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Der Begriff Minimal Art und seine kunstgeschichtliche Genese

Im Dokument der Minimal Art und der Kunstlicht-Kunst (Seite 136-141)

3 DIE KUNST DAN FLAVINS IM KONTEXT DER MINIMAL ART

3.1 Der Begriff Minimal Art und seine kunstgeschichtliche Genese

Während sich die Minimal Art im engeren Sinne auf dreidimensionale Objekte bezieht, wie sie die fünf so genannten Hauptvertreter schufen, werden in einem weiteren Sinne auch malerische Ausdrucksformen hinzugezählt28, wie die Werke von Robert Ryman oder Robert Mangold. Eine malerische Ausformulierung ist allerdings zu den Ansätzen der Künstler Donald Judd und Dan Flavin widersprüchlich, die sich in ihrer Kunst mithilfe der dreidimensionalen Objekte von der Malerei befreit hatten. Flavin und Judd lehnten ebenso die traditionelle Gattungsbezeichnung Skulptur ab, mit der ihre Werke gewöhnlich verbunden werden.

In der Regel wird der Begriff Minimal Art mit dem des Minimalismus synonym verwendet, jedoch sind sie im eigentlichen Sinne zu unterscheiden. Während sich Minimal Art auf eine Tendenz der "Skulptur“ in den sechziger Jahren bezieht, ist Minimalismus ein allgemeineres, historisches Phänomen, das neben der Skulptur in Malerei, Tanz29, Musik30, Film, Literatur und Architektur31 der sechziger Jahre zu be-obachten ist.32 Die minimalistischen Tendenzen in den verschiedenen Disziplinen ent-wickelten sich unabhängig voneinander und können als eine Ausdrucksform der damaligen Zeit angesehen werden. Minimalismus ist von Einfachheit, minimalen Inhalten und Repetitionen bestimmt.

Der umfassendere Begriff des Minimalismus wird aber nicht allein auf die verschiedenen Disziplinen in den sechziger Jahren angewendet, sondern auch auf

25 Vgl. Glaser, Interview Judd and Stella, 1966. Vgl. Meyer 1997, S. 92–104, 413–420.

26 Vgl. Meyer 1997, S. 92.

27 Vgl. Meyer 1997, S. 92.

28 Peter Schjeldahl unterscheidet zwischen der Minimal Art als Skulptur-Bewegung und einer minimalistischen Sensibilität, die in allen Bereichen der Kunst, vor allem in Musik und Tanz, vorhanden war. Vgl. Peter Schjeldahl: Minimalism, in: Art of Our Time: The Saatchi Collection, Vol. 1, New York 1984, S. 11–27.

29 Z. B. im Tanz von Trisha Brown, Lucinda Childs, Simone Forti, Yvonne Rainer oder Robert Morris. Vgl.

Stemmrich, Vorwort, 1995, S. 15.

30 Z. B. in der Musik von Philip Glass, La Monte Young, Steve Reich oder Terry Riley. Vgl. Stemmrich, Vorwort, 1995, S. 15. Vgl. Sabine Sanio / Nina Möntmann / Christoph Metzger: Minimalisms, Ostfildern 1998. Vgl. Strickland 1993, S. 119–253.

31 Z. B. in der Architektur von Louis Kahn.

32 Vgl. Stemmrich, Vorwort, 1995, S. 15. Vgl. Strickland 1993.

künstlerische Ausdrucksformen der siebziger und achtziger Jahre.33 Somit wird der Begriff auch auf Kunstrichtungen und Einzelpositionen der siebziger und achtziger Jahre bezogen, die auf die Minimal Art reagiert und diese zu erweitern oder zu überwinden versucht hatten.34

Während Mitte der sechziger Jahre der Begriff der Minimal Art zu einer neutralen Bezeichnung für eine bestimmte Richtung der Kunst geworden war35, die je nach Kriti-ker positiv oder negativ bewertet wurde36, wurde nach Gregor Stemmrich der Begriff Minimal Art bzw. die Eigenschaft minimalistisch seit den späten siebziger Jahren zu einem "Schimpfwort". Hal Foster ist der Meinung, dass die Bezeichnung der Minimal Art von Anfang an negativ belegt war. Die Formen der Minimal Art wurden in den sechziger Jahren nach Foster als reduzierend und nihilistisch angesehen. In den achtziger Jahren hatte die Abwertung zugenommen, die Kunst der Minimal Art galt nach Foster als öde und irrelevant.37 Foster nennt für den Rundumschlag gegen die Minimal Art, der allerdings nicht eine Ablehnung vonseiten der Museen bedingte, zwei Ereignisse: "in the 1960s by a recognition that minimalism threatens modernist practice – more, that it consummates it, completes and breaks with it at once; and in the 1980s by the implementation of a cultural policy in which a general trashing of the 1960s is used to justify a return to tradition."38 Foster sieht die Minimal Art als Scheidepunkt, als die Crux zwischen Moderne und Postmoderne an, sie ist nach Foster einerseits eine der letzten Ausdrucksweisen der Moderne, andererseits der Beginn der Postmoderne.39 Versteht man unter Postmoderne40 allerdings eine Ausdrucksweise, die in den sechziger Jahren mit ihren pluralistischen, expressionistischen und ironischen Ausdrucksformen Einzug hielt, kann die Minimal Art nicht hinzugezählt werden.

In den neunziger Jahren war man, wenn man den etikettierenden Begrifflichkeiten folgt, in der Zweiten Moderne41 angelangt. In der Kunst und anderen Disziplinen konnte eine historische Verarbeitung und Wiederaufnahme des Repertoires der

33 Das weit definierte Phänomen des Minimalismus in der bildenden Kunst der sechziger bis achtziger Jahre wird in Kenneth Bakers Buch "Minimalism – Art of Circumstance" deutlich. Vgl. Kenneth Baker:

Minimalism – Art of Circumstance, New York 1988.

34 Vgl. Stemmrich, Vorwort, 1995, S. 16.

35 Vgl. Stemmrich, Vorwort, 1995, S. 14.

36 Waren die Ausstellungen von Flavin und Judd Anfang 1964 noch heftig umstritten, so begannen nach James Meyer die Kritiker mit Morris' Ausstellung Ende 1964 Gefallen an den einfachen Objekten zu fin-den. Vgl. Meyer 1997, S. 130.

37 Vgl. Foster 1986, S. 162.

38 Foster 1986, S. 162.

39 Vgl. Foster 1986, S. 174–175.

40 Zum Begriff der Postmoderne vgl. Klotz 1994. Klotz definiert den Begriff anhand der Malerei und Architektur, die Skulptur lässt er unberücksichtigt.

41 Zum Begriff der Zweiten Moderne vgl. Klotz 1994.

Moderne, unter anderem der Minimal Art, beobachtet werden.42 Einer der zeitgenössi-schen Künstler, der die einfachen Formen der Minimal Art, aber auch anderer Kunst-richtungen, die geometrische Formen zur Grundlage haben, aufgreift und erweitert, ist Wolfgang Laib.43 In einigen Werken lässt er mit Blütenstaub ein Quadrat auf dem Boden eines Ausstellungsraums entstehen. Wie die Minimal Art bedient er sich realer geometrischer Formen im realen Raum. Im Unterschied zur Minimal Art ist die Form aus einem ephemeren Material, einem Produkt der Natur.

Die historische Bedeutung der Minimal Art lag nach Gregor Stemmrich darin, dass es sich um die erste amerikanische Kunstrichtung handelte, zu der es in Europa keine

"Parallele" gab.44 Vorausgehende amerikanische Kunstrichtungen, wie der Abstrakte Expressionismus, der New Realism oder die Pop Art wiesen Parallelen zu euro-päischen Kunstrichtungen auf.

Die Möglichkeit zur Entwicklung einer international bedeutenden Kunstrichtung hängt damit zusammen, dass die US-Künstler erstmals auf bzw. gegen eine international wichtige Stilrichtung ihres Landes reagieren konnten: in ihren neutralen und maschinell erstellten Objekten verzichteten sie in Abkehr von den Ansätzen des Abstrakten Expressionismus auf eine subjektiv gestische Ausdrucksweise und manuelle Herstellung. Mit dem Abstrakten Expressionismus verband sie jedoch die Absicht sich von der europäischen Tradition abzugrenzen. Die amerikanischen Künst-ler wollten sich vollständig von der Kunst Europas befreien, welche die Moderne und die westliche Kunstgeschichte bestimmt hatte.45

Da es sich bei der Minimal Art um eine Tendenz handelt, die parallel, aber unabhängig in Werken verschiedener Künstler aufkam, war keine einheitliche Bezeichnung von Anfang an gegeben. Die neue Tendenz wurde von Kritikern und Kuratoren unter

42 Zur historischen Verarbeitung der Minimal Art in der bildenden Kunst der neunziger Jahre vgl. Minimal Maximal 1998. Zum New Minimalism der neunziger Jahre vgl. Brett Steele: Die Moderne in Verkleidung, in: Werk, Bauen + Wohnen, No. 4, April 1998, (S. 7–13), S. 7. Als Architekten des New Minimalism können u. a. Herzog & De Meuron, David Chipperfield, John Pawson und Peter Zumthor angesehen wer-den.

43 Vgl. Wolfgang Laib, Ausstellungskatalog, Kunstmuseum Bonn / The Museum of Contemporary Art, Los Angeles, Ostfildern-Ruit 1992.

44 Vgl. Stemmrich, Vorwort, 1995, S. 11.

Stefan Germer antwortet auf Stemmrichs Behauptung einer amerikanischen Kunstrichtung ohne euro-päische Parallele, dass diese Sichtweise richtig, aber auch verkürzend sei. Vgl. Stefan Germer: Nachtrag, in: Texte zur Kunst, Vol. 6, No. 24, November 1996, (S. 160–161), S. 160. Germer kritisiert in seinem Aufsatz die in Deutschland unreflektierte Rezeption, die erstmals mit Stemmrichs Sammelband 1995 aufgebrochen wurde.

45 So sagte beispielsweise Donald Judd im Interview mit Bruce Glaser, dass ihn Neo-Platizismus und Konstruktivismus mehr interessieren als früher, dass er aber niemals von diesen beeinflusst gewesen

anderem 1965 als Cool Art46, 1965 als Specific Objects47, 1965 als ABC Art48, 1966 als Primary Structures49, 1967 als Literalist Art50 und 1969 als Structurist Sculpture51 bezeichnet.52

Als erstmals der Begriff Minimal Art 1965 als Titel eines Aufsatzes des englischen Kunstphilosophen Richard Wollheim aufkam53, besprach der Autor allerdings nicht die Kunstwerke der Minimal Art. Trotzdem gilt der Text als eine Quelle der Diskussion über die Minimal Art und erschien zum Beispiel in Battcocks Anthologie "Minimal Art" von 1968.54 Bezogen hatte sich Wollheim auf ein allgemeines Phänomen der Kunst des 20. Jahrhunderts: auf minimale Inhalte. Wie der Autor später mitteilte, waren ihm zum damaligen Zeitpunkt die Werke der so genannten Hauptvertreter der Minimal Art nicht bekannt gewesen.55 Als Beispiele für Kunst mit minimalen Inhalten erwähnte Wollheim Gemälde von Ad Reinhardt und die Readymades von Marcel Duchamp.56 Kunst mit minimalen Inhalten wurden wegen der "zu einfachen" Formen und der fehlenden künstlerischen Handschrift kritisiert. Wollheim erkannte dabei eine Verschiebung von der traditionellen handschriftlichen zur neuen konzeptionellen Qualität eines Kunstwerks.57

war, sondern von dem, was in der USA passierte. Vgl. Glaser, Interview Judd und Stella, 1966, S. 58. Zur allgemeinen Abgrenzung von der Kunst in Europa vgl. Polcari 1993, S. 80; vgl. Franz 1996, S. 18.

46 Vgl. Irving Sandler: The New Cool-Art, in: Art in America, Vol. 53, No. 1, Januar [/Februar] 1965, S. 96–101. Sandler bezeichnet in seinem Artikel Kunst der später etikettierten Pop Art und Minimal Art als

"Cool Art". Er sah diese Reaktion der sechziger Jahre in Opposition zur Kunst des Abstrakten Expres-sionismus der vierziger und fünfziger Jahre.

47 Vgl. Judd 1965; wieder abgedruckt in: Judd, Complete Writings, 1975, S. 181–189.

48 Vgl. Barbara Rose: ABC Art, in: Art in America, Vol. 53, No. 5, Oktober/November 1965, S. 57–69.

49 Vgl. Primary Structures 1966.

50 Vgl. Fried 1967; wieder abgedruckt in: Battcock 1968, S. 116–147.

51 Vgl. Lucy R. Lippard: 10 Strukturisten in 20 Absätzen, in: Minimal Art, Ausstellungskatalog, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, Berlin, 1969, S. 10–17. Zu weiteren Bezeichnungen der Minimal Art vgl. Strickland 1993, S. 17.

52 Wie Meyer herausstellte, wurde der Diskurs zur "minimalen" Ausdrucksweise bereits 1964 in einigen Aufsätzen zur Kunst von Judd, Morris u. a. angesprochen. Vgl. Meyer 1997, S. 186. Zur Verwendung des Begriffs "Minimum" durch Barbara Rose vgl. Waldman 1997, S. 38.

53 Vgl. Richard Wollheim: Minimal Art, in: Arts Magazine, Vol. 39, No. 4, Januar 1965, S. 26–32.

54 Vgl. Battcock 1968.

55 Vgl. Brief von Richard Wollheim an James S. Meyer, zitiert in: Meyer 1997, S. 214.

56 Eine Fortsetzung von Wollheims Vergleich Reinhardt/Duchamp bzw. Modernismus/Dadaismus bzw.

Monochrom/Readymade findet man im Aufsatz von Barbara Rose, die Duchamp als Beispiel des Dadaismus und Malewitsch als Beispiel des Modernismus anführt. Vgl. Meyer 1997, S. 195. Barbara Rose sah in den Arbeiten der Minimal Art eine Synthese von Werken Malewitschs und Duchamps.

Vgl. Rose 1965. Vgl. Michael Craig-Martin: The Art of Context, in: Minimalism, Ausstellungskatalog, Tate Gallery Liverpool 1989, (S. 6–7), S. 7.

57 Auch in der traditionellen Kunst gehörte zu der handwerklichen Ausführung ein vorhergehendes Konzept. Das Konzept isolierten Künstler des 20. Jahrhunderts von dem Handwerklichen. Vgl. Wollheim 1964, S. 31.

Stemmrich stellte treffend fest, dass die von der Kunstkritik als "Minimal Art“ bezeich-nete Kunst, bestenfalls ein weiteres Fallbeispiel für das war, was Wollheim unter Minimal Art verstehen wollte.58

Nach Frances Colpitt fand die erste Ausstellung der Minimal Art im Februar 1963 mit Werken der Künstlerin Anna Truitt in New York statt.59 Die im Laufe der Zeit als fünf Hauptvertreter der Minimal Art bezeichneten Künstler Andre, Judd, Flavin, LeWitt und Morris waren in den sechziger Jahren in Einzel- oder in Gruppenausstellungen in New York zu sehen.60

Die erste Ausstellung in einem Museum mit Überblickscharakter fand mit Primary Structures: Younger American and British Sculptors im Frühjahr 1966 unter Leitung von Kynaston McShine im New Yorker Jewish Art Museum statt.61 Sie zeigt, dass die Minimal Art 1966 vonseiten der Institution Museum akzeptiert worden war. "Primary Structures" wurde zu einer der vielen kursierenden Bezeichnungen für die später so benannte Minimal Art.62 Interessant an dieser Ausstellung ist, dass, obwohl die Minimal Art allgemein als amerikanische Tendenz gilt, auch britische Künstler präsentiert wurden. Dies zeigt, dass nicht allein in New York, sondern national und international ein Bedürfnis nach einfachen Formen, minimalen Inhalten, industriellen Materialien und großen Dimensionen vorhanden war.63 Die Minimal Art ist somit als eine künstlerische Ausdrucksweise zu verstehen, die in den sechziger Jahren sowohl in New York als auch an der Westküste und in Europa aufzufinden ist.64

In der zwei Jahre später, 1968 stattfindenden Ausstellung Minimal Art des Den Haager Gemeentmuseum tauchte die endgültige Bezeichnung der Stilrichtung erst-mals als Titel für eine Museumsausstellung auf – der Begriff Minimal Art begann sich durchzusetzen. Im gleichen Jahr erschien Gregory Battcocks Anthologie "Minimal Art".

Für die Ausstellung Minimal Art wurden unter Beratung von Lucy Lippard zehn wichtige

58 Vgl. Stemmrich, Vorwort, 1995, S. 13.

59 Vgl. Colpitt 1990, S. 1.

60 Flavin stellte im März mit some light, Kaymar Gallery, New York, und im November/Dezember 1964 mit fluorescent light, Green Gallery, New York, erstmals installations in fluorescent light in New York vor;

Judds erste Einzelausstellung fand im Dezember 1963 / Januar 1964 in der Green Gallery, New York, statt (Vgl. Donald Judd, Ausstellungskatalog, National Gallery of Canada, Ottawa 1975, S. 283. Vgl.

Meyer 1997, S. 60); Robert Morris' erste Ausstellung im Dezember 1964 in der Green Gallery, New York (Vgl. Meyer 1997, S. 129); Carl Andres erste Einzelausstellung im April 1965 in der Tibor de Nagy Gallery, New York (Vgl. Meyer 1997, S. 127).

61 Vgl. Primary Structures 1966. Vgl. Meyer 1997, S. 13–38.

62 Dan Flavin war mit monument 4 for those who have been killed in ambush (to P. K. who reminded me about death) vertreten. Zur Problematik der vereinheitlichten Bezeichnung "Primary Structures", die einigen Arbeiten der Ausstellung widerspricht, vgl. Meyer 1997, S. 20–21.

63 Zu diesen Kennzeichen vgl. Kynaston McShine: Introduction, in: Primary Structures 1966, o. S.

64 Im Zuge der Ausstellung Primary Structures: Younger American and British Sculptors bediente sich auch die Modebranche der minimalistischen Kennzeichen. Vgl. dazu Meyer 1997, S. 22–23.

Minimalisten der USA in Europa vorgestellt: neben Carl Andre, Dan Flavin, Donald Judd, Sol LeWitt und Robert Morris standen Ronald Bladen, Robert Grosvenor, Tony Smith, Robert Smithson und Michael Steiner.65 Das Jahr 1968, in dem die Ausstellung stattfand, gilt als der Hochphase der Minimal Art zugehörig.66

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