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Princes Reproduktion des amerikanischen Mythos

Im Dokument Der Begriff des Fake (Seite 103-106)

3 Historische Erscheinungs- und Rezeptionsformen von Fake

3.1 After Walker Evans«: Sherrie Levine

3.2.1 Princes Reproduktion des amerikanischen Mythos

Was könnte den amerikanischen Mythos des männlichen Individualismus – Freiheit und Abenteuer – besser verkörpern als die Figur des Marlboro-Cowboys? In ihm kulminieren die Mythologeme der Natur und ihrer Eroberung durch die Weißen, die Domestizierung des wilden Pferdes durch den coolen, entschlossenen Lonesome Cowboy, der in Blue Jeans am Lagerfeuer Zigaretten raucht.

Dieses Werbeklischee, wie es bis heute in der ganzen Welt verbreitet wird, ist eines der zentralen Motive, denen sich Richard Prince1 seit Anfang der 80er Jahre bedient, und noch 1991 beginnt ein Text rühmend: »Perhaps best known for his lushly coloured cowboy rephotographs, Richard Prince is one of the most influential artists working today.«2

Wie Sherrie Levine berichtet, hatte Prince sie 1979 auf die Idee gebracht, Kunstwerke zu reproduzieren3, was er selbst schon seit einem Job in der Time-Life-Bildredaktion betrieb.4 Als er erstmals vier Abbildungen von Inneneinrichtungen aus dem New York Times Magazine unverändert reproduzierte (1977), antizipierte er das fotografische Verfahren, das die Fotografie der 80er Jahre beeinflussen sollte.5 Er schnitt – glaubt man seiner Künstlerlegende – aus Magazinen Artikel für Redakteure aus; für sich selbst sammelte er Filmstills und Werbeanzeigen.

Daraus stellte er zunächst Serien zusammen: Bilder von luxuriösen Apartments oder von Luxusaccessoires wie Uhren, Schmuck, Feuerzeugen und teuren Spirituosen sowie von gut gekleideten Männern und Frauen. So ironisch es für die Kritiker auch war, daß diese reproduktive Strategie der Wiederholung »innovativ«1 sein sollte, so zeigte sie doch, wie eng »Appropriation«

und »Innovation« in der Massenkommunikation miteinander verbunden sind. Deshalb lag allein in der Verfahrensweise ein Provokationspotential für das auf künstlerische Originalität geeichte Wertesystem.

Auch eine echte Biografie verweigert Prince mit Hinweis auf ein Interview, das angeblich der Ende der 70er Jahre in Künstlerkreisen sehr populäre englische Science Fiction-Autor J.G. Ballard 1967 mit ihm geführt habe. Mittels dieses wahrscheinlich gefälschten Interviews, das als »a little

1 Geboren 1949 in Panama Canal Zone; er gibt keinen Hinweis auf eine akademische Kunstausbildung.

2 Greg Hilty, Diamonds Dirt: Richard Prince’s Greatest Hits, Frieze, Nr. 1, 1991, 25.

3 Einen Hinweis darauf, daß Prince rückblickend Levines Aneignung seiner fotografischen

Aneignungsstrategie nicht ganz gleichgültig war, findet sich bei: Paul Taylor, The New York Times, 17.5.92.

4 Vgl. Richard Prince, Interviewed by Larry Clark, in: Richard Prince, Whitney Museum of American Art, New York 1992, 129; dort arbeitete er seit 1976; Richard Prince, Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks, in: Kunstforum International, Bd. 136, Feb.-Mai. 1997, 283.

5 »With a click of the shutter these images were his – stolen, scavenged, appropriated, ready-made.« Lisa Phillips, People keep asking: An Introduction, in: Prince, Whitney Museum, a.a.O., 23.

masterpiece of just that sort of effect, a kind of writerly trompe l’œil«2 verstanden wurde, erschuf er eine fiktive Künstlerlegende.3 Doch reflektiert dies, indem es sich sofort als Verstellung offenbart, bewußt die Funktion der Künstlerlegende, das Originalgenie zu erzeugen.4 In diese Überlegungen sollte einbezogen werden, daß Prince Anfang der 80er Jahre mit Cindy Sherman zusammenlebte, die mit Fotografien bekannt wurde, in denen sie sich selbst in fiktive Filmcharaktere verwandelte.

Gleichgültig, ob Princes Texte und seine fotografischen Reproduktionen als systematische Lügen eines klassischen Dandys betrachtet wurden, die viele BetrachterInnen nicht als Lügen erkannten5, oder ob seine Strategie als konzeptuelle Demonstration von Verstellung und Maskerade aufgefaßt wurde6, entscheidend für diese Strategie ist: »Alles wird auf ein Bild beschränkt, das durch die Beobachtung äußerer Vorgänge zustandekommt.« Und sowohl für seine Texte als auch für seine Bilder gilt, »daß der Erzähler nicht distanziert beobachtet, sondern den Akt der Beschreibung in den Mittelpunkt rückt.«7 Im austarierten Zusammenspiel zwischen Princes Fotografien und seinen literarischen Texten8 lassen sich Hinweise darauf finden, wie Prince die Ökonomie des Begehrens des Konsumenten in seine Produktion involviert.

Die Refotografie von Prince wird als »Stehlen«9 von Bildern verstanden. Es handelt sich jedoch eigentlich nicht um einen ungesetzlichen Akt, denn Prince fotografiert nur typische Darstellungen der Massenmedien, die jeglichen Originalcharakter vermissen lassen. Davon abgesehen, daß bereits von Leo Steinberg die bildfremden Kategorien des Zitierens oder Entlehnens als unpassend erkannt wurden, argumentiert Prince bewußt mit einer subversiv reproduktiven Rhetorik: »The

1 Vgl. Dorothy Spears, Richard Prince at Barbara Gladstone Gallery, Arts Magazine, Feb. 1990, 72.

2 James Lewis, Richard Prince: Notes toward a supreme fiction, in: Parkett. Kunstzeitschrift, 28, 1991, 8.

3 Hoax: vgl. James Lewis, Outside Worls, in: Prince, Whitney Museum, a.a.O., 69.

4 »Identität ist Stückwerk aus Phantasien, Namensänderungen und ständig wechselndem

Aussehen.« Brian Wallis, Freuden der Geistlosigkeit: Zu den Kurzgeschichten von Richard Prince, in: Parkett. Kunstzeitschrift, Nr. 6, 1985, 72.

5 Vgl. John Miller, The Weather is Here – Wish You Were Beautiful, in: Artforum, Mai 1990, 158.

6 Vgl. Rosetta Brooks, Spiritual America: No holds barred, in: Prince, Whitney Museum, a.a.O., 91.

7 Wallis, Freuden der Geistlosigkeit, a.a.O., 71.

8 »In seinen Erzählungen greift er unmittelbar die Wirkungsweisen dieser Bildsprache [der Massenmedien] auf, insbesondere wie sie Persönlichkeitsstrukturen bestimmt und zementiert.

Beide Zugriffsweisen – Photographie und Text – arbeiten weitgehend mit gleichen Mitteln, denn Prince’ Texte beruhen auf der zwingenden Kraft der photographischen Bildsprache: die Modelle der Reklamewelt stellt er in einen erzählerischen Zusammenhang, und so verwirklichen die Protagonisten seiner Geschichten die Fiktionen der Werbephotographie. [...] Alles wird auf ein Bild beschränkt, das durch die Beobachtung äußerer Vorgänge zustandekommt. [...] Und die davon [den Details des Alltäglichen] ausgehende Faszination für das Spektakuläre wird erzählerisches Element, so daß der Erzähler nicht distanziert beobachtet, sondern den Akt der Beschreibung in den Mittelpunkt stellt.« Wallis, Freuden der Geistlosigkeit, a.a.O, 71.

9 Vgl. Douglas Crimp, Die fotografische Aktivität des Postmodernimus, in: ders. , Über die Ruinen des Museums, a.a.O., 139.

pictures I went after, ‘stole’, were too good to be true. They were about wishful thinking, public pictures that happen to appear in the advertising sections of mass market magazines, pictures not associated with author.«1 Die von Prince ausgewählten Bilder aus der Werbung hatten für ihn eine unwiderstehliche Anziehungskraft: »Their fiction seemed to be terrifyingly beautiful.«2 Die Fotoserie von Wohnzimmern, die Prince zunächst in New York ausstellte, hatte er selektiert nach ihrem »look and for their proportions, which fit the 35 mm slide frame exactly.«3 Es handelt sich um plansymmetrisch mit einer Kleinbildkamera aufgenommene Fotografien von Wohnzimmern der oberen Mittelklasse, wie sie sich im New York Times Magazine als Werbeanzeigen finden (Untitled (Livingroom) 1977).

Die Bilder wurden aus den originalen Vorlagen entweder mit der Schere oder mit einer Kamera, die Prince »electronic scissors«4 nennt, ausgeschnitten. Den Kopierprozeß versteht er im Sinne eines Musikmixes als 8-Spurfotografie und unterscheidet folgende Variationsmöglichkeiten: »1. the original copy; 2. the rephotographed copy; 3. the angled [verzerrte] copy; 4. the cropped [gestutzte]

copy; 5. the focused copy; 6. the out-of-focus copy; 7. the black-and-white copy; 8. the color copy«.5 Ausgehend von der Originalvorlage, die selbst schon eine Kopie ist, geht es Prince um die Akzeptanz des Kopierverfahrens als künstlerische Praxis, die sich auf die Manipulation von Ausschnitt, Farbigkeit und Tiefenschärfe beschränkt.

Die (Marlboro-) Cowboys fotografierte Prince (ab 1980, Abb. 43) ausschnitthaft aus Werbeabbildungen ohne die Schrift und vergrößerte die Abzüge variabel. Seine Fotografien zeigen unterschiedliche Körnung, differierende Schärfegrade, Farbfilterungen oder Druckmanipulationen;

daher rühren zwar gewisse Verfremdungseffekte, die Wiedererkennbarkeit des Marlboro-Klischees bleibt jedoch unangetastet. Einzelne Motive der Cowboys – wie ein reitender Cowboy oder eine behandschuhte Hand, ein Lasso haltend – wurden fragmentiert und zum Teil stark vergrößert; auf einigen großformatigen Fotografien gruppierte Prince diese Ausschnitte später zu ikonografischen Serien, die den Serien von Hans-Peter Feldmann in den 70er Jahren ähneln: das heißt, gleichformatige Abbildungen von ähnlichen Gesten oder Objekten.6

Ein Jahr nach Levines Ausstellung provozieren Princes Wiederfotografien in seiner ersten Ausstellung in der Galerie Metro Pictures ebenso Diskussionen7 wegen seiner aus einem

1 Prince zit. in: Brooks, Spiritual America, a.a.O., 85.

2 Prince, Interviewed by Larry Clark, a.a.O., 129.

3 Phillips, People keep asking, in: Prince, Whitney Museum, a.a.O., 23.

4 Vgl. Prince interviewed by Larry Clark, a.a.O., 129.

5 Phillips, People keep asking, in: ibid., 25.

6 Noch 1992 gilt Prince als Erfinder vom »Photo vom Photo«: David Salvioni, Richard Prince, Realist, in: Parkett. Kunstzeitschrift, Nr. 34, 1992, 106.

7 Cameron über die erste Ausstellung bei Metro Pictures: Cameron, Die Kunst und ihre Wiederholung, a.a.O., 286.

alltäglichen, banalen Kontext entnommenen Sujets. Ihnen haftet ein anderes dokumentarisches Moment an als Levines After Walker-Evans-Serie; sie reflektieren direkter den »late twentieth century spirit«1 der eigenen Gegenwart. Prince erklärt die Massenmedien, die seit Adorno und Horkheimer als »Kulturindustrie« oder seit Debord als »Spektakel« und seit Enzensberger als

»Bewußtseinsindustrie« kritisiert werden, affirmativ zum Bestandteil seiner Strategie – »what was public was always real.«2

Im Dokument Der Begriff des Fake (Seite 103-106)