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Levines falsche Originale

Im Dokument Der Begriff des Fake (Seite 100-103)

3 Historische Erscheinungs- und Rezeptionsformen von Fake

3.1 After Walker Evans«: Sherrie Levine

3.1.4 Levines falsche Originale

Bezieht man die Rezeptionsgeschichte auf das Verhältnis zwischen den Fotografien von Walker Evans und Sherrie Levine, läßt sich jenseits der ikonografischen Beziehung, die einem Zitat ähnelt, keine Übereinstimmung nachweisen. Es handelt sich zwar aus der Anschauung um dieselben Images. Dem widerspricht, daß, bis auf die Anwendung des selben Mediums bei der After Walker Evans-Serie, alle Bildkonstituenten inkompatibel sind: Weder Motiv, Sujet, Konzeption, Intention, Strategie, Kontext noch die Rahmenbedingungen der Präsentation und Rezeption entsprechen dem Vor-Bild. Da die Reproduktionen von Evans die frontale und geometrische Dokumentarfotografie wiederholen, dagegen die Reproduktionen von Westons Sohn Neil aber die Fragmentarisierung des Knabentorsos zum Anlaß der Reflexion nehmen, muß Levines Konzept immer in der Relation zwischen Vor-Bild und Reproduktion differenziert werden. Was wiederholt sich in Levines Fotografien? Kann für Levines Bildstrategie eine ikonografische Interpretation als konstitutiv betrachtet werden, oder müssen ihre Fotografien wegen der unterschiedlichen Konzeption und trotz der Ähnlichkeit als grundsätzlich andere Bilder betrachtet werden?

Nicht nur ihre Hinterfragung künstlerischer Originalität, sondern vor allem die Möglichkeit, die Ideologie der Institution des Originals, die implizite Moral und die Wertbildung sowie das expertenhafte Bilderwissen zu kritisieren, machte die Serie After Walker Evans auch in den 90er Jahren zu einer der Meistzitierten der diskursiven Formation der Appropriation art. Das Wiedererkennen von Evans’ Motiven hat hier keine Betrachterfunktion, keinen eigenen Sinn, weil das im Titel mitgeteilte Wissen, daß diese Fotografien bereits existieren, keinen inhaltlichen Gewinn bringt, sondern nur eine konkrete Bedeutung erhält. Andererseits ist auch ein weniger kunsthistorisch gebildetes Publikum in der Lage, es als konkreten Hinweis zu verstehen, ohne von einer spröden Konzeptualität abgeschreckt zu werden. Insofern reflektiert Levines Praxis die in der Rede der Fälschung beobachtete Entwicklung in den 70er Jahren, daß es sich bei reproduktiven zeitgenössischen Kunstpraktiken nicht um ästhetische, sondern um methodische Probleme handelt. Die Modellhaftigkeit des Vorgeführten wird in der Selbstreflexion der Fotografie in eine Ambivalenz überführt, die die in der Interpretation projizierten Wertkonventionen relativiert: Jede Interpretation wird auf ihre eigene Fragestellung zurückreflektiert. Insoweit das Blickregime auf der Suche nach der Differenz zwischen Vor-Bild und Kopie ist, erzeugt es synchron permanent den Repräsentationscode des Geschlechtsverhältnisses mit. Dies wird wie im Kapitel über die Fälschung (B.II.1) untersucht wurde, vom reproduzierten Bild reflektiert. Hierin besteht das Paradox von Levines fotografischen Reproduktionen: sie verbinden eine ästhetische mit einer kritischen Aussage, ohne emblematisch eine kritische Interpretation vorzuschreiben. Das bedeutet, daß eigentlich zwei Bilder zu betrachten sind – wie Levine meint1 –, weil die Ikonografie der Reproduktion mitzuberücksichtigen ist. Jede Betrachtung muß sich diesen Prozeß wieder in seiner

1 Levine, in: Siegel, After Sherrie Levine, a.a.O., 253.

Komplexität aneignen. Darin besteht die konzeptuelle Strategie, daß sie ihre visuellen und diskursiven Mittel reflektiert in ein Verhältnis setzt. Würde man allerdings Levines künstlerische Praxis trotz ihrer visuellen Implikationen auf ein strategisches Modell der fotografischen Reproduktion reduzieren, spräche man ihr genau das ab, was eine geschlechtliche Differenzierung aus männlicher Sicht benötigt, den Mangel des Weiblichen (Baudelaire) an Genuß an und Begehren nach der Produktion. Deshalb erscheint es angebracht, daß Levine jenseits puristischer Konzeptualität auf ihrer Haltung des visuellen Genusses besteht und ihr Reproduktionsmedium der Fotografie mit der traditionell männlichen Disziplin der Malerei erweitert. Außerdem offenbart sie in dieser Strategie ihr Begehren gegenüber dem Vor-Bild, das so von der Darstellung und nicht dem Originalerlebnis regiert wird.1 Daraus läßt sich schließen, daß das Bild vom Originalobjekt bereits existierte, weil das originale Objekt keine Kunst ist. Dies meint aber nicht die platonistische Vorstellung des Abbildes der Idee, sondern die Konzeption des reproduzierten Bildes, die davon ausgeht, daß ein Bild überhaupt erst existiert, wenn es reproduziert, das heißt einer größeren Betrachtergruppe zugänglich gemacht wird. Vor diesem Hintergrund erscheinen Levines Wiederholungen sowohl als Readymade als auch als borgesianisch-theoretische Setzung, die sich ihres fiktiven Charakters bewußt ist, aber eine symbolische Strategie innerhalb des Felds der Kunst verfolgt. Der Unterschied zum Readymade ist die Bezugsquelle der Geschichte der Kunst, die in der Reproduktion intentional sichtbar und potentiell unterscheidbar ist, während das Textpastiche als theoretischer Text fungiert, der die Interpretationsintention von Levine konzipiert. Sherrie Levine reproduziert, in dem sie Fotos abnimmt2 und damit wichtige Positionen der Geschichte der Kunst konzeptuell besetzt3, um sie feministisch zu aktualisieren. Medientheoretisch läßt sich Levines Reproduktionsstrategie auch als Kritik der in den 70er Jahren betriebenen Re-Auratisierung von Vintage prints, der vom Künstler legitimierten Originalabzüge verstehen.4

Der Hinweis im Titel »After [...]« ähnelt zwar dem konventionellen Gebrauch, eine Nachahmung anzuzeigen; während jedoch eine Kopie nach einem bekannten Maler nur eine konventionelle Kopie meint, bedeutet diese Referenz im vorliegenden Fall den konkreten Hinweis, daß die Geschichte der Kunst selbst als Readymade zu betrachten ist. Es handelt sich deshalb, nach Genette, nicht um eine parodistische Transformation wie die Übernahme bekannter Bilder, die um eine zeitgeschichtlich signifikante Notation oder ein Emblem im Bild erweitert wird5. Stattdessen

1 »Das Verlangen nach Repräsentation existiert nur, soweit es nie gestillt werden kann, soweit auf das Original immer nur verwiesen wird. Nur in der Absenz des Originals kann Repräsentation stattfinden.« Crimp, Die fotografische Aktivität der Postmodernismus, a.a.O., 136.

2 »Sie nimmt nur – und das wörtlich – Fotografien ab.« Crimp, Die fotografische Aktivität des Postmodernismus, a.a.O.,137.

3 Levine, in: Siegel, After Sherrie Levine, a.a.O., 245.

4 Vgl. Solomon-Godeau, Photography after Art Photography, a.a.O., 80.

5 Hier ist sowohl an das weite Feld der politischen Satire als auch an Comics zu denken: Vgl. Ward Kimball, Art Afterpieces, New York 1964; Donald Duck, Galerie Alter Meister, Walt Disney

Productions (1979) Stuttgart 1984.

handelt es sich um konzeptuelle Reproduktionen, die eine visuelle Formation übernehmen, um anhand der Wandlung ihres Kontexts die Feststellung ikonografischer Ähnlichkeit als ideologische und mangelhafte Aussage über eine künstlerische Praxis zu definieren. Diese konzeptuellen Reproduktionen verschieben die Originale in die Gegenwart. Eine Suche nach der Präsenz des Originals wird nur scheinbar fündig. Die Eigenwertigkeit der Reproduktion wird betont, indem das Vor-Bild aus seiner historischen Distanz gelöst und in einem neuen Rahmen auf dem zeitgenössischen Bildschirm konstituiert wird. Insofern läßt sich die After Walker Evans-Serie auch als Referenz auf die soziopolitische Situation Anfang der 80er Jahre beziehen, als die konservative Reagan-Regierung in den USA ein Sparprogramm im sozialen Bereich durchsetzte. Die Konsequenzen dieser Politik waren eine zunehmende Verelendung der unteren Gesellschaftsschichten und eine herbe Benachteiligung der nichtweißen Bevölkerungsteile. Hier lassen sich direkte Bezüge zur Zeit der Großen Depression in den 30er Jahren herstellen, in denen Walker Evans die Fotografien machte.

Ohne jedoch der Illusion eines realistischen Dokumentarismus verfallen zu sein, bedient sich Sherrie Levine einer reflektierten Strategie; sie suggeriert diese historischen Bezüge mittels der Konzeptualisierung von Evans’ Dokumentarismus. Analog dazu läßt sich Orvells Urteil über James Agees Text lesen: »The structure of [Let Us Now Praise] Famous Men is a defiant puzzle, a confusion of false starts and premature endings, a trunk full of fake bottoms.«1

Um auf die Frage am Anfang dieses Kapitels nach dem Unterschied zwischen der ikonografischen Ähnlichkeit und den ikonologischen Differenzen der Bildkonstitution zurückzukommen, die konzeptuell strategische Positionierung umfaßt alle die differenten Konstituenten ihrer Praxis.

Levine reproduziert nicht nur bereits existente Fotografien, sie schreibt auch die Autorschaft für diese Verfahrensweise Richard Prince zu, wodurch sie ihre Autorschaft doppelt verleugnet. Damit persifliert sie das Klischee der alten Kunsttheorie, daß die Fälschung weiblich konnotiert ist, da Frauen zu keiner kreativen Leistung fähig seien. Darum galten Levines Eins-zu-eins-Fotografien von Walker Evans der »Critical Theory« der diskursiven Formation der Appropriation art als ultimativ kritisches Instrument. Die rein ikonografische ist von der konzeptuellen/ikonologischen Genealogie zu unterscheiden. Dies umreißt die ambivalente Funktion von Sherrie Levines Fake2, das als spezifische konzeptuelle Formation auftritt. Sie muß von BetrachterIn zu BetrachterIn und von Präsentation zu Präsentation neu definiert werden.

1 Orvell, The Real Thing, a.a.O., 273.

2 Olanders Darstellung der opaken Ambivalenz von Levines Praktiken trifft dies am besten: »Like fakes, they appear to be something they are not and, like counterfeits, they attempt to insinuate themselves quietly into the smooth flow of culture. [...] Constructed in like fashion, they are

presented in an appropriately artful mode (framed, exhibited singly, in pairs, as dyptichs, or series) and displayed with little explanation. But there is also a third option, that they are fakes inserted into the flattened out landscape of all modernist paintings and the institutionalized discourse which demands continuity out of the recent past and seeks to domesticate the radical gesture.« William Olander, Fake. A Meditation on Authenticity, in: Fake, The New Museum of Contemporary Art, New York 1987, 12.

3.2 »Spiritual America«: Richard Prince

Im Dokument Der Begriff des Fake (Seite 100-103)