449 wird als Grund für Mayrs Demissionieren explizit nicht die steirische CSP genannt, sondern die Abstimmung in Salzburg und hauptsächlich die Entscheidung der GDVP, die Abstimmungen in den Ländern voll zu unterstützen und davon ihre Regierungsbeteiligung abhängig zu machen. Mayr sei „über die Anschlussfrage gestolpert“. Einerseits geht aus dem Artikel eine Präferenz der CSP-Landesorganisation zur steirischen GDVP gegenüber der Bundespartei hervor, andererseits wird Mayr in seinen bisherigen Funktionen hohe Kompetenz zugesprochen („Optimismus“,

„Pflichtgefühl“), unter anderem habe er das Vertrauen des Auslandes, das Karl Renner zuvor verspielt habe, wieder herstellen können. Im späteren Verlauf ist der Artikel aber Entente-kritisch, da solch eine Abstimmung laut Volksblatt „nach dem Friedensvertrag dem österreichischen Volke rechtlich zusteht“. Weiters wird die „Wiener Regierung“ zur Verantwortung gezogen, da sie die „Bewegung zur Ausübung eines Rechtes“ in den Ländern zu akzeptieren habe, wenn sie bestehen wolle. Schließlich wird auch „ein Teil der Wiener

449 Vgl. Grazer Volksblatt, 2.6.1921. Morgenblatt, S. 1.

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Presse“ angegriffen, da diese im Wirken der Länder beziehungsweise der steirischen CSP den

„Verfall des Staates“ orten würden.

Gegner im Kommentar sind verallgemeinert die Großdeutschen und, im Gegensatz zu den anderen untersuchten Zeitungen, auch der Völkerbund, „die Wiener“ und die Wiener Medien.

Internationaler Bezug wird durch den Völkerbund hergestellt, Landesbezug durch die steirische CSP beziehungsweise GDVP, Medienbezug durch die Nennung der Wiener Presse.

NFP:

Am selben Tag der Demission erscheint ein Kommentar mit dem Titel „Die Kabinettskrise.“450, der die Wichtigkeit einer raschen Krisenbewältigung hervorhebt. Es wird betont, dass diese Krise vorauszusehen gewesen sei, die Ereignisse in der Steiermark sie nur ausgelöst hätten und die Steirer aber nicht die alleinige Schuld trügen. Es werden, wie auch in anderen Texten, keine Namen und Schuldigen genannt, nur der Gegensatz Länderpartei/Bundespartei beziehungsweise Länderregierungen/Bundesregierung thematisiert. Der untersuchte Kommentar blickt inhaltlich eher in die Zukunft, als die Schuldfrage zu beantworten und ist sehr sachlich gehalten. Auch andere Berichte und Kommentare, die zu diesem Thema vom ersten Juni weg zu finden sind, sind eher sachlich und nicht personenbezogen.

Als Gegner sind im Allgemeinen die Bundesländer unter christlichsozialer Führung, im Besonderen die steirische CSP-Parteileitung zu erkennen, wodurch auch der Landesbezug – steirischer Landtag, steirische CSP – hergestellt wird.

Tagespost:

Am Freitag nach der Demission ist ein Kommentar unter dem Titel „Staats- oder Länderpolitik.

Der Rücktritt der Regierung Mayr und die Christlichsoziale Partei.“451 abgedruckt, der zu Beginn die Rolle des Bundespräsidenten anspricht. Michael Hainisch wird dahingehend als

„gewissenhaft“ und der Anschlussidee gegenüber positiv beschrieben, da er „sonst gar nicht []

gewählt worden“ wäre, außerdem wird seine „kurz bemessene Amtsgewalt“ kritisiert. Die teilweise Schuld an der Demission wird in der eigenen Partei verortet und damit die innere Zerrissenheit der CSP zwischen Ländern und Bund thematisiert. Im Artikel ist eine Symbolik mit Kirchtürmen zu finden, was als Hinweis auf eine katholische Ausrichtung gewertet werden kann. Die Wichtigkeit der Auslandskredite wird den Interessen der Länder vorangestellt und

450 Vgl. NFP, 1.6.1921. Abendblatt, S. 1f.

451 Vgl. Tagespost, 3.6.1921. Morgenblatt, S. 1.

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Verständnis für die Probleme des „großen Bruders“ Deutschland gezeigt. Den Ländern wird, etwa durch einen fahrlässigen Umgang mit den Staatsschulden, implizit Inkompetenz unterstellt, Staatsangelegenheiten müssten deshalb jedenfalls den Landesangelegenheiten vorangestellt werden, ansonsten breche das Staatsgebilde auseinander. In einem weiteren Kommentar am Sonntag („Erst das Vaterland, dann die Partei. Zur Lösung der Regierungskrise.“452) wird die Priorität des Staates erneut hervorgehoben, diesmal in Bezug auf die Parteien, denen mit der Einführung der Demokratie große Macht zugekommen sei. Die SDAP wird darin angegriffen, wegen der sozialdemokratischen Führung etwa hätte es keine Kredite vom Ausland im ersten Jahr für Österreich gegeben beziehungsweise hätte die SDAP die „Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz“ verhindert. Die CSP hingegen wird für niedrige Arbeitslosenzahlen, wachsende Wirtschaft und innere politische Ruhe gelobt. Die Entente wird selbst für die Anschlussbestrebungen verantwortlich gemacht, da sie die Bevölkerung hingehalten hätte. Es wird die im Römischen Recht mögliche temporäre Einführung der Diktatur zur Rettung des Staates genannt, was angesichts des Austrofaschismus 13 Jahre später bemerkenswert erscheint.

Die GegnerInnen in den vorliegenden Kommentaren sind die Sozialdemokratie, die Entente und die Bundesländer, einerseits positioniert sich die Tagespost damit auf die Seite der CSP und eindeutig gegen die SDAP, andererseits kritisiert sie als national und international anerkanntes Medium nicht nur die Bundesländer sondern auch die Haltung der Entente.

International wird Bezug auf die Auslandskredite, die Entente, Deutschland und historisch das Römische Reich genommen.

Resümee:

Im Vergleich der einzelnen Blätter entsprechen die sozialdemokratischen Artikel den Erwartungen, gegen die CSP und für die internationale Zusammenarbeit zu schreiben. Die den Christlichsozialen nahestehenden Blätter differieren hierbei zwischen nationaler und regionaler Zeitung: Wenn auch beide die Großdeutschen als Gegner behandeln, so werden implizit in der Reichspost die steirischen Christlichsozialen angegriffen und im Volksblatt die CSP-geführte Bundesregierung, was den Anti-Wien-Kurs des Volksblattes herausstreicht. Bei den liberalen Blättern verlässt die Tagespost ihren neutral-liberalen Kurs zugunsten einer christlichsozialen

452 Vgl. ebda, 5.6.1921. Morgenblatt, S. 1.

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Blattlinie und der Kritik an der Entente, obwohl sie als liberales Flaggschiff und einziges international anerkanntes nicht-Wiener Blatt gilt.

4.3 Die Ausreise des Landtagsabgeordneten und ehemaligen