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Das industrielle Material

Im Dokument der Minimal Art und der Kunstlicht-Kunst (Seite 145-149)

3 DIE KUNST DAN FLAVINS IM KONTEXT DER MINIMAL ART

3.2 Die Kennzeichen der Minimal Art

3.2.3 Der Minimal Art-Look des Objekts

3.2.3.1 Das industrielle Material

In den drei vorgestellten Werken verwenden die Künstler industriell fabrizierte Materi-alien, Leuchtstofflampen und Stahlkuben bzw. -platten. Objekte aus industriell herge-stellten, und somit meist kalten und sterilen Materialien gelten als ein wesentliches Kennzeichen der Minimal Art. Während sich Flavin mit der Leuchtstofflampe eines standardisierten Industrieprodukts bedient, das er so im Handel beziehen konnte, wählten die anderen beiden Künstler ein industrielles Material, das nach den Wün-schen der Künstler zu bestimmten Formen in der Fabrik zusammengefügt wurde.

Andre ließ quadratische Platten aus heiß gewalztem Stahl und Judd Kuben aus kalt gewalztem Stahl anfertigen. Die fabrizierten Formen wurden nach Anweisung der Künstler in Relation zum Raum platziert. Flavin ließ das bereits industriell gefertigte Produkt der Leuchtstofflampe in bestimmten Farben und Längen vor Ort von Elektri-kern zu Rechtecken zusammenfügen, die dann zu der Barriere im Raum gestaffelt wurden. Die geometrischen Formen waren aus einem vorhandenem Standardmaterial zusammengefügt worden.

In einigen Arbeiten vor 1967 verwandte Carl Andre analog zu Flavin ein im Handel erhältliches Industrieprodukt, wie zum Beispiel Kalksandsteine für die Serie Equivalent I–VIII von 1966 (Abb. 93). Die acht Einheiten der Serie wurden aus jeweils 120 gleich großen Kalksandsteinen zu verschiedenen Rechteckformen zusammengesetzt.

Sowohl Andres Kalksandsteine als auch Flavins Leuchtstofflampen sind standardi-sierte Industriematerialien, die jedem Rezipienten aus dem Alltag vertraut sind, die einen als Bauelemente, die anderen als Beleuchtungskörper.88 Nach Ende der Aus-stellung können solche Materialien theoretisch in den Alltagskontext zurückkehren. Die Kalksandsteine von sieben Einheiten der Serie Equivalent wurden tatsächlich in den Alltagskontext rückgeführt, sie wurden an die Ziegelei zurückgegeben, von der der Künstler sich das Material für die Dauer der Ausstellung in der Tibor de Nagy Gallery, New York, im März 1966 geliehen hatte. Dies hing allerdings damit zusammen, dass Andre die nötigen finanziellen Mittel zum Erwerb gefehlt hatten.89 Andre ging bzw. geht es in seiner Kunst nicht um den temporären Gebrauch von Alltagsmaterialien.90

88 Zu einem späteren Zeitpunkt werden diese Materialien dem Museumsbesucher nicht mehr vertraut sein, da sie von neueren Techniken abgelöst werden. Dies wurde der Autorin beim gemeinsamen Aus-stellungsbesuch mit ihren Eltern von Werken Armans bewusst. Verwendete Alltagsmaterialien aus den sechziger Jahren waren der Autorin nicht vertraut.

89 Vgl. Meyer-Hermann 1991, S.46, 50.

90 Andere Künstler intendieren in ihrem Ansatz eine temporäre Installation, wie Wolfgang Laib mit seinen quadratischen Formen aus Blütenstaub.

Equivalent VII wurde als Kunstwerk nach der Ausstellung verkauft und verblieb so im Kunstkontext.91 Die anderen sieben Einheiten waren nach Ende der Ausstellung in ihrer materiellen Substanz nicht mehr vorhanden. Doch das Konzept der Arbeiten war erhalten geblieben und konnte zu einem späteren Zeitpunkt erneut realisiert werden:

die Equivalent-Serie von Andre wurde drei Jahre später mit Ziegelsteinen reinstalliert92, Untitled, 1969, von Judd wurde 1970 mit sechs anstelle von vier Einheiten erneut fabriziert.

Am Anfang ihrer Karriere hatten die drei Künstler noch Kunstwerke mit handwerklicher Bearbeitung geschaffen. Carl Andre war zu Beginn bildhauerisch tätig gewesen93 und beendete diese Tätigkeit im Jahr 1960 mit Entwürfen für die Element Series94; seitdem benutzte er Material im industriellen Rohzustand.95 In den sechziger Jahren bemalte er noch Holzskulpturen mit Farbe96. Doch schon bald sollte es zu Andres Strategie werden, Materialien in ihrer Eigenart zu belassen. Seit 1967 ließ Carl Andre für alle Werke geometrische Formen in einer Werkstatt nach einer Arbeitsskizze, einem Diagramm oder einer mündlichen Erklärung in den vorgegebenen Bestimmungen maschinell anfertigen.

Flavin strich die zusammengefügten Holz- und Masonitträger der icons, die er von 1961 bis 1964 anfertigte, mit Ölfarbe und Gesso an. Seit 1964 war er nicht mehr handwerklich tätig. Donald Judd, der seit 1962 dreidimensional arbeitete97, hatte seine ersten spezifischen Objekte bis 1964 mit Farbe bemalt, meist mit Kadmiumrot; er bevorzugte diese Farbe, da sie seiner Ansicht nach die Form als solche am besten betont.98 Seit 1964 setzte er Materialien in ihrer Eigenfarbigkeit ein, deren Formen er in einer Werkstatt nach einer Arbeitsskizze, einem Diagramm oder einer mündlichen

Eine andere künstlerische Möglichkeit besteht darin, ein Material nach der Ausstellung weiter zu verwer-ten, wie man es in temporären Ausstellungsarchitekturen praktizierte, so zum Beispiel bei Länderpavillons auf der Expo 2000 in Hannover: Der japanische Pavillon bestand aus zusammengerolltem Papier, das nach der Ausstellung verwertet wurde. Den Schweizer Pavillon ließ der Architekt Peter Zumthor aus gestapeltem Holz bauen, das nach der Ausstellung weiter benutzt wurde.

91 Vgl. Tuchman, Minimalism 1980, S. 38.

92 Vgl. Rolf Lauter: Carl Andre. Extraneous Roots, hg. vom Museum für Moderne Kunst, Frankfurt a. M.

1991, S. 93–94.

93 Die Holzskulptur Last Ladder, New York 1959, zeigt eindeutig Bezüge zu Constantin Brancusis Werk Unendliche Säule. Siehe Andre, Krefeld/Wolfsburg 1996, S. 70-71.

94 Zu den Element Series siehe Andre, Krefeld/Wolfsburg 1996, S. 80–85. Andre entwarf verschiedene Konfigurationen auf Skizzenblättern. Aus finanziellen Gründen kam es erst später zu einer Realisation.

Vgl. Meyer-Hermann 1996, S. 20.

95 Vgl. Meyer-Hermann 1996, S. 19.

96 Zum Beispiel Hourglass, New York 1962. Siehe Andre, Krefeld/Wolfsburg 1996, S. 74, No. 6.

97 Vgl. William C. Agee: Don Judd, in: Don Judd, Ausstellungskatalog, Whitney Museum of American Art, New York 1968, S. 9.

Erklärung maschinell fabrizieren ließ. Material, Dimension, Form und Oberflächenbe-handlung der Formen wurden dabei genau vorgegeben.

Die handwerkliche Ausführung, mit der der traditionelle Künstlerberuf verbunden war99, wurde von den Künstlern der Minimal Art abgelehnt. Statt dessen wurde die Konzeption, die in der Tradition ein Teil des Schaffensprozess war, in den Mittelpunkt der Kunstausführung gestellt.100 Die Ausführung des Kunstobjekts war nicht An-gelegenheit des Künstlers, sondern konnte von Dritten vorgenommen werden. Die Arbeitsschritte der Produktion bzw. Herstellung wurden durch die Industrie ausgeführt, die Platzierung im Raum wurde vom Künstler oder von Arbeitern unter der Supervision des Künstlers vorgenommen. Der künstlerische Ansatz, in dem die Konzeption an Bedeutung gewann, war durch Marcel Duchamp vorbereitet worden101, und wurde durch die Praxis der Minimal Art und durch die Theorie des Minimal Art-Künstlers Sol LeWitt fundiert und zur Concept Art weiterentwickelt. Der Minimal Art-Künstler Sol LeWitt, ebenso ein Protagonist der Concept Art, erklärte um 1967, dass die Idee allein ein Kunstwerk sein kann, ohne dass sie als Objekt ausgeführt wird.102 Wie bereits für Dan Flavin an anderer Stelle begründet, blieb auch für die Kunst von Andre103 und Judd im Gegensatz zu Werken der Concept Art die Präsentation des Objekts immer relevant. Jack Burnham konstatierte 1968, dass in der Kunst der Minimal Art nicht das Objekt an sich unwichtig geworden ist, sondern dass es auf andere Art und Weise als in der Tradition hergestellt wurde.104

Im allgemeinen Kunstverständnis seit Anfang der sechziger Jahre besaßen die maschinell gefertigten Industrieprodukte keine besondere ästhetische Qualität.105 In

98 Vgl. Judd, Ottawa 1975. Vgl. Dietmar Elger: Einleitung (to Donald Judd, colorist), in: Donald Judd.

Farbe, Ausstellungskatalog, Sprengel Museum Hannover / Kunsthaus Bregenz, Ostfildern-Ruit 2000, (S. 11–31), S. 17.

99 Bereits Bildhauer der europäischen Tradition ließen ihre Werke durch die Hand Dritter ausführen, worauf auch Morris in seinem dritten Aufsatz verwies. Vgl. Morris, Part 3, 1967, S. 26. Um ein Beispiel zu nennen, sei auf den manieristischen Plastiker Adriaen de Vries hingewiesen. Auch der Bronzegießer eines Werks wird genannt. Vgl. Adriaen de Vries 1556–1626. Augsburgs Glanz – Europas Ruhm, Ausstellungskatalog, Maximiliansmuseum, Augsburg, Heidelberg 2000, passim.

100 Vgl. Beatrice von Bismarck: Dan Flavin – Vorschläge zum Sichtbaren, in: Dan Flavin. Installationen in fluoreszierendem Licht 1989–1993, Ausstellungskatalog, Städtische Galerie im Städel, Frankfurt a. M., Ostfildern-Ruit bei Stuttgart 1993, (S. 12–27), S. 15.

101 Vgl. Gerhard Graulich: Weder visuell noch zerebral. Duchamp als Anreger eines konzeptuellen Kunstbegriffs, in: Duchamp, Schwerin 1995, S. 79–86.

102 Vgl. Sol LeWitt: Sentences on Conceptual Art, in: Art-Language, Vol. 1, No. 1, Mai 1969, (S. 11–13), S. 11. Vgl. LeWitt 1967, S. 83.

103 Carl Andre betont im Interview mit Tuchman, dass er sicher kein konzeptueller Künstler sei, da die physikalische Existenz seiner Arbeiten nicht von der Idee zu trennen seien. Vgl. Phyllis Tuchman: An Interview with Carl Andre, in: Artforum, Vol. 8, No. 10, Juni 1970, (S. 55–61), S. 60.

104 Vgl. Jack W. Burnham: System Esthetics, in: Artforum, Vol. 7, No. 1, September 1968, (S. 30–35), S. 31.

105 Keith Waterhouse beispielsweise lehnte 1976 Andres Werke aus Backsteinen als Kunst grundsätz-lich ab. Vgl. Keith Waterhouse, in: Daily Mirror, 19. Februar 1976; zitiert nach: Minimalism,

der Überführung eines Industrieprodukts in den Kunstkontext schließen die Minimal Art-Künstler an Marcel Duchamp an, was an anderer Stelle bezüglich Flavins Kunst ausführlich diskutiert wurde. Während Duchamp das Readymade, gerade weil es keine ästhetischen Qualitäten besaß, als provokativen Akt im Kunstkontext ausstellte, sprachen die Künstler der sechziger Jahre ihren neuartigen Materialien und deren besonderer Präsentation im Raum ästhetische Qualitäten zu.106 Die Herstellung der Materialien unterlag dabei einer Perfektion; selbst die Schrauben, mit denen in Werken Donald Judds Elemente zusammengefügt sind, zeigen eine Ästhetik. Die Oberflächen seiner Arbeiten sind unter Supervision des Künstlers perfekt bearbeitet107, kein Kratzer findet sich darauf. Flavins Rechtecke der Barriere müssen exakt aneinander gestaffelt sein; war dies von einem Besitzer nicht beachtet worden, so hatte er das Werk aberkannt. Carl Andre, Donald Judd und Dan Flavin wollten keine Anti-Kunst, sondern schöne Kunst im traditionellen Sinn. Dem Betrachter soll sich Schönheit in der Präsentation der industriellen Materialien eröffnen und ihn dafür sensibilisieren.

Der Einsatz von neuen, industriellen Werkstoffen fand sich nicht allein in Kunstwerken der Minimal Art, sondern ist eine generelle Tendenz der Kunst der sechziger Jahre, nicht nur in New York, sondern auch in Europa.108 Es ist ein Zeitphänomen, das mit dem technischen Fortschritt zusammenhängt.109 Die Künstler fanden in neuen Materialien innovative Ausdrucksmöglichkeiten, die den traditionellen, wie Marmor, Bronze oder Öl auf Leinwand, nicht eigen waren. Für die Künstler der USA waren konventionelle Materialien zudem durch die Kunst Europas historisch besetzt. Doch nicht allein mithilfe des Materials galt es, sich von der vor allem europäischen Tradition zu lösen. Barnett Newman resümierte 1948: "We are freeing ourselves of the

Ausstellungskatalog, Tate Gallery Liverpool 1989, S. 8. 1977 war Dan Flavins Arbeit für die documenta 6 in einer Fußgängerunterführung in Kassel von Passanten verunstaltet worden, sodass der Künstler die Arbeit aberkannte.

106 "Als ich [sc. Duchamp] die 'Ready-mades' entdeckte, gedachte ich den ästhetischen Rummel zu entmutigen. Im Neo-Dada benutzen sie aber die Ready-mades, um an ihnen 'ästhetischen Wert' zu entdecken." Duchamp in einem Brief an Hans Richter vom 10. November 1962; vgl. Hans Richter, DADA – Kunst und Antikunst, Köln 1964, S. 212.

107 Die Oberflächenbehandlung des Materials spielte für Judd eine sehr große Rolle. Freundliche Mit-teilung von Frau Bettina Landgrebe, Donald Judd Estate, Marfa, 07.12.1997.

108 Der in Deutschland tätige Koreaner Nam June Paik und der Deutsche Wolf Vostell führten beispiels-weise den Fernsehapparat in das Kunstsystem ein. Wolf Vostell arbeitete zudem mit Autos, der Franzose Arman mit Autoteilen.

109 Vgl. Colpitt 1990, S. 7. Vgl. Sam Hunter: Nordamerika, in: Edward Lucie-Smith / Sam Hunter / Max Adolf Vogt: Kunst der Gegenwart 1940–1980, Propyläen Kunstgeschichte, Frankfurt a. M. / Berlin / Wien 1985, (S. 56–99), S. 93–94.

impediments of memory, association, nostalgia, legend, myth, or what have you, that have been the devices of Western European painting."110

Eine Ablehnung der traditionellen Materialien, um die Gattungsgrenzen zu durch-brechen, und die Aufforderung zur Verwendung industrieller Materialien kann bereits Anfang des 20. Jahrhunderts in Kunstwerken und Manifesten der klassischen Moderne beobachtet werden. Im Manifest des Futurismus proklamierten die Künstler die Verwendung von neuen Materialien, unter anderem elektrisches Licht (!), Eisen und Zement. Jedoch konnten viele Ideen zum damaligen Zeitpunkt nicht umgesetzt werden.111 Die Minimal Art schließt hinsichtlich der Materialwahl, die Kunst und Tech-nik verbindet, an die Avantgarde112 der klassischen Moderne an.

Im Dokument der Minimal Art und der Kunstlicht-Kunst (Seite 145-149)