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Bijls Anti-Bühne

Im Dokument Der Begriff des Fake (Seite 179-184)

3 Historische Erscheinungs- und Rezeptionsformen von Fake

3.1 After Walker Evans«: Sherrie Levine

3.5.3 Bijls Anti-Bühne

Wie sich in Bijls Rezeptionsgeschichte zeigte, wurden seine Rauminstallationen als kritisches Instrument innerhalb der Kulturindustrie verstanden, an der sie selbst partizipieren. Bijl formulierte in seinem Kunstliquidations-Projekt eine spezifische Kritik am kulturellen System, aber darüberhinaus konstatierte er auch eine Rückaneignung avantgardistischer Intentionen. Er persiflierte seine eigene kritische Intention, indem er sie in der Rhetorik eines Regierungsprogramms formulierte, womit er andeutete, daß er die eigene Praxis nicht von einer Kritik ausnimmt. Dem lag zugrunde, daß die Institution der Kunst nicht als von der Gesellschaft abgehobener, autonomer Bereich, sondern als konstitutive Produktionsstätte der Kulturindustrie zu betrachten war.2 Unter der sich in den 80er Jahren abzeichnenden Privatisierung der Museen zu Unterhaltungsbetrieben müssen sie als Bestandteile der Produktion von Öffentlichkeit betrachtet

1 Vgl. Thomas Dreher, Kontextreflexive Kunst, in: Weibel, KontextKunst, a.a.O., 97.

2 Vgl. Hans Haacke, Museums, Managers of Conciousness, in: ders., Tate Gallery London 1984, 105ff.

werden, die zunehmend unter korporativer Kontrolle stehen.1

Auf welche Weise sich Bijl an ein möglichst großes Publikum wendet, wird durch sein selbstreflexives Verhältnis zur Institution deutlich; seine in keiner Weise didaktischen Inszenierungen beziehen trotzdem die avantgardistische Intention der Allgemeinverständlichkeit ein. Dazu soll das Interesse auf den Begriff der Inszenierung2 gelenkt werden, um sie »als Technik des Ausschließens und Auslöschens, als politische Tätigkeit par exellence« zu verstehen, wobei die Frage nicht lautet, »was wie zu repräsentieren sei, das Hauptproblem besteht also nicht darin, die richtige oder echte Repräsentation zu definieren, sondern die Ausschließung oder die Verwerfung all dessen, was, weil nicht rekurrent, für nicht darstellbar gehalten wird, also unerträgliche Vorstellungen weckt.«3 In diesem Sinn stellt Bijl die Strukturen der Rauminszenierung selbst dar, vor allem weil seine Installationen so erscheinen, als könnten sie, trotz ihrer distanziert analytischen Atmosphäre, jederzeit in Betrieb genommen werden. Das Eigentümliche an Bijls Räumen besteht also in ihrer synchronen Distanz und Nähe zur realen Situation, einer räumlichen Selbstreflexion, einer strategischen Fiktionalisierung4 des Realistischen und der Realisierung des eigentlich abgehobenen weißen Raumes des Museums.5 Darin zeigt sich seine Strategie, den Museumsraum als Rahmen aufzufassen, der schon im Kapitel über Lawler und das Parergon untersucht wurde. Das Parergon und die Inszenierung funktionieren nur, wenn sie in ihrer ausschließenden Funktion unreflektiert bleiben; Bijl funktioniert den eigentlich neutralen Präsentationsraum um. Die BetrachterInnen befinden sich nicht nur im Bild und auf der Bühne des Museums, sondern sie realisieren eine alltägliche Situation, die sie mittels dieser Inszenierung mit Handlungen konfrontieren, denen sie im Museum gerade entkommen zu sein glaubten. Bijl systematisiert darin seine Kritik des Verhältnisses zwischen Darstellung und Präsentation, weil der sogenannte öffentliche Raum des Museums immer eine politisch konstitutive Funktion innehat – er repräsentiert die herrschende Geschichtsschreibung. Durch Bijls Installation wird der Museumsraum auf das eigentlich ausgeschlossene Außen bezogen. Wenn er das Außen nun aber

1 Vgl. Stefan Römer, Probleme mit dem Kulturstandort Köln, in: Texte zur Kunst, Nr. 30, Juni 1998, 131ff.

2 »Die Inszenierung ist keine ‘künstlerische’ Tätigkeit, sie ist ein allgemeiner Vorgang, der alle Tätigkeitsbereiche betrifft, ein zutiefst unbewußter Vorgang des Auswählens, des Ausschließens und des Auslöschens.« Jean-François Lyotard, L’acinéma, in: ders., Essays zu einer affirmativen Ästhetik (1980), Berlin 1982, 34.

3 Vgl. ibid., 36.

4 Vgl. Foucaults Versuch, die Fiktion zu beschreiben: »Das Fiktive ist niemals in den Dingen oder in den Menschen, sondern in der unmöglichen Wahrscheinlichkeit dessen, was zwischen ihnen ist:

Begegnungen, Nähe des Entferntesten, absolute Verstellung, da wo wir sind. Die Fiktion besteht also nicht darin, das Unsichtbare sichtbar zu machen, sondern sehen lassen, wie unsichtbar die Unsichtbarkeit des Sichtbaren ist.« Michel Foucault, Das Denken des Draußen (1966), in: ders., Schriften zur Literatur, Frankfurt/M. 1988, 137.

5 Vgl. zur Neutralität des weißen Präsentationsraumes und seiner autonomistischen Ideologie:

Brian O’Doherty, Die weiße Zelle und ihre Vorgänger (1976), in: ders., In der weißen Zelle, Berlin 1996.

zum Innen umdeutet, wird die Definitionsgrundlage des Museums relativiert. Genau diese Bedeutungsverschiebung bezeichnet Bijls Liquidations-Projekt.

Folgende Blickkonzeption ist in diesem Sinn für Four American Artists konstitutiv: Bijl involvierte in den Blick auf die Darstellung, die hier das Objekt selbst ist (Readymades wie Türklinken, Balkongeländer, Musikboxen etc.), die Aufmerksamkeit für die Präsentation (Gruppierung als Wandinstallation). Bijls Konzeption kann als affirmativ gegenüber der Institution bezeichnet werden, weil er die bestehenden räumlichen Zeichensysteme innerhalb der Institution in Funktion beläßt. Während er den reproduzierten Raum auf ein Zeichensystem reduziert (vier künstlerische signature styles) und in den Ausstellungsraum importiert, nimmt er darauf funktionell und kontextuell Einfluß: Einerseits ist eine Ausstellung von Bijl angekündigt, andererseits wird eine Gruppenausstellung vorgefunden. Die BetrachterInnen kompensieren die Irritation damit, daß sie die Installation bis in die kleinen Details des Museumsraumes untersuchen, um ihnen Authentizitätshinweise abzugewinnen – nicht hinsichtlich des Realismus der Alltagssituation, sondern ob es sich um einen Museumsraum handelt. Dieser Blick aktiviert sich jenseits einer passiven Konsumtion. Darin zeigt sich der Rahmen der Ausstellung und des Gebäudes nicht als architektonisch bezeichnende Schablone; stattdessen wird die Institution des Museums in ihrer Funktion relativiert, weil über die Umcodierung gesellschaftlicher Kommunikationsräume auch das Repräsentationssystem des Museums transparent wird.1 Darin geht Bijls Intention über eine dokumentarische Darstellung hinaus, die den Status der Institution völlig unberücksichtigt läßt.

Dies instrumentalisiert einen weiteren selbstreflexiven Impuls, der nicht nur, wie in den Katalogen Bijls sichtbar, die angeeigneten Räume, sondern, hinsichtlich der Abfolge der Ausstellungen, auch die Ausstellungsinstitute dokumentiert.

Da es sich bei Bijls Rauminstallation Four American Artists um die Aneignung einer fiktiven Gruppenausstellung handelte, differierte seine Intention und Konzeption von einer vergleichbaren Ausstellung amerikanischer KünstlerInnen. Von seiner visuellen Struktur her unterscheidet sich das Präsentierte nicht von den Arbeiten, auf die er sich als Kurator, Künstler und Fälscher bezieht. In diesem Sinn funktioniert Bijls Rauminstallation als Anti-Bühne, auf der sich die BetrachterInnen selbst in einem Beziehungssystem aus Architektur und künstlerischen Zeichen auftreten sehen.

Doch auch dies sind nur Hinweise, die die perfekte Täuschung komplettieren. Dabei geht es um mehr als eine Inszenierung: Bijl rekonstruiert einen idealtypisch bekannten Kunstraum, dessen Atmosphäre sich nicht nur aus der Summe seiner Objekte und Zeichen konstituiert, sondern sich auch in seiner Intention, den Motiven und Sujets zu dieser Projektion differenziert verhält. Die Installationen erscheinen fremdartiger als die Musterräume im Möbelhaus, denn diese Musterräume entwickeln ihre spezifische Funktion durch ein symbolisch normiertes Zeichensystem, das DesignerInnen als Modell für das Zuhause entwerfen. Bijls Räume dagegen

1 Diese Vorgehensweise steht im Gegensatz zu Michael Ashers analytisch konzeptuellen Raumdekonstruktionen, die sich immer auf den Ausstellungsraum selbst als Materialisierung der Institution beziehen.

entwerfen ihre Differenz zu diesen alltäglichen Modellen in der Anwesenheit der BetrachterInnen als Bild (Tableau vivant), das sich zu seiner klarsten Form erst in der Betrachtervorstellung formiert, in den individuellen Assoziationen, die mit kollektivem Gebrauch verbunden sind. Deshalb werden Bijls Räume auch nicht als 1:1 Übertragung konzipiert1, weil sie weder vorher identisch existierten, noch als ähnlich intendiert sind oder in der unmittelbaren Erfahrung einheitlich projiziert werden. Indem die BetrachterInnen auf die Anti-Bühne der von ihrer Wirklichkeit befreiten Räume treten, wird beides als präpariertes Konstrukt wieder in ihre Wahrnehmung importiert – als Bild.

Bijls Fake zielt nicht auf das Als-ob der Theaterbühne, das passive BetrachterInnen erzeugen würde, sondern auf die visuelle Analyse als Konstruktion von Verhaltensweisen; die Räume werden in der Rezeption zum Display kultureller Codierung. Im Gegensatz zu einer Theaterbühne oder etwa einer Werbestrategie rufen Bijls Räume selbst ein Verständnis ihrer Konzeption hervor, denn die BetrachterInnen erfahren sich als Bestandteil, als ProduzentInnen dieser Formation.

Darüberhinaus erscheint das Vertraute der sogenannten Alltagswelt plötzlich als ein von unterschiedlichsten Interessen beherrschter Raum, der im Innen kein Außen zuläßt. Solange die BenutzerInnen im alltäglichen Raum von Zeichen nur von einem zum nächsten Versorgungspunkt geleitet werden, fällt die durch dieses Raumdesign ausgeübte Kontrolle nicht auf.2 Erst mittels des von Bijl hervorgerufenen Blicks werden die codierten Funktionsträger der öffentlichen Räume als konditionierender Parcours sichtbar.

Die Ausstellung Four American Artists erscheint als idealisiertes Konstrukt der Bewußtseinsindustrie, vier KünstlerInnen, die nicht existieren, aber durch ihre Repräsentation – ihre Darstellung und Präsentation – einen selbstkritischen Wert erzeugen. Dieser Wert wird von einem Kunstsystem produziert, das gerade in dieser Fiktion einer Gruppenausstellung auf sich selbst bezogen und seiner symbolischen Werterzeugungsprozesse strategisch entwertet wird.

Denn die Begriffe des autonomen Kunstwerkes, des Originals, des Schönen und Wertvollen oder des intellektuellen Erklärens von Imitationsgraden werden ad absurdum geführt. In Bijls strategisch erzeugter Aura des Sowohl-als-auch, die im Sinn Greenbergs als eine Synthese aus Avantgarde

1 Vgl. »eins zu eins«, Renate Puvogel, Guillaume Bijl, in: Artis. Zeitschrift für neue Kunst, Mai 1993, 24; weder als: »Realzitat«, Blomber, Fata Morgana des Spießertums, a.a.O.; noch als:

»Zitatkunst«, Millet, Dies ist nur ein Anfang, a.a.O., 28; noch als: »reale Imitation«, Berg, Vom Verschwinden der Dinge, a.a.O., 15; noch als: »Mimesis«, Vielhaber, Guillaume Bijl – Kunst-Konsum pur, a.a.O., 81. So verlockend es auch ist, Lukács’ Begriffe der »Wiederspiegelung des Alltagslebens« anzuwenden, aber sie sind völlig inadäquat.

2 Die Perspektive der sozialen Konsequenzen bleibt hier ausgespart; Deleuze konstatiert einen Paradigmenwechsel von Foucaults Theorie des »Überwachens und Strafens« hin zu den

Kontrollgesellschaften; vgl. Gilles Deleuze, Postskriptum über die Kontrollgesellschaften (1990), in:

ders., Unterhandlungen 1972–1990, Franfurt/M. 1993, 254ff.

und Kitsch zu betrachten wäre1, wird der Bereich zwischen den Orten der alltäglichen Massenkultur und der autonomen Hochkunst zu einem Präsentationsort des Bildes, das sich die BetrachterInnen von den dominanten Interessen bilden.

1 »If the avant-garde imitates the processes of art, kitsch, we now see, imitates its effects«

Greenberg, Avant-garde and Kitsch, a.a.O., 17.

Im Dokument Der Begriff des Fake (Seite 179-184)