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Die Herausbildung wissenschaftlicher Interessengemeinschaften zur Vertretung einer anwen-dungsorientierten Physik und Technik in der Medizin vollzog sich nach der zwangsverord-neten Separation auch der wissenschaftlichen Gesellschaften durch die örtliche Obrigkeit nach 1961 in Ostdeutschland nur zögernd. Anfangs glaubten die im Grenzgebiet Physik-Medizin tätigen, relativ wenigen Physiker noch an die Einsicht der Obrigkeit in die Notwendigkeit einer internationalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit gerade auf einem sich entwickeln-den interdisziplinären Gebiet. Dies stellte sich jedoch bald als Irrtum heraus. Da nach 1961

„Westkontakte“ immer unerwünschter und die Teilnahme an wissenschaftlichen Veranstaltun-gen des Westens immer spärlicher wurde, suchte man notgedrunVeranstaltun-gen nach WeVeranstaltun-gen, um aktuelle Informationen für die eigene Arbeit zu erhalten und den Anschluss an den internationalen Stand nicht zu verlieren, mehr noch, zu versuchen, diesen mitzubestimmen und außerdem den Nachwuchs auf dem Laufenden zu halten. Dabei konnten die älteren Fachkollegen ihre Arbeit auf Kontakte stützen, die sie während des Studiums fanden oder auch noch bis 1960 auf privaten Wegen knüpfen konnten. Hinzu kamen physikalische oder biophysikalische Abtei-lungen in vorklinischen Einrichtungen und einzelne Labors in Kliniken, wie z.B. in Magde-burg, Greifswald und Rostock. Es war dabei nahezu das gesamte Methodenspektrum biophy-sikalischen Arbeitens vertreten, allerdings mit unterschiedlichem Ausrüstungsgrad, der im Laufe der Jahre veraltete. Doch ein vorhandener und nicht zu verleugnender Erfindergeist, verbunden mit der Heranschaffung notwendiger technischer Bauelemente auf zum Teil ver-botenen Wegen brachte manches innovative Forschungsergebnis hervor, wie z.B. Beiträge zur Biophysik des Ultraschalls, zur Hämorheologie, zur Membran- und Zellbiophysik, zur Infor-mationsverarbeitung u.a., die man der Literatur entnehmen kann.

Der Drang nach Informationsaustausch ließ zunächst wissenschaftliche Arbeitskreise entste-hen, die sich auf den Grenzgebieten der Naturwissenschaften und Medizin in der Gesellschaft für reine und angewandte Biophysik etablierten, die ihrerseits aus der biophysikalischen Gesellschaft hervorging und mit der biomedizinischen Technik und klinischen Gesellschaften eng kooperierte. Das steigende Bedürfnis nach problemorientierten Informationen und die in den o.g. Instituten und Kliniken entstandenen methodisch orientierten Forschungsgruppen

drängten auf die Bildung geeigneter wissenschaftlicher Gremien zur Förderung des Erfah-rungsaustausches und der Fortbildung. So kam es 1972 zur Gründung der „Sektion Medizini-sche Physik“ neben anderen Sektionen in der oben genannten. Gesellschaft, die aufgrund ihrer inzwischen umfassenden Arbeit in „Gesellschaft für physikalische und mathematische Biolo-gie“ umbenannt wurde. Absicht der „Sektion Medizinische Physik“ war es, ein Forum für per-sönliche Kontakte und wissenschaftliche Diskussionen sowie eine Interessenvertretung jener im medizinischen Bereich tätigen Naturwissenschaftler zu schaffen, die sich bei der Lösung ihrer fachlichen Aufgaben der experimentellen und theoretischen Methoden der Physik bzw.

Biophysik bedienten oder an der Schaffung bzw. Verbesserung solcher Methoden theoretisch und experimentell arbeiteten. Daraus ergab sich eine Reihe von Aufgaben, wie die Durchfüh-rung von wissenschaftlichen Veranstaltungen, die Beschäftigung mit Fragen der Lehre und der Aus- und Weiterbildung, die Schaffung geeigneter Möglichkeiten für Publikationen, die Information der Mitglieder über Tagungen, die Diskussion der Probleme des Physikers in der Klinik hinsichtlich Forschungs- und Routinearbeit. Als wesentliches Anliegen der Sektion galt die Fortbildung von in der medizinischen Physik tätigen Naturwissenschaftlern und Ärzten.

Aufgrund der verbreiteten Fortbildungsbedürfnisse wurden von der damaligen Akademie für ärztliche Fortbildung postgraduale Studien mit dem Ziel ins Leben gerufen, durch fachspezifi-sche Weiterbildung die Qualität und Wirksamkeit der medizinifachspezifi-schen Forschung und Betreu-ung „garantieren zu helfen und wirksam zu erhöhen“. Die Aufnahme des postgradualen Stu-diums der medizinischen Physik setzte ein abgeschlossenes Hochschulstudium naturwissen-schaftlicher oder technischer Fachrichtungen voraus. Sie erforderte ferner die Beherrschung der theoretischen und experimentellen Methoden der Physik sowie der mathematischen Theo-rien und Verfahren, wie sie in den Lehrplänen der Universitäten für die Fachrichtung Physik verbindlich festgelegt sind. Für das Lehrprogramm wurden folgende Inhalte festgelegt:

1. Medizinisch-biologische Grundlagen 2. Spezielle Gebiete der Biomedizintechnik 3. Rechtsgrundlagen

4. Datenverarbeitung und medizinische Statistik 5. Biophysik der Energiewechselwirkungen 6. Problemorientierte molekulare Biophysik 7. Biophysik der Zelle

8. Biophysik der Organe und Organsysteme

9. Physikalische Eigenschaften von Biomaterialien

10. Spezielle ausgewählte Methoden der experimentellen Biophysik 11. Spezielle ausgewählte Methoden der theoretischen Biophysik.

Das Studium umfasste einen Zeitraum von vier Jahren mit sieben Lehrgängen und Hospitatio-nen. Am Ende der Ausbildung stand ein Abschlussgespräch mit einer Bewertung. Es bestan-den bei weitem nicht alle Kandidaten. Nach erfolgreichem Abschluss wurde ein Zertifikat zur Anerkennung als ,,Fachphysiker in der Medizin“ verliehen. Sie bedeutete die organisatorische Gleichstellung zum Facharzt. Für die radiologische Physik bestand ein getrenntes, ebenfalls zur Anerkennung als „Fachphysiker der Medizin“ führendes postgraduales Studium, wie es auch eine getrennte Sektion der Strahlenphysiker gab, die zur Gesellschaft für Medizinische Radiologie gehörte.

Im Unterschied zur DGMP war in der „Sektion Medizinische Physik“ die radiologische Physik nicht vertreten. Die „Sektion Medizinische Physik“ entwickelte auch ein eigenständi-ges Tagungsleben mit einer Symposiumsreihe „Medizinische Physik“ und weiteren Einzelver-anstaltungen. Diese wurden organisatorisch vornehmlich von den o.g. Zentren getragen, in der Themengestaltung jedoch von allen Mitgliedern unterstützt. Die Tagungsarbeit war gewisser-maßen ein Ersatz für die Behinderungen bei Reisen ins Ausland, besonders zum westlichen Nachbarn. Um den Ersatz auch einigermaßen effektiv zu gestalten, war es „höchst wohlwol-lend“ gestattet, eine begrenzte Zahl ausländischer Wissenschaftler als Gäste zu laden. Dabei wurde das von der Obrigkeit vorgeschriebene Ost-West-Verhältnis 2:1 von der Tagungslei-tung „versehentlich“ häufig umgekehrt, was manche Schwierigkeiten bereitete. Es gab ausge-sprochene Highlights bei diesen Veranstaltungen, wie das 7. Symposium ,,Biomechanik und Stofftransport“, das anschließende Symposium zur „Nichtinvasiven Blutstromdiagnostik“ oder das internationale Symposium „Ultrasound Interaction“ 1980 in Reinhardsbrunn. Mit Hilfe der IOMP, des damaligen Präsidenten Prof. Mallard und des Sekretärs Prof. Walstam schaffte es die Tagungsleitung gerade im letztgenannten Symposium, verordnete Beschränkungen auszu-räumen. Die Themengestaltung aus den eigenen Reihen gab Auskunft über die Forschungsin-halte in medizinischer Physik, und bei den zur Verfügung stehenden Meßmethoden kamen manche innovativen Ergebnisse zur Diskussion, die von den ausländischen Fachkollegen mit Anerkennung honoriert wurden. Diese Treffen waren auch die Quelle für mannigfaltige Unter-stützung von Seiten der Fachkollegen der alten Bundesländer und des Auslandes.

Eine weitere Aufgabe, der sich die Sektion verschrieben hatte, war die Gestaltung der Physik- und Biophysikausbildung in der Vorklinik. Geleitet von dem Wunsch vieler Studenten und von Klinikern zu mehr Medizinbezogenheit bei der Physikausbildung wurden in Absprache mit Physiologen und klinischen Fächern die Lehrinhalte umgestellt und die physikalischen Praktika neu gestaltet. Diese Arbeit, zusammen mit der Einordnung der Physik für Mediziner in die Medizinische Fakultät mit Übernahme der Vorlesung und Praktika durch in der Medizi-nischen Physik erfahrene Hochschullehrer, hat sich sehr bewährt. Die Studenten sind an der Physik interessierter geworden als bei der früheren Vermittlung der Experimentalphysik. Aus-druck dafür ist u.a. eine vorher nie gekannte Nachfrage nach Promotionsthemen aus der medi-zinischen Physik. Diesen kurzen Rückblick über eine kleine, aber in ihrer Arbeit und in ihrer Haltung nicht zu vergessende wissenschaftliche Interessengemeinschaft in den neuen Bun-desländern kann nach einer erst kurzen Startphase nach der Wende auch nur ein kurzer Aus-blick folgen.

Bei der Vielzahl von Angeboten zur Fortführung ihrer bisherigen Tätigkeit in der medizini-schen Physik haben sich viele ehemalige Mitglieder der Sektion auch klinimedizini-schen Arbeitsgrup-pen zugewandt. Medizinphysiker der größeren Zentren fanden dagegen in der DGMP längst ihre Heimstatt, nachdem sie erkannt hatten, dass hier von den Facharbeitskreisen eine wirk-same Unterstützung erfolgt. In vielfältiger Weise ist diese bereits zu verzeichnen. In den For-schungsgruppen der neuen Bundesländer hat dabei schon allein der sprunghaft verbesserte persönliche Kontakt einen entscheidenden Aufschwung gebracht. Materielle Unterstützungen sind zu verzeichnen. Gemeinsame Forschungsprojekte werden nicht nur geplant, sondern bereits bearbeitet. Noch sind viele gegenseitige Wünsche offen und manche Schwierigkeiten zu überwinden, z.B. ungeklärte Strukturfragen und der Stellenplan. Das größte Hindernis zur gemeinsamen wissenschaftlichen Arbeit ist allerdings endgültig beseitigt.

R. Millner

Impressum

Herausgegeben von der

Deutschen Gesellschaft für Medizinische Physik e.V. (DGMP), Berlin 2013 Autoren:

Dr. rer. medic. Dietlof Puppe, Potsdam

Dr. phil. nat. Hans-Joachim Schopka, Potsdam Dr.-Ing., Dr. sc.-techn. Klaus Welker, Berlin Druck: Oktoberdruck, Berlin

ISBN 3-925218-46-7