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Resilienz weiterentwickeln mit der Kraft der Improvisation

Mag. Dr. Christian F. Freisleben-Teutscher, FH St. Pölten

Abstract

Improvisationsmethoden sind ein vielfältiges, leicht adaptierbares Methodenset, mit dem es auch möglich ist, sich intensiv mit verschiedenen Aspekten der Resilienz auseinanderzuset-zen. Sowohl auf einer inhaltlichen Ebene mit einer auch kritischen Auseinandersetzung mit dem Begriff als auch auf der Ebene Resilienz im wahrsten Sinn des Wortes zu erleben, als jeder Person zugängliche Ressource wahrzunehmen und weiterzuentwickeln.

1 Resilienz und Improvisation

Resilienz kann als grundlegende Kompetenz verstanden werden, auf die jede Person theore-tisch Zugriff hat (vgl. Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhof, 2020). Gleichzeitig ist Resilienz gerade in Zeiten der Krise ein wichtiges Element, um sich als Person (wieder) als selbstwirksam wahrzunehmen, entsprechende Ideen und Handlungsoptionen abzuleiten sowie diese auch in die Tat umzusetzen.

Ein wesentliches Gestaltungskriterium von innovativer Lehre ist deren kompetenzorientierte Ausrichtung. Es stellt sich die Frage, wie Studierende dabei unterstützt werden können, im Laufe einer Ausbildung Resilienz im Sinn einer überfachlichen Kompetenz weiterzuentwi-ckeln, ausgehend von einem selbstwertschätzenden Blick auf schon vorhandene Anteile (vgl.

dazu u. a. Berndt & Felix, 2020; Luks, 2020, Höfler, 2016).

Der Einsatz von Methoden aus der Angewandten Improvisation im Bildungsbereich ist spä-testens seit den 1920er Jahren ein Element, das sich auch in vielen Lehrveranstaltungen an Hochschulen wiederfindet. Wurzeln dieser Herangehensweisen lassen sich auf das Wirken von Reformpädagog*innen zurückführen, etwa im Sinn des Einsatzes von spielerischen Ele-menten in verschiedensten Unterrichtssettings.

Mit Angewandter Improvisation gemeint sind eine große Anzahl an Herangehensweisen:

Assoziationsmethoden mit Lauten, Gesang, Worten, Texten, Zeichnungen und dem Körper, sowie szenische Methoden. Ein gut geplanter und kontinuierlicher Einsatz in verschiedenen Phasen von Lehrveranstaltungen hat das Potential, den Umgang mit komplexen Wissensthe-men zu unterstützen, Lernprozesse zu initiieren und voranzutreiben sowie die Weiterentwick-lung überfachlicher Kompetenzen zu fördern. (vgl. u. a. Berk & Trieber, 2009; Jagiello-Rusi-lowski, 2016; Lee & Carpenter, 2015; Scruggs & McKnight, 2008, Stewart, 2016; Yamamoto, 2015). Damit gemeint sind ebenso Fähigkeiten die Resilienz in vieler Hinsicht ausmachen:

Sich selbst als Person zu erleben, die fähig ist mit einer gesunden Portion an Resilienz auf das Leben und anstehende Herausforderungen zu blicken. Dazu kommt die Kompetenz der

Wertschätzung sowohl in Bezug auf Ideen und Talente anderer Personen als auch von Ge-lungenen im eigenen Leben. Improvisationsmethoden unterstützen dabei, Krisen oder diese vorangehenden Muster als solche zu erkennen und zu akzeptieren. Akzeptanz bedeutet dabei ebenso, das Anerkennen, dass sich viele Schwierigkeiten und Rückschläge nicht alleine lösen lassen, dass es wichtig ist sich Unterstützung zu holen oder diese anzubieten – ein wesentli-cher Aspekt ist dabei Netzwerke auf- und auszubauen.

Mit Improvisationsmethoden ist es gut möglich Handlungsoptionen für Situationen zu entwi-ckeln, in denen Resilienz gefragt ist, sie in verschiedenen Intensitäten auszutesten und erste Erfolgsschritte als solche wahrzunehmen. Sie können demnach dabei helfen, Verantwortung zu übernehmen, sowohl für eigene Lernprozesse als auch für den Umgang mit drohenden oder schon existierenden Krisensituationen (Zu den Aspekten der Resilienz vgl. u. a. Heller, 2018).

So kann – wie auch beim Workshop bei der Tagung umgesetzt – mit Wort für Wort, oder Satz für Satz Assoziationsmethoden eine grundlegende Definition des Begriffs geschehen sowie gleichzeitig das Denken in Lösungsoptionen eingeübt werden. Vor allem auch mit Körper-bilder wird wahrnehmbar, wie sich Situationen anfühlen, wo Resilienz zu fehlen scheint und wo diese Ressource dann doch greifbar wird, sich auf Haltung in einem umfassenden Sinn auswirkt. Eine weitere Option, die ebenso bei der Tagung zum Einsatz kam, ist mit Bildern von Alltagsgegenständen zu arbeiten, diese im Sinn der Bricolage völlig neu zu kombinieren und dadurch detaillierte Erinnerungen an Situationen zu unterstützen, wo Resilienz konkret spürbar, in einem positiven Sinn gelebt wurde. Gleichzeitig können so Felder identifiziert, wo resilientes Denken und Handeln weiterentwickelbar ist.

Für die Hochschullehre bedeutet dies, dass Improvisationsmethoden das Potential ha-ben, die Schlüsselkompetenz Resilienz aus verschiedenen Perspektiven und in Bezug auf unterschiedlichste berufliche, private und gesellschaftliche Handlungsfelder zu analysieren.

Gefördert wird u. a. eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Herkunft des Begriffs, vor-handenen Forschungsansätzen und mit verschiedenen, wie resilientes Denken und Handeln unterstützt werden kann. Resilienz ist ja ein Thema, das etwa in allen beruflichen Feldern eine Rolle spielt, nicht nur in Bezug auf das Verhalten, Reaktionsmuster einzelner Personen, son-dern auch in Hinblick auf Resilienz auf Ebene von Institutionen, Organisationen und Teams.

Weiters kann Resilienz auf einer gesellschaftspolitischen Ebene betrachtet werden. Und ebenso kann der Begriff und mögliche Auswirkungen auf Rahmenbedingungen, auf Selbst- und Fremderwartungen – genauer betrachtet, im wahrsten Sinn des Wortes durchgespielt werden. Dazu mehr im nächsten Abschnitt.

2 Resilienz kritisch reflektieren

Improvisationsmethoden können ebenso dazu beitragen, den Begriff der Resilienz kritisch zu hinterfragen genauso wie andere Begrifflichkeiten oder gesellschaftliche Rahmenbedin-gungen. Zunächst dazu, warum dies wichtig ist: Der Begriff der Resilienz ist letztlich in vieler Hinsicht unscharf und lässt großen Raum zur Interpretation (vgl. Stamm & Halberkann, 2015).

Aus dem Fokus des Themas Nachhaltigkeit sowie dem Umgang mit gesellschaftlichen

Rah-menbedingungen wird „Resilienz“ ebenso sehr kritisch gesehen, als Form der Akzeptanz von Vorgängen die mittel- und langfristig Lebensgrundlagen gefährden oder zerstören. Gleichzei-tig angemerkt wird, dass es nicht darum könne, einzelnen angesichts von Umweltzerstörung, Armut, Hunger, sozialer Ungerechtigkeit … zu sagen, sie müssten eben mit diesen Herausfor-derungen als Einzelne resilient umgehen (siehe dazu etwa die Dokumentation des Symposi-ums „Fit für die Katastrophe?“ der Organisation Medico zu Resilienz https://www.medico.de/

resilienz). Gleichzeitig gibt es Ansätze, die Resilienz nicht als Akzeptanz, als Aushalten von lebensbedrohlichen Umständen sehen, sondern im Gegenteil diese als solche zu erkennen, benennen und sowohl auf gesellschaftlicher als auch individueller Ebene dagegen Ideen und Handlungsoptionen sowohl zu entwickeln als auch umzusetzen (vgl. Fathi, 2019; Heller, 2018).

Ein ähnliches Spannungsfeld ergibt sich bei einem Blick auf „Resilienz“ in Hinsicht von „Funk-tionieren“ im beruflichen Umfeld. Graefe (2019) und viele andere weisen darauf hin, dass Resilienz nicht gleichgesetzt werden dürfe mit einem „Funktionieren“ um jeden Preis, einem Aus- und Durchhalten. U. a. Cooper et. Al (2017) zeigen auch hier Resilienz auf, als Konzept, um Arbeitsprozesse und -umwelten gemeinsam zu gestalten, weiterzuentwickeln auf eine Weise, die auch auf die Gesundheit und verschiedene soziale Faktoren im Auge behält.

Improvisationsmethoden eignen sich sehr gut dafür, solche Gegensätze wahrnehmbar zu machen, sich verschiedenen Positionen anzunähern und dabei Varianten möglicher Betrach-tungsweisen und daraus resultierender Handlungsempfehlungen auszutesten. Ein Metho-denset das dazu sehr gut geeignet ist sind alle Herangehensweisen aus dem von Augusto Boal entwickelten Statuen- und Forumtheater (vgl. Odierna & Letsch, 2006): Gearbeitet wird dort mit verschiedensten Methoden, die zunächst dazu beitragen Räume und Menschen darin bewusst wahrzunehmen sowie mögliche Weise Räume – auch aus einer gesellschafts-politischen Perspektive – aktiv zu bespielen im Sinn von vielfältigen Optionen, sich in diesen selbstwirksam zu bewegen, Einfluss zu nehmen, Veränderungsprozesse zu initiieren und mitzugestalten. Viele Herangehensweisen von Boal finden sich in sehr ähnlicher Form in den von Viola Spolin gesammelten Methoden wieder (vgl. Spolin, 1999), welche den Ansatz der Angewandten Improvisation ab den 1920er Jahren maßgeblich mitgestaltet hat: Etwa basale Formen, sich miteinander durch einen Raum zu bewegen, Körperimpulse, Geräusche, Textfragmente anderer als Ausgangspunkte für eigenes Tun, für gemeinschaftlich entwickelte Ausdrucksformen zu nutzen.

Ein großes Potential der Methoden ist Situationen kreativ zu bearbeiten, wo Ohnmacht in seinen vielen verschiedenen Erscheinungsformen erlebbar war oder ist. Dabei kann ebenso analysiert werden, was eigene Handlungsoptionen sind und wo soziale, wirtschaftliche und sonstige Rahmenbedingungen ebenso kritisch in den Blick genommen werden müssen. Beim Forumtheater werden Szenen gemeinsam entwickelt, bis zu einem gewissen Punkt gespielt – etwa dort wo fehlende Resilienz sich besonders intensiv bemerkbar macht – und dann mit Variationen wiederholt. So werden alternative Handlungsoptionen, der Einsatz verschiedener Ressourcen zugänglich, gleichzeitig deutlicher wird, wo es Veränderungsprozesse auf einer lokalen, regionalen, globalen Ebene braucht, wobei aber wieder im Fokus stehen kann, was Einzelne bewirken können, um diese einzufordern, zu initiieren, sich partizipativ an Entwick-lung und Umsetzung zu beteiligen.

Literaturverzeichnis

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