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Levines Konzept der Bildaneignung

Im Dokument Der Begriff des Fake (Seite 79-82)

3 Historische Erscheinungs- und Rezeptionsformen von Fake

3.1 After Walker Evans«: Sherrie Levine

3.1.1 Levines Konzept der Bildaneignung

Die damals 34jährige Sherrie Levine2 fiel 1981 mit einer Ausstellung im New Yorker Kunstfeld auf, die komplett aus Fotografien von Walker-Evans-Fotografien bestand; Craig Owens nannte sie

»wiederfotografiert« und »entwendet«3, Dan Cameron sogar »offene Piraterie«4. Mit diesen Fotografien, die sie mit dem Hinweis »Sherrie Levine After Walker Evans« in der neu eröffneten Galerie Metro Pictures präsentierte, markierte Levine eine ästhetisch extreme, vieldiskutierte Position5, weil sie die künstlerische Originalität in Frage stellte.6

Levines fotografische Reproduktionen weisen keine feststellbaren medialen Unterschiede zu Evans’ bekannten Dokumentarfotografien aus der Zeit der Depression auf.7 Evans war 1936 von dem Magazin Fortune mit dem Schriftsteller James Agee in die Südstaaten geschickt worden, um den Alltag der armen Pachtbauern zu dokumentieren. Diese sozialdokumentarischen Fotografien für die Farm Security Administration (FSA) sollten die bis dahin in der amerikanischen Öffentlichkeit verdrängte ländliche Armut und das herrschende Elend auf sachliche, realistische Weise dokumentieren. Die typische schwarz-weiße Evans-Fotografie dieser Serie ist dermaßen tiefenscharf, daß fast alle Details erkannt werden können; die Personen werden frontal in einem rechtwinklig ausgerichteten und geometrisch organisierten Bildausschnitt erfaßt. Diese Fotografien

1 Sherrie Levine, Interview von Jeanne Siegel, After Sherrie Levine, (1985), in: J. Siegel (Hg.), Art Talk. The Early 80s, New York 1988, 251f.

2 Geboren 1947 in Hazleton, Pennsylvania USA.

3 Vgl. Craig Owens, Sherrie Levine at A&M Artworks (1982), in: ders., Beyond Recognition.

Representation, Power, and Culture, Berkeley, Los Angeles, Oxford 1992, 114.

4 Dan Cameron, Ein Interview mit Sherrie Levine, in: Wolkenkratzer Art Journal, Mai 1987, 68.

5 »This series and others like it – Levine has executed similar projects after Weston, Andreas Feininger, and Eliot Porter – is responsible for her reputation primarily as an appropriator of images.« Owens, Sherrie Levine at A&M Artworks, a.a.O., 114; »Sherrie Levine is the

contemporary artist most celebrated for her replication of canonical photographs, drawings, and paintings.« Thomas Crow, The Return of Hank Herron, a.a.O., 12.

6 Levines Praxis bedeutet in Krauss’ Verständnis paradigmatisch das Ende von Modernismus und Avantgarde: Krauss, The Originality of the Avantgarde, a.a.O., 27f.

7 Ursprünglich bestand die Serie aus 31 Fotografien, die thematisch in Gruppen aufgeteilt sind: drei Familien werden vorgestellt und drei Landschaftsdarstellungen skizzieren die Geografie des Ortes.

stellten fast normativ den Anspruch Agees dar, die Realität abzubilden.1 Das 1941 erschienene Buch Let Us Now Praise Famous Men war die Folge der Ablehnung des Manuskripts durch den Verlag wegen angeblich darin geäußerter linksradikaler Tendenz. Erst die Zweitauflage 1960 avancierte umgehend zu einem sogenannten Klassiker amerikanischer Fotografie und Sozialberichterstattung für die Pop art.2

Levines Fotografien irritierten, weil sie scheinbar keine eigene künstlerische Leistung in Form einer originären Schöpfung, einer originellen Bildfindung oder eines neuen Themas darstellten: Levine weist jeglichen kreativen Akt zurück.3 Es handelt sich jedoch offensichtlich nicht um Fälschung, weil Levine selbst durch den Titel anzeigt, auf welche Vorlage sie sich bezieht, also auch nicht plagiierte wie Elaine Sturtevant. Außerdem zählt Walker Evans zu den bekanntesten amerikanischen Fotografen, weshalb davon auszugehen ist, daß ein Großteil der Galeriebesucher die Fotografien von Farmarbeitern kannte. Wie Levine bemerkt, hatte sie zunächst Edward Westons Portraits seines Sohnes Neil von einem Plakat fotografiert und veröffentlicht; die Verwertungsgesellschaft von Weston machte sie auf das Vervielfältigungsrecht aufmerksam;

deshalb arbeitete sie anschließend mit den FSA-Fotografien von Walker Evans, die keinem Copyright unterliegen.4

Als ein Grundprinzip ihrer Praxis gilt, daß sie zirkulierende Druckerzeugnisse, keine Originale als Vorlagen benutzt. Levine referiert durch den Titel auf ein Vorbild; die Fotografien unterscheiden sich nur durch den Titel, den Künstlernamen und vielleicht unerheblich in ihrer Reproduktionsqualität. Deshalb ist ihre Strategie den fiktiven Kopien von Stellas Gemälden durchaus vergleichbar, die Carol Duncan in ihrem Text The Fake as More entworfen hatte; auch der Ort der Ausstellung, in einer neuen Galerie in SoHo, erinnert an Duncans Text. Aus dieser Sicht läßt sich The Fake as More als Konzeption von Levines Ausstellung verstehen, allerdings mit umgekehrter Intention: Während Duncan die zeitgenössische Kunst im New Yorker Kunstviertel SoHo konterkarieren wollte, intendierte Levine zehn Jahre später eine konzeptkünstlerische Setzung, das heißt eine kritische Reflexion der künstlerischen Produktions- und Präsentationsbedingungen.

Daß die Künstlerin Levine in der umfassenden Anthologie Art in Theory5 mit eigenen Texten

1 Vgl. Orvells Gegenüberstellung von Agees Text und Evans’ Fotografien: Miles Orvell, The Real Thing. Imitation and Authenticity in American Culture, 1880–1940, University of North Carolina Press 1989, 277–282.

2 Vgl. Nan Rosenthal, Let Us Now Praise Famous Men: Warhol as Art Director, in: Gary Garrels (Hg.), The Work of Andy Warhol, Dia Art Foundation New York, Seattle 1989, 48; Jean-Francois Chevrier, Doppelte Lesart, in: Walker Evans & Dan Graham, Rotterdam 1992, 42, Anm. 21.

3 Owens, Sherrie Levine at A&M Art Works, a.a.O., 115.

4 Vgl. Sherrie Levine, in: Gerald Marzorati, ART in the (Re)Making, Art News, Mai 1986, 97.

5 Art in Theory 1900–1990. An Anthology of Changing Ideas, C. Harrison/ P. Wood (Hg.), Oxford, Cambridge 1992, Kapitel: The Critique of Originality, 1066f.

vertreten ist, zeigt nicht nur die ihnen zugemessene Wichtigkeit, sondern auch die Anerkennung ihrer theoretischen Äußerungen. Levine bemerkte zu einer erweiterten Fassung ihrer Texte Anfang der 90er Jahre: »Ich arbeite mit denselben Strategien des Diebstahls wie in meinen anderen Werken, wobei ich die schriftlichen Projekte stärker raffe und verdichte. Nichtsdestotrotz werden Sie die bekannten Stimmen von Joyce Carol Oates, Alberto Moravia, Roland Barthes und Rosalind Krauss u.a. hören«.1

Neben diesen Zitaten mit theoretischem Status betonte sie in ihren Interviews vor allem zwei Interessengrundlagen ihrer Praxis, an denen sie schon vor der Pictures-Ausstellung in New York arbeitete: Seit ihrer Graduate School2 beschäftigte sie sich mit dem Thema »Repräsentation«, was sie selbst mit ihrem Interesse an künstlerischer Kommerzialität und dem Einfluß der West Coast Conceptual Art während ihrer Lehrtätigkeit an der Cal Arts in Los Angeles begründet; außerdem fühlte sie sich Ende der 70er Jahre vor ihrer Metro Pictures-Ausstellung mit einem »male desire«

konfrontiert, das sich in der Kunstszene äußerte: »Where, as a woman artist, could I situate myself?«3

Vor ihren Refotografien hatte Levine unter anderem Fotomontagen mit dem Titel »Sons and Lovers« angefertigt, die konventionskonforme Mutter-Kind-Darstellungen in die Silhouetten der Köpfe von den US-amerikanischen Präsidenten Washington, Lincoln und Kennedy einfaßten; die Mutter-Kind-Darstellungen hatte sie aus Modemagazinen ausgeschnitten, während die Präsidentenköpfe von Geldmünzen stammten.4 In diesen Fotomontagen thematisierte Levine geschlechtsspezifische Stereotypisierungen, wie sie sich in Medienimages finden. Mit dieser Fragestellung wurde Levine zu einer wichtigen Protagonistin der Appropriation art und darüberhinaus der feministischen Kritik an der modernistischen Kunstinstitution.

1 Sherrie Levine, Born Again, in: Original. Symposium Salzburger Kunstverein (1993), Ostfildern 1995, 121.

2 University of Wisconsin 1965–73, B.F.A. (1969) und M.F.A. (1973).

3 Levine, in: Marzorati, ART in the (Re)Making, a.a.O., 97.

4 Vgl. Douglas Crimp, Pictures, Artists Space, New York 1977; ders., Pictures (1979), in: Wallis (Hg.), Art after Modernism, a.a.O.,185.

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