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Die Fluggesellschaft: Ingold Airlines

Im Dokument Der Begriff des Fake (Seite 184-192)

3 Historische Erscheinungs- und Rezeptionsformen von Fake

3.6 Das Institut als Fake

3.6.1 Die Fluggesellschaft: Ingold Airlines

Auf dem Dach des Hauses, in dem sich das Künstlerprojekt Büro Berlin befand, stellte Res Ingold, Gründer und Leiter der Fluggesellschaft Ingold Airlines, im Jahr 1982 Landungslichter für Hubschrauber auf. Die »Helioport« genannte Installation erregte das Mißtrauen der Sicherheitsbehörden, die sich wegen des Staatsbesuchs des amerikanischen Präsidenten Reagan in Alarmbereitschaft befanden. »Helioport« wurde als Sicherheitsrisiko eingestuft und abmontiert.

Das Vor-Bild für Ingold Airlines sind konventionelle Fluggesellschaften, die das Ziel verfolgen, ein profitables Transportangebot anzubieten. Ingold Airlines formuliert dementgegen das korporative Modell einer Fluggesellschaft, nennt sich selbst allerdings »Luftverkehrsgesellschaft«. Ingold Airlines existiert nur auf der ästhetischen Ebene. Das Logo der fiktiven Fluggesellschaft bestand zunächst aus dem Schriftzug »Ingold Airlines« und einem stilisierten Heckleitwerk, in das ein »i«

eingeschrieben war. Nach einem Relaunch, dem gegenwärtig beliebten Versuch, traditionelle Unternehmen dem Neuigkeitsversprechen des Jahrhundertwechsels anzupassen, besteht das Logo nur noch aus einem »i«, das wie ein Icon auf der Computerbenutzeroberfläche aussieht.

Ingold Airlines tritt mit unterschiedlichen Funktionen auf: Das Werbematerial von Kunstausstellungen zeigt ihr Logo in der Funktion eines Sponsors, oder sie tritt als Veranstalter von Ausstellungen auf, je nach den Möglichkeiten, die die Öffentlichkeitsstrategie einer Institution bietet2, während sie im Kontext von Flugmessen ein Kunstprojekt darstellt.

Von Ingold Airlines verwendete Abkürzungen wie »CATSE«, für »Catalogue-service«, oder

»LIFTAX«3, für den individuellen Taxilift zum Abflugort, persiflieren die in den 80er Jahren neu entwickelte Werbe- und Marketingsprache. Bezeichnend für diesen Jargon ist die häufige Verwendung des Begriffs »concept« in Namen von Werbeagenturen. Hier läßt sich ein intellektueller Einfluß der Conceptual art vermuten mit ihrer Fixierung auf die Idee. In einigen konzeptkünstlerischen Projekten dieser Zeit geht es darum, mittels ästhetischer Strategien eine fiktive Gruppenidentität zu entwerfen, die Firmenimages ähneln, womit sie sowohl eine bestimmte

1 Sergej Tretjakow, LEF und NÖP (1923), in: ders., Portraits, Essays, Briefe. Gesichter der Avantgarde, Berlin u. Weimar 1991, 62.

2 Der Status der jeweiligen Kunstinstitution spielt eine spezifische Rolle: Vgl. das Logo auf den Garderobenspiegeln der neuen Hamburger Kunsthalle (1997); da dort kein Sponsoring erlaubt war, wurden die Spiegel als Kunstobjekte deklariert; und dem Briefpapier der Lüneburger Halle für Kunst, wo Ingold Airlines als echter Sponsor auftrat (1996); im Kunstverein Ruhr dagegen wurde eine Kunstausstellung auf Kosten von Ingold Airlines veranstaltet Essen 1993.

3 INGOLD AIRLINES fliegt Sie von wo auch immer jederzeit mit jeder Fracht überall hin, in:

Thomas Wulffen (Hg.), Realkunst – Realitätskünste, Kunstforum International, Bd. 91, 1987, 223.

ästhetische Gestaltung als auch eine bestimmte Praxisform definieren. Gruppenaktivitäten und fiktive Projekte hatten in der zweiten Hälfte der 80er Jahre Konjunktur; in diesem Kontext wurde auch Ingold Airlines rezipiert. Diese Projekte nahmen meist einen Modellcharakter an, der nur bedingt in reale Praktiken überging.1

Während Ingold Airlines seine Strategie weiter verfolgte – die anderen Projekte endeten größtenteils nach einigen Jahren –, entwickelte sich die korporative Ästhetik (Corporate Collecting, Corporate Identity) in der zweiten Hälfte der 80er Jahre zu einem bestimmenden Thema für die Kunst, weil nicht nur im Zuge der Sparmaßnahmen im Kulturbereich die Ausstellungsprojekte zunehmend abhängig von Sponsorgeldern wurden und die weltweite Rezession die privaten Ausgaben für Kunstankäufe sinken ließ, sondern auch die Kunstsammlungen der großen Unternehmen immer größeren Einfluß auf den Kunstmarkt und somit die Kunstproduktion nahmen2. In dieser Zeit stellte Ingold Airlines eine Kunstpraxis dar, die sich auf die Positionierung ihres Logos reduzierte und realisierte so eine Kunststrategie, die sich sowohl eindeutig auf die Tendenz zeitgenössischer Wirtschaftsunternehmen bezog, sich zu sogenannten Briefkastenfirmen zu entwickeln, die aber auch eine Servicefunktion in Kunstausstellungen übernehmen kann.

Während Ingold Airlines in den Jahren von 1985 bis 1990 als Scheinfirma auftrat, die sich mit Installationen an Ausstellungen beteiligte und scheinbar Kunstsponsoring betrieb, unterhielt sie anläßlich der Ausstellung Integrale Kunstprojekte3 in Berlin einen Bus-Shuttle-Service zwischen den einzelnen Ausstellungsräumen und während der documenta 9 einen Flugbetrieb mit einem kleinen Flugzeug zwischen Bonn und Kassel. Davon abgesehen, daß Ingold Airlines als vermeintlicher Kunstsponsor keine Finanzierung übernimmt, förderte sie trotzdem mit ihrem Scheinsponsoring die Imagegestaltung der jeweiligen Institution beziehungsweise Ausstellung.

Dabei wird evident, wie der Symbolcharakter eines Logos für beide Seiten zur Anhäufung von kulturellem Kapital dient. Die Tatsache, daß Ingold Airlines in ihrem fiktiven Status verharrte, beeinträchtigte ihre Funktion nicht, sondern wertete ihren symbolischen Status auf.

Für Ingold Airlines stellen die Techniken des Öffentlichkeitsmanagements und der Corporate

1 »’Modell’ soll in diesem Zusammenhang die Abbildung, das Zitat von Strukturierungen der Alltagswirklichkeit bezeichnen. [...] Modelle sollen hier als Abbildung oder Konstruktion von Organisationsstrukturen verstanden werden. Diese Strukturen reichen von denen eines Büros (Büro Berlin) bis zum Verlag (Meter-Verlag). Da die Strukturen in Funktion arbeiten, läßt sich die Kopie nicht mehr vom Original unterscheiden, höchstens noch am bearbeiteten Material.

‘Künstlerfirmen’ bringen diese Ambiguität auf den Begriff.« Thomas Wulffen, Modelle, in: ibid., 214.

2 Vgl. die Thematisierung der Sammlungspolitik der weltweit agierenden Werbeagentur Saatchi and Saatchi, die auch die Wahlkampagnen von Ronald Reagan und von der hier abgebildeten Margret Thatcher geleitet haben, in der künstlerischen Arbeit Hans Haackes, Taking Stock (unfinished) 1983 – 1984, in: ders., Obra Social, Fundacio Antonio Tapies, Barcelona 1995, 134ff.

3 Kuratiert von Melitta Kliege und Annette Tietenberg, ein mit »Ingold Airlines« beschrifteter Bus bringt die Besucher zu den Ausstellungsorten, im NGBK befindet sich eine Landebahninstallation sowie eine Büroeinrichtung zum Verkauf von LIFTAX-Tickets, vgl. Geschäftsbericht Köln 1995, o.S.

Identity das künstlerische Produktionsmaterial dar.1 Insofern entspricht der künstlerischen Taktik von Ingold Airlines die Täuschung, wie eine echte Fluggesellschaft zu erscheinen, sich jedoch einer konventionellen Produktion und Dienstleistung zu verweigern: eine Fälschung ohne Original, denn es gibt kein exaktes Vor-Bild, das in betrügerischer Absicht gefälscht würde. Die vor allem von amerikanischen Neo-Konzept- oder Neo-Objekt-KünstlerInnen in den 80er Jahren betriebene Strategie, den eigenen Künstlernamen als Label für ein Team von ProduktionsassistentInnen zu benutzen, verkehrte die von konzeptuellen Kunstpraktiken beabsichtigte Autorlosigkeit und Delegierung des künstlerischen Produktionsprozesses in ein gezielt effektives Partizipieren am Kunstmarkt, das vor allem die gestiegene Nachfrage nach Kunstobjekten für die korporativen Sammlungen befriedigte.

Die Kunstpraxis von Ingold Airlines agiert dagegen reduktionistisch im System der Repräsentation, in dem Darstellung, Darstellungsrahmen, Funktion, Erwartungshaltung und Interpretation mit ausdifferenziertem Medieneinsatz aufeinander abgestimmt werden: Das künstlerische Produkt ist die auf das Logo reduzierte reine Erscheinung, ein Markenimage. Das Kunstobjekt wird durch ein Symbolsystem ersetzt, das die gesellschaftliche Funktion über die werterzeugenden Austauschprozesse oder das Kommunikationsverhältnis zwischen dem künstlerischen Feld und dem ökonomischen Bereich bezeichnet. Auf diese Weise wird zwar die gegenwärtige Grenzverwischung zwischen Design, Werbung, PR und Kunst affirmiert2, die sich selbst als Konsumentenbegehren geriert; Ingold Airlines bleibt jedoch ambivalent gegenüber ihrer Funktion innerhalb dieses Systems. Das Kunstprojekt Ingold Airlines kann als Affirmation konventioneller PR-Praktiken betrachtet werden, doch würde eine Fixierung darauf und eine angenommene metaphorische Relation zwischen Wirtschaft und Kunst eine Reduktion des Konzepts und seines Anspruchs bedeuten. Das Konzept der Fluggesellschaft kann sowohl als Phantasma des Künstlers – zu fliegen oder Flugzeuge zu besitzen – erscheinen, als auch die konzeptkünstlerische Untersuchung der medialen, ökonomischen, erkenntnistheoretischen und ideologischen Bedingungen von Kunst repräsentieren. Der konzeptkünstlerische Medieneinsatz von Ingold Airlines umfaßt das Spektrum der Logogestaltung, den PR-Text, die Rauminstallation und den mündlichen Vortrag, zu dem unter Umständen auch Videofilme vorgeführt werden. Dieser Konzeption folgend, heißt die Zusammenfassung und Auflistung der Aktivitäten von Res Ingold nicht »Katalog« sondern »Geschäftsbericht«. Auch dies verharrt zwischen konzeptueller Geste und

1 Res Ingold studierte in den 70er Jahren Grafikdesign, als sich »Visuelle Kommunikation« (Vgl.

Herrmann K. Ehmer (Hg.), Visuelle Kommunikation. Beiträge zur Kritik der Bewußtseinsindustrie, Köln 1971) zum Schlüsselwort der als demokratisch aufgefaßten Öffentlichkeit entwickelte. Der Untertitel dieses damals an Akademien, nach Auskunft Ingolds, Lehrbuchfunktion einnehmenden Buches, »Beiträge zur Kritik der Bewußtseinsindustrie«, deutet die unter anderem durch Haugs Kritik der Warenästhetik angeleitete Ideologiekritik von populärer Ästhetik an. Vgl. Wolfgang F.

Haug, Zur Kritik der Warenästhetik, a.a.O., 140ff.

2 Vgl. das von Michael Schirner behauptete »Werbung ist Kunst«, in: M. Schirner, Art meeds Ads, in: S. Iglhaut, F. Rötzer, E. Schweeger (Hg.), Illusion und Simulation. Begegnung mit der Realität, Ostfildern 1995; vgl. auch seine Ausstellung: Avantgarde & Kampagne, Kunsthalle Düsseldorf 1992, in: M. Schirner, Art meets Ads, Ostfildern 1993.

ironischem Kommentar auf die Geschäftsberichte großer Banken (z.B. Deutsche Bank, Sparkasse), die mittels der Abbildung von erworbener Kunst ihren kulturellen Status zu manifestieren suchen.

Aus der Betrachterperspektive kann zwischen der Corporate Identity eines Wirtschaftsunternehmens, das sich mittels seiner Kunstsammlung (Corporate Collecting) selbst nobilitiert, und Ingold Airlines, die eine Corporate Identity nur persifliert, deshalb unterschieden werden, weil eine korporative Kunstsammlung im Gegensatz zu Ingold Airlines noch auf den Objektstatus der Kunst angewiesen ist. Sie muß im korporativen Raum die ästhetische Differenz zum Corporate Design manifestieren: Auch der Begriff des Image Transfer ist abhängig von einem traditionellen Referenzverhältnis, was bedeutet, daß ein echtes Signifikat angenommen wird.

Ingold Airlines ist jedoch sowohl beides, wie keines von beidem. Einerseits funktioniert die fiktive Fluggesellschaft nur innerhalb dieses kulturellen Systems, das die symbolischen Wertschöpfungsprozesse abhängig macht von den Kunst sammelnden Wirtschaftsunternehmen, andererseits funktioniert das Kunstprojekt Ingold Airlines nur, weil es ohne traditionelles Kunstobjekt mit seiner symbolischen Strategie auskommt. In der zeitgenössischen Logokultur und ihrer Praxis des Product placement äußert sich die dominante Kommunikationsform, in der sich Ingold Airlines parasitär einnistet.

Diese künstlerische Strategie deutet eine völlig andere Konzeption der »Öffentlichkeit« an, als Jürgen Habermas sie in den 60er Jahren mit dem Begriff der »bürgerlichen Öffentlichkeit«

verstand.1 Im wesentlichen ging es ihm um die Wandlung von der feudalen zur bürgerlichen Öffentlichkeit. In den 80er und zunehmend in den 90er Jahren ist nun aber eine Wandlung von einem bürgerlichen zu einem korporativen Öffentlichkeitsbegriff zu konstatieren.2 Dessen Merkmale sind als eine ökonomisierende Privatisierung des öffentlichen Raumes sowie der Medienöffentlichkeit zu deuten. Für den Produktionsbereich lassen sich die Konsequenzen am Beispiel von Ingold Airlines skizzieren: Die eingesetzten PR-Techniken, mit denen Ingold Airlines sich auf Kunst- und Flugmessen präsentiert, stellen den sogenannten tertiären Bereich der Ökonomie dar (der die Dienstleistung oder die Präsentation betrifft), in dem die Produktion im Sinn

1 Die Grundthese von Habermas besagt, daß die bürgerliche Öffentlichkeit die moralische Verpflichtung zur Vermittlung der Aufklärung hat, wobei »öffentlich«, zugänglich für alle unter der Gewalt des Staates bedeutet; Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit.

Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft (1962), Neuwied und Berlin 1971, 10. Im Gegensatz dazu beabsichtigen Negt und Kluge einen Begriff von Gegenöffentlichkeit in der »Kategorie der proletarischen Öffentlichkeit« davon abzusetzen, der »sich gegen die Einordnung in das Symbolsystem der bürgerlichen Öffentlichkeit« (Oskar Negt und Alexander Kluge, Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit, Frankfurt/M. 1972, 9) sperrt; im wesentlichen erkennen sie die Aufsplittung »abstrakt aufeinander bezogener Einzelöffentlichkeiten« (ibid., 15), die einem homogenen Begriff von Öffentlichkeit widerspricht.

2 Vgl. Stefan Römer, Plakate als soziale Intervention. Paßt die Kunst im „ öffentlichen Raum“ noch ins Bild der Stadt?, in: Otto Mittmannsgruber/ Martin Strauß (Hg.), Plakat. Kunst. Über die

Verwendung eines Massenmediums durch die Kunst, Wien 2000, 104ff.

spätkapitalistischer Theorien von der reinen Repräsentation abgelöst wird.1 Wie stark zeitgenössische Wirtschaftsunternehmen von ihrem Öffentlichkeitsdesign abhängig sind, zeigt die Tatsache, daß manches angekratzte Image mit sehr großem Kapitalaufwand durch eine gezielte Werbekampagne von heute auf morgen renoviert wird.2 Wenn in der Postmoderne ein Paradigma des gegenwärtig herrschenden Spätkapitalismus3 oder Postfordismus4 die Verlagerung von der Produktion zur Repräsentation darstellt, impliziert dies, daß kein Unternehmen es sich leisten kann, nur zu produzieren, ohne sein ästhetisches Auftreten, mitzubedenken, oder gar, ohne eine Öffentlichkeit für die Ware zu schaffen: Jedes Produkt verkörpert die CI seines Produzenten.

Verschärft formuliert, könnte man davon sprechen, daß vor allem die Produktion in den Ländern der Ersten Welt tendenziell durch die reine Repräsentation abgelöst wird. Wobei mit dieser Unterteilung nicht nur eine regionale gemeint ist, sondern von einer Teilung nach »Rasse«, Klasse und Geschlecht an allen Orten zu sprechen ist. So wie ein Markt für ein Produkt geschaffen wird, anstatt ein Produkt der Nachfrage entsprechend zu produzieren, und so wie der Tauschwert den Gebrauchswert abgelöst hat und nun im Postfordismus selbst durch einen symbolischen Zeichenwert und weitere Derivationen abgelöst wird, formuliert Ingold Airlines die Metapher des zeitgenössischen Konsumentenbegehrens der 80er Jahre: Sehnsucht nach dem Verlassen der eigenen vier Wände durch einen komfortablen Flug. Das nicht nur geschäftlich motivierte City-Hopping und das Fernweh nach Traumstränden repräsentierte die Jetset-Wünsche einer neuen aufstrebenden Klasse der 80er Jahre, der Yuppies. In den 90er Jahren verband sich mit den

1 Vgl. Baudrillards polemische Zusammenfassung der Wandlung der ökonomischen Struktur in den 70er Jahren: »Ein Produktionsinhalt unterspannte noch eine gesellschaftliche Form, die Kapital genannt wird, sowie deren interne Kritik, die Marxismus genannt wird. Und der revolutionäre Anspruch beruht auf der Abschaffung des Wertgesetzes der Ware. Jetzt sind wir vom Wertgesetz der Ware zum strukturalen Wertgesetz übergegangen, und das fällt mit einer Verflüchtigung der gesellschaftlichen Form, die Produktion heißt, zusammen.« Baudrillard, Der symbolische Tausch und der Tod, a.a.O., 22f.

2 Vgl. die Darstellung des Werbefachmanns Schirner, mit welchen Kampagnen in den 80er Jahren auch problematische Images wieder aufpoliert wurden; Interview mit Michael Schirner, Es brauchte Mut und Nerven, unsere Kampagnen zu veröffentlichen, in: 1945 bis 1995, 50 Jahre Werbung in Deutschland, Kunstpalast Düsseldorf, Deutsches Werbemuseum, Frankfurt/M. 1995, 122f.

3 »Jede apologetische oder stigmatisierende Stellungnahme zur Postmoderne auf kultureller Ebene ist gleichzeitig und notwendig eine implizite oder explizite politische Stellungnahme zum Wesen des heutigen multinationalen Kapitalismus.« Frederic Jameson, Postmoderne – zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus, in: A. Huyssen/ K.R. Scherpe (Hg.), Postmoderne Zeichen eines kulturellen Wandels, Reinbek bei Hamburg 1986, 47. Jameson bezieht seine Thesen zur Postmoderne auf die ökonomische Theorie Ernest Mandels, der davon ausgeht, daß der Kapitalismus in eine dritte Phase des Kapitals übergegangen ist. Mandel meint, daß der

Kapitalismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Sinn von Marx’ Entwicklungsgesetz in seine späte Phase eingetreten ist, was er aus einer Internationalisierung des Kapitals und den fortgeschrittenen Produktionsbedingungen ableitet. Vgl. Ernest Mandel, Der Spätkapitalismus, Frankfurt/M. 1972, 459ff.

4 Die sich seit den 60er Jahren erneut abzeichnenden globalen sozialen Polarisierungstendenzen werden aus einem Umbruch der bisherigen fordistischen Arbeits- und Produktionsverhältnisse zu einem postfordistischen oder toyotisierten Akkumulationsmodell erklärt; vgl. Karl H. Roth, Die Wiederkehr der Proletarität und die Angst der Linken: Möglichkeiten und Grenzen sozialistischer Politik im Übergang zum 21. Jahrhundert, in: Clash, Nr. 10, Februar 1994, 54.

angeboteten Serviceleistungen von I. A. eine Zielgruppenansprache mit der Rhetorik eines Leitfadens, wie er in internationalen Wirtschaftsunternehmen Anwendung findet, um die Markenstrategie – früher Ideologie genannt – auch nach Innen für die Angestellten des Unternehmens zu agitieren, weil sie den emotionalen Kontakt zum eigenen Unternehmen zu verlieren drohten.

Besonders deutlich wurde der Bezug zwischen Ökonomie und Kunstprojekt, in der als Vernissage veranstalteten Aktionärsgründerversammlung: »Ingold Airlines goes public«.1 Während in Reden die Geschäftsbedingungen geklärt wurden, konnten die präsentierten Dokumente der bisherigen Aktivitäten der Fluggesellschaft unter die Lupe genommen werden: Fotografien der eigenen Maschinen und der angeflogenen Flughäfen. Die Fotografien zeigten zum Teil retuschierte Aufnahmen und echte Flugzeuge, die das Logo I.A. tragen. Selbst die Zitate bekannter Kunstvermittler unter den Fotos fungierten, jenseits der Frage nach ihrer Echtheit, als einleuchtende, aber ironische Verbindung zwischen Kunst-Jetset und Fluglinie, zumal einzelne der abgebildeten und zitierten Personen schon früher für Fluggesellschaften geworben hatten wie bespielsweise der Direktor des Frankfurter Museums für Moderne Kunst, Jean-Christophe Ammann, für Swiss Air. Die als Aktien ohne künstlerische Gestaltung präsentierten Drucke zeigen im Ingold-Airlines-Layout nur den Kaufwert an. Da die Präsentation in der Institution des Kunstvereins stattfand, reichte dies als Bestätigung aus, daß diese Drucke den bezifferten Wert erhalten. Mit dieser einfachen Konzeption thematisierte Ingold Airlines den institutionellen Wertschöpfungsprozeß in der Kunst aus.

Dem »Ressortleiter Öffentlichkeitsarbeit« von Ingold Airlines gelang es in seiner Rede einerseits, in pointierter Rhetorik den Plan des Unternehmens, an die Börse zu gehen, »Ingold Airlines goes public«, zu skizzieren, und andererseits durch gezielte Anspielungen den zeitlich parallel liegenden Börsengang der Telekom wirtschaftliche Tendenzen zu karikieren: die zeitgleich in allen deutschen Medien von der deutschen Bundespost präsentierte Werbekampagne zur Privatisierung in das privatwirtschaftliche Unternehmen Telekom. Die Persiflage blieb nicht ohne weitere reale Parallelen. Einige Monate später eröffnete der Popsänger David Bowie einen Börsenfond, der seinem Namen eine korporative Funktion gab. Dadurch wurden seine bisher erschienenen Musikstücke und künstlerischen Äußerungen in Relation zu Kapitalanlagen gesetzt, der künstlerische Wert war symbolisch mit den ausgegebenen Anteilscheinen gekoppelt. Diese Verbindung einer künstlerischen mit einer ökonomischen Strategie darf in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden. Sie bringt die sich bereits in den 80er Jahren abzeichnende Tendenz auf den Punkt, die künstlerische Praxis mittels einer ökonomischen Strategie aufzuwerten. Denn seit Baudrillards Interpretation des Äquivalenzverhältnisses in bezug auf das linguistische Zeichenreferenzverhältnis, daß das Wertgesetz der Ware durch einen symbolischen Wert ersetzt

1 »Gründerversammlung der Ingold Airlines Aktiengesellschaft«, 28.9.1996; im Rahmen der Ausstellung: Ingold Airlines goes Public, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen in der Kunsthalle Düsseldorf, 28.6.–7.7.1996.

wird, läßt sich schließen, daß durch die Bezeichnung, die eine Kunstinstitution einer künstlerischen Praxis einschreibt, diese einem Wertschöpfungsprozeß gleichkommt. Dazu muß berücksichtigt werden, daß die in den 70er Jahren beginnende Verschiebung zwischen Arbeit und Kapital eine Rückwirkung auf die künstlerischen Produktionsprozesse hatte. Dies schließt auch eine konzeptuelle Verschiebung von der fotografischen Serialität bei Feldmann zu einer interpretatorischen Hinzufügung durch Re-Produktion ein1, wie sie die Appropriation art von bereits bestehenden künstlerischen Praktiken gibt. Wenn aber in der Ökonomie eine zunehmende Verlagerung der Produktion in den tertiären Sektor, den Bereich der Repräsentation (Darstellung und Präsentation), zu konstatieren ist, dann realisiert Ingold Airlines, wie die Präsentation einer Idee in der Institution zu einer Ware oder zu einem Kunstwerk wird. Wichtig dabei ist, daß kein Objekt getauscht, sondern nur mittels des Logos innerhalb der Institution ein Tauschverhältnis symbolisiert wird. In diesem Zusammenhang ist die ökonomisierende Bedeutung des Begriffs Präsentation interessant, die insbesondere auch im ökonomischen Bereich das Vorlegen eines Wechsels meint. In der Kombination des Begriffs der Darstellung, der hier in seiner semiologischen Bedeutung als künstlerisch gestaltete Visualisierung verstanden wird (Wie stellt das Medium dar?), mit dem Begriff der Präsentation (Wie wird das Medium dargestellt?) wird die künstlerische Praxis mit Hilfe der Institution in einen symbolischen Wert konvertiert. Darin liegt die Originalität des Konzepts von Ingold Airlines.

In diesem Zusammenhang muß auch die fiktive Institution »Museum für Moderne Kunst«

untersucht werden. Dieses Museum kombinierte die Strategien zur Öffentlichkeitserzeugung wie ganzseitige Anzeigen in Kunstmagazinen, aufwendig gedruckte Einladungskarten und Präsentationen dieser Printerzeugnisse in Kunstinstitutionen. Die Darstellung des Museums der Modernen Kunst verwendete eine nominelle Assoziation von KunstkritikerInnen, SammlerInnen, KünstlerInnen und computerbearbeiteten Abbildungen bekannter Kunstwerke, um die Kategorie der Reputation zu persiflieren. Dabei gehört es zu dem taktischen Irritationseffekt, daß die jeweilig genannten Personen – als Ausstellungsteilnehmer oder ReferentInnen auf Symposien – oft nichts

untersucht werden. Dieses Museum kombinierte die Strategien zur Öffentlichkeitserzeugung wie ganzseitige Anzeigen in Kunstmagazinen, aufwendig gedruckte Einladungskarten und Präsentationen dieser Printerzeugnisse in Kunstinstitutionen. Die Darstellung des Museums der Modernen Kunst verwendete eine nominelle Assoziation von KunstkritikerInnen, SammlerInnen, KünstlerInnen und computerbearbeiteten Abbildungen bekannter Kunstwerke, um die Kategorie der Reputation zu persiflieren. Dabei gehört es zu dem taktischen Irritationseffekt, daß die jeweilig genannten Personen – als Ausstellungsteilnehmer oder ReferentInnen auf Symposien – oft nichts

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