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Beschreibung des "Objekts"

2 DIE INSTALLATIONS IN FLUORESCENT LIGHT VON DAN FLAVIN

2.1 Die Kunsterfahrung des Betrachters

2.1.2 Die Rauminstallation untitled (for Ksenija), 1994

2.1.2.2 Beschreibung des "Objekts"

Beim Bau der Münchner U-Bahnstation am Königsplatz war aus technischen Gründen ein Leerraum zwischen dem Straßenniveau und dem eigentlichen Bahnhof entstan-den.49 Dieser Restraum stand lange Zeit leer und wurde schließlich dazu genutzt, ei-nen Neubau für das Lenbachhaus entstehen zu lassen (Abb. 86). Bedingt durch sei-nen Standort entspricht der Kunstbau dem Raumtyp der üblichen Münchner U-Bahn-station. Dieser ist ein hallenartiger, lang gestreckter Raum mit den Maßen von 110 x 14 x 5 m, der durch achtzehn Mittelstützen in zwei Schiffe geteilt wird.50 Die leichte Krümmung des Raums ist auf die Linienführung der U-Bahn zurückzuführen, die einem Kreisbogen von ca. 1 ½ km Durchmesser folgt und eine Krümmung des Raums von ca. 120 cm bedingt.51 Infolge der leichten Krümmung des Raums verläuft die Ost-wand leicht konvex und die WestOst-wand leicht konkav.

Das architektonische Konzept von Friedrich Kiessler beließ die Gegebenheiten des Leerraums bei der Transformierung in einen Ausstellungsraum so weit als möglich un-verändert.52 Eine Zugangsrampe und ein von der Decke abgehängtes Auditorium wurden dem Raum hinzugefügt. Die Querwände an der Nord- und Südseite wurden mit einer Glasfront versehen, sodass sich der Museumsraum zu den Treppenauf-gängen der U-Bahn öffnet. An der Decke platzierte der Architekt vier Stahlträger als Beleuchtungsschienen, welche die leichte Krümmung des Raums aufnehmen. Einzig der Träger entlang der Ostwand ist durchgehend montiert, die anderen drei werden durch den Vortragsraum unterbrochen. Getrennt durch die Betonpfeiler ist der Raum in zwei Hälften unterteilt.

Flavin schließt mit seiner Installation an das architektonische Konzept von Friedrich Kiessler an, der dem Raum möglichst wenig hinzufügte. Flavin installierte im Raum kein dreidimensionales Objekt aus Leuchtstofflampen, sondern nahm den Objektcha-rakter vollkommen zurück, indem er als Installationsort die vier Beleuchtungsschienen an den Stahlträgern wählte.53 Zudem kommunizieren Flavins farbige Reihen mit den Lichtschienen des darunter liegenden U-Bahnbereichs (Abb. 87–88 b).

47 In den Ankündigungen des Münchner Lenbachhauses wird die Schreibweise "Ksenia" gewählt. Heiner Friedrich bestätigte die verschiedenen möglichen Schreibweisen.

48 Freundliche Mitteilung von Herrn Ulrich Wilmes, München, 01.06.1994.

49 Vgl. Uwe Kiessler: Eröffnungsrede am 11.04.1994 zur Ausstellung Dan Flavins in der Städtischen Galerie im Städel, Frankfurt a. M. Freundlicherweise überließ Herr Kiessler der Autorin das unveröffent-lichte Manuskript.

50 Vgl. Uwe Kiessler: Kunstbau Lenbachhaus, in: Flavin, München 1994, (S. 47–49), S. 47.

51 Vgl. Friedel 1994, S. 11.

52 Vgl. Kiessler 1994, S. 47.

53 Die Museumsmitarbeiter hatten Flavin die Option der Installation von quer verlaufenden Decken-schienen angeboten, die in Ausstellungen variabel eingesetzt werden können, doch Flavin verzichtete auf jeglichen Zusatz. Freundliche Mitteilung von Herrn Ulrich Wilmes, München, 01.06.1994.

Das kleinste Element der Installation stellt das Paar Leuchtstoffröhre und Halterung dar, die Lampenlinie an einer Schiene kann als eine Konstruktionseinheit bzw. als Modul angesehen werden. Flavin bediente sich der ortsüblichen Standardlampen in der Länge von 120 cm. Nachdem die Idee der Konstruktionsart festgelegt war, fiel die Entscheidung für die Farben relativ spät, zuletzt entschied er die Reihenfolge der Farben je Lichtschiene.54 Flavin besetzte diese von West nach Ost mit den Farben Grün, Blau, Gelb und Pink.55 Es sind zwei Grund- und zwei Komplementärfarben der additiven Farbenlehre: Pink bzw. Magentarot ist das Komplementär zur Grundfarbe Grün, Gelb zur Grundfarbe Blau. Die beiden Grundfarben, Grün und Blau, befinden sich im östlichen, die Komplementärfarben, Pink und Gelb, im westlichen Schiff. Das Komplementärpaar Grün – Pink schließt das der Grundfarben Blau – Gelb ein.56

In Flavins Gesamtwerk bzw. Kunstsystem tritt die Kombination dieser vier Farben des Öfteren auf, das erste Mal 1964 in der Wandarbeit untitled (to Henri Matisse)57. Nach Marianne Stockebrand verwandte sie der Künstler vor allem für Installationen größeren Ausmaßes58; Beispiele dafür sind neben untitled (for Ksenija) die für die Ausstellung in Köln entstandene Arbeit untitled (to Saskia, Sixtina, Thordis) von 197359, die Installation für den Innenhof der Kunsthalle Basel von 1972–197560, die Arbeit am Hudson River Museum, Yonkers, New York, untitled (for Betty and Richard Koshalek, a reminder) von 1979 (Abb. 74) oder die postume Installation der Chinati Foundation in Marfa, Texas. Jedoch können ebenso diverse Arbeiten kleineren

54 Freundliche Mitteilung von Herrn Ulrich Wilmes, München, 01.06.1994.

55 Für die durchgehende Lichtschiene wurden 88 grüne Lampen benötigt, für die durch den Vortrags-raum unterbrochenen je 78 in Blau, Gelb und Pink.

56 Der Einschluss der Grundfarben durch die Komplementärfarben findet sich auch im großen Raum der Frankfurter Installation untitled (for Professor Gallwitz) (Abb. 83 b). Vgl. das Kapitel zu dieser Installation in der unveröffentlichten Magisterarbeit der Autorin.

57 Wandarbeit: 8-ft-Leuchtstofflampen vertikal in Rosa, Gelb, Blau, Grün, 243,8 x 25,4 x 12,7 cm (96 x 10 x 5 in.) Vgl. Celant 1980, S. 100. Vgl. Dan Flavin. Die Architektur des Lichts, Ausstellungskatalog, Deutsche Guggenheim Berlin, Ostfildern-Ruit 1999, S. 49.

58 Vgl. Marianne Stockebrand: Pink, Yellow, Blue, Green and Other Colors in the Work of Dan Flavin, in:

The Chinati Foundation / La Fundación Chinati Newsletter, Vol. 2, Marfa 1996, (S. 2–11), S. 4.

59 Rauminstallation: 304 120-cm-Leuchtstofflampen in Pink, Grün, Gelb und Blau. Vgl. Evelyn Weiss / Dieter Ronte: Dan Flavin. Drei Installationen in fluoreszierendem Licht. [ein Supplement] Kunsthalle Köln, 9. November 1973 bis 6. Januar 1974.

Für den Innenraum der Richmond Hall, einem ehemaligen Supermarkt, der für die Menil Collection in Houston (Tex.) zu einem Ausstellungsraum für Dan Flavin umgebaut wurde, griff Flavin auf die Konstruk-tion der früheren InstallaKonstruk-tion zurück, allerdings in einer VariaKonstruk-tion mit UV-Lampen. Vgl. dazu auch Tiffany Bell: Dan Flavin, Posthumously, in: Art in America, Vol. 88, No. 10, Okt. 2000, (S. 126–133), S. 129–130.

60 Innenhofinstallation: 52 120-cm-Leuchtstofflampen in Gelb, Pink, Grün und Blau. Je elf Lampen einer Farbe sind an den vier Ecken des Innenhofes und je 2 Lampen einer Farbe an den vier Ecken der Arkaden angebracht: in der Arkade Grün und innen Blau, in der Arkade Blau und innen Pink, in der Arkade Pink und innen Gelb, in der Arkade Gelb und innen Grün. Die Lampen der Arkaden sind im Vergleich zu denen des Innenhofes um je eine Farbe verrückt.

Ausmaßes festgestellt werden, darunter vier Wandarbeiten von 198561, die auch Ksenija gewidmet sind62; oder eine Reihe von Arbeiten der Serie untitled (to Lucie Rie, master potter) von 1990.63 Dan Flavin vermochte Arbeiten mit den gleichen vier Farben so verschieden zu installieren, dass diese ganz unterschiedlich wirken.

Durch die linear angeordneten Lichtbänder unterstrich Flavin die Länge des Raums.

Die Betonung der Länge eines Raums durch ein Lichtband bzw. Lichtbänder hatte Dan Flavin bereits in früheren Arbeiten praktiziert, wie zum Beispiel mit Varese Corridor von 1974 (Abb. 68). Das Besondere an der Münchner Arbeit ist, dass Flavin dem vorhandenen Ausstellungsraum außer den Farben nichts hinzufügte, da er die Leuchtstofflampen an die vorhandenen Lichtschienen montierte. Der Eingriff war äu-ßerst einfach und minimal, die Wirkung der Lichtfarben dagegen komplex und fas-zinierend.

2.1.2.3 Kunsterfahrung des Betrachters

Bereits vom U-Bahnbereich erblickte der Ausstellungsbesucher, ohne sich im Muse-umsbereich zu befinden, die Eröffnungsinstallation, einen leeren Raum, der in ver-schiedene Farben eingetaucht war (Abb. 88 b). Die Unterteilung des Raums durch die Betonpfeiler wurde durch zwei immaterielle Lichtatmosphären unterstützt. Das östliche Schiff wurde durch die Mischung des grünen und blauen Lichts von einer kühlen grünen Farbatmosphäre bestimmt (Abb. 88 a), das westliche durch die Mischung des gelben und pinkfarbenen Lichts von einem warmen Pinkfluidum (Abb. 88 c). Mit der lichtatmosphärischen Teilung in eine warme und kalte Zone betonte Dan Flavin die Zweischiffigkeit der Architektur und machte den Betrachter auf diese Gegebenheit aufmerksam. Sobald der Besucher den Ausstellungsraum über die Zugangsrampe betrat, tauchte er in die grüne Atmosphäre ein und wurde somit in das Kunstwerk integriert.

Abhängig vom Standpunkt konnte der Besucher die verschiedenen Auswirkungen des Lichts auf die Architektur, aber auch auf seine visuelle Wahrnehmung feststellen.

Befand sich der Rezipient im westlichen Schiff und richtete seine Aufmerksamkeit auf die konvexe Ostwand, konnten bestimmte horizontal verlaufende Farbregionen aus-gemacht werden (Abb. 88 d). Ein schmaler, intensiv grüner Streifen befand sich

61 Vgl. Matthia Löbke: "Untitled (to Dan Flavin)". Untersuchungen zum Werk in fluoreszierendem Licht von Dan Flavin, (Dissertation), 1999, No. 283–286. Jede der vier Arbeiten besteht aus einer 8-ft-Lampe sowie vier 2-ft-Lampen, welche die vier Farben aufweisen.

62 1985 waren die Arbeiten unter dem Titel Ksenija's Frieze in der Leo Castelli Gallery, New York, ausgestellt. Auf der Einladungskarte zu der Ausstellung war eine Frau hinter einem Vorhang abgebildet, das Ganze in einem orangefarbenen Ton gehalten.

63 Vgl. Löbke 1999, No. 345–347, 352, 354, 355, 358, 362, 368, 369, 393–395, 397, 403, 404, 410.

unterhalb der Decke, der in seiner Form dem Träger des grünen Lichtbandes ent-sprach.64 Da die anderen drei Lichtquellen an dieser Stelle durch die Halterungen der grünen Lampen eliminiert wurden, konnte sich das grüne Licht alleine entfalten. Das darunter liegende Farbfeld ging von einem Blaugrün in ein ganz zartes Blau, dann in ein bläuliches Magentarot und schließlich in ein helles Pink über. Die horizontal ver-laufenden Farbzonen waren nicht genau abzugrenzen und verliefen zart ineinander, wie es ein Maler in einem Gemälde kaum vermag. Die Folge der Farbfelder wurde durch die Reihenfolge der Lichtbänder bestimmt, aber auch durch die Emission der Lichtfarben, die unterschiedlich stark sind. Eine gelbe Zone konnte sich nicht be-haupten, da das gelbe Licht in seiner Ausstrahlungsintensität sehr schwach ist und von den anderen Farben eliminiert wurde. Die Intensität der Reflexion hängt sowohl von der Stärke der Lichtemission als auch von der Interaktion der Lichtfarben ab. Im Ver-gleich zur pinkfarbenen und grünen ist die blaue eine etwas weniger stark emittierende Lichtquelle unter den Leuchtstofflampen, am schwächsten in dieser Installation ist Gelb.65

Die Ostwand verlief nicht vollständig in den beschriebenen Farbfeldern, da durch die architektonischen Elemente der Rampe und des Vortragssaals andere Lichtfarben dominierten. An der Stelle gegenüber dem Vortragssaal reflektierte die Ostwand allein das grüne Licht, da die Träger der anderen Lichtobjekte vom Vortragssaal unterbro-chen wurden. Bedingt durch die Rampe bildeten sich an der Ostwand und auf dem Boden verschiedenfarbige Schatten (Abb. 88 e–g). Die Rampe selbst erschien auf der Seite, die zur Westwand gerichtet ist, in einem intensiven Pink, da dort die grüne Lichtquelle nicht wirken konnte und das gelbe und blaue Licht einen geringeren Emis-sionsgrad aufweisen. Auf der Innenseite der Rampe und zur Ostseite bestimmten an-dere Lichtquellen die Farbwirkungen. Weitere interessante Effekte entstanden am Vortragssaal, auf dem Boden und an dem Leisteneinschnitt, an den Wänden und an den Ecken, an den Betonstützen66 und an der Decke.

Wählte der Betrachter einen Standort in der grünen Lichtatmosphäre, bildete das Auge den Simultankontrast67 Pink, sodass jede pink eingefärbte Stelle des Raums viel intensiver wirkte, jede grüne dagegen schwächer. In der pinkfarbenen

64 Sogar der Zwischenraum der Röhren zur Halterung konnte an diesem Schatten ausgemacht werden.

65 Unter allen Farben ist Rot die schwächste Quelle unter den Leuchtstofflampen. Vgl. Flavin, Köln 1973/1974, (S. 11–67), S. 42.

66 Licht lässt das schwere Material Beton leichter erscheinen. Dies konnte auch an der permanenten Installation untitled (for Betty and Richard Koshalek, a reminder) festgestellt werden, bei der das Licht die Schwere des Betonbaus des Hudson River Museum, Yonkers, relativiert.

atmosphäre kehrten sich die Farbintensitäten um, das Auge erzeugte als Simultankontrast das Komplementär Grün, alle grünen Töne erschienen intensiver und die pinkfarbenen schwächer.

Die Stärke der Lichtfarben hängt somit zusätzlich vom Standort des Betrachters und von der Aufenthaltsdauer in einer Lichtatmosphäre ab. Betrat der Besucher eine der beiden Lichtatmosphären, begann das Auge sich an diese anzupassen, sodass die Farbatmosphäre nicht mehr als solche wahrgenommen wurde. Kam der Rezipient beispielsweise aus der grünen Atmosphäre in die pinkfarbene, nahm ein weißes Pa-pier eine intensive Pinkfarbe an. Das PaPa-pier erschien pink, da das Auge zum einen das Nachbild zur grünen Atmosphäre in der Komplementärfarbe Pink bildete und da zum anderen das Licht der pinkfarbenen Atmosphäre das weiße Papier einfärbte. Die Farbintensität nahm immer mehr ab und schließlich wurde das Papier wieder in der gewohnten Farbe Weiß wahrgenommen. Da das gesamte Tageslichtspektrum im Raum vorherrschte, konnte sich das Auge vollständig umstimmen. Der aufmerksame Besucher konnte sichtlich den Adaptionsprozess und die Farbumstimmung seiner Augen beobachten. – Auf der Fotografie blieb dagegen das Blatt scheinbar eingefärbt, abhängig vom Standort in der jeweiligen Farbe der Atmosphäre (Abb. 88 h, i).

Entgegen der Fotografie korrigiert das Auge die Farbe.68

Neben der Einfärbung der Architekturelemente wurden auch die Haut und die Klei-dung der Besucher in verschiedene Farben getaucht. Zudem konnte der Betrachter selbst aktiv werden und mit seinem eigenen Körper (Abb. 88 j–k) oder mit Gegen-ständen Schatten auf den Wänden erzeugen (Abb. 88 l–m). Entsprechend der An-ordnung der Lichtbänder entstanden an der Ost- und Westwand horizontal verlaufende Schatten. An der Ostwand war die Reihenfolge der horizontalen Schatten von oben nach unten: Hellblau, Türkis, Gelb und Pink.69 An der südlichen und nördlichen Wand entstanden vier Vertikalschatten. Je näher ein Besucher sich an der Wand befand, desto intensiver wurde die Farbigkeit der Schatten und desto mehr Überschneidungen entstanden.

67 Zum Prozess des Simultankontrasts vgl. Robert F. Schmidt / Gerhard Thews (Hg.): Physiologie des Menschen, 24. korrigierte Auflage, Berlin / Heidelberg / New York / London / Paris / Tokio 1990, S. 267.

Vgl. Küppers 1973, S. 33–38. Vgl. Albers 1970, passim.

68 Zur Korrektur des Auges vgl. Sidney Perkowitz: Ein kurze Geschichte des Lichts. Die Erforschung eines Mysteriums, München 1998, S. 31.

69 Da die Atmosphäre der Installation dem Spektrum des Tageslichts entspricht, werden Schatten im Komplementär gebildet. Schon Johannes Itten stellte fest, dass bei Tageslicht Farblicht einen Schatten in der komplementären Farbe erzeugt. Vgl. Max Keller: DuMont's Handbuch der Bühnenbeleuchtung. Theo-rie, Praxis, Lichtgestaltung, Lichtdramaturgie, Malen mit Licht, Projektion, Technik, Trickeffekte, Lam-penlexikon, Köln 1985, S. 24.