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Bijls reproduzierter Raum

Im Dokument Der Begriff des Fake (Seite 167-170)

3 Historische Erscheinungs- und Rezeptionsformen von Fake

3.1 After Walker Evans«: Sherrie Levine

3.5.1 Bijls reproduzierter Raum

Ein Fahrschulraum verwirrte 1979 in der Galerie Raum Z in Antwerpen die BesucherInnen und PassantInnen, die durch das Schaufenster in den Raum schauten. Guillaume Bijl2 hatte dort die detailgetreue Innenausstattung einer Fahrschule eingerichtet.

Bijl überträgt keineswegs beliebig funktionale Räume in den Kunstkontext. Manchmal wartet er Jahre darauf, den geeigneten Raum für eine überzeugende Umsetzung zu bekommen; dann überträgt er alle funktionalen und ästhetischen Elemente – beispielsweise eines Fitnesstudios, einer Caravanausstellung, eines psychiatrischen Hospitals oder einer Galerieausstellung – in diesen Ausstellungsraum. Indem er Ausstellungen und nicht die wirklichen Situationen präsentiert, ruft er in einem Kunstraum die dort fremde Atmosphäre des Fahrschulunterrichts oder des Warentauschs hervor, vor allem, wenn zur Eröffnung die alltäglichen Handlungen im Sinne eines Tableau vivant aufgeführt werden.

Seit seiner detailgetreuen Übertragung eines Fahrschulraums in einen Kunstraum verfolgte Bijl, wie er es programmatisch im »Kunstliquidations-Projekt« (1979) erklärt hatte, die Kunsträume wegen ihres geringen Nutzens für die Gesellschaft für soziale Belange umzufunktionieren.3 Die Rhetorik dieses Texts klingt ironischerweise so, als sei er von einer Regierung verfaßt. Diese theoretisch kunststrategische Grundlegung von Bijls Praxis bezog sich auf die soziopolitische Stimmung der späten 70er Jahre. Die Politik, so diagnostizierte Bijl, eignete sich die aufklärerische Rhetorik an, die seit 1968 für Unruhe sorgte. Vor diesem Hintergrund einer europaweiten politischen Wende muß das »Kunstliquidationsprojekt« von Bijl gesehen werden.

Bijl zeigte 1987 eine Gruppenausstellung, in der er vier fiktive künstlerische Positionen vorstellte:

»Four American Artists«4. Dazu entwarf er amerikanische KünstlerInnen mit einer Biographie, die auf die aktuellen Stilrichtungen Mitte der 80er Jahre in den USA Bezug nahmen. Alle diese

1 Mark Wigley, Architektur und Dekonstruktion: Derridas Phantom (1993), Basel 1994, 35.

2 Geboren 1946 in Antwerpen, Belgien.

3 »[...] wegen des funktionslosen Charakters der Kunst, wegen des Raumbedarfs, mit dem verschiedene Ministerien in letzter Zeit zu kämpfen hätten, wegen des anti-ökonomischen Gebarens des Kunsthandels, in dem Steuerbetrug an der Tagesordnung sei, wegen der dauernd steigenden Kosten des Kulturministeriums und wegen der anarchistischen Einstellung vieler zeitgenössischer Künstler.« Guillaume Bijl, Kunstliquidations-Projekt, zit. in: Anna Messeure, Guillaume Bijl: Installierte „ Fund-Stücke“ . Oder vom schönen Schein der Waren-Dinge, in:

Guillaume Bijl, Stellprobe, Museum am Ostwall, Dortmund 1988, 3; vgl. Guillaume Bijl, Kunstliquidatieproject, Provincial Museum Hasselt 1983, o.S.

4 Galerie Grazia Terribile, Mailand 1987, und: Stellprobe, Museum am Ostwall, Dortmund 1988.

künstlerischen Praktiken definierten sich über ihre aneignende Vorgehensweise: die Künstlerin Janet Fleisch präsentierte Neo-Geo-Installationen; William Hall adaptierte unterschiedlich gestaltete Flächen von Alltagsobjekten, die er zu einer Wandinstallation zusammenstellte; Sam Roberts brachte einen Holzbalkon mit einigen Alltagsgegenständen an der Wand des Ausstellungsraumes an; und Rick Tavares kombinierte unterschiedlich beschriftete Schilder und Gebrauchsobjekte zu einer Wandinstallation. Als Leihgeber trat unter anderen Guillaume Bijl auf.

Es erschien ein Katalog, der nur Bijls künstlerische Praktiken dokumentierte, und ein zweiter, der die vier amerikanischen KünstlerInnen präsentierte.

Bijl kommentierte dieses Projekt: »It was an attack on the international art consumption circuit, and the phenomena of group exhibitions and trendy art.«1 Da die hier dargestellten, im weitesten Sinne aneignend verfahrenden Kunstpraktiken durch innovative Formfindung zu charakterisieren sind, lassen sie sich nicht als ikonische Übernahmen bestimmter Vorbilder kritisieren. Im Sinn eines konzeptuellen Kommentars verweisen sie eher auf Verfahrensweisen und ihre Rezeption, für die im traditionellen Verständnis keine Vor-Bilder (Originale) existierten. Wie bereits im Zusammenhang mit Sherrie Levines Neo-Geo-Malerei angedeutet, bezieht sich diese Form der Appropriation art stattdessen auf einen bestimmten Kanon, der hinsichtlich formaler Abweichungen und Präsentationsweisen ntu gering variiert.2 Bijl erstellte jeweils ein kunststrategisches Konzept.

So kann die Ausstellung Four American Artists auch als konzeptuelle Untersuchung verstanden werden. Da im Katalog angegeben war, daß es sich um fiktive Künstler handelt, lieferte Bijl einen Schlüssel zum Verständnis.

Die Verwandtschaft zwischen Guillaume Bijls Four American Artists zu Weibels Inszenierter Kunst Geschichte besteht darin, daß sie beide ein fiktives Bild (Simulakrum) der amerikanischen Appropriation art entwarfen; beide verfuhren eben nicht direkt aneignend, anders als beispielsweise Sherrie Levine, die eine explizit ikonische Übernahme von Walker Evans’

Fotografien vornahm. Anders als Weibel verwies Bijl auf einen bestimmten Kanon, dem seine Arbeiten zuzuordnen sind; es kann formal aber kein grundlegender Unterschied zu den Arbeiten dieses Kanons behauptet werden. Insofern reproduzierte Bijls Installation Four American Artists die Gattungskriterien der Appropriation art, von denen sie hinsichtlich ihrer Konzeption, und nicht durch ihres sozialen Kontexts zu unterscheiden war. Auch bewahrte sich Bijl hinsichtlich der Autorschaft eine Indifferenz durch seine Intention, vier kanonische Verfahrensweisen zu realisieren, um diese zu persiflieren.

Bei der Beschreibung von Bijls Verfahrensweise wurde von »Realzitaten«3 gesprochen, aber auch ist wird zu fragen, ob dieser Begriff adäquat ist. Wenn Bijl im Sinne einer Transformation

1 Brigid Grauman, Guillaume Bijl – The conspicuous consumer, in: Art news, Jan. 1993, 121.

2 Vgl. Benjamin H. D. Buchloh, The Primary Colours for the Second Time. A Paradigm Repetition of the Neo-Avant-Garde, in: October 37, Sommer 1986, 41ff.

3 Katja Blomberg, Fata Morgana des Spießertums. Kampieren verboten oder Ironien des bürgerlichen Glücks: Guillaume Bijl im Middelheimpark, FAZ, 19.8.1994.

Installation das visuelle Gefüge eines ganzen Raums transferiert und nicht nur Elemente der Raumausstattung ändert, wandelt er mittels Aneignung in einen anderen Kontext auch die funktionale Struktur des Raums um; auf diese Weise wird erst das Bild des Raums erzeugt.1 Denn indem die BetrachterInnen diesen Transfer des bekannten Raumgefüges wie bei einem Déjà-vu-Erlebnis empfinden, nehmen sie die subtile Verfremdung war, die beispielsweise durch die Dysfunktion des Fahrschulraumes in einer Galerie oder einem Museum entsteht.2 In den Kunstraum transferiert, fungiert die Installation nur als Abbild und als Modell des jeweiligen Raumes; der Code des Raumes wird jenseits seiner ursprünglichen Intention komplett übertragen, aber ihm mangelt seine Funktion. Dem Objekt wird nicht wie im Falle von Joseph Kosuths »One and Three Chairs« eine schriftliche Definition und eine Abbildung hinzugefügt, womit die Differenz der Repräsentation didaktistisch dargestellt würde. Stattdessen müssen die BetrachterInnen diese Differenz in ihrer Erfahrung des Raumes selbst erzeugen. Dies folgt Bijls Konzept, daß die BetrachterInnen zunächst die fehlende Funktion des Raumes bemerken, erst dann in der Lage sind zu verstehen, daß dieser Raum wie sein Original funktionieren kann, und endlich sie selbst das Bild desjenigen Raumes visualisieren, in dem sie sich gerade aufhalten.3

Bei seinen Verfahrensweisen unterscheidet Bijl vier Konzeptionen: Mit den Transformation Installations importiert er funktionale Räume aus dem sogenannten Alltagsleben ins Museum; dort erhalten sie eine nur noch symbolische Funktion. Bijl wählt bevorzugt solche Räume aus, die mit Hilfe ihres ästhetischen Verweissystems soziale Handlungen beeinflussen: Verkaufs-, Schul- oder korporative Räume.4 Sie unterscheiden sich von seinen Installations Trouvées, oder Kompositionen durch die Komplexität ihres Raumentwurfs. Diese »Gefundenen Installationen«

spielen auf den von den Surrealisten benutzten Begriff des »Objet trouvé« an – den vorgefundenen trivialen Gegenstand –, der durch die Betrachtung, die Herauslösung aus seiner alltäglichen Funktion, zum poetisch aufgeladenen Objekt wird.

Bijl präsentierte beispielsweise Pokale in Vitrinen oder gruppierte auf kleinen Podesten Objekte nach scheinbar formalästhetischen Kriterien zu Ensembles, die er als nicht situationsgebundene, skizzenhafte Vorarbeiten zu den komplexeren Transformations-Installationen versteht.5 Eine dazu genau entgegengesetzte künstlerische Verfahrensweise stellen seine Situationsinstallationen dar, auch wenn sie teilweise identische Themen behandeln. Diese von ihm selbst konstruierten

1 Vgl. Frederick Leen, Guillaume Bijl – Reproduktion, Rekonstruktion, Typus, in: Kunstforum International, Bd. 91, 1987, 208.

2 Welche Irritation die Wahrnehmung in Bijls Räumen erfährt, wobei das entfremdete Gefühl

»weniger Lustgefühl als Unsicherheit und in ihrer Folge oft Aggression« hervorzurufen scheint, beschreibt: Christiane Vielhaber, Guillaume Bijl – Kunst-Konsum pur oder der schöne Schein der Dinge, in: Wolkenkratzer Art Journal, Nr. 2, 1987, 78.

3 Vgl. Leen, Reproduktion, Rekonstruktion, Typus, a.a.O., 208.

4 Vgl. den Begriff der halböffentlichen Raumsituationen, Christophe Schenker, Guillaume Bijl – Object of Desire, in: Flash Art, Nr. 156, Jan./Feb. 1991, 128.

5 Vgl. Guillaume Bijl, Eine Einführung, in: ders., Antwerpen 1996, 43 u. 45.

Raumsysteme oder Objekte werden in öffentliche Rdume versetzt, wo sie durch minimale Differenz zu ihrem Kontext kaum auffallen. Werden diese geringen Eingriffe wahrgenommen, lösen sie Irritationen aus: Lebensgroße Skulpturen von Vögeln auf Straßenlaternen, Bird Installation, oder, wie ebenfalls anläßlich der documenta 9 (1992), Die Geschichte der Documenta: Wachsmuseum.

In drei verschiedenen Schaufenstern waren Wachsfiguren von Joseph Beuys, Arnold Bode, dem Gründer der documenta, und seiner Frau, sowie dem damaligen Leiter der documenta 9, Jan Hoet, aufgestellt.

Vergleicht man die verschiedenen Verfahrensweisen von Bijl, wird klar, daß auch die Assemblagen der Ausstellung Four American Artists aus Readymades und Reproduktionen bestehen, die ihr Auftreten im Sinne einer Repräsentationskritik doppelt inszenieren: hinsichtlich der Strategie ihrer Präsentationsform und ihres Präsentationsortes.

Im Dokument Der Begriff des Fake (Seite 167-170)