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Das Material der Leuchtstofflampe: die Konstruktion

2 DIE INSTALLATIONS IN FLUORESCENT LIGHT VON DAN FLAVIN

2.4 Die künstlerischen Prinzipien der realisierten proposals

2.4.2 Dan Flavins kontinuierliche Anwendung seiner Materialien

2.4.2.2 Das Material der Leuchtstofflampe: die Konstruktion

Lediglich in den Jahren 1963 und 1964 realisierte Flavin installations in fluorescent light mit einer einzelnen Lampe. Alle weiteren geplanten und realisierten Arbeiten be-stehen aus Akkumulationen von zwei oder mehr Lampen. Platziert wurden die Instal-lationen an Wand, Ecke, Decke oder Boden, wobei die Architekturelemente Wand und Ecke am häufigsten besetzt wurden. Sehr oft verband Flavin mit einer Konstruktion mehrere Architekturelemente, die Raumbarriere an artificial barrier of blue, red and blue fluorescent light (to Flavin Starbuck Judd) beispielsweise zwei gegenüberliegende Wände.

Flavin setzte die Lampen auf verschiedene Weise einfallsreich zusammen. Die Lam-pen sind neben-, über- oder gegeneinander angeordnet. Sie weisen parallel in eine

302 Eine weitere Arbeit mit solchen metallenen Einfassungen ist untitled (to Helen) von 1978.

303 Vgl. Renate Puvogel: Dan Flavin. Bild-Objekte oder Licht-Körper, in: Künstler. Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, Ausgabe 13, München 1991, S. 10.

304 Puvogel verwies bei brieflicher Anfrage der Autorin auf die Baden-Badener Ausstellung.

305 Vgl. Huber 1975, o. S.

oder auch in verschiedene Richtungen.306 Sie bleiben an der Wand bzw. einem Archi-tekturelement oder ragen in den Raum. Sie bilden eine geometrische oder eine frei er-fundene Form. Die geometrischen Formen Rechteck und Quadrat, mit denen Flavins Kunst so oft identifiziert wird und der so genannten Minimal Art zugerechnet wird, stellen dabei nur eine mögliche Form der Objektkonstruktion dar. Andere häufig eingesetzte Konstruktionsformen sind die T-Form307 oder die einfache Linie im Raum.

Mit der Eckarbeit untitled (to Frank Stella) von 1966308 fand Flavin das erste Mal zu der raffinierten Konstruktionsart, Lampen entgegengesetzt zu positionieren. Eine Lampe, in späteren Arbeiten auch ein Lampenverband, ist als Lichtstreifen zum Raum gerichtet und strahlt in diesen, die andere Lampe, in anderen Arbeiten auch ein Lampenverband, strahlt in die Ecke und erleuchtet diese in Farbzonen. In untitled (to Frank Stella) zeigt ein pinkfarbener Lichtstreifen zum Raum, die gelbe Lampe dagegen leuchtet die Ecke aus. Flavin entwickelte die Möglichkeit der entgegengesetzten Lampen weiter. Eine Ausdrucksform fand er in Eckarbeiten, zu denen die near-square cornered installations und einige Eckarbeiten in T-Form zählen; für sie gilt generell, dass die horizontalen Lampen in den Raum und die vertikalen in die Ecke strahlen. Die leuchtenden Linien der horizontalen Lampen und die Linien der vertikalen Halterungen liegen vor der immateriellen Ausmalung der Ecke, die durch das Licht der vertikalen Lampen erzielt wird.309

Weisen die eben besprochenen Arbeiten sowohl vertikale als auch horizontale Lampen auf, konzipierte Flavin auch Arbeiten mit ausschließlich vertikalen oder hori-zontalen Lampen. Dazu zählen Installationen, bei denen die Lampen bzw. der Lam-penverband die Konstruktionsart Halterung an Halterung aufweisen. Beispiele dafür finden sich in Eckarbeiten, in konstruierten Korridoren oder auch in Installationen für besondere Architekturelemente. Bei der Eckarbeit untitled von 1976 (Abb. 72) befinden sich zum Beispiel zwei kürzere Lampen an einer längeren, wobei die längere zum Raum gerichtet ist und die anderen beiden entgegengesetzt. Die Arbeit ist leicht

306 Die Platzierung der Lampen in verschiedene Richtungen hatte Flavin schon in den icons erprobt. Die erste Arbeit ausschließlich aus fluoreszierenden Lampen, die in drei Richtungen weist (nach vorne, nach links und nach rechts), ist three fluorescent tubes von 1963 (eine 4-ft-Leuchtstofflampe in Gelb und zwei 4-ft-Leuchtstofflampen in Rot, 4 ft hoch / 122 x 22 x 16 cm). Eine ähnliche Konstruktion hatte Flavin bereits in einer Zeichnung erarbeitet, in der zwei Lampen nach vorne ausgerichtet sind, nach oben und nach unten sind Glühlampen angebracht. Siehe Rauh/Flavin, St. Louis 1973, Vol. I, No. 8.

307 Zu einigen Arbeiten aus den neunziger Jahren siehe Dan Flavin: tall cornered fluorescent light, Aus-stellungskatalog, The Pace Gallery, New York 1993.

308 Erstmals wurde die Arbeit in der Gruppenausstellung Evans/Flavin/Frazier/Levinson der Kornblee Gallery im Februar 1966 gezeigt, heute befindet sie sich im Museum Weserburg Bremen.

309 Die einzige Ausnahme unter den near-square cornered installations ist die erste quadratische Eckar-beit, untitled von 1966 (Abb. 34), bei der die obere horizontale Lampe nach oben, die untere horizontale sowie die vertikalen Lampen in den Raum gerichtet sind.

geneigt in eine Ecke gelehnt. Die klare Linie der in den Raum weisenden pinkfarbenen Lampe wird von den reflektierenden Lichtfeldern der entgegengesetzt strahlenden Lampen untermalt, die ein zweifarbiges Dreieck bilden. Ein Beispiel für eine Korridorarbeit ist untitled (to Jan and Ron Greenberg), bei der vertikale grüne Lampen an vertikale gelbe Lampen angebracht sind.310 Flavin setzte das Prinzip der aneinander gesetzten vertikalen Lampen auch in den neunziger Jahren fort, wie untitled (for Professor Klaus Gallwitz) zeigt.311

Die Relationen der Lampen zueinander sind nicht beliebig, sondern unterliegen meist mathematischen Gegebenheiten, wie Halbierung, Viertelung oder Symmetrie. Bezüg-lich der Platzierung einer Lampe bzw. eines Lampenverbands in Relation zur Mitte einer anderen Lampe bzw. eines Lampenverbands gibt es verschiedene Möglich-keiten, von denen vier kurz vorgestellt werden sollen. Bei der ersten Möglichkeit ist eine kleinere Lampe bzw. ein kleinerer Lampenverband mittig an einer größeren Lampe bzw. einem größeren Lampenverband angebracht, wobei die Lampen nebeneinander oder auch gegeneinander befestigt sein können. Alle Lampen sind vertikal oder horizontal. Ein Beispiel für nebeneinander liegende Lampen ist die Wandarbeit red and green alternatives (to Sonja) von 1964 (Abb. 23), eines für die Befestigung Halterung an Halterung untitled von 1976 (Abb. 72). Die zweite Möglichkeit besteht darin, eine Lampe bzw. einen Lampenverband vertikal in der Mitte einer horizontalen Lampe bzw. eines Lampenverbands zu montieren, wobei die Lampen wiederum parallel oder gegeneinander angebracht sind, wie in der Eckarbeit untitled (to Frank Stella) oder in untitled (to Jörg Schellmann). Bei der dritten Möglichkeit ist eine Lampe bzw. ein Lampenverband um die Hälfte zu einer Lampe bzw. zu einem Lampenverband verschoben, wie in den Wandarbeiten two primary series and one secondary von 1968 (Abb. 40) oder in der Konstruktionsart der gestaffelten Barriere. Die Möglichkeiten mathematischer Gegebenheiten ließen sich noch fortsetzen, wurden an dieser Stelle jedoch nur mit einigen Beispielen der mittigen Ausrichtung vorgestellt. Es wird damit bereits deutlich, dass Flavins Konstruktionen

310 An einer Seite ließ Flavin einen Spalt frei, sodass die Farbe des Lichtvolumens auf der anderen Seite wahrgenommen werden kann. Flavin erzielte im Korridor zwei Lichtatmosphären, eine grüne und eine gelbe. Befindet man sich im grünen Lichtvolumen, nimmt man durch den Schlitz die gelbe Lichtfarbe als Orange wahr, hält man sich dagegen auf der entgegengesetzten Seite auf, sieht man ein Türkisgrün anstelle eines Gelbgrün. Das Auge bildet den Komplementärkontrast zum Lichtvolumen, in dem man sich befindet, und mischt dies mit dem Licht der anderen Seite.

311 Im größeren Raum entstanden zwei Lichtatmosphären. Zwischen Säulen und Fenster eine pinkfar-bene Atmosphäre, die durch die pinkfarpinkfar-benen Lampen erzeugt wurde, im übrigen Raum eine weiße Licht-atmosphäre, die durch die Mischung zweier Grundfarben und Komplementärfarben zustande kam, durch Gelb und Blau und durch Pink und Grün.

bestimmten systematischen Prinzipien unterliegen, die der Künstler immer wieder anwandte.

Mathematische Gegebenheiten treten jedoch nicht allein innerhalb der Objektein-heiten auf, sondern können auch bei der Anbringung beobachtet werden. Dies soll am Beispiel der mittigen Platzierung erläutert werden. Flavin wählte für die Anbringung einer Installation häufig die Mitte einer Wand. Die Lampen des Objekts beginnen am Boden bzw. am Sockel oder befinden sich in Augenhöhe. Einige Arbeiten aus mehre-ren Objekteinheiten platzierte er von der Mitte einer Wand ausgehend, wie das bereits für the nominal three (for William of Ockham) gezeigt wurde. Auch die Lampen der Installation alternating pink and "gold" von 1967 (Abb. 38) wurden an jeder Wand des Raums von der Mitte der Wand ausgehend installiert, wobei die Abstände der Lampen zueinander einem bestimmten System unterliegen.312 Die Ausrichtung von der Mitte aus, bezogen auf einen Raum, griff Flavin 1989 für die in den Raum hängende Arbeit untitled von 1989 (Abb. 77) erneut auf. Diese wenigen Beispiele zeigen, dass Flavin nicht allein bei der Zusammensetzung der Objekte, sondern auch in der Art der Präsentation nach bestimmten Prinzipien streng systematisch vorging.313

Waren die Werke der Anfangsjahre noch relativ einfache Konstruktionen, gelangte Flavin seit Ende der sechziger Jahre zu Arbeiten aus immer mehr Lampen314, zu im-mer komplexeren Formen und zu größeren Installationsdimensionen, bedingt durch die Möglichkeit, ganze Ausstellungsräume mit seiner Kunst ausstatten zu können.315 Doch parallel zu komplexen Konstruktionsformen schuf Flavin bis zu seinem Lebensende auch Arbeiten mit einfachen Konstruktionen. Ein spätes Beispiel ist untitled (for Ksenija).

Wie bereits im Kapitel zu den Zeichnungen festgestellt wurde, war es von Anfang an eine wesentliche künstlerische Strategie Dan Flavins, auf ältere Ideen zurückzu-greifen und sie gegebenenfalls nach Bedarf zu modifizieren. Auch anhand der realisierten proposals kann nachvollzogen werden, dass Flavin sich bis zu seinem Lebensende immer wieder auf ältere Ausführungsformen bezog. 1989 griff er zum

312 Entgegen der Skizze wall plans for alternating pink and "gold", The Museum of Contemporary Art, Chicago, 1967–1968 vom 3. November 1967 (Siehe Flavin, St. Louis 1973, Vol. I, No. 76), in der Flavin mit zwei pinkfarbenen Lampen in der Wandmitte begann, wählte Flavin für die Realisation eine gelbe und eine pinkfarbene Lampe als Augangspunkt in der Wandmitte. Der Abstand zu den nächsten vertikal angebrachten Lampen betrug 2 ft, der nächste 4 ft, dann 6 ft usw., sodass sich bezüglich der Abstände eine Reihung von 2, 2+2, 2+2+2, 2+2+2+2, etc. ergibt. Vgl. Dan Flavin, Pink and Gold, Ausstellungs-katalog, [IBM printout catalogue], The Museum of Contemporary Art, Chicago, Illinois 1967/1968.

313 Andere Arbeiten beziehen sich nicht auf die Mitte eines Architekturelements oder eines Raums, son-dern verlaufen beispielsweise als Diagonale an einem Architekturelement oder auch im Raum.

314 Flavin berichtete im Aufsatz von 1964/1965, dass er mehr Lampen einsetzen wolle. Vgl. Flavin, 1964/1965, S. 20.

Beispiel mit untitled von 1989 (Abb. 78) auf das in den sechziger Jahren gefundene Prinzip zurück, Lampen frei in den Raum ragen zu lassen.316 Zudem akkumulierte er in der Arbeit Leuchtstofflampen in einer dichten Reihung, wie er es zuerst in Raumab-sperrungen oder Korridoren erprobt hatte. Durch das intensive Licht der dicht neben-einander gereihten Lampen und das gleißende Weiß und Blau scheinen die Halte-rungen eliminiert und eine Blendungskraft wird bewirkt, die der Arbeit Aggressivität verleiht.

Auch der bereits eingehend besprochene Vorschlag von untitled (for Ksenija) findet in vielen früheren Arbeiten Vorläufer, die ebenso die Längenausdehnung eines Raums betonen: angefangen bei Arbeiten, wie der konstruierten Korridorarbeit untitled (to Emily) und der in einem vorhandenen Korridor befindlichen Arbeit Varese Corridor, bis hin zu Arbeiten Anfang der neunziger Jahre, wie untitled (to Tracy Harris).