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Rezeptionsgeschichte: Irritation für »Kleinbürger«

Im Dokument Der Begriff des Fake (Seite 170-179)

3 Historische Erscheinungs- und Rezeptionsformen von Fake

3.1 After Walker Evans«: Sherrie Levine

3.5.2 Rezeptionsgeschichte: Irritation für »Kleinbürger«

Den Höhepunkt seiner Rezeption erfuhr Bijl bei der documenta 9. Daß er bereits 1982 in der Franklin Furnace Foundation in SoHo (New York), wo zu dieser Zeit vor allem auch Appropriation art gezeigt wurde, eine Reiseagentur präsentierte, hatte gezeigt, daß seine Verwandtschaft mit der Appropriation art bereits erkannt worden war. Bijls Strategie kann im europäischen Kontext als Analogie zur »subversiven« Aneignungsweise der Appropriation art gedeutet werden; ihm fehlte jedoch die Unterstützung eines diskursiven Milieus, wie es die amerikanischen KünstlerInnen erfuhren, obwohl einige belgische Künstler wie Johan van Geluwe1 oder Luc Deleu2 vergleichbare Ansätze verfolgten. Ausgehend von seinem Manifest »Kunstliquidations-Projekt« (1979), in dem er eine Liquidation der Avantgarde konstatiert hatte, wurde seine Strategie als konsum- und gesellschaftskritisch verstanden. Der Begriff »Liquidation« kann die Abwicklung von Rechtsgeschäften, die Abwicklung von Börsengeschäften, die Kostenrechnung freier Berufe oder die Beilegung eines Konflikts sowie Beseitigung, Tötung oder Hinrichtung bedeuten, die alle je nach Intention mit dem Begriff des Endes der Avantgarde assoziiert werden können.

Die Interpretationen von Bijls Kunstpraktiken reichten von einem ironischen Kommentar über

»Realsatire«3 bis zu »Spott und Ironie«4, der die »Spießer«5 und die »nouveaux riches«6 traf, weil

1 Vgl. Johan van Geluwe, Das Kabinett des Konservators, Karl Ernst Osthaus-Museum Hagen 1996.

2 Vgl. Luc Deleu, Stellproben, Museum am Ostwall, Dortmund 1988.

3 Blomberg, Fata Morgana des Spießertums, a.a.O.

4 Stephan Berg, Vom Verschwinden der Dinge, in: Guillaume Bijl, Museum van Hedendaagse Kunst, Antwerpen 1996,13.

5 Blomberg, Fata Morgana des Spießertums, a.a.O.

6 Bert Jansen, Guillaume Bijl – From Garden Centre to Museum Garden, Faltblatt des Museum Boijmans van Beuningen, Rotterdam, März 1996, o.S.

sie auf Bijls »geläufigen Raummasken mit dem bestechenden Charme konfessioneller Lehrerbildungstätten«1 hereinfielen oder sich selbst in ihrem Alltag dieser Ästhetik bedienten. In dieser Interpretation entlarvte Bijl »das kleinbürgerliche Gehabe, die banale Simulationstechnik, die sich dahinter [der »vorgefertigten Ästhetik des Alltäglichen«] verbirgt«.2 Selten wird der »Schock«

realisiert, »der die Kunst und vor allem den Kunstbetrieb radikal in Frage stellt.«3 Die KritikerInnen projizierten ihre eigene Abneigung gegen eine kleinbürgerliche Ästhetik in die Arbeiten Bijls; so glaubt man den Kitsch-Vorwurf4 zu bannen, der offensichtlich den Arbeiten zugeschrieben wird.

Nur eine Kritikerin fiel aus der Masse der Rezensionen heraus, weil sie sich mit Bijls Strategie identifizierte.5

Gerade aber Bijls Bezug auf ein großes Zielpublikum ist nur durch populäre oder alltägliche Motive möglich, die seine Räume thematisieren. Wenn beispielsweise ein Abschnitt einer römischen Schieferstraße in einem Waldstück des Middelheimer Skulpturenparks von Bijl entdeckt und im Rahmen seiner Ausstellung »Roman Street« (1994) präsentiert wurde, bediente er damit das typisch mitteleuropäische, kleinbürgerliche Bedürfnis des Hobby-Heimatforschers, der seine Umgebung mit einer gewissen Hingabe historisch untersucht und unvermittelt Entdeckungen macht. Nicht ohne Stolz auf ihr kulturelles Wissen stellte dazu eine Kunstkritikerin fest, daß die Stadt Middelheim »erst im dreizehnten Jahrhundert Stadtrecht erhielt und bis zum siebten Jahrhundert unerwähnt blieb«6. Sie realisierte nicht, daß sie mit dieser Klarstellung, die den LeserInnen erschließt, daß es sich hier um ein Fake handelt, Bestandteil von Bijls Strategie wurde.

Lediglich die entgegengesetzte Meinung, daß Bijls Installationen gerade von alltäglichen BenutzerInnen sofort als Kunst erkannt werden, bemerkte den intendierten Irritationseffekt.7 Nur wird dabei vernachlässigt, daß dies als spezifisch konzeptuelle Strategie der Betrachterorientierung zu verstehen ist. Diese Art des Fake erhält ihre Berechtigung nur, weil sie wie jede gelungene Fälschung ein Originalerlebnis im Betrachterinteresse weckt und sich zur eigenen Darstellung differenziert verhält. Wie Bijl in seinem Kunstliquidations-Projekt formulierte, geht es ihm gerade nicht um die typisch intellektuelle Ästhetik, die ikonografische Ursprungslinien in einem Kunstwerk verfolgt, sondern um das Verständnis, das die nichtvorgebildeten BetrachterInnen durch diese Alltagssituationen im Museum gewinnen können.

In der Rhetorik der Kritik fällt auf, daß die AutorInnen sich selbst meist außerhalb dieser

1 Blomberg, Fata Morgana des Spießertums, a.a.O.

2 Vande Veire, Die Begräbnisszene des Gegenstands, a.a.O., 31.

3 Messeure, Guillaume Bijl: Installierte „ Fund-Stücke“ , a.a.O., 4.

4 Vgl. Vande Veirde, Die Begräbnisszene des Gegenstands, a.a.O., 28.

5 Christiane Vielhaber, Guillaume Bijl. Kunst-Konsum pur oder der schöne Schein der Dinge, in:

Wolkenkratzer Art Journal, Nr. 2, 1987, 81.

6 Blomberg, Fata Morgana des Spießertums, a.a.O.

7 Vgl. Schenker, Guillaume Bijl – Object of Desire, a.a.O., 128.

beschriebenen Rezeptionsweise situierten. Der Täuschung erliegen, das suggeriert ihre Kritikerhaltung, anscheinend nur unbedarfte BetrachterInnen, etwa im Sinne von Greenbergs

»unwissender Masse«1: »Seine Realzitate sind Betrachtungen eines sarkastischen Beobachters, der über die Hilflosigkeit der Welt zu schmunzeln weiß.«2 Diese den Installationen unterstellte Distanz wird durch ihre kühle Atmosphäre hervorgerufen.3 Der Verfremdungseffekt beruht darauf, daß die Alltagsräume im Kunstraum ohne Gebrauch bleiben.4 Bijls Praxis wurde mit einer konsumkritisch-moralischen Haltung assoziiert. Aus der Tatsache, daß er sich aus einem »Archiv der auf Konsum ausgerichteten Gesellschaft« bedient und »[u]nsere programmierten und manipulierten Wünsche und Träume« darstellte, wurde der Schluß gezogen: »Wir werden die Sachen nie mehr sehen wie vorher.«5 Daß es aber nicht um die scheinbar beliebig austauschbaren Motive oder Themen geht6, die Bijls Installationen repräsentieren, sondern um die »Infragestellung dieses traditionellen Kunstbegriffs und Kunstbetriebs«7, zeigt besonders seine Arbeit Four American Artists.

Die Rezeption von Bijls Installationen weist eine wesentliche Veränderung der Moral auf: Hatte früher für die Fälschung gegolten, daß sie wegen ihres Verstoßes gegen die Moral des Originals verurteilt wurde, und für den Kitsch, daß er »vicarious experience and faked sensations«8 hervorrief, galten Bijls falsche Reproduktionen nun im Gegensatz dazu als moralisch wertvoll, weil sie die Mechanismen der Kulturindustrie aufdecken, indem sie die manipulierenden Zeichensysteme der Konsumrealität transparent machen. Die »Atmosphäre der unpersönlichen Sachlichkeit, die aus diesen Räumen hervorgeht, und vor allem die kleinbürgerliche, rührende Art

1 Die Feststellung, daß es sich um das typisch kleinbürgerliche Kitsch-Bedürfnis handelt, impliziert die von Greenberg vorgenommene Hierarchisierung zwischen ausgebeuteter, ungebildeter Masse und herrschendem, gebildetem Bürgertum; vgl. Clement Greenberg, Avant-Garde and Kitsch (1939), in: ders., The Collected Essays and Criticism, Bd. 1, 1939-44, Chicago, London 1986, 17.

2 Blomberg, Fata Morgana des Spießertums, a.a.O.

3 Vande Veire spricht von »frostige[m] Design des Dekors«, und davon, daß dieses ein »eisiger, aseptischer Raum, eine Art luftleerer Raum von Objektzeichen [ist], in dem der Referent zugrunde gegangen ist, um nur noch als ein kitschig-nostalgisches Alibi zu überleben.« Vande Veire, Die Begräbnisszene des Gegenstands, a.a.O., 28f.

4 »Das leicht unbehagliche Gefühl, das den Betrachter anwandelt, entsteht dadurch, daß alle einzelnen Elmente eine gewisse ‘Poesie’ verbreiten wollen. Krampfhaft weisen sie alle auf eine natürliche oder eine ästhetische Authentizität hin, wobei das Ganze dermaßen genau angeordnet ist, daß es völlig irreal wirkt.« Ibid.

5 Bex, Vorwort, a.a.O., 7.

6 Diese Annahme führt zu dem Mißverständnis, Bijls Readymades entsprächen »dem platonischen Illusionismus mehr als jede Malerei, die ihm jemals entsprochen hat.« Catherine Millet, Dies ist nur ein Anfang, die Kunst geht weiter, in: A.-M. Bonnet/G. Kopp-Schmidt (Hg.), Kunst ohne

Geschichte? Ansichten zur Kunst und Kunstgeschichte heute, München 1995, 26.

7 Messeure, Guillaume Bijl: Installierte „ Fund-Stücke“ , a.a.O., 4.

8 Greenberg, Avant-Garde and Kitsch, a.a.O., 12.

und Weise«1, wie diese halböffentlichen Räume als Readymades ihre Funktion gleichzeitig erzeugen und tarnen, wurde auch »als eine groteske Inszenierung, als ein kaltherzig arrangiertes Zauberspiel«2 der Konsumgesellschaft gebrandmarkt. Hier rekurrierte man auf die Moral und die Aura des »authentischen Kunstwerks«3, das Adorno und Horkheimer mit ihrem Begriff vom Wahren in der falschen Kulturindustrie zu bewahren hofften. Da Bijl aber die spezifische Aura seiner Installationen durch eine »bloße Imitation dessen, was ohnehin schon ist« hervorrief, und nicht durch einen inneren, »geistigen Sinn des Kunstwerks«4, konvertierte er den Gebrauchswert der Ware Kunst in den Konsum von Bildern und Zeichen5, mit denen die KonsumentInnen sich in Relation zu bestimmten Konsumidealen setzen. Diese Rhetorik der Kritik bediente sich jedoch des konsumkritischen Vokabulars der »Gesellschaft des Spektakels«6, ohne die seither gewandelten soziopolitischen Bedingungen einzubeziehen.7

Bijls Installationen wurden von einem anderen Kritiker als symptomatisch dafür gewertet, daß die gesellschaftliche Wirklichkeit im Sinn Baudrillards längst simuliert wird8: »So wird ein Fertig-Chalet, das Bijl auf den Hügel von Krems zwischen andere Berghütten stellt, zur perfekten Mimikry einer Realität, die selbst imitativ geworden ist. Daß wir diese reale Imitation dann noch durch ein Fernrohr von der gegenüberliegenden Kunsthalle aus anschauen können, zeigt uns die Entfernung von den Dingen, aber auch, daß es nichts zu sehen gibt, außer dem, was zu sehen ist: Eben nicht mehr die Welt, sondern die dreidimensionalen Bilder, die wir von ihr entworfen haben.«9

Damit wurde implizit die Behauptung aufgestellt, daß die Realität ursprünglich etwas anderes als

1 Vande Veire, Die Begräbnisszene des Gegenstands, a.a.O., 21.

2 Ibid., 23.

3 »Mit fortschreitender Aufklärung haben es nur die authentischen Kunstwerke vermocht, der bloßen Imitation dessen, was ohnehin schon ist, sich zu entziehen.« Max Horkheimer/Theodor W.

Adorno, Dialektik der Aufklärung (1944), Frankfurt/M. 1988, 24.

4 Ibid., 25.

5 Vgl. Vande Veire, Die Begräbnisszene des Gegenstands, a.a.O., 21.

6 »Ein derartiges eiskaltes, unheimliches Spektakel des Gegenstandes, dem jeder täglich beiwohnt, kann nur als solches erscheinen, wenn es in das Museum hinübergeholt wird, wo es verdoppelt und gemimt wird.« Ibid., 35.

7 Es ist auffällig, daß Guy Debords Begriff des Spektakels den KritikerInnen leicht von den Lippen geht, ohne Konsequenzen daraus zu ziehen. Im Sinne Debords wäre bereits die Anwendung des Begriffs innerhalb der Verwertungsverhältnisse, innerhalb derer sich die KritikerInnen betätigen, eine Teilnahme am Spektakel selbst und in sofern eine Rekuperation des Begriffs, die seine Anwendung ausschließt. Aus der Perspektive der Kunstkritik besteht das Problem darin, daß Debord sich mittels seiner Partizipationsverweigerung eine autonome Position erhielt. Deshalb müßte, bevor die Gesellschaft des Spektakels zitiert wird, der »Rapport« auf die eigene Funktion im Spektakel angewendet werden. Vgl. Guy Debord, Rapport zur Konstruktion von Situationen (1957), Hamburg 1980, 5ff.

8 Vgl. Jean Baudrillard, Politik und Simulation (1978), in: ders., Cool Killer oder der Aufstand der Zeichen, a.a.O., 39ff.

9 Berg, Vom Verschwinden der Dinge, a.a.O., 14.

»imitativ« gewesen ist. Da Wahrnehmung jedoch immer über ihre Konventionen und deren Reproduktion funktioniert, deuten Bijls Reproduktionen weder den Verlust der Wahrnehmung der Welt noch ihrer Authentizität an, die längst als Konstrukt aus authentischen Effekten verstanden wird. Darin äußerte sich auch das Mißverständnis, daß dieses Fertig-Chalet etwas anderes bezeichnet als ein benachbartes Chalet, das nicht von Bijl aufgestellt wurde; es differiert ästhetisch nur, wenn man im Sinne von Goodmans Gegenüberstellung eines Originals und einer perfekten Fälschung weiß, daß es zu einem echten Kunstobjekt erklärt wurde. Passanten würden in dem Chalet kein Kunstwerk vermuten und deshalb über den Scheincharakter dieser signifikanten Ware der Bewußtseinsindustrie auch keinen Erkenntnisgewinn erzielen. Davon abgesehen ist es aber für die künstlerische Strategie unerheblich, ob dieses Chalet von Bijl aufgestellt wurde, es also im traditionell künstlerischen Sinn ein echtes Kunstwerk ist, oder ob von ihm nur der Blick darauf gelenkt wird. So wird es nicht als Readymade ins Museum transferiert, sondern aus der Institution Museum heraus als Kunstwerk bewertet; das sogenannte Originalerlebnis bleibt davon unbeeinflußt. Erst der Blick darauf konstituiert die Kunstpraxis; insofern muß darauf bestanden werden, daß es sehr wohl »etwas zu sehen gibt«. Das Problem besteht aber darin, daß Baudrillards Theorem, die Gesellschaft würde nurmehr von Simulation beherrscht, moralisierend auf eine künstlerische Verfahrensweise angewendet wird – einerseits die moralische Anklage, die Gesellschaft entbehre an Authentizität, andererseits die Behauptung, Bijl formuliere genau das und nur das in seiner Praxis.

Der altbekannte Vorwurf, die Kunst sei nur der reine Schein1, wird von anderer Seite durch die Anklage aktualisiert, daß die KünstlerInnen nicht mehr an eine »Botschaft glauben«.2 Hier wird das gleiche Paradox der Kunstkritik deutlich, das bereits in den vorherigen Kapiteln auftrat. Die KritikerInnen fordern von den künstlerischen Praktiken eine Haltung, die sie – besonders typisch für die 80er Jahre – an einer idealisierten Radikalität messen. Wie Bijl betonte, geht es ihm zwar um die Umkehrung der Wirkung der Werbung.3 Wenn in diesem Sinn aber ein Spektrum von Bijls Arbeiten wie anläßlich der Retrospektive in Antwerpen (1996) in einem Museum und einem Katalog präsentiert wird, kann erst eine Perspektive dafür gebildet werden, wie die dokumentarische Dimension seiner Arbeiten angelegt ist, die diese Stereotypen materialisiert.

Auch wenn Bijls Arbeiten über eine werkimmanente Bedeutung hinaus als Dokumentation der gesellschaftlich institutionalisierten Räume gelten, fehlt ihnen nicht eine selbstreflexive

1 Vgl. zum Konflikt von Kunst und Moral das Kapitel Der Befreiungskampf der Kunst in: Georg Lukács, Ästhetik, Bd. IV, Neuwied u. Darmstadt 1972, 222f.

2 »Den Glauben an die Möglichkeit, mit der Kunst Botschaften zu transportieren, haben die jüngeren Künstler gründlich verloren.« Stephan Schmidt-Wulffen, Ablehnung alter Zwänge, Wiederkehr des Schönen (u.a. zu Guillaume Bijl), in: art. Das Kunstmagazin, Nr. 2, Feb. 1988, 45.

3 »Ich akzentuiere die Prototypen, die in der Gesellschaft vorhanden sind, um zu demonstrieren, wie hoch der Grad an vorprogrammierten Mustern in der heutigen Zeit ist.« Guillaume Bijl, Realität in der Nicht-Realität, Nicht-Realität in der Realität, in: Illusion und Simulation. Begegnungen mit der Realität, Stefan Igelhaut, Florian Rötzer, Elisabeth Schweger (Hg.), Symposion München (1994), Stuttgart 1995, 79.

Thematisierung dieses Aspekts.

Bijls Installationen von Alltagsräumen haftet in mehrfacher Hinsicht ein starker Verfremdungseffekt an. Einerseits wirken die Räume wegen der fehlenden Menschen gespenstisch1; falls sich dort BetrachterInnen aufhalten und etwa zur Ausstellungseröffnung eine Inszenierung stattfindet, erscheinen die Räume im Kontrast zum Kunstkontext fremd. Andererseits erzeugen diese Rauminstallationen eine nachhaltige ästhetische Desorientierung, weil sie eine Konfrontation mit dem Alltäglichen im umgekehrten Sinn wie eine Dokumentation vollziehen. Nicht das Ereignis wird dokumentiert, sondern es werden die Erinnerung der BetrachterInnen an das wachgerufen, was in diesen Räumen normalerweise passiert; dies korreliert mit dem gegenwärtigen dysfunktionalen Raumempfinden. Entgegen der Meinung einiger Kritiker erschließt sich dies nicht nur einem kunstspezifischen Publikum.2

Zur dokumentarischen Dimension3 seiner Transformation Installations bemerkte Bijl: »Das Ganze ist gleichsam eine visuelle, kritische, archäologische Erzählung über diese Zeit geworden, die vermöge einer ‘Distanz schaffenden Verfremdung’ bildlich dargestellt wird.«4 Die beiden retrospektiven Katalogbände, die seine Arbeiten seit Ende der 70er Jahre dokumentieren, richten sich in ihrem Layout an den bildungsbürgerlichen Blick; die Abbildungen im Hochglanzdruck weisen große Ränder auf, wodurch sie in ihrem inszenierten Dokumentcharakter betont werden.5 Die Wiederholung von bereits existenten Raumsystemen reflektiert diese dokumentarische Geste, weil sie sich kritisch gegenüber der Institution distanziert.6 Beispielsweise wird im Museumsshop die Unterscheidung schwierig, ob es sich bei den angebotenen Printerzeugnissen um authentische oder von Bijl angefertigte Objekte handelt, die sich kaum von den übrigen Materialien dort abheben. Alle diese Differenzierungen sind in ihrer Ironie nur von BetrachterInnen nachzuvollziehen, die die westeuropäischen Rezeptionskonventionen kennen; sonst bedeuten die Abbildungen in den Katalogen eine reine Dokumentation von Alltagssituationen.

Im konzeptuell-ikinologischen Vergleich bedeutet die Ausstellung Four American Artists einen

1 Vgl. Vande Veire, Die Begräbnisszene des Gegenstands, a.a.O., 25.

2 »When there is no longer an aesthetic ideal and the power symbols of art have lost their meaning, art and everyday reality can apparently be congruent. Such art is recognizeable only to the initiate, and only in an exhibition space. That is a cynical conclusion to.« Jansen, Guillaume Bijl – From Garden Centre to Museum Garden, a.a.O.

3 »Guillaume Bijl versucht eine Auffassung von Plastik als objektivem Zeitdokument zu formulieren und führt dennoch vor, daß jeder Eingriff, jede Auswahl wertend Stellung bezieht.« Blomberg, Fata Morgana des Spießertums, a.a.O.

4 Bijl, Eine Einführung, a.a.O., 43.

5 Bijl, Zeldegem 1992, und Bijl, Antwerpen 1996.

6 »Die Tautologie der Installationen wiederholt also in gewisser Weise die Tautologie der

Zusammenhänge, auf die sie sich bezieht. So lösen diese Installationen das permante Gefühl einer Anti-Klimax aus. [...] Die wirksamsten Arbeiten gelingen Guillaume Bijl immer dann, wenn auch der Kontext, in den er seine Realfragmente implantiert, über ihren fragwürdigen Status keine Auskunft

Gegensatz zu den reinen Re-Präsentationen von Konsumgütern bei Haim Steinbach. Allerdings läßt sich eine Parallele zu den Re-Arrangements von Tierpräparaten von Mark Dion skizzieren.

Dion integriert meist Objekte aus einer bereits existierenden Sammlung, die in einer bestimmten kontextuellen Verbindung zum aktuellen Ausstellungsort stehen. Bijls Kompositionen entwerfen dagegen einen thematischen Rahmen, in dem die funktionelle Struktur deutlich wird. Hier sei besonders Bijls Wunderkammer (1995) mit Dions Ausstellung Frankenstein in the Age of Biotechnology (Galerie Nagel, Köln 1991) verglichen, die aus Objekten zusammengestellt wurde, welche unmittelbar vor der Ausstellung dort auf Flohmärkten gekauft worden waren. Während Dion einen Bezug zur Diskussion über die Genforschung herstellt, verfährt Bijl eher wie in einem Wachsfigurenkabinett: Er erzeugt eine Idealsituation, die möglichst präzise Erinnerungen wachruft und eine Figur in traditioneller Bekleidung zeigt; thematisch bezieht sie sich auf eine bestimmte historische Situation.

Bijl wählt für seine Installations Trouvées weniger diejenigen Waren und ihre Präsentation aus, die mittels ihrer suggerierten Käuflichkeit die Kunst als Ware denunzieren, sondern solche Objekte, die für eine bestimmte Kategorie gesellschaftlicher Gewohnheiten oder Rituale stehen; es geht weniger um das fetischisierte Objekt selbst, als vielmehr um das Präsentationssystem, das die Fetische erzeugt.1 In Bijls Referenzen auf bestimmte historische und soziale Zustände wird ein konkreter kontextueller Bezug deutlich, so auch anläßlich seiner Ausstellung eines Herrenkonfektionsgeschäfts 1986 im Kölnischen Kunstverein. Dort ließ er mit Bezug auf Kölns aktuelle Kürzungen des Kulturetats in der Pressemitteilung verlauten: »Da es am Interesse für Kunst und Geld mangelt, muß der Kölnische Kunstverein schließen und vermietet seine Räume.

Das Personal wird berufsumorientiert.«2 Wegen dieser Geste wurde Bijl als »Ideologiekritiker« und als »Aufklärer« bezeichnet.3 Hier scheint weniger ein historischer Vergleich mit den Superrealisten wie Duane Hanson, Nancy Graves oder John de Andrea angebracht, die alltägliche Situationen im Sinne eines realistischen Denkmals inszenierten, sondern eher mit Ansätzen der Avantgarde zu Beginn des Jahrhunderts. Der »Prounen-Raum« (1923) wurde von El Lissitzky realisiert, um der rein auf kommerzielle Interessen ausgerichteten Präsentation eine revolutionäre Kunstpräsentation

mehr gibt.« S. Berg, in: Guillaume Bijl, Antwerpen 1996, a.a.O., 13f.

1 Der dokumentarische Aspekt, der über die reinen Kunstbezüge hinausreicht, unterscheidet Bijls Installations Trouvées auch von Braco Dimitrijevics Praxis. Dimitrijevic arrangiert in einer

Kombination von Kuratieren und Inszenierung seit 1978 Kunstwerke, die er in öffentlichen oder privaten Kunstsammlungen vorfindet, in denen er ausstellt. Seine Assemblage benutzt konstante Attribute (Apfel, Tuch und Werkzeug) und folgt traditionellen Kompositionsregeln, die für den hier entworfenen Rahmen des Fake deshalb nicht relevant erscheinen, weil im Vergleich zu allen anderen vorgestellten Verfahrensweisen Dimitrijevics Arrangieren von vorgefundenen Kunstwerken als eine traditionelle Form der Assemblage oder gar des Stillebens erscheint. Dimitrijevics

temporären Assemblagen fehlt im Gegensatz zu Bijls und Dions Praktiken die Anlage einer selbstbezüglich analytischen Struktur.

2 Zitiert nach: Vielhaber, Guillaume Bijl – Kunst-Konsum pur, a.a.O., 81.

3 Vgl. ibid.

entgegenzusetzen.1 Es sollte vor allem das proletarische Publikum angesprochen und informiert werden, das nicht über die intellektuelle Vorbildung des Bürgertums verfügte; dazu bediente man sich einer ausgefeilten Zeichensprache. Dies resümierend, läßt sich Bijls Kunstliquidations-Projekt als affirmierte Umorientierung der avantgardistischen Intentionen und Praktiken verstehen. Bijls Installationen können in Relation zur Liquidation der Avantgarde – im Sinn einer Erledigung durch finanzielle Abwicklung – verstanden werden. Denn die Praxis Lissitzkys wurde instrumentalisiert:

Alle von Bijl angeeigneten halböffentlichen Räume konstituieren sich aus Zeichensystemen, die ein reibungsloses Funktionieren im Sinn eines Displays intendieren. Die mittlerweile ubiquitär

Alle von Bijl angeeigneten halböffentlichen Räume konstituieren sich aus Zeichensystemen, die ein reibungsloses Funktionieren im Sinn eines Displays intendieren. Die mittlerweile ubiquitär

Im Dokument Der Begriff des Fake (Seite 170-179)