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Rechtsextremismus in den ländlichen Räumen Sachsen-Anhalts

Im Dokument in den ländlichen Räumen (Seite 138-142)

Aufklärung

6.12 Rechtsextremismus in den ländlichen Räumen Sachsen-Anhalts

bearbeitet von David Begrich

Einleitung

Die Erscheinungsformen des Rechtsextremismus sind wie in anderen Bundesländern auch in Sachsen-Anhalt im Wandel begriffen. Konnten rechtsextreme und neonazisti-sche Parteien und Gruppen in der zurückliegenden Dekade vor allem zu Fragen sozia-ler Widersprüche die Reichweite ihrer Politikangebote erhöhen, so trat mit Beginn des Jahres 2013 mit dem sukzessiven Anstieg der Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber-Innen eine Veränderung ein. In steigendem Maße agieren rechtsextreme AkteurAsylbewerber-Innen im lokalen Diskurs um die Unterbringung von Flüchtlingen als Anwälte jener Teile 77 Anmerkung der Redaktion: Die Zivilgesellschaft in Sachsen schläft derweil nicht. Davon zeugen

die Anti-Pegida-Demonstrationen, Projekte wie „Herz statt Hetze“ und „Dresden Nazifrei“ oder die unzähligen Initiativen im ganzen Bundesland, die sich für Flüchtlinge engagieren. Davon zeugt auch die Arbeit des Kulturbüros Sachsen e.V. mit seinen drei Regionalbüros des Mobilen Beratungsteams (vgl. Anhang S. 230). Zugleich werden die Träger der Zivilgesellschaft von der Landesregierung zu wenig unterstützt. Das Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen für Demokra-tie und Toleranz“, das Maßnahmen und Projekte im Sinne von Toleranz, Weltoffenheit und einer demokratischen Kultur unterstützt, reicht nicht aus.

78 https://www.tagesschau.de/inland/tillich-islam-101.html, Zugriff: 2.8.2016

der Bevölkerung, die AsylbewerberInnen generell ablehnen und bei denen rechte und fremdenfeindliche Ressentiments auf Zustimmung stoßen. Wo es rechten AkteurIn-nen gelingt, sich dergestalt zu authentifizieren, treten sie als „Bürgerinitiative“ und nicht unter dem Namen einer rechtsextremen Organisation auf und wahren somit den Schein des überparteilichen Charakters der Mobilisierungen gegen Flüchtlinge und AsylbewerberInnen.

Zur Lage in Sachsen-Anhalt

Als Kristallisationspunkt des Rechtsextremismus im ländlichen Raum erwiesen sich Strukturen des Sports und der Feuerwehr. Diese Strukturen bilden das Rückgrat der Soziokultur im ländlichen Raum und stehen somit im Schnittpunkt des Unterwan-derungsinteresses von rechten Akteuren. Exemplarisch lässt sich dies am Beispiel des Landkreises Jerichower Land verdeutlichen. Mit dem FC Ostelbien Dornburg hatte sich dort ein Fußballverein in der Kreisliga etabliert, in dessen Reihen in der Mehrzahl Neonazis und rechte Hooligans organisiert waren. Die Mitglieder des Vereins traten in der Region durch gewalttätige Übergriffe auf gegnerische Mannschaften und gewalt-tätige Sanktionen gegenüber politischen und weltanschaulichen GegnerInnen in Er-scheinung. Durch das Agieren des Vereins und seines neonazistischen Umfeldes wurde dessen Anspruch auf temporäre sozialräumliche Hegemonie deutlich. Als Akteur an der Schnittstelle zwischen Sport, dörflicher zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation und Rechtsextremismus waren Mitglieder des Vereins und ihres Umfeldes in der Lage, nachhaltig Einfluss auf das kommunale Klima auszuüben und jene über den Bereich des Sports hinaus einzuschüchtern, die lebensweltlich, habituell oder weltanschau-lich mit ihnen nicht übereinstimmen. Die Vorgänge um den mittlerweile aufgelösten Verein FC Ostelbien Dornburg zeigen exemplarisch, wie es subkulturell agierenden Neonazis im ländlichen Raum gelingt, subtile Mechanismen sozialen Vermeidungsver-haltens bzw. Anpassungsbereitschaft durchzusetzen. Dabei profitieren Neonazis von dem Umstand der Kleinteiligkeit der sozialen Strukturen und Beziehungen im ländli-chen Raum, an die vielfach Mechanismen sozialer Loyalität gebunden sind. So gelang es dem Verein Ostelbien Dornburg, im sozialen Nahraum als gemeinwohlorientierter Akteur und Sponsor aufzutreten. Er erhielt soziale Anerkennung auch von jenen

Dorf-bewohnerInnen, die rechten Akteuren ansonsten fernstehen.

Die faktische Unangreifbarkeit des Agierens des von Neonazis getragenen Vereins zerbrach letztlich an ihrer gewalttätigen Praxis im Umfeld von Fußballspielen, nicht an ihren Versuchen, mit gezielten sozialräumlichen Interventionen (Sanierung eines Spielplatzes auf eigene Kosten) Zustimmung und Konsens zu organisieren.

Die Situation des Rechtsextremismus im ländlichen Raum Sachsen-Anhalts ist durch eine Zunahme von Formen rassistischer und fremdenfeindlicher Mobilisierung

gekennzeichnet. Als Indikator für diesen Umstand kann die gestiegene Zahl frem-denfeindlich motivierter Versammlungen und Demonstrationen gelten. Bis Mitte November 2015 zählte die Arbeitsstelle Rechtsextremismus bei Miteinander e.V. 113 fremdenfeindlich motivierte versammlungsrechtliche Aktionen. Diese richteten sich direkt oder indirekt gegen die Unterbringung von AsylbewerberInnen. Hier fällt ein Metropole-Peripherie-Gefälle auf. Denn obwohl mit dem Pegida-Ableger Magida in Magdeburg und den sogenannten „Montagsdemonstrationen für den Frieden“ in Halle sich in Sachsen-Anhalt rechte Mobilisierungsformate auf niedrigem Niveau etablier-ten, findet die Mehrzahl der in Rede stehenden Veranstaltungen im ländlichen und kleinstädtischen Raum statt.

Parteipolitischer Rechtsextremismus

Zur Landtagswahl 2016 traten drei rechte Parteien in Sachsen-Anhalt an, die sich in ideologiegeschichtlicher Herkunft und politischer Praxis unterscheiden. Die NPD, die bei den Landtagswahlen 2011 noch 4,6 % der Stimmen erhielt, trat personell und struk-turell geschwächt zur Wahl an. Sie kam im März auf 1,9 % der Stimmen. Die Partei Die Rechte rekrutiert und organisiert die jugendkulturell ausgerichtete militante Neonazi-szene. Auch sie trat zu den Wahlen an. Ihre auf die Kreisstädte konzentrierte Demons-trationskampagne bot lokalen militanten Neonazis eine Plattform für die Ausübung von Gewalt und sozialräumlicher Propaganda. Zugleich war im Hinblick auf die AfD eine scharfe Strategie der Polarisierung und

Zu-spitzung der politischen Kultur in Sachsen-Anhalt im Hinblick auf die Flüchtlingsdebatte zu erwarten.

Das Wahlprogramm der AfD zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im März 2016 ließ darauf

schlie-ßen, dass die Partei im Wahlkampf massiv die vorhandenen Ängste und Vorurteile aufzugreifen suchte, um sie in politisches Kapital in Form der weitreichenden Zu-stimmung zu ihren rigiden antiliberalen und extrem rechten Politikkonzepten umzu-münzen. Nicht nur in Sachsen-Anhalt ist in der AfD die Hemmschwelle bezüglich des Kontakts mit neonazistischen AkteurInnen in den letzten Monaten deutlich gesunken.

Die AfD bietet sich somit als ideologisches Sammelbecken für rechte Strömungen von rechts-konservativ bis neonazistisch an und hat diesen Kurs auch im Wahlkampf bei-behalten.79

79 Anmerkung der Redaktion: Die AfD zog 2016 mit 24,3 % der Stimmen als zweitstärkste Kraft in den Landtag Sachsen-Anhalt ein.

Agieren

Zivilgesellschaftliche Akteure

In ländlich und kleinstädtisch geprägten Regionen sind zivilgesellschaftliche Kräfte schwach vertreten. Die Ursachen sind vielschichtig. Die Abwanderung junger, gut ausgebildeter Menschen schwächt seit Jahren die auf ehrenamtliches Engagement angewiesenen zivilgesellschaftlichen Akteure. Das erschwert sowohl das Eintreten für Demokratie und gegen Rechtsextremismus als auch die Entwicklung vielfältiger kultureller und sozialer Aktivitäten. Milieus, die sich in den letzten Jahren als Trä-ger zivilgesellschaftlichen Engagements erwiesen, sind ebenso vom demografischen Wandel betroffen. Dennoch konnten in der letzten Dekade in ländlich und kleinstäd-tisch geprägten Sozialräumen stabile Kerne zivilgesellschaftlicher Aktivitäten über die Entwicklung von BürgerInnen- und Aktionsbündnissen etabliert werden. Die Ar-beitsfähigkeit dieser Zusammenschlüsse ist in hohem Maße an die Einsatzbereitschaft einzelner Personen gebunden, die durch ihre lokale Rolle als BürgermeisterIn oder PfarrerIn eine herausgehobene Rolle in ihren Sozialräumen einnehmen. Zugleich wird erkennbar, dass und in welcher Weise Menschen sozial unter Druck geraten, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Der Fall des Tröglitzer Bürgermeisters Markus Nierdt, der unter dem Druck der regionalen Neonazi-Szene in der Flüchtlingsfrage zurücktrat, lieferte ein Schlaglicht auf die Herausforderungen, vor denen die lokale Demokratie in den Orten steht, in denen sie auf Formate rassistischer Mobilisierung zu reagieren hat, die in der Bevölkerung auf Resonanz stoßen.

Auf die skizzierten Herausforderungen reagieren Staat und Zivilgesellschaft mit differenten Handlungsstrategien.

So existiert in Sachsen-Anhalt ein Landesprogramm für Demokratie und Toleranz, welches die Aktivitäten der Zi-vilgesellschaft zusammenführen und bündeln soll. Jähr-lich stattfindende Landeskonferenzen dienen dem Austausch und der Fachberatung in Fragen der Stärkung der Demokratie. Darüber hinaus sind in Sachsen-Anhalt die Bundesprogramme „Demokratie leben“ und „Zusammenhalt durch Teilhabe“ des Bun-desministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend implementiert und werden vor Ort durch freie Träger umgesetzt. Dass Sozialministerium des Landes stellt eine umfangreiche Ko-Finanzierung zur Verfügung.

Herausforderung für die Mobile Beratung

Der Erfolg rassistischer Mobilisierungsversuche hängt stark davon ab, wie gut die re-gionale rechte Szene auftreten kann und in welcher Form sich zivilgesellschaftliche Kräfte dieser Herausforderung stellen. Die Auseinandersetzung mit rassistischer

Agi-Milieu

tation – sei es im Internet, auf der Straße oder in den Parlamenten – stellt die zentrale Herausforderung für die Bildungs-, Recherche- und Beratungsarbeit im Land dar.

Aus der skizzierten Situation ergeben sich neue Herausforderungen für die Arbeit im Themenfeld der Mobilen Beratung. Es gilt, in der Beratungsarbeit nach Wegen der nachhaltigen Unterstützung und Stärkung jener zu suchen, die sich haupt- oder ehren-amtlich für Flüchtlinge und deren Integration einsetzen. Dabei werden Aspekte des individuellen Sicherheitsbedürfnisses und der Gefährdungslage eine stärkere Rolle hinsichtlich der Frage spielen, zu welchen Formen des Engagements gegen Rassismus und Rechtsextremismus die Mobile Beratung rät. Hierzu ist stärker als in der Vergan-genheit die Klärung der zur Verfügung stehenden materiellen und psychischen Res-sourcen derer, die vor Ort die Arbeit in Bürgerbündnissen tragen, nötig. Dazu gehört die Entwicklung von neuen Konzepten des Schutzes wie auch die Suche nach Formen des Wissens- und Handlungstransfers jenseits von Landeskonferenzen und Tagungen.

Bereits in den letzten Monaten wurden verstärkt Beratungen zum Thema Sicherheit für zivilgesellschaftliche AkteurInnen angefragt.

Es kann davon ausgegangen werden, dass die neu im Landtag vertretene AfD (ähn-lich wie in Thüringen) die neuen Mittel u.a. zur Diskreditierung zivilgesellschaft(ähn-licher Organisationen und Strukturen nutzen wird. Sowohl die zu erwartenden parlamenta-rischen Aktivitäten der AfD als auch die Unterstützung der angeschlossenen rechten Milieus dürften auf die Arbeit der Beratungsobjekte direkte Auswirkungen haben.

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