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Die Interaktion von Objekt und Raum

Im Dokument der Minimal Art und der Kunstlicht-Kunst (Seite 158-162)

3 DIE KUNST DAN FLAVINS IM KONTEXT DER MINIMAL ART

3.2 Die Kennzeichen der Minimal Art

3.2.4 Die Interaktion von Objekt und Raum

Die Herstellung bzw. Präsentation des Objekts der drei vorgestellten Beispiele findet nicht in einem Künstleratelier statt, sondern "in situ"165 des Museums oder der Galerie.

Der Raum wird neben dem Objekt zu einer weiteren wichtigen Komponente des Kunstwerks. Das Kunstobjekt ist nicht mehr autonom, da es vom Ort abhängig ausge-stellt ist.166 Carl Andre, der seine Arbeiten auch als "post-studio sculpture" bezeich-nete, ist nach Sam Hunter der erste Künstler, der anstelle eines in sich geschlossenen Objekts die Relation von einem Objekt zu einem ihm umgebenden Raum verwirklichte.167 Carl Andre relativiert selbst die These, dass er der erste Künstler der

"post-studio sculpture" sei: "For me, my cliché about myself is that I'm the first of the post-studio artists (that's probably not true)."168 Die Integration des Raums durch ein offenes Kunstwerk ist ein Phänomen, das vermehrt in den sechziger Jahren auftrat.169

163 Dies erläutert Klotz bei einem Vergleich zwischen der Kunst der sechziger Jahre und dem Gesamt-kunstwerk des 19. Jahrhunderts. Vgl. Klotz 1994, S. 198.

164 Vgl. André Avril: L' Atelier Brancusi, Faltblatt, Centre Georges Pompidou, Paris 1999.

165 Die Bezeichnung "in situ" wurde von Daniel Buren das erste Mal 1971 gebraucht. Vgl. Jean-Marc Poinsot: In situ – Orte und Räume in der zeitgenössischen Kunst, in: Margit Rowell (Hg.): Skulptur im 20. Jahrhundert, München 1986, (S. 253–259), S. 257.

166 Carl Andre schuf auch autonome, vom Landschafts- und Architekturraum unabhängige Werke.

Vgl. Meyer-Hermann 1991, S. 76–77.

167 Vgl. Hunter 1985, S. 94.

168 Andre, Interview mit Tuchman 1970, S. 55.

169 Durch die Präsenz der Künstler am Ausstellungsort wurde der Kontakt zwischen Künstlern und Galeristen sowie zwischen Künstlern und Museumsleuten intensiviert. Vgl. Rolf Ricke: New York Avant-garde in Köln, in: Dieter Honisch / Jens Christian Jensen (Hg.): Amerikanische Kunst von 1945 bis heute, Köln 1976, (S. 143–147), S. 144.

Allerdings konnte ein Künstler mit zunehmender Größe seines Œuvres nicht bei jeder Ausstellung vor Ort sein. Daher wurden Arbeiten der Minimal Art-Künstler auch nach deren Anweisung von Assistenten be-aufsichtigt und ausgeführt. Wird ein Kunstwerk, in der Regel mit einem Zertifikat, verkauft, ist der Besitzer für eine Installation verantwortlich. Dies führte mitunter allerdings zu Problemen, wie am Beispiel von an artificial barrier of blue, red and blue light (to Flavin Starbuck Judd) dargelegt wurde.

Noch wichtiger als bei den Minimal Art-Künstlern wurde die Präsenz des Künstlers bei Happenings, wie jenen von Joseph Beuys. Hier wurde die Aktion des Künstlers zum Teil des Kunstwerks.

Erste Ansätze finden sich in der Kunst am Anfang des 20. Jahrhunderts, als Künstler Materialien als abstrakte Formen zu einem bestimmten Architekturelement in Bezie-hung gesetzt haben, wie zum Beispiel der russische Künstler Tatlin mit seinen Eck-Konter-Reliefs.

Carl Andres 5 x 20 Altstadt Rectangle wurde 1969 speziell für den Raum der Düsseldorfer Galerie konzipiert und dort installiert. Donald Judds Kuben sind mittig in einem Raum anzuordnen. Bei beiden Arbeiten sind die Kanten der rechteckigen Konstellation parallel zu den Wänden ausgerichtet, sodass diesbezüglich eine Relation zum architektonischen Umraum hergestellt ist; ein Charakteristikum in den Werken beider Künstler. Flavins Barriere nimmt nicht die Kanten des Raums auf, sondern läuft quer durch den Raum von einer Wand zu der gegenüberliegenden. Die Anzahl der Komponenten wurde der Dimension des jeweiligen Ausstellungsraums angepasst. Es ist somit in den drei Arbeiten weniger eine "Sperrigkeit" der Arbeiten, die den Raum ins Kunstwerk einbezieht, als vielmehr die Art der Präsentation im Raum.

Für Flavins Kunst wurde festgestellt, dass die Änderung des Ortes einer Arbeit neue Aspekte verleihen konnte und vom Künstler befürwortet wurde. In der Regel konkretisierte Flavin eine Arbeit das erste Mal für einen bestimmten Ausstellungsraum.

Jedoch konnten viele der Arbeiten bzw. die Idee dazu auch in einem anderen Raum gezeigt werden. In den meisten Diagrammen notierte Flavin den ersten Ausstellungs-raum der Konzeption, den Raum, für den eine Idee entstand.

Carl Andre nannte den ersten Ausstellungsort einer Arbeit ausdrücklich mit der Datierung.170 Andres Arbeiten bestehen nicht allein aus einem Material bzw. dem Objekt, sondern auch aus dem Platz, den sie belegen: Skulptur als Platz und Material171 gilt für seine raumbezogenen Arbeiten. Carl Andre denkt bei einer Ideen-suche immer an einen Ort, wenn auch nicht an einen konkreten: "There's always a location in mind, not necessarily a specific one, but rather, a location in scale."172 Im Zertifikat notierte Andre zudem des Öfteren auch die Ausstellungsgeschichte und die Art der Installation.173

Für Donald Judd ist der Ort eines Werks nicht so wichtig, ein Ortswechsel würde keine Änderung des Materials bedingen.174 Das Objekt steht im Mittelpunkt seiner

170 Vgl. Meyer-Hermann 1996, S. 13.

171 Vgl. Meyer-Hermann 1996, S. 21.

172 Andre, Interview mit Tuchman 1970, S. 55.

173 Vgl. Meyer-Hermann 1991, S. 25–26.

174 Vgl. Judd, Interview mit Poetter, 1989, S. 68–69: "[Poetter:] Zwar sind es die gleichen Stücke, wer-den sie aber noch iwer-dentisch sein, wenn sie eine andere Umgebung in sich aufnehmen? [Judd:] Ja, aber das ist nicht so wichtig. Ich meine, es sind dieselben Arbeiten, egal wo sie stehen. [...] [Poetter:] Aber könnte nicht doch die spezifische Umgebung verändernd wirken? [Judd:] Sicher, aber das ist einfach etwas Zufälliges, das ich, wie ich schon sagte, nicht so wichtig finde. Natürlich wird das Licht in West

Kunst und mag autonomer und raumunabhängiger sein als in Flavins und Andres Werken. In einer anderen Äußerung wünscht Judd, dass eine Arbeit, wenn sie an einem richtigen Ort steht, nicht nur für kurze Dauer aufgestellt werden sollte. Denn in der Wiederbegegnung mit dem Werk am selben Ort könne die Kunsterfahrung vertieft werden.175 Aus diesem Grund mag Judd ab 1979 in Marfa, Texas, begonnen haben, Dauerinstallationen seiner eigenen Kunst und der Arbeiten anderer Künstler einzu-richten.

Die Arbeiten der Minimal Art werden auch als ortsspezifisch bezeichnet, wenn sie für einen bestimmten Ort konzipiert wurden. Jedoch ist diese Ortsbezogenheit nicht mit dem von Richard Serra definierten Begriff "site-specific" gleichzusetzen. Serra verlangt von ortsbezogenen Werken nicht allein die Berücksichtigung formaler Aspekte, sondern ebenso die Beachtung von sozialen und politischen.176

Eine ortsspezifische Arbeit im Sinne Richard Serras kann nicht an einem Ort in-stalliert und an einem anderen wieder aufgebaut werden, da sie auf die spezifischen Gegebenheiten des Ortes, formal, sozial und politisch, eingegangen war.177 Titled Arc von 1989, eine Arbeit, die Richard Serra für einen bestimmten Platz hergestellt hatte, die dann aber an einen anderen Ort versetzt werden sollte, war somit für den Künstler zerstört. Die Arbeiten der Minimal Art dagegen wurden nicht nur an einem Ort gezeigt, sondern auch an einem anderen reinstalliert. Die Ortsbezogenheit der Minimal Art bezieht sich nicht ausschließlich auf einen einzigen Ort, da der Präsentationsort und dessen Raumintegration variabel ist.178 Die Beziehungen der einzelnen Objektkompo-nenten bleiben gleich, jedoch nicht die zur Komponente des Raums. Im Unterschied zu den Künstlern der Minimal Art verlangt Serra von seinen Skulpturen nicht eine Anpassung an die Umgebung, da es ihm auf eine Kritik oder zumindest "auf einen kraftvollen Dialog unter gleichberechtigten Partnern" ankommt.179 Den Arbeiten der

Texas anders sein, und sie werden etwas anders aussehen, aber ich denke, das ist nicht so wichtig. Es werden immer noch dieselben Arbeiten sein."

175 Vgl. Franz Meyer: Marfa, in: Judd, Wiesbaden 1993, (S. 24–30), S. 24.

176 Vgl. Richard Serra: "Titled Arc" zerstört (1989), in: Richard Serra: Schriften. Interviews. 1970–1989, Bern 1990, S. 227.

177 Susanne Leeb spricht den Arbeiten heute die einstige Provokation ab. Vgl. Susanne Leeb: Sturheit siegt, in: Texte zur Kunst, 9. Jg., Heft 34, Juni 1999, (S. 167–171), S. 170–171.

178 Vgl. Colpitt 1990, S. 86. Zu verschiedenen Strategien der Ortsbezogenheit vgl. Kevin Melchionne:

Rethinking Site-Specifity: Some Critical and Philosophical Problems, in: Art Criticism, Vol. 12, No. 2, 1997, S. 36–49.

179 Vgl. Armin Zweite: "Eine Stahlkurve ist kein Monument". Beobachtungen zu einigen Werken Richard Serras als Kommunikationsform des Unkommunizierbaren, in: Richard Serra, Running Arcs (For John Cage), Ausstellungskatalog, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 1992, (S. 7–116), S. 7.

Auch der englische Bildhauer Henry Moore sah die Plastik als gleichberechtigten Partner der Architektur, unter die ein Kunstwerk nicht untergordnet werden soll, wie es z. B. im Mittelalter üblich war. Henry Moore inspizierte genau einen Platz, für den eine Plastik entstehen sollte, z. B. für den Lincoln Center in New York mit Lincoln Center Reclining Figure von 1963/1965. Vgl. Silke Wenk: Henry Moore. Large Two Forms. Eine Allegorie des modernen Sozialstaates, Frankfurt a. M. 1997, S. 42. Vgl. Christa Lichtenstern:

Minimal Art wurde oft vorgeworfen, dass sie sich der Architektur unterwerfen.180 Ein Beispiel dafür ist eine Kontroverse, die während der Sixth Guggenheim International Exhibition von 1971 aufkam. Dort wurde ein Werk Daniel Burens suspendiert, ein der Architektur angepasstes Werk Dan Flavins aber beibehalten.181

Die drei Beispiele beziehen durch Größe und Art der Präsentation den Realraum in das Kunstwerk mit ein, in dem der Betrachter das Werk rezipiert. Anstelle eines illusio-nistisch dargestellten Raums in einem Gemälde, wird neben dem Objekt ein Realraum als Komponente des Kunstwerks erfahrbar. Judd schreibt, dass er durch die Präsen-tation eines realen Objekts im realen Raum den Bildillusionismus182 vermeiden wollte;

"I'm [sc. Judd] using actual space because when I was doing paintings I couldn't see any way out of having a certain amount of illusionism in the paintings."183

Im Gegensatz zu Judd argumentierte Robert Morris, dass dreidimensionale Objekte bzw. Skulpturen grundsätzlich keinen Illusionismus aufweisen. Die New Sculpture geht nach Morris auf die Tradition der Skulptur zurück; Raum, Licht und Material waren stets konkret gewesen.184

Sculpture, on the other hand, never having been involved with illusionism could not possibly have based the efforts of fifty years upon the rather pious, if somewhat con-tradictory, act of giving up this illusionism and approaching the object. Save for repli-cation, which is not to be confused with illusionism, the sculptural facts of space, light, and materials have always functioned concretely and literally. Its allusions or refer-ences have not been commensurate with the indicating sensibilities of painting.185 Diese unterschiedlichen Ansatzweisen zeigen erneut die verschiedenen Ausgangs-weisen und Intentionen Judds und Morris' in der Malerei bzw. in der Skulptur. Judd wollte den Illusionismus der Malerei beenden, für Morris stellte sich das Problem nicht, da er von der Skulptur ausgegangen war.

Henry Moore. Liegende. Zweiteilig Liegende I. Landschaft wird Figur, Frankfurt a. M. / Leipzig 1994, S. 35.

Zur Natur als Partner der Skulptur vgl. Peter Anselm Riedl: Henry Moore. König und Königin.

Werkmonographien zur bildenden Kunst, Stuttgart 1957.

180 Vgl. Nancy Spector: Against the Grain. A History of Contemporary Art at the Guggenheim, in: The Solomon R. Guggenheim Foundation (Hg.): Art of this Century. The Guggenheim Collection, New York 1993, (S. 257–286), S. 279.

181 Alexander Alberro griff die Problematik in den neunziger Jahren erneut auf. Vgl. Alexander Alberro:

The Turn of the Screw: Daniel Buren, Dan Flavin, and the Sixth Guggenheim International Exhibition, in:

October, No. 80, Frühjahr 1997, S. 57–84. Vgl. Alexander Alberro: Reply to Thomas M. Messer's comment on author's article "Turn of the Screw, Daniel Buren, Dan Flavin, and the Sixth Guggenheim International Exhibition", in: October, No. 82, Herbst 1997, S. 123–125.

182 Masaccio gilt als der erste Künstler, der mithilfe der Zentralperspektive im Fresko Trinitá, um 1425 (667 x 317 cm, Florenz, Sta. Maria Novella), die illusionistische Erweiterung des Realraums in der europäischen Malerei verwirklichte. Einen Höhepunkt findet der Illusionismus in der Deckenmalerei des Barocks. Die Zentralperspektive galt bis ins 19. Jahrhundert als vorbildlich.

183 Glaser, Interview Judd and Stella, 1966, S. 58.

184 Vgl. Morris, Part 1, 1966, S. 43.

185 Morris, Part 1, 1966, S. 43.

Eine neue Art von Illusionismus wurde geschaffen. Bei Flavins Kunstwerken erzeugt das Licht illusionistische Momente, Schein und Sein sind nicht unbedingt identisch. Die immaterielle Malerei an den Architekturelementen ist illusionistisch186 erzeugt, wie es sie zuvor in der Kunst noch nicht gegeben hat. Neben Dan Flavin erzielte auch Donald Judd mithilfe von farbigen Materialien und dem vorhandenen Beleuchtungslicht illusionistische Momente in seiner Kunst.187 Judd setzte bereits seit 1964 farbige Kunststoffscheiben ein, ein Beispiel dafür ist Untitled von 1969 (Abb. 96), eine Arbeit aus einem 83,8 cm x 172,7 cm x 122 cm großen Quader, der sich aus anodisierten Aluminiumplatten zusammensetzt. Zwei gegenüberliegende Seiten des Quaders sind offen, sodass man in und durch den Quader blicken kann. Die Innenseiten sind mit dunkelviolettfarbenen transparenten Kunststoffplatten ausgekleidet. Blickt man in den Quader, scheinen, bedingt durch die Spiegelung des Kunststoffs, die Innenkanten des Quaders aufgelöst. Der Betrachter verfällt der Illusion einer – nicht vorhandenen – Tiefe. Diese Wahrnehmungstäuschung wird verstärkt, wenn der Standpunkt so gewählt ist, dass man nicht auf die andere Seite hindurchblicken kann. Ferner gelang Donald Judd in einigen Arbeiten vor allem mithilfe von Plexiglasscheiben eine Reflexion auf der weißen Ausstellungswand oder eine Farbatmosphäre, was mit der immateriellen Malerei Dan Flavins zu vergleichen ist, allerdings ist der Effekt bei Judd viel dezenter. Ein Beispiel ist Untitled von 1989188 aus sechs offenen Aluminium-Kästen, in denen sich jeweils zur Hälfte schwarzer und orangefarbener Kunststoff befindet. Orange breitete sich aus dem Kasten heraus aus. Es bildete sich eine orangefarbene Atmosphäre. Diese Beispiele zeigen, dass auch in Judds Kunst Momente der Illusion existieren. Die dreidimensionalen Objekte wurden durch die Illusion der Farbwirkung erweitert.189

Im Dokument der Minimal Art und der Kunstlicht-Kunst (Seite 158-162)