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Schülervorstellungen

Die im folgenden Kapitel entwickelten Thesen, wie Lehrervorstellungen über Schüler-vorstellungen und über den Umgang mit ihnen verändert werden könnten, damit sie sich letzt-endlich als förderlich in der täglichen Unterrichtspraxis erweisen, basieren auf den in Kapitel 3 dargestellten theoretischen Grundlagen und den in Kapitel 5 beschriebenen empirischen Ergebnissen der Studie. Sie können als Hinweise und Handlungsanregungen sowohl auf die universitäre fachdidaktische Ausbildung und das Referendariat (Ausbildungsabschnitt 2), als auch auf die berufliche Weiterbildung von Lehrkräften Einfluss nehmen. Das Kapitel ist so gegliedert, dass zuerst die Hauptproblemfelder, die sich aus den empirischen Befunden ableiten lassen, aufgezeigt werden, für die anschließend denkbare Lösungsansätze vorgeschlagen werden. Mit dem Ziel, auf der Grundlage dieser Studie praxisrelevante Umsetzungs-möglichkeiten aufzuzeigen, wird am Schluss auf Wege eingegangen, wie die Ergebnisse der Studie in die Praxis überführt werden können.

Eine Erkenntnis der Studie ist schlicht und ergreifend: Mit Lehrervorstellungen verhält es sich genauso wie mit Schülervorstellungen; sie sind erfahrungsbasierte Konstrukte einer Lehrperson, die ein Gemisch von Wissensbeständen und Erfahrungen darstellen. Sie haben sich als subjektive Erklärungsmuster bei der Ausübung der beruflichen Tätigkeit bewährt und sind deshalb ebenso persistent wie Schülervorstellungen. Aus diesem Grund ist es illusionär davon auszugehen, dass ein quasi Reden über Lehrer- und Schülervorstellungen allein geeignet ist, eingefahrene Strukturen aufzubrechen. Drei Problemfelder können pointiert werden. Erstens zeigt sich im Zusammenhang mit dem Professionswissen von Lehrkräften, dass fachdidaktisches Grundlagenwissen über Schülervorstellungen bei den Lehrkräften bereits vorhanden ist. Es basiert allerdings überwiegend nicht auf den theoretischen Wissensbeständen der Lehrkräfte, sondern speist sich aus ihrer Berufserfahrung. Betrachtet man das Kompetenzstrukturmodell (Kap. 3), wird zweitens klar, dass der Einfluss von subjektiven Theorien über das Lehren und Lernen, insbesondere die epistemologischen Überzeugungen der Lehrkräfte über die Gestaltung von Geographieunterricht aufgrund der Wissensdesiderate eine überragende Auswirkung haben und im Unterricht handlungsleitend sind. Drittens scheint sich Handlungsbedarf bezüglich der Diagnosekompetenz im Zusammenhang mit dem Auftreten von Schülervorstellungen im Unterricht aufzutun. Mögliche Optimierungsansätze müssen demzufolge mehrere Aspekte berücksichtigen. Wendet man sich innerhalb des Kompetenzstrukturmodells zunächst dem

Professionswissen zu, wird klar, dass das fachdidaktische Wissen über Schülervorstellungen geschärft und erweitert werden muss. Gleichsam wird deutlich, dass reiner fachdidaktischer Input wenig erfolgsversprechend ist, denn die Aneignung neuer Wissensbestände induziert noch lange keine Einstellungsänderung. So kann der Erwerb von Wissen über Schülervorstellungen und über den Umgang mit ihnen allenfalls der Ausgangspunkt für die Überzeugung von Lehrkräften sein, einen Perspektivwechsel ihrer Sicht auf das Lehren und Lernen vorzunehmen.

Insbesondere gilt dies für ein Umdenken weg von der tief verankerten kognitivistischen hin zur konstruktivistischen Lerntheorie. Infolgedessen können hartnäckige Überzeugungen bezüglich des Umgangs mit Schülervorstellungen und daraus resultierende Handlungsmuster aufgebrochen werden. Dafür ist es wiederum unablässig, dass die Reflexionskompetenz und -willigkeit der Lehrkräfte über ihren Unterricht entwickelt werden muss. Jedwedes ausgeklügelte Aus- oder Weiterbildungskonzept ist zum Scheitern verurteilt, wenn die Lehrkraft nicht offen für eine kritische Betrachtung ihrer Unterrichtsgestaltung ist. Hier tritt erneut die Diagnosekompetenz zutage, allerdings in anderem Kontext. Die Lehrkräfte müssen neben der Fähigkeit, Schülervorstellungen als mögliche Lernschwierigkeiten zu identifizieren, zusätzlich willens und in der Lage sein, ihre Handlungsmuster zunächst re- und anschließend dekonstruieren zu können. Erst dann wird es möglich sein, Unterrichtsskripts so zu gestalten, dass komplette Lernangebote auf der Basis des Umgangs mit Schülervorstellungen entwickelt werden können und die Schüler nicht nur lediglich dort abgeholt werden, wo sie stehen, um anschließend mangels Alternativen seitens der Lehrerschaft letztendlich doch allein gelassen zu werden mit ihren Vorstellungen. Nun ergibt sich die Frage nach den Konsequenzen für die Umsetzbarkeit der Lösungsansätze in der Praxis. Hierbei sollte sowohl Augenmerk auf die universitäre Ausbildung als auch auf die begleitende Fortbildung während der praktischen Berufsausübung gelegt werden. Die Implementierung einer Fokussierung auf Lehrervorstellungen während des Studiums der Geographie-Fachdidaktik scheint organisatorisch einfacher umsetzbar zu sein. Ergänzend zu Lehrveranstaltungen über Schülervorstellungen könnte in Vorlesungen zunächst Professionswissen über subjektive Theorien von Lehrkräften zu Schülervorstellungen vermittelt werden. Damit die bereits vorhandenen Denkschemata der Studierenden über den Umgang mit Schülervorstellungen konstruktivistisch ausgerichtet werden können, ist es gleichzeitig notwendig, zunächst die eigenen Vorstellungen zu re- und dekonstruieren. Ergänzend sollte ein unmittelbarer Praxisbezug in Betracht gezogen werden; idealerweise werden die Studierenden mit Auswirkungen typischer Lehrervorstellungen über den Umgang mit Schülervorstellungen in Kontakt gebracht, die ebenfalls unter verschiedenen Aspekten analysiert werden. Dies könnte beispielsweise auf der Basis von Videoanalysen geschehen. Bei der Einbindung der Thematik in

Fortbildungskonzepte sollten die Vorlieben der Lehrkräfte bezüglich ihrer Wissenserweiterung nicht außer Acht gelassen werden. Es hat sich gezeigt, dass die Wissenserweiterung der interviewten Geographielehrkräfte sowohl über Printmedien als auch in Fortbildungs-veranstaltungen erfolgt. Die Thematisierung von Lehrervorstellungen über Schülervorstellungen ausschließlich über Artikel in Zeitschriften vornehmen zu wollen ist nicht sonderlich erfolgsversprechend, weil eine Reihe von Lehrkräften sagt, dass sie zwar informell Literatur-studium betreiben, dies aber nicht konsequent, sondern interessen- und vor allem zeitabhängig.

Ein möglicher Weg sind institutionalisierte Fortbildungskonzepte; diese sollten allerdings über einen längeren Zeitraum laufen und von einer gleichberechtigten Zusammenarbeit von Fachdidaktikern und praktizierenden Lehrkräften profitieren können. Vorstellbar wären neben den üblichen Kompaktseminaren in Lehrerfortbildungseinrichtungen Online-Kurse, wie sie beispielsweise bereits für Studierende in der Virtuellen Hochschule Bayern angeboten werden.

Eine weitere, in der Literatur vor allem durch JELEMENSKA (2012) vertretene Methode ist die des Fachdidaktischen Coachings. Interessierte Lehrkräfte erklären sich für einen längeren Zeitraum bereit, mit Fachdidaktikern zusammenzuarbeiten, um ihre Strategien, in diesem Fall im Umgang mit Schülervorstellungen zu innovieren und sich dabei wissenschaftlich von spezialisierten Fachdidaktikern coachen zu lassen. Dies geschieht im Geographieunterricht der Lehrkraft während des laufenden Schuljahres an der jeweiligen Schule. Der Lernprozess der Lehrkraft während der Maßnahme wird von beiden Seiten beobachtet, kritisch reflektiert und optimiert.

Unabhängig davon, ob universitäre Ausbildung oder Schulpraxis (Referendariat und Berufsausübung), ist das Modell der Didaktischen Rekonstruktion als methodischer und theoretischer Rahmen geeignet, um letztendlich zu lernen, wie konstruktivistische Lernangebote zu gestalten sind. Das beinhaltet die Entwicklung von Strategien, die ein aktives, situiertes, selbstgesteuertes Lernen ermöglichen. Besonderes Augenmerk kann auf die Erstellung von kognitiv aktivierenden Aufgabenstellungen gelegt werden, da sich diesbezüglich in der vorliegenden Studie Defizite gezeigt haben. Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion (Kap. 3) könnte so adaptiert werden, dass Lehrervorstellungen über Schülervorstellungen im Geographieunterricht zunächst thematisiert werden, um die Lehrkräfte für ihre eigenen subjektiven Theorien über Schülervorstellungen zu sensibilisieren. Diese werden der fachwissenschaftlichen Sichtweise über Schülervorstellungen und den Umgang mit ihnen gegenübergestellt und Schnittmengen herausgearbeitet. Dabei stehen sich beide als gleichwertig gegenüber. In der didaktischen Strukturierung erfolgt nun nicht die Konstruktion von Lernumgebungen, die Schülervorstellungen und fachwissenschaftliche Sichtweisen auf Unterrichtsthemen bestmöglich didaktisch strukturiert, sondern es wird herausgearbeitet, wie beide Perspektiven optimal miteinander verknüpft werden können. Die Ressourcen beider Seiten

werden für die Rekonstruktion und Dekonstruktion der bisherigen inhärenten mentalen Skripts der Lehrkräfte genutzt, damit die nach außen sichtbaren, kognitivistisch ausgerichteten Unterrichtsskripts auf der Basis der konstruktivistischen Lerntheorie umstrukturiert werden können. Idealerweise wird die aktive Auseinandersetzung mit Lehrervorstellungen in allen Abschnitten des beruflichen Werdegangs einer Lehrkraft kumulativ aufeinander abgestimmt und mit Inhalten zur Thematik der Schülervorstellungen verknüpft. Theoretisches Basiswissen zum Thema wird in der universitären Ausbildung konstruiert und gleichzeitig Augenmerk auf eine erste Reflexion der eigenen subjektiven Theorien zum Umgang mit Schülervorstellungen gerichtet. Schulpraktika können genutzt werden, um Erfahrungen mit den individuellen Lehrer-(Studierenden-)vorstellungen in schulpraktischem Kontext zu sammeln und zusätzlich durch Hospitationen Auswirkungen der subjektiven Theorien zum Thema bei erfahreneren Berufskollegen auf die Unterrichtsgestaltung zu beobachten und gemeinsam zu rekonstruieren.

Bestenfalls profitieren beide Seiten von dieser Vorgehensweise. Eine ähnliche Strategie ist für das Referendariat vorstellbar, in dem die theoretischen Grundlagen erneut aufgegriffen werden und nun mit umfangreichen praktischen Erfahrungen zusammengeführt werden. Ziel könnte sein, einen möglichen Conceptual Change hinsichtlich des eigenen Umgangs mit Schüler-vorstellungen bewusst zu beobachten und rekursiv zu reflektieren, sodass sich am Ende des Ausbildungsabschnitts 2 die intrapersonalen subjektiven Vorstellungen über den Umgang mit Schülervorstellungen derart verändert haben, dass ein konstruktivistischer Umgang mit ihnen bei Eintritt ins Berufsleben eine Selbstverständlichkeit ist. Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass sich sowohl der Referendar als auch die Seminarlehrkraft auf theoretischer Ebene auf Augenhöhe begegnen und auf sie als Diskursbasis aufbauen können.