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Rechtsextremismus in den ländlichen Räumen Schleswig-Holsteins

Im Dokument in den ländlichen Räumen (Seite 142-148)

Aufklärung

6.13 Rechtsextremismus in den ländlichen Räumen Schleswig-Holsteins

bearbeitet von Peter Perner

Zur Situation in Schleswig-Holstein

Unverändert ist auch der Norden nicht frei von Aktivitäten der rechten Szene. Sie un-terliegt, wie auch anderswo in der BRD, in mehrerlei Hinsicht schwankenden Prozes-sen im Zeitverlauf. Die Erfolge örtlicher und regionaler Bündnisse und Gerichtsverfah-ren gegen einschlägige Straftäter aus rechten parteigebundenen und freien StruktuGerichtsverfah-ren haben zu einem vorsichtigeren Agieren und Agitieren der rechtsextremen Kräfte in Schleswig-Holstein geführt.

Ein Grund zum Durchatmen ist dies freilich nicht. Die rechte Szene scheint vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen (Pegida, AfD, ALFA, wachsende Xeno-phobie) Morgenluft für ihre Themen zu wittern.

In der jüngeren Vergangenheit konnten durch engagiertes zivilgesellschaftliches Handeln die öffentliche Wahrnehmung und Wirkung rechter Aktivitäten massiv ein-gehegt werden. Der Lübecker „Trauermarsch“ ist seit März 2013 Geschichte. Ein

brei-tes Bündnis hat sich in Lübeck über Jahre den marschierenden Nazis entgegengestellt, Aufmärsche blockiert und dazu beigetragen, dass der Marsch für die rechte Szene in Schleswig-Holstein kein oder nur noch ein geringes Mobilisierungspotenzial entfalten konnte.

Einer sehr jungen aktionistischen Kameradschaft im Herzogtum-Lauenburg trat ein ebenfalls sehr engagiertes zivilgesellschaftliches Bündnis entgegen. Nach heftigen Drohgebärden (unter anderem Morddrohungen gegen Bürgermeister, Pröpstin und die Polizei) kam es als Folge hohen Ermittlungsdrucks zu schnellen Gerichtsverfahren gegen die Protagonisten und nachfolgend zu mehreren Verurteilungen. Die Gruppe zerbrach und löste sich auf.

Ein nicht organisierter Neonazi aus dem Nordkreis fiel mit über 70 xenophoben hetzerischen Videos auf Youtube auf. Zunächst war nicht klar, wo dieser zu verorten war. Durch eine genaue Analyse der auf Youtube eingestellten Hetzvideos konnte der Autor identifiziert und vor Gericht gebracht werden. Auch in diesem Fall wurde eine

empfindliche Strafe verhängt.

In Zusammenarbeit mit der örtlichen und überregionalen Presse wurde ausführ-lich über die Prozesse und die Urteile berichtet.

Als im Frühjahr 2015 der NPD-Kreisverband Neumünster vor einer temporären Flüchtlingsunterkunft (Turnhalle), die gerade bezogen werden sollte, einen Info-Tisch aufstellen wollte, konnten innerhalb von zwei Tagen über funktionierende Netzwerke zahlreiche Menschen zwischen Flensburg und Lübeck mobilisiert werden. Diese stell-ten sich nicht nur schützend vor die neuen BewohnerInnen, sondern waren auch zahl-reich genug, um den geplanten Info-Tisch der NPD vor der Öffentlichkeit abzuschir-men. Die NPD Neumünster verzichtete auf die weitere Aufstellung.

Seit 2010 hat der NDR eine eigene Seite, auf welcher ausführlich über die rechte Szene in Norddeutschland berichtet wird.80 Diese kontinuierliche Aufklärung der Öf-fentlichkeit über rechte Aktivitäten hat sicher dazu beigetragen, dass die Szene stark verunsichert ist und derzeit nicht mobilisierungsfähig zu sein scheint. Zudem mangelt es an Führungspersönlichkeiten.

Selbst die oftmals der Selbstdarstellung und Vergewisserung dienenden Internet-auftritte der im Lande verteilten Gruppen werden nur von wenigen AktivistInnenen betrieben und gepflegt. Dies scheint sich aber im Licht der aktuellen Entwicklungen zu verändern.

Seit einigen Jahren können von Schleswig-Holstein ausgehende länderübergrei-fende Aktivitäten beobachtet werden. Es gibt einen kommunalpolitischen Arbeitskreis der NPD im südlichen Schleswig-Holstein, der mit Mandatsträgern des Landkreises Lüneburg und des Kreises Nord-West Mecklenburg zusammenarbeitet. Seit kurzem ist eine gemeinsame Gruppierung der Jungen Nationaldemokraten (JN)

Hamburg-Nord-80 http://www.ndr.de/nachrichten/dossiers/der_norden_schaut_hin/Die-rechte-Szene-in-Norddeutschland,rechtsextremismus179.html

land aktiv, die im Hamburger Raum unter Einbeziehung des Kreisverbandes Stormarn / Herzogtum Lauenburg gegründet wurde. Thomas Wulff, NPD-Landesvorsitzender in Hamburg und Bundesvorstandsmitglied der NPD, half mit, diese Gliederung aus der Taufe zu heben. Es hat den Anschein, dass er die organisatorische Schwäche des NPD-Landesverbandes Schleswig-Holstein nutzen will, um seinen politischen Einfluss auf dieses Bundesland auszuweiten. Nennenswerte Reaktionen des Landesverbandes Schleswig-Holstein blieben bisher aus.

In Richtung Mecklenburg-Vorpommern sind Kontakte zum NPD-Thinghaus des Jameler Hammerskins Sven Krüger (Grevesmühlen, Kreis Nord-West Mecklenburg) aus den bereits benannten Räumen und der Region Lübeck / Ostholstein zu beobach-ten.

Die demokratisch verfasste Gesellschaft hat darauf mit Regionalkonferenzen eben-falls grenzübergreifend reagiert, um gegebeneneben-falls durch Netzwerkbildung auf Akti-vitäten zu reagieren und gemeinsame Strategien zu formulieren und umzusetzen. Das Ziel ist, die Wirkung rechter Aktivitäten, so gut es eben geht, zu begrenzen oder sie im Idealfall zu unterbinden.

Zahlen und Fakten

Welche Zahlen und Fakten können für Schleswig-Holstein als gesichert gelten?

Die Innenbehörde vermeldet für das Land einen Rückgang von 1.220 Rechtsex-tremisten im Jahr 2012 auf 1.070 im Jahr 2014. Von diesen werden 550 Personen als gewaltorientiert eingeschätzt.

Die Statistik der PMK81-rechts zeigt von 2010 bis 2014 einen Rückgang der Strafta-ten von 660 auf 439. Die Zahl der erfassStrafta-ten GewalttaStrafta-ten fiel im selben Zeitraum von 37 auf 21. Im Vergleichszeitraum haben sich NPD und Junge Nationaldemokraten (JN) von 200 Mitgliedern im Jahr 2012 auf 130 Mitglieder im Jahr 2014 „verschlankt“. In einzelnen Kommunalparlamenten werden von NPD-PolitikerInnen Mandate

wahrge-nommen, die aber in der Regel keine öffentliche Wirkung entfalten können. Die Betei-ligung an Wahlen durch die NPD Schleswig-Holstein führte in jüngster Zeit fast immer zu Ergebnissen, die eher im Promille-Bereich liegen. Bei der Europawahl 2014 bekam die NPD in Schleswig-Holstein 0,5 % der Stimmen.

81 Politisch Motivierte Kriminalität (PMK)

Selbstdarstellung

Als NPD-nah und HNG82-Nachfolger ist die „Nationale Hilfe Schleswig-Holstein e.V.“ einzustufen. Nach eigenem Bekunden geht es ihr darum, Parteikadern, die vor Gericht stehen, mit Rat und Tat oder auch Geld zur Seite zu stehen. Weiterhin betreibt der Landesverband der NPD Schleswig-Holstein eine Parteizeitung, die „Schleswig-Holstein Stimme“. Sie soll viermal jährlich erscheinen. Über die Internet-Ausgabe hin-aus ist sie mit einer angeblichen Auflage von 1.000 Exemplaren wohl nur InsiderInnen zugänglich. Inhaltlich lehnt sie sich an die Propaganda der „Deutschen Stimme“ der Bundespartei an. Schleswig-Holsteiner Themen werden von den Kreisverbänden bei-gesteuert.

Jüngere Kader versuchen über Müllsammelaktionen („Umweltschutz ist Heimat-schutz“), „Heldengedenken“ (in Aumühle liegt das Grab von Dönitz), Märsche an der ehemaligen innerdeutschen Grenze oder die Teilnahme am Tollensesee-Marsch in Neubrandenburg Öffentlichkeit herzustellen. Meist haben diese Aktivitäten nicht die gewünschte Resonanz. Für die Selbstvergewisserung nach innen haben sie jedoch eine nicht zu unterschätzende Bedeutung.

Obgleich die NPD in Schleswig-Holstein einen Aderlass zu verzeichnen hat, sind die freien unor-ganisierten rechten Kräfte nicht aus dem Blick zu verlieren. Es sind vielfach regionale lose Bezugsgruppen, die keine organisierte Struktur aufweisen. Diese finden sich zeitweise zu bestimmten The-men und Aktionen zusamThe-men, um danach wieder in anderen Bezügen zu wirken. In diesen Gruppen wird zuweilen eine sehr hohe verbale Aggressivität wahrgenommen, die auf ein hohes Maß an Radikalisierung schließen lässt.

In jüngster Zeit vereinzelt in Erscheinung getretene neue, scheinbar gemäßigte, rechte Gruppen wie Die Identitären spielen in Schleswig-Holstein noch keine wahr-nehmbare Rolle. Auch die esoterisch rechtsaffinen „Reichsbürger“ treten zwar spora-disch auf (u.a. in der Landeshauptstadt Kiel), haben aber bisher keine erkennbaren Strukturen oder Netzwerke aufbauen können. Republikaner (REP) und Deutsche Volksunion (DVU) spielen ebenfalls keine Rolle mehr.

Als neue Kraft ist die AfD zu nennen. Eine Pegida-Bewegung hat sich in Schleswig-Holstein trotz mehrerer Versuche nicht etablieren können. Der Anteil der NPDlerIn-nen und Rechten aus der freien Szene war zu offensichtlich und hat wohl die interes-sierten Gemäßigten nachdrücklich abgeschreckt.

Rechtsradikalismus ist in Schleswig-Holstein weniger eine städtische Erscheinung, sondern ein im gesamten Land wahrnehmbares Phänomen und kommt somit auch im ländlichen Raum vor.

82 Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörige (HNG)

Reichsbürger

Im Raum Nordfriesland und Flensburg ist der NPD-Kreisverband nicht mehr wahrnehmbar. Die dortigen Rechtsextremen sind weitgehend auf sich gestellt. Aller-dings bestehen Kontakte zu dänischen Rechten. Eine rechtsextreme Lehrerin, die vor drei Jahren in Bredstedt aktiv war, wurde aus dem Schuldienst entfernt.

Die „Wikinger Tage“ in Schleswig ziehen regelmäßig Rechte und Rocker an und entfalten über Schleswig-Holstein hinaus Wirkung. In der Region, auch im Raum Kiel, geht der Rechtsextremismus fließend in das Rocker-Milieu über.

Unter der Tarnbezeichnung „Wahlalternative Kieler Bürger“ hält der früher die NPD vertretende Neonazi Hermann Gutsche in der Kieler Ratsversammlung immer noch stramm rechts ein Mandat. Im Kreis Plön muss der rechte Munier-Verlag erwähnt werden. Dietmar Munier gibt dort in Martensrade am Selenter See eine Vielzahl von rechten bis ultrarechten Publikationen heraus, u.a. Periodika wie „Zuerst“ und militä-rische und soldatische Schriften zur Geschichte von Wehrmacht, Luftwaffe und Marine.

In seinem Verlag beschäftigt er überwiegend einschlägig bekannte Rechts extremisten.

Munier und seine MitarbeiterInnen verhalten sich sehr öffentlichkeitsscheu.

In der Region Neumünster hat sich im Frühjahr 2014 der Club 88 aufgelöst. Ein über die Grenzen Schleswig-Holsteins bekannter Szene-Treff schloss nach langen ver-geblichen Bemühungen der Stadt Neumünster für immer. Die Reste der Szene fanden eine neue Heimat in der Kneipe „Titanic“. Der NPD-Kreisverband Neumünster/Se-geberg gehört zu den aktiveren im Land. Auch im eher ländlichen Umfeld der Städte versuchen die ProtagonistInnen durch regelmäßige Info-Stände und andere Aktionen eine bessere Verankerung zu erlangen. Dauerhaft gelingt dies nur in Einzelfällen. Die Partei verzeichnet in dieser Region regelmäßige Unterstützung durch freie, nicht ge-bundene Aktivisten. Breit aufgestellte Bündnisse und ein runder Tisch machen viele Aktivitäten der Rechten allerdings zu Makulatur, weil sie die geplante Wirkung nicht

entfalten können.

Die rechtsextremen Gruppierungen an der Westküste Schleswig-Holsteins sind un-verändert existent. Sie finden aber seit längerem nicht mehr zu öffentlich wirksamen Aktivitäten zusammen. In Pinneberg gab es vor zwei Jahren einen rechtsextremen An-griff auf die örtliche Moschee, was zur Folge hatte, dass ein intensiver interreligiöser Dialog über die Kreisgrenzen hinaus initiiert wurde, der große Aufmerksamkeit auf sich zog.

Was wird uns künftig beschäftigen?

Über die Situation im ländlichen südlichen Schleswig-Holstein wurde weiter oben bereits ausführlich berichtet. Auch hier gilt: eine gut aufgestellte und hellwache Zi-vilgesellschaft kann den rechten Umtrieben durchaus etwas entgegensetzen. Hervor-zuheben ist, dass nicht nur die Regionalkonferenzen zu Vernetzungen und

Informa-tionsaustausch über rechte Aktivitäten führen, sondern auch gemeinsame Formate zur positiven politischen Bildung in den betroffenen Regionen realisiert wurden und weiterhin kontinuierlich realisiert werden. Mit den örtlichen Medien bestehen Abspra-chen darüber, ausführlich über Vorkommnisse zu informieren.

Das Thema Rechtsextremismus im ländlichen Raum macht es notwendig, noch ei-nen weiteren Gesichtspunkt zu betrachten. Die demokratisch verfasste Gemeinschaft kann diesem auch jenseits von Ordnungsbehörden, Polizei, Verfassungsschutz und Justiz viel entgegenstellen. Ein Beispiel hat der NDR aufgegriffen. Ein Einzelner hat er-folgreich den Rechtsextremen etwas entgegengesetzt, sehr zum Ärger der betroffenen Organisatoren.83

Was kommt künftig in Schleswig-Holstein auf uns zu? Die Flüchtlingssituation und die darin eingebettete Frage „Wie schafft das Land genug Erstaufnahmeeinrichtungen?“

ruft die RechtsextremistInnen seit langem auf den Plan. Andreas Speit, ein ausge-wiesener Kenner der rechten Szene im Norden, schrieb am 23.10.15 in der taz: „Im Norden rückt die rechte Szene zusammen. Die Kritik an der Asyl- und Flüchtlingspolitik lässt frühere Grabenkämpfe vergessen.“ Er zitiert die Präsidentin des Niedersächsischen Verfassungsschutzes, Maren Brandenburger: „Die Szene hat zwar keinen großen perso-nellen Zulauf, sie profitiert aber von der Grundstimmung.“ Das ist zutreffend und macht besorgt. Soweit ich es übersehen kann, sind die Bündnisse, Runden Tische und Akti-onsgruppen gut aufgestellt. Über funktionierende Netzwerke können sie sich diesen neuen Anforderungen zeitnah und wirksam stellen.

Im ländlichen Raum, in der „Pampa“ Schleswig-Holsteins, wird es wohl viel Ableh-nung des Neuen und Unbekannten geben. So war es auch in der Zeit nach 1945, als in diesem Bundesland rund eine Million Heimatvertriebener angesiedelt und integriert werden musste. Die neuen Heimatvertriebenen haben unser Engagement nicht nur verdient, sie müssen auch vor den Rechten jedweder Couleur wirksam beschützt wer-den.

83 http://www.ndr.de/nachrichten/Norddeutscher-macht-rechte-Konten-dicht,konten100.html.

Künftiges

Im Dokument in den ländlichen Räumen (Seite 142-148)

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