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Nach dem Ersten Weltkrieg mussten die meisten österreichischen Zeitungen durch die territorialen Verluste große Absatzeinbußen hinnehmen. Die Wiener Blätter verloren den für sie wichtigen böhmischen und mährischen Markt nördlich und östlich der heutigen Grenze, und im Süden Österreichs hatten die Medien durch die neu gezogene Grenze, die die Steiermark um mehr als 30 Prozent verkleinerte, Absatzschwierigkeiten. „[D]ie steirischen Zeitungen, die bis dahin die deutschsprachigen Leser in der Untersteiermark und in der Krain bis Laibach, ja bis Triest versorgt hatten, mußten sich auf ihr eigentliches Kerngebiet beschränken.“406 Dennoch wurde, was die Zahlen der verschiedenen Parteizeitungen beziehungsweise der parteinahen Blätter zeigen, das politische Leben während der Ersten Republik mit großem Interesse verfolgt. Die politische Mobilisierung „erfasste die Frauen (Frauenwahlrecht 1919) und trug eine leidenschaftliche Politisierung in die Familien und den Alltag. ‚In Versammlungen gehen‘

war ein ‚Sport‘ mit hohem Unterhaltungswert.“407 So hatte etwa die großformatige, qualitativ hochwertige AZ als Parteiorgan der SDAP Auflagenzahlen bis zu 105.000 Stück408 und zählte somit zu einem der drei stärksten Wiener beziehungsweise österreichischen Tagblättern.

Übertroffen wurde die Zeitung nur noch vom ebenfalls sozialdemokratischen, boulevardesken

403 Vgl. ORBI II, S. 469.

404 Vgl. ORBI III, S. 377.

405 Vgl. ebda, S. 375f.

406 Csoklich, Presse und Rundfunk, S. 716.

407 Hanisch, Schatten, S. 126.

408 Vgl. Melischek, Seethaler, Auflagenzahlen Wiener Tageszeitungen, S. 10.

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Kleinen Blatt mit bis zu 200.000409 und der bis heute auflagenstärksten österreichischen Tageszeitung, nämlich der Illustrierten Kronenzeitung mit bis zu 260.000 Stück410. Somit bediente die Wiener Sozialdemokratie mit je einem Qualitäts- und einem Boulevardblatt den Großteil der interessierten LeserInnen. Die ebenfalls großformatige und den Christlichsozialen nahestehende Reichspost erreichte eine Maximalauflage von immerhin 55.000 Stück411. Sie lag damit im Vergleich zur liberal-bürgerlichen Großpresse wie der NFP mit höchstens 78.000 gedruckten Exemplaren 1930412 oder dem Neuen Wiener Tagblatt mit bestenfalls 85.000 Stück 1921413 im passablen Mittelfeld eines Qualitätsmediums. Auch die Reichspost hatte ab Jänner 1929 einen kleinformatigen Ableger, das Kleine Volksblatt erreichte eine Auflage von bis zu 120.000 Stück.414 Weitere auflagenstarke Blätter waren die Kleine Volks-Zeitung mit maximal 160.000415 und Der Abend mit ebenfalls 160.000 Stück416.

Auflagenzahlen in den Bundesländern:

Die meistgedruckte Tageszeitung in der Steiermark war die boulevardeske Kleine Zeitung mit 85.000 Stück417, als Qualitätsmedium ist die über die südlichen Landesgrenzen hinaus bekannte Grazer Tagespost zu nennen,418 deren Auflage bis zu 43.000 Stück419 erreichte. Der sozialdemokratische Arbeiterwille konnte kurz vor seiner Einstellung seinen Höhepunkt von 22.000 Stück verzeichnen,420 was ihn, wie bereits erwähnt, zur erfolgreichsten Parteizeitung außerhalb Wiens machte.421 Eine ähnlich hohe Auflage erreichte das deutschnationale Tagblatt mit einem Maximum von 24.000 Stück422, im Gegensatz dazu konnte das defizitäre Sprachrohr der Christlichsozialen,423 das Grazer Volksblatt, nur höchstens 9.000 Stück424 verzeichnen. In anderen Bundesländern konnten nur die Tages-Post in Linz mit maximal 30.000425 und die

409 Vgl. Melischek, Seethaler, Wiener Tageszeitungen, S. 121f.

410 Vgl. ALA 1934, S. 196.

411 Vgl. Melischek, Seethaler, Auflagezahlen Wiener Tageszeitungen, S. 10.

412 Vgl. Paupié, Handbuch Pressegeschichte, S. 144.

413 Vgl. Mosse: 1922, S. 94.

414 Vgl. Paupié, Handbuch Pressegeschichte, S. 103.

415 Vgl. Csoklich, Presse und Rundfunk, S. 719.

416 Vgl. Gehler, Politischer Wandel, S. 24.

417 Vgl. Csoklich, Presse und Rundfunk, S. 721f.

418 Vgl. Karner, Steiermark im 20. Jh, S. 98.

419 Vgl. ALA 1931, S. 413.

420 Vgl. ALA 1933, S. 406.

421 Vgl. Csoklich, Presse und Rundfunk, S. 722.

422 Vgl. ALA 1926, S. 301.

423 Vgl. Karner, Steiermark im 20. Jh, S. 200.

424 Vgl. ALA 1931, S. 412.

425 Vgl. ALA 1930, S. 405.

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Innsbrucker Nachrichten mit höchstens 21.500 Stück426 diesbezüglich an die Grazer Zeitungen heranreichen.

Die angegebenen Werte entsprachen meist Höchstzahlen von Sonntagsausgaben, die einen größeren Umfang hatten und dementsprechend mehr Information und vor allem einen reichhaltigeren Unterhaltungsteil hatten als die Wochenausgaben und deshalb beliebter gewesen sein dürften. Die Differenz zwischen Wochentags- und Wochenendauflage war, abhängig von der jeweiligen Zeitung, zum Teil sehr groß. So variierte die Auflage nur wenig beim Arbeiterwille oder dem Grazer Volksblatt mit 2.000 Stück, im diametralen Gegensatz dazu war die Auflage der Kleinen Zeitung am Sonntag nahezu doppelt so hoch wie unter der Woche. Diese Unterschiede können Auskunft über das Kaufverhalten der jeweiligen Klientel geben, etwa ob eine Zeitung mehrheitlich AbonnementskundInnen hatte. Im Fall einer Parteizeitung wie dem Arbeiterwille traf dies mit hoher Wahrscheinlichkeit zu, auch eine weit verbreitete Zeitung wie die Tagespost dürfte eine erhebliche Zahl an Abonnements auch im Ausland verkauft haben. Im Gegensatz dazu wurde ein Boulevardblatt, wie der Name bereits verrät, hauptsächlich auf der Straße verkauft, wie dies offenbar bei der Kleinen Zeitung der Fall war. Die Illustrierte Kronenzeitung dürfte bei dieser Annahme eine Zwitterposition einnehmen,

„dem Typus der gehobenen Boulevardzeitung“427 angehörend variierte die Zahl der aufgelegten Stück zwischen Wochentags- und Sonntagsausgabe zwischen 10.000 im Jahr 1925428 und 53.000 im Jahr 1932429.

Auflagenzahlen als Gradmesser für LeserInnenzahlen und Popularität abzubilden, erweist sich zwar als problematisch, da diese nicht die Reichweite eines Mediums wiedergeben sondern dem Verkauf von Anzeigen dienten, die Zahlen wurden darüber hinaus von den Medien selbst den Anzeigenagenturen zur Verfügung gestellt, jedoch stehen für diese Arbeit einzig diese Daten zur Verfügung.

426 Vgl. ALA 1927, S. 317.

427 Jagschitz, Presse in Österreich, S. 44.

428 Vgl. ALA 1925, S. 297.

429 Vgl. ALA 1932, S. 406.

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4 Berichterstattung über regionale Geschehnisse mit nationaler Reichweite

Die Recherchen zu dieser Arbeit ergaben in etwa 180 Tageszeitungen, die in der Zeit von 1918 bis 1938 in Österreich erschienen sind, davon wurde eine nicht unerhebliche Anzahl an Blättern nur sehr kurz aufgelegt beziehungsweise wechselten einige, wie bereits erwähnt, ein- oder mehrmals ihren Namen. Dennoch kann die Medienlandschaft der Ersten Republik als vielfältig bezeichnet werden. Bezugnehmend auf den Erscheinungszeitraum soll an dieser Stelle auf das Jahr 1933 verwiesen werden, da zu diesem Zeitpunkt eine große Zahl an Neugründungen ebenso wie Einstellungen stattfanden.

Das Jahr 1933 war eines der bewegtesten der österreichischen Pressegeschichte; in ihm wurden 23 neue Zeitungen gegründet. Vor allem waren es Blätter, die zur Gruppe der Boulevardpresse gehörten und nur eine kurze Lebensdauer hatten.430

Auf Grund der durchgeführten Analysen zu Erscheinungsort, Erscheinungsdauer, Auflagenzahlen und politischer Zuordnung sollen von den Wiener Tagblättern die mit hohen Auflagenzahlen beschriebene AZ als sozialdemokratische Vertreterin und die trotz der politischen Schwäche in Wien oft gedruckte Reichspost als christlichsoziale Vertreterin hinzugezogen werden. Das liberal-bürgerliche Lager wird mit der Auswahl der NFP, die mit Auflagenzahlen bis 85.000 Stück431 zu den angesehenen Großformaten zählte, abgedeckt. In Graz soll der Arbeiterwille parallel zur AZ und wie bereits weiter oben erwähnt als einzig erfolgreiches Parteiblatt außerhalb Wiens die Medienberichterstattung von sozialdemokratischer Seite abdecken. Weiters soll das Grazer Volksblatt neben der Reichspost auf Grund ihrer Parallelen in Bezug auf Besitzverhältnisse und Redaktion als Grazer christlichsoziale Tageszeitung eben dieses Medienmilieu repräsentieren. Außerdem soll die bis über die Landesgrenzen hinaus bekannte und vielgelesene Tagespost, obwohl sie im Laufe der Zwanziger Jahre dem deutschnationalen Lager zuzuordnen ist, den liberal-bürgerlichen Flügel und Untersuchungsgegenpol zur NFP darstellen.

Als wichtige historische Ereignisse mit Steiermark-Bezug wurden die unter dem Synonym des

„Marburger Bluttages“ bekannt gewordenen blutigen Auseinandersetzungen zwischen deutschstämmigen Marburgern und dem slowenischen Militär 1919, der Rücktritt des

430 Paupié, Handbuch Pressegeschichte, S. 58.

431 Vgl. ALA 1925, S. 297.

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CSP-Bundeskanzlers Michael Mayr nach innerparteilicher Differenzen wegen einer geplanten Volksabstimmung zum Anschluss Österreichs an Deutschland 1921, die überraschende Auslandsreise des ehemaligen Finanzministers Jakob Ahrer nach Bekanntwerden mehrerer Bankenskandale 1926, die Beendigung der wegen der Schattendorfer Urteile ausgerufenen Streiks in der Obersteiermark 1927, ein besonders heftiger Zusammenstoß zwischen den beiden paramilitärischen Wehrformationen Steirischer Heimatschutz und Republikanischer Schutzbund 1929 und der gescheiterte Putschversuch des Heimatschutzführers Walter Pfrimer 1931 ausgewählt.

Als Analysewerkzeuge sollen Fragen zur Gegnerschaft beziehungsweise zu internationalen, landesweiten und/oder medialen Bezügen im Text beantwortet werden, um einen Vergleich untereinander vornehmen zu können. Die Analyse der GegnerInnen ergibt sich daraus, dass es sich um politisch gefärbte Texte handelt, deren Ziel mit hoher Wahrscheinlichkeit das Angreifen des politischen Gegenlagers sein wird. Die Frage nach den internationalen Bezügen soll einerseits die Reichweite der Ereignisse bestimmen, andererseits den Unterschied der politischen Lager in Bezug zu ihrem Internationalismus herausstreichen. Die Betrachtung der landesweiten Bezüge ergibt sich aus der Verbindung zwischen Regionalität und Nationalität der Ereignisse, da je das regionale und überregionale Medium dazu untersucht wird. Die Erörterung von möglichen medialen Bezügen schließlich ergibt sich aus dem Thema dieser Arbeit beziehungsweise der Frage, ob und inwieweit die gegnerische Presse zitiert oder angegriffen wird.

4.1 Der „Marburger Bluttag“ während einer Kundgebung der deutschen