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„Die Struktur und Wirkungsweise des professionellen Wissens, das die Grundlage des routinierten Handelns von Lehrern bildet, ist erst in Ansätzen untersucht“ (BROMME 1997, S. 199). Während die Schülervorstellungsforschung seit Jahren einen festen Platz in den didaktischen Forschungen vor allem der naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächer hat (vgl. LLBG2011), sind Vorstellungen von Lehrkräften über die Alltagstheorien ihrer Schülerinnen und Schüler, auch im Geographieunterricht, immer noch weitestgehend unerforscht. Im Zusammenhang mit den Paradigmenwechseln, der Kompetenzdebatte sowie unter Berücksichtigung der mathematischen Leistungsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern, deren schlechtes Abschneiden in der ersten PISA-Studie (Programm for International Student Assessment, vgl. OECD 2010) im Jahr 2001 für Aufsehen gesorgt hatte, wird der Lehrerprofessionalisierungsforschung wieder vermehrt Aufmerksamkeit gewidmet. Besonders in den Fachdidaktiken der Mathematik und der reinen Naturwissenschaften wurde die Erforschung des Professionswissens von Lehrkräften vorangetrieben. In Deutschland zeigten sich zwei Forschungsprojekte federführend. Die Studie zum Professionswissen von berufstätigen Lehrerinnen und Lehrern, kognitiv aktivierendem Mathematikunterricht und der Entwicklung mathematischer Kompetenz (COACTIV; BAUMERT &

KUNTER 2006; BRUNNER ET AL. 2006) liefert erste umfassende und wegweisende Ergebnisse, die für die Lehrerprofessionalisierungsforschung bedeutsam sind. Gegenstand der COACTIV-Längsschnitt-Studie war das Professionswissen von Mathematiklehrkräften, deren Schülerinnen und Schüler am PISA-Test teilgenommen hatten. In der Studie wurde unter anderem versucht, Zusammenhänge zwischen dem Professionswissen, der Unterrichtsgestaltung und Schülerleistungen herauszustellen. Drei Ergebnisse scheinen für die vorliegende Studie interessant zu sein. BAUMERT UND KUNTER (2006) konnten feststellen, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Professionswissen der Mathematiklehrkräfte und der Schulform, an der sie unterrichten, gibt. Gymnasiallehrkräfte verfügen (aufgrund ihrer tiefer gehenden fachwissenschaftlichen Ausbildung) über ein größeres Fachwissen als Lehrkräfte aller anderen Schulformen. Interessant ist, dass dies Einfluss auf das fachdidaktische Wissen zu haben scheint, sofern es im Zusammenhang mit dem Fachwissen betrachtet wird. In diesem Fall verfügen Gymnasiallehrkräfte auch über ein höheres fachdidaktisches Wissen. Eine Erklärung wird in der höheren fachlichen Kompetenz, beispielsweise beim Erkennen von Schülerfehlern, gesehen.

Ausschließliche Befragungen zum fachdidaktischen Wissen zeigen allerdings erwartungsgemäß, dass dieses Wissen bei den Lehrkräften der anderen Schularten aufgrund der intensiveren didaktischen Ausbildung umfangreicher ist (KRAUSS ET AL. 2008, S. 242 f.).

Ein weiteres Untersuchungsfeld beschäftigte sich im Rahmen dieser Studie mit einem möglichen Zusammenhang von Professionswissen und Berufserfahrung. Hier konnte explizit kein Zusammenhang festgestellt werden. KRAUSS ET AL. (ebd., S. 244 f.) vermuten deshalb, dass Professionswissen in allererster Linie durch Ausbildung erworben wird und in der späteren Berufspraxis keine wesentliche Erweiterung mehr erfährt. Die dritte entscheidende Erkenntnis ist, dass sich fachdidaktisches Wissen sehr wohl über die Unterrichtsgestaltung auf die Lernleistung der Schülerinnen und Schüler im Fach Mathematik auswirkt. (ebd., S. 249 f.). Eine international angelegte Vergleichsstudie zur Ausbildung von Mathematiklehrkräften der Primarstufe und der Sekundarstufe I, Teacher Education and Development Study: Learning to Teach Mathematics (TEDS-M; BLÖMEKE,KAISER &LEHMANN 2010) der International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA), an der 17 Länder, darunter auch Deutschland, teilnahmen, untersuchte die Effizienz der Lehrerausbildungssysteme insbesondere in Bezug auf zwei der Hauptaufgaben einer Lehrkraft: das Unterrichten (insbesondere Fachwissen und fachdidaktisches Wissen) und Diagnostizieren. Eine erste Haupterkenntnis besteht darin, dass die deutsche Mathematiklehrerausbildung hinsichtlich des Fachwissens und des fachdidaktischen Wissens überdurchschnittlich ist. Hierbei muss allerdings wieder zwischen Gymnasiallehrkräften (weit überdurchschnittlich) und den in anderen Schularten unterrichtenden Lehrkräften bis Klasse 10 (unterdurchschnittlich) differenziert werden. Auch bezüglich der Effizienz der Ausbildung von Lehramtsstudierenden wird durch die Studie Diskussionsbedarf innerhalb der (deutschen) Professionalisierungsforschung, gerade auch was die Schaffung von Lerngelegenheiten für die Studierenden betrifft, gesehen. Die Studie hat zudem die Erkenntnis hervorgebracht, dass es am Ende der Ausbildung zwei Typen von Lehrkräften gibt: die konstruktivistisch und die transmissiv eingestellte zukünftige Lehrkraft (KAISER ET AL. 2012, S. 29 f.).

In Anlehnung an COACTIV wurde in einem Verbundprojekt deutscher Universitäten das Professionswissen von Lehrkräften in den Naturwissenschaften untersucht (ProwiN; BOROWSKI ET AL. 2010). Für Physiklehrkräfte konnte beispielsweise wie bei COACTIV festgestellt werden, dass die Schulart Einfluss auf das Professionswissen der Lehrkraft hat (KIRSCHNER 2013,S.109).

Trotzdem sich alle drei Studien mit Lehrerexpertise und professioneller Kompetenz befassen, spielt das Thema Lehrervorstellungen nur eine untergeordnete Rolle. Lehrervorstellungen über Schülervorstellungen problematisiert in Ansätzen eine quantitativ ausgerichtete Studie von WILHELM (2008), in der für die Konzeption einer Lehrerfortbildung über Schülervorstellungen in der Physik vorab einen Fragebogen mit Schülervorstellungen an Gymnasiallehrkräfte verschickt wurde. Das Auswertungsziel bestand darin, Vorab-Informationen darüber zu erhalten, welche Vorstellungen im Sinne von Schülerfehlern die Lehrkräfte kennen und wie häufig sie ihnen in

verschiedenen unterrichtlichen Kontexten begegnen. Zudem wurde gefragt, für wie wahrscheinlich Lehrkräfte das Auftreten von vom Autor vorgegebenen Schülervorstellungen halten. Im Fazit zu seiner Studie kommt WILHELM zu der Erkenntnis, dass Lehrer zwar „[..] kaum Vorstellungen von den Schülervorstellungen haben, […], es aber sehr wichtig finden, wenn sie davon hören“ (ebd., S. 1). Aufgrund der Intention und des Umfangs von WILHELMs Studie können seine Ergebnisse als Hinweis und gleichzeitig Handlungsimpuls für die Professionalisierungsforschung von Lehrkräften, und zwar für alle Schulfächer, gelten.

Im Rahmen ihrer Dissertation zu Lehrervorstellungen über Schülervorstellungen im Wirtschaftsunterricht kommt KIRCHNER (2016, S. 375) zu einem weiteren Fazit: aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse der Fachdidaktik werden kaum in der schulischen Praxis umgesetzt. Dies wurde bereits durch Untersuchungen unter anderem von BÖHM-KASPER, BOS, KÖRNER & WEIßHAUPT (2001), COMBE UND BUCHEN (2001) sowie SPANHEL UND HÜBNER (1995) festgestellt.

Einige Studien und Projekte, in denen Lehrervorstellungen thematisiert werden, konzentrieren sich auf Erhebungen, inwiefern sich domänenspezifische subjektive Theorien von Lehrkräften über das Lehren und Lernen auf die Gestaltung ihres Unterrichts und damit auf die Schülerleistungen auswirken (vgl.FISCHLER,SCHRÖDER,TONHÄUSER UND ZEDLER 2002). HERAN -DÖRR, WIESNER UND KAHLERT legten im Jahr 2007 Untersuchungsergebnisse zu möglichen Auswirkungen von Fortbildungsmaßnahmen auf einen Vorstellungswechsel der Lehr- und Lerntheorien bei Physik-Lehrkräften vor und stellten diesbezüglich positive Zusammenhänge fest.

JELEMENSKA (2012) untersuchte in einer Studie, wie sich die Lehrervorstellungen zum Lehren und Lernen anhand eines Unterrichtsbeispiels aus der Biologie bei einer durch sie im Biologieunterricht begleiteten Lehrerin mittels fachdidaktischen Coachings verändern lassen. Im Fazit zu dieser Studie wird konstatiert, dass die Methode des fachdidaktischen Coachings über einen längeren Zeitraum eine nachhaltige Vorstellungsänderung bei der begleiteten Lehrkraft herbeiführte. ZEICHNER UND GORE (1990) nehmen an, dass der Sozialisation von Lehrkräften, die bereits lange vor dem Beginn der Ausbildung stattfindet, mehr Bedeutung zukommt als bislang angenommen. HOLLINGSWORTH (1989) hatte dies bereits als Erziehungsphilosophien, die das Selbstverständnis des Lehrerberufs erklären, beschrieben. Infolge dessen fordern ZEICHNER UND GORE (1990), der Lehrerbiographie und damit den intrapersonalen Einflussfaktoren wie beispielsweise Überzeugungen in der Lehrerprofessionalisierungsforschung verstärkt Aufmerksamkeit zu widmen sei.

In der Geographie liegen nach bisheriger Recherche zu Lehrervorstellungen über Schülervorstellungen keine empirischen Arbeiten vor. OHL UND RESENBERGER (2014)monieren

die Forschungsdefizite innerhalb der Lehrerprofessionalisierungsforschung für die Geographie im Allgemeinen. GRYL (2012) berücksichtigt Lehrervorstellungen in ihrer Dissertation zur reflexiven Geomedienkompetenz von Geographielehrkräften indirekt insofern, als dass sie einen

„Zusammenhang zwischen reflexiver Geomedienkompetenz, allgemeiner Reflexivität und auch pädagogischer Reflexivität im Sinne des Hinterfragens der eigenen Rolle, des eigenen Lehrerhandelns und Unterrichtens und der Beziehung zu den Lernenden [...]” sieht (ebd., 2012,S.75) und Reflexivität als

„förderungswürdige Eigenschaft”, die untrennbar auch mit Lehrervorstellungen verbunden sind, (ebd., S. 79) erachtet. Eine Abschlussarbeit in der Geographiedidaktik von SPELLSIECK (2013) befasste sich mit Lehrervorstellungen im Zusammenhang mit einem geographischen Unterrichtsinhalt. In der Zusammenfassung seiner Arbeitsergebnisse konstatiert SPELLSIECK beispielsweise (2013, S. 113 f.), dass Lehrervorstellungen über Experimente im Geographieunterricht einerseits teils eine große Übereinstimmung zur fachdidaktischen Theorie zu Experimenten im Geographieunterricht aufweisen. Andererseits konnten Defizite dahingehend festgestellt werden, dass Lehrkräfte lediglich Anschaulichkeit als den entscheidenden Vorteil beim Einsatz von Experimenten im Geographieunterricht sehen. Zudem vermutet SPELLSIECK, dass die Vermischung der Termini Experiment und Modell in den Lehrervorstellungen nicht angemessene Schülervorstellungen nach sich ziehen kann und untermauert damit die Hypothese, dass es einen Zusammenhang zwischen Lehrervorstellungen – Lehrerhandeln im Unterricht – Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler, hier bei der Vorstellungsänderung ihrer Alltagsvorstellungen zu Modellen und Experimenten, geben könnte.

Im folgenden Kapitel werden die für diese Arbeit relevanten theoretischen Grundlagen dargestellt. Im Anschluss daran werden die Forschungsfragen, die sich aus dem aktuellen Forschungsstand und den theoretischen Vorüberlegungen ergeben, vorgestellt.