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Resümee: Die Bedeutung der frühen Arbeiten für Flavins Lichtkunst

2 DIE INSTALLATIONS IN FLUORESCENT LIGHT VON DAN FLAVIN

2.2 Der Beginn der künstlerischen Karriere

2.2.3 Resümee: Die Bedeutung der frühen Arbeiten für Flavins Lichtkunst

In den Arbeiten der fünfziger und frühen sechziger Jahre war Flavin auf der Suche nach einem individuellen Stil. Er beschäftigte sich sowohl mit der historischen als auch der zeitgenössischen, mit der amerikanischen, der europäischen und der ost-asiatischen Kunst, indem er in Museen und Galerien die Originale studierte, Repro-duktionen kopierte und sich in Stilen verschiedener Künstler versuchte. Aber auch die kontinuierliche Lektüre von "Artnews" über die aktuellen Ausstellungen sowie Flavins Auseinandersetzung mit der historischen Kunst darf nicht unterschätzt werden.

Flavins Arbeiten von 1957 bis 1961 weisen eindeutig Analogien zu Werken zeitge-nössischer New Yorker Künstler auf. In der gestischen, expressiven Malweise exi-stieren Bezüge zu jenen des Action Painting eines Pollock oder de Kooning. In der Verwendung von Fundmaterialien sind Parallelen zu den zeitgenössischen

163 Flavin berichtete von dieser Begegnung am 9. August 1962 in seinem Notizbuch. Zitiert nach Smith 1969, S. 176.

164 Vgl. Dan Flavin im Brief vom 19. Februar 1963 an Seymor H. Knox, den Präsidenten der Albright-Knox Art Gallery in Buffalo, New York, teilweise zitiert in: Flavin, Köln 1973/1974, S. 12.

165 Rothko versuchte mit Hilfe von Aquarellen ein "inner light" zu erzielen. Vgl. John Gage: Rothko:

Color as Subject, in: Mark Rothko, Ausstellungskatalog, Washington National Gallery of Art, New Haven / London, 1997, (S. 246–263), S. 250.

künstlerischen Äußerungen des New Realism und der Junk Art zu sehen.166 Der Einsatz des monochromen Farbauftrags erinnert an die Malerei des Colourfield Painting, wie von Mark Rothko und Barnett Newman, aber auch an Werke der jüngeren Künstler Jasper Johns und Robert Ryman. Flavin verarbeitete die New Yorker Tendenzen und suchte zugleich nach einer anderen, individuellen Sprache, die er von traditionell ausgeführten Arbeiten über die Assemblagen zuerst in den icons finden sollte. Denn in den icons gelangte Flavin zum Einsatz von elektrischem Licht, das seine Kunst bis zu seinem Lebensende begleitete.

Anhand von Flavins Frühwerk kann die Entwicklung zu den installations in fluorescent light gut nachvollzogen werden, die abschließend im Hinblick auf das Motiv, den Farb-auftrag, die Trägerform, die Größe und das Material zusammengefasst werden soll.

Manchmal bezog sich Flavin in den abstrakten frühen Werken auf ein gegenständ-liches Motiv, zum Beispiel ist im Gemälde the building on Jane Street no. 1 das Ge-bäude der Polizeiwache in der Jane Street abstrahiert dargestellt.167 Jedoch kann das im Titel benannte Motiv als solches nicht erkannt werden. Anstelle einer mimetischen Darstellung steht das Experimentieren mit Farbe und der Malprozess im Vordergrund.

Dieses verbindet Dan Flavin mit den Künstlern des Abstrakten Expressionismus.

Mit der Integration von Fundmaterialien, womit Flavin parallel zu seinen Zeitgenos-sen Rauschenberg und Johns begann, stand nicht mehr allein die Malerei im Mittel-punkt der Arbeit. Wie bei den abstrakten Farbkompositionen erkannte Flavin zum Bei-spiel in den aufgebrachten Blechdosen der Assemblage Thomas Aquinas Doctor of Canon Law mimetische Inhalte und Konnotationen, die er im Titel, sicherlich mit einem ironischen Unterton, benannte.168 Waren Werke wie diese noch von einem spezifischen Motiv bestimmt, so war mira mira (to Mrs. Brody) ohne bildliche Konnota-tionen. In den icons trat schließlich das zentrale Objekt der Assemblagen zugunsten eines leeren Trägers zurück, an dessen Seiten elektrisches Licht befestigt wurde.

Trotz Eliminierung des Motivs waren auch diese Konstruktionen mit symbolischen Assoziationen behaftet, die Flavin im Titel determinierte.169

166 Es verwundert daher nicht, dass einige Werke Flavins 1960 neben Werken von Jim Dine, Claes Oldenburg, Jasper Johns und Robert Rauschenberg in der Ausstellung New Forms – New Media der New Yorker Martha Jackson Gallery ausgestellt waren.

167 Smith verweist bezüglich der Arbeit auf die Polizeiwache. Smith 1969, S. 62.

168 Durch die "Darstellung" von Thomas Aquinas Doctor of Canon Law mithilfe von Blechdosen ironisierte Flavin die heilige Persönlichkeit.

169 Die Ambivalenz von symbolischer Anspielung und Ironie kommt auch in anderen Lichtkonstruktionen dieser Zeit zutage, wie z. B. dem East New York Shrine von 1962–1963 (Licht-Dosen-Konstruktion: Dose, Porzellanfassung mit Kette, Aerolux Lite Glühlampe und schwarze Glasperlen eines Rosenkranzes. 11 ½ x 4 ½ in. bzw. 29,2 x 11,5 cm. Siehe Flavin, Ottawa 1969, No. 55) oder Barbara Roses von 1962–1964

Flavin war in den Gemälden und Aquarellen von einer abstrakt expressionistischen Malweise ausgegangen, die verschiedene Farben erkundete und die malerische Geste in den Vordergrund stellte. Bei den Assemblagen, wie mira mira (to Mrs. Brody), entschied sich Flavin für einen monochromen Farbauftrag, der immer noch gestisch und pastos war und die Handschrift des Künstlers durch die Pinselspur betonte. In den anschließenden icons nahm Dan Flavin Abstand von einem pastosen und gestischen Auftrag und wählte einen möglichst glatten Farbauftrag. Flavin bemühte sich offensichtlich darum, die subjektive Handschrift des Abstrakten Expressionismus zu eliminieren. Diese erstrebte Nüchternheit wurde durch den Einsatz des elektrischen Lichts unterstützt. Gleichzeitig konnte Flavin neben dem materiellen Farbauftrag einen immateriellen an der Wand erreichen.

Sind die ersten Arbeiten der Gemälde und Aquarelle rechteckig, so wählte Flavin für die icons stets ein quadratisches Format. Die quadratische bzw. die nahezu-quadrati-sche Form taucht in Flavins installations in fluorescent light immer wieder auf, wie zum Beispiel in der Vielzahl von Variationen der nahezu-quadratischen Eckarbeiten, near-square cornered installations.

In sechs seiner icons stimmen Breite und Höhe der Konstruktion fast überein, so-dass die Installationen ähnlich und doch verschieden sind. "I had to start from that blank, almost featureless, square-fronted construction with obvious electric light which could become my standard yet variable emblem – the 'icon'."170 Flavin nahm in den icons das Prinzip der Variation voraus, das er in raffinierter Weise für die installations in fluorescent light weiter entwickeln sollte.

Flavin arbeitete am Beginn seiner künstlerischen Karriere in kleinen Dimensionen, in den icons wurden sie etwas größer. In sechs der icons entspricht Breite und Höhe der Konstruktion der Länge einer standardisierten 2-ft-Lampe, von der Flavin bei der Wahl der Größe wahrscheinlich ausgegangen war, da Lampe und Konstruktion genau gleich abschließen. Die Lampenlänge bestimmte die Ausmaße der Konstruktion. Für die erste installation in fluorescent light, die Wandarbeit the diagonal of May 25, 1963 (to Constantin Brancusi) von 1963 (Abb. 19) wählte Flavin aber nicht die zuvor erprobte 2-ft-Lampe, sondern eine viermal so lange 8-ft-Lampe.

(Lichtkonstruktion: Terrakotta-Blumentopf, Porzellanfassung mit Kette und Aerolux Flowerlite Glühlampe.

8 ½ in. bzw. 21,5 cm hoch. Siehe Flavin, Ottawa 1969, No. 67.) 170 Flavin 1964/1965, S. 18.

Zudem fällt auf, dass Dan Flavin mithilfe der Tiefe der Konstruktionen immer weiter in das Raumvolumen des Raums vordrang. Dies sollte er in den installations in fluorescent light fortsetzen bis er sogar einen Gesamtraum durch Konstruktion und Lichtwirkung einnahm.

Bezüglich der Anwendung von Objets trouvés in Flavins Assemblagen sind Parallelen zu seinen Zeitgenossen zu sehen. Auch die Künstler des New Realism und der Junk Art integrierten gefundene Abfallmaterialien in ihre Werke, ein Schritt, der in der da-maligen Zeit ein Affront gegen die intellektuelle Kunst des Abstrakten Expressionismus war. Doch Flavin entfernte sich wieder vom New Realism und der anschließenden Pop Art, da er schließlich anstelle eines gebrauchten und gefundenen Abfallmaterials eine neue elektrische Lampe auf dem Träger installierte. Das Material, das jedem als alltägliches Beleuchtungsmittel bekannt war und ist171, fand er nicht auf der Straße, sondern erwarb es in einem Kaufhaus. Vergleicht man Flavins Integration von elektrischem Licht mit der Verwendung von Licht bei den New Realists, die zum Teil elektrisches Licht auf einem expressiv behandelten Träger anbrachten, wandte Flavin das Material "clean" an. Diese Klarheit und Reinheit wurde durch die glatte und monochrome Malerei des Trägers unterstrichen.

Flavins radikaler Schritt bezüglich des Materials bestand letztlich darin, dass er sich von den traditionellen Materialien Pigmentfarbe und Träger, die er in den icons noch anwandte, völlig lossagte und sich in der ersten installation in fluorescent light allein für die Installation einer Leuchtstofflampe an einer Wand entschied. Noch kein Künstler hatte zuvor eine Leuchtstofflampe – bestehend aus Halterung und Röhre – an einer Wand installiert. Das Material der "Neon"-röhre hatte dagegen bereits in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts Einzug in die bildende Kunst gehalten.

Das Frühwerk belegt, dass Flavin, dessen installations in fluorescent light in der Lite-ratur sehr häufig der Skulptur zugeordnet werden, seine künstlerischen Prinzipien aus der Malerei entwickelte; Aspekte der Malerei kamen in den späteren Werken immer wieder zum Tragen. Diese Aspekte gilt es in der vorliegenden Arbeit aufzuzeigen.

Zudem wollte sich Flavin zunehmend von einer Symbolik entfernen. Die durch das Licht erzielten magischen Momente der icons, die er durch seine Titelgebung172 unter-stütze, suchte Flavin im System der installations in fluorescent light aufzugeben. Die in

171 Die Art der Glühlampen – Glühbirne mit hellgrauer Halterung – von icon II und icon III entsprachen jenen der Deckenbeleuchtung im Dia Center for the Arts, in dem sie 1997 gezeigt wurden.

172 Vgl. William S. Wilson: Dan Flavin: Fiat Lux, in: ARTnews, Vol. 68, No. 9, Januar 1970, (S. 48–51), S. 49.

den icons vorherrschende Symbolik des Lichts sollte durch die Klarheit des Lichts in den installations in fluorescent light ersetzt werden. "I want clarity not mystification.“173