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Die Ausreise des Landtagsabgeordneten und ehemaligen Finanzministers Jakob Ahrer

Bankenskandale Ende September 1926

AZ:

Am Freitag, dem ersten Oktober erscheint unter der Rubrik „Tagesneuigkeiten.“ ein reißerischer Kommentar mit dem Titel „Er ist zu Schiff nach England…“453, worin Ahrer „sich entschuldigen“ lasse und „aus dem so ungemütlich gewordenem Oesterreich abgedampft“ sei, obwohl er vor einem Untersuchungsausschuss Auskunft über die Steirerbank, die Zentralbank

„und andere Dinge“ hätte geben sollen. Seiner Mitgliedschaft als „Cevauer“ bei den

„pfäffische[n] Burschenschaften“ hätte er seinen Aufstieg verdankt. In Amerika, das für seine

„Versippung von Regierung und Bankkapital“ bekannt sei, wolle er die „modernsten technischen Fortschritte auf dem Gebiete des Aktiendrucks“ kennenlernen. Seine Studienreise würde ob des „gewaltigen Studienprogramms“ länger dauern, als der Untersuchungsausschuss im Nationalrat tage.

Die Gegner sind hauptsächlich Jakob Ahrer, aber auch Anton Rintelen, der Kartellverband und Amerika als Inbegriff von Korruption und Aktienhandel, das damit auch den internationalen Bezug aufbaut. Landesbezüge werden durch die Erwähnung der Steirerbank, der Alpine Montangesellschaft und der Wetzelsdorfer Banknotendruckerei in Graz hergestellt.

Arbeiterwille:

Einen Tag nach der Veröffentlichung in der AZ, am zweiten Oktober, ist im Arbeiterwille die Glosse „Dr. Jakob Ahrer abgedampft.“454 abgedruckt, in der sich häufige Anspielungen auf den katholischen Glauben wie „Galiläa“, „Sodom und Gomorra“ und „heiliger Geist“ finden lassen.

Ahrer wird als Lehrling in umgekehrter Richtung dargestellt, zuerst sei er hoch hinaus gestiegen, dann zum Lehrling geworden und schließlich habe er in jugendlicher Abenteuerlust seinen Lehrplatz verlassen, um nach Amerika zu den Indianern zu reisen. Ein Dialog mit dem Häuptling beschreibt ihn als „große[n] Krieger der steirischen Heimwehr“, der oststeirische

453 Vgl. AZ, 1.10.1926. Morgenblatt, S. 4.

454 Vgl. Arbeiterwille, 2.1.1926, S. 5.

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Skalps mitbringe. Damit wird in den untersuchten Texten erstmals die Heimwehr erwähnt, sogleich als Kampfformation dargestellt und mit Jakob Ahrer direkt in Verbindung gebracht.

Der Häuptling hingegen nennt ihn „weißer Bruder, der eigentlich ein schwarzer ist“ und nimmt Ahrers Geschenk, „ein Bündel Steweagaktien“ nicht an, weil ihm der katholische Missionar Prisching455 von deren großem finanziellen Verlust in Kenntnis gesetzt habe. Ahrer und Prisching hätten sich sehr über die Begegnung beim Häuptling gefreut. Widersprüchlich im Text ist einerseits die Kritik, Ahrer sei in das Amt des Landeshauptmann-Stellvertreters hineingeboren, andererseits moniert der Kommentar, Rintelen habe seine politische Laufbahn erst mit 44 Jahren begonnen.

Gegner ist neben Ahrer und Rintelen auch Landeshauptmann Franz Prisching, internationalen Bezug stellt wiederum Amerika dar, diesmal in Verbindung mit Karl May und seinen Romanen, Landesbezug die Steirerbank.

Reichspost:

Diesbezüglich konnte kein Kommentar gefunden werden, generell beschäftigt sich kein Text hauptsächlich mit Ahrers Reise. Am Sonntag, dem dritten Oktober erscheint unter dem Titel

„Der Landeshauptmannwechsel in Steiermark.“456 ein Bericht, dessen Inhalt anfangs Rintelens politische Karriere und dessen Rückkehr in die Steiermark darstellt. Erst in weiterer Folge wird Ahrer erwähnt, er habe seine Politkariere von sich aus beendet, seine Auslandreise bleibt aber unbegründet. Aus der Politik habe er sich wegen seiner Anwaltsprüfung zurückgezogen, außerdem könne er laut eigenen Angaben nichts für den Gesundungsprozess der steirischen Politik und Wirtschaft beitragen. Ahrer hätte als Finanzminister „die Gunst und das Lob einer Presse [erhalten], die sonst keinem Christlichsozialen grün war“, Zeitungsnamen werden hierbei keine genannt. Er wird als zwar als politisch begabt aber mit „allzu großem Selbstvertrauen“ und „der christlichsozialen Sache innerlich entfremdend“ beschrieben.

Gegner in diesem Bericht ist der Landespolitiker Jakob Ahrer, Landesbezüge stellen zudem die steirische CSP und die Landesregierung dar, den Medienbezug die Nennung einer nicht näher definierten, Ahrer wohlgesonnen Presse.

455 Franz Prisching war zu jener Zeit christlichsozialer Landeshauptmann der Steiermark.

456 Vgl. Reichspost, 3.10.1926, S. 5.

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Grazer Volksblatt:

Vier Tage nach dem Reichspost-Bericht, am Donnerstag, dem siebten Oktober findet sich der Kommentar „Dr. Ahrer und die Christlichsoziale Partei.“457, worin man vorranging um die Richtigstellung der Medienberichte bemüht ist. Zwei dieser Berichte werden zitiert, darunter das „sogenannte Zentralblatt der christlichsozialen Partei“, die Reichspost, deren

„unfreundliche Bemerkungen“ die Dissonanzen zwischen Landes- und Bundespartei deutlich zeigt. Das Volksblatt bemerkt sarkastisch gegen Wien, es hätte „mindestens ebensoviel Einblick in die steirischen Parteivorgänge […] als die Presse jenseits des Semmering“ und setzt damit seine Wien-Kritik fort. Die negative Berichterstattung über Ahrer wird als „Verläumndungen niederster und dümmster Art“ wegen einer generellen „Skandalflucht“ der Medien in Österreich verurteilt.

Gegner dieses Kommentars sind generell die Wiener Medien, namentlich werden die Reichspost als Gegnerin der steirischen CSP und Die Stunde als Sensationsblatt genannt.

Internationale Bezüge sind Ahrers Reiseziele Amerika, Schweden und Finnland, Landesbezug die steirische CSP, die Wiener „Skandalblätter“, die Reichspost und Die Stunde stellen den Medienbezug her.

NFP:

Am Montag, dem vierten Oktober wird ein kurzer Bericht über den „Austritt Dr. Ahrers aus dem politischen Leben.“458 abgedruckt, der sich mit seiner politischen Zukunft auseinandersetzt. Der Untertitel „Eine christlichsoziale Mitteilung.“ bedeutet in dem Fall eine weitgehende Zitierung aus der Reichspost, die als „christlichsoziales Organ“ bezeichnet wird.

Kommentare zur Ausreise Ahrers beziehungsweise zur möglichen Flucht vor einem Untersuchungsausschuss wurden keine vorgefunden, auch keine weiteren Berichte.

Im vorliegenden Text konnte trotz Zitierung der Reichspost keinE GegnerIn ausfindig gemacht werden, da die kritischen Passagen daraus nicht übernommen wurden. Internationaler Bezug wird durch Amerika, Landesbezug durch die steirische Landesregierung und Medienbezug durch die Zitierung der „christlichsozialen“ Reichspost hergestellt.

457 Vgl. Grazer Volksblatt, 7.10.1926. 6-Uhr-Blatt, S. 1f.

458 Vgl. NFP, 4.10.1926. Morgenblatt, S. 4.

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Tagespost:

Am Freitag, dem achten Oktober werden in einem Bericht mit dem Titel „Die ‚Reichspost‘ und die steirischen Christlichsozialen. Zur Abreise des Herrn Dr. Ahrer.“459 die bereits behandelten Artikel der Reichspost und des Volksblattes – beide als christlichsoziale Blätter bezeichnet – zitiert. Die Informationen zur Abreise dürfte das Tagblatt nur aus den beiden Texten erhalten haben, der nicht zitierte Text nimmt Bezug auf „einige[] Wiener Blätter[]“ und kritisiert die Reichspost wegen „sonderbare[r] Anspielungen“, beides ist aber auch im Volksblatt-Kommentar zu finden.

Die GegnerInnen dieses Artikels sind die Reichspost, Die Stunde und die skandalsüchtigen Wiener Blätter, die Tagespost nimmt dadurch, ebenso wie das Volksblatt, eine kritische Haltung zu Wien ein. Mit dieser Kritik beziehungsweise der Zitierung von Reichspost und Volksblatt ist auch der Medienbezug hergestellt. Internationale Bezüge sind wiederum Ahrers Reiseziele Amerika, Schweden und Finnland, Landesbezug der ehemalige Landeshauptmann-Stellvertreter.

Resümee:

Die beiden sozialdemokratischen Blätter gleichen sich wie bei den vorhergehenden analysierten Ereignissen bezüglich der Gegnerschaft, lediglich das Bild Amerikas differiert: Während die AZ Amerika als Zentrum der Korruption darstellt, werden im Arbeiterwille Karl Mays Abenteuerromane als dessen Sinnbild herangezogen. Bei den beiden der CSP nahestehenden Blättern verstärkt sich der Unterschied „national“ und „regional“. Die Reichspost schreibt zwar dezent aber dennoch erkennbar gegen Ahrer, das Volksblatt gegen die Wiener Presse und namentlich auch gegen die Reichspost. Die Fortführung der Kritik gegen die Bundeshauptstadt und auch die Differenzen zwischen Landes- und Bundespartei sind somit erkennbar. In dieselbe Richtung wie das Volksblatt tendiert die Tagespost, die ebenfalls die Wiener Medien und die Reichspost angreift und damit ihren christlichsozialen Kurs in Richtung Landespartei und gegen Wien ändert. Die NFP weist dahingehend den höchsten Grad an Objektivität auf. Da das untersuchte Ereignis international keine Bedeutung gehabt haben dürfte, kann keine Aussage über Nationalismus oder Internationalismus getätigt werden.

459 Vgl. Tagespost, 8.10.1926. Morgenblatt, S. 5.

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4.4 Das Ende der wegen des Schattendorfer Urteils begonnenen Streiks in