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3. Theoretischer Rahmen

3.4 Professionelle Kompetenz von Lehrkräften

3.4.5 Lehrervorstellungen

Nachdem im vorangegangenen Kapitel dargestellt wurde, wie sich die professionelle Handlungskompetenz einer Lehrkraft strukturell zusammensetzt, soll im folgenden Abschnitt auf Lehrervorstellungen als den konkreten Forschungsgegenstand eingegangen werden. Sie sind im Kompetenzstrukturmodell nicht sichtbar gemacht und haben dennoch maßgeblichen Einfluss auf die Kompetenzaspekte, die BAUMERT UND KUNTER (2006) für den Lehrerberuf konstatiert und strukturiert haben. PAJARES fast in seinem Artikel zu Lehrervorstellungen zusammen, dass „the difficulty in studying teachers' beliefs has been caused by definitional problems, poor conceptualizations, and differing understandings of beliefs and belief structures” (1992, S. 307). Das, was unter Lehrervorstellungen zu verstehen ist, ist nach wie vor stark vom Kontext der jeweiligen Forschung und der Auffassung der/des Forschenden abhängig. Weitgehend Einigkeit besteht darüber, dass Wissen und Können einer Lehrkraft auf das Engste mit ihren Überzeugungen/

Werthaltungen verknüpft sind (vgl. RICHARDSON 1996),die Übergänge jedoch kaum erkennbar sind. Auch nach KUNTER UND POHLMANN (2009, S. 267) sind Lehrervorstellungen „subjektive Erklärungssysteme”.RecherchenKIRCHNERS (2016, S. 57)zeigen, dass die Termini Überzeugungen, subjektive Theorien, Vorstellungen, Werte, Einstellungen in der deutschsprachigen Forschung tendenziell sogar synonym verwendet werden und es bisher nicht gelungen ist, eine deutliche Trennschärfe (BAUMERT 2006)herzustellen. Gewissermaßen als Lösung der Problematik hat sich die Verwendung des aus der englischsprachigen Forschung stammenden Begriffs teachers´

beliefs (PAJARES 1992, S. 307)für Deutungen des Begriffs Überzeugungen etabliert. Gegen diese Substitution spricht nach KIRCHNER (2016, S. 99) allerdings, dass beliefs eher wertneutral

verstanden werden im Vergleich zu Überzeugungssystemen, die sich durch überdauernde, erfahrungsbasierte Wertorientierungen, subjektive Theorien und Einstellungen auszeichnen und als stabile kontext- und situationsabhängige Haltungen personenbezogen sind. Das heißt in domänenspezifischem Kontext, dass jede Lehrkraft ihrem Unterricht eine unverwechselbare Handschrift verleiht; selbstverständlich auch im Zusammenhang mit Schülervorstellungen im Geographieunterricht. Aus diesem Grunde wird nach KIRCHNER verfahren und die Begriffe Lehrervorstellung und Überzeugung werden nicht synonym verwendet. Für diese Studie ist die Definition vonKIRCHNER relevant. Sie subsumiert die in den vorangegangenen Abschnitten dargelegten Inhalte zum Professionswissen und zu Überzeugungen von Lehrkräften:

„Lehrervorstellungen sind subjektive, relativ stabile, wenngleich erfahrungsbasiert veränderbare, zum Teil unbewusste, kontextabhängige Kognitionen von Lehrpersonen. Sie umfassen die theorieähnlichen, wenn auch nicht wiederspruchsfreien Gedanken zu verschiedenen fächerübergreifenden und fachspezifischen Gegenstandsbereichen der Profession von Lehrpersonen“ (KIRCHNER 2016, S. 100).

Damit wird deutlich, dass Vorstellungen von Lehrkräften eine Art übergeordneten Kompetenzbereich darstellen, da sie erst durch das Zusammenspiel des Professionswissens mit den Überzeugungen/Werthaltungen entstehen. Gleichsam sind sie von motivationalen und selbstregulativen Fähigkeiten der Lehrkraft beeinflusst. Die Genese und Entwicklung von Lehrervorstellungen sei zudem berufsbiographisch bedingt (SCHLICHTER 2012, S 63 ff.). So entstehen Lehrervorstellungen nicht erst im ersten Ausbildungsabschnitt, sondern werden bereits viel früher – während der eigenen Schulzeit – ausgeprägt. Das eigene Erleben von Unterricht ist eine langjährige und tiefgreifende Erfahrung, die als erstes die Vorstellungen darüber, was guter Unterricht und Lehrerkompetenz sei, stetig zu subjektiven Erklärungssystemen diesbezüglich verdichtet. In der Ausbildung gelingt es oft, dass tradierte Vorstellungen aufgebrochen und durch neue didaktische Ansätze des Unterrichtens ersetzt werden können. Problematisch wird der Einstieg ins Berufsleben insofern, als dass die Bewältigung der komplexen Anforderungen in der Schule diese neuen Erkenntnisse oft verdrängen und bereits Referendarinnen und Referendare in alte Schemata verfallen. Erleben sie dann einen positiven Effekt, bestätigt sich die Richtigkeit der herkömmlichen Lehrstrategien und sie können, weil sie schwer veränderbar sind, das Handeln im Unterricht weitgehend dominieren (KUNTER & POHLMANN 2009, S. 273). REUSSER ET AL. (2010, S. 479 ff.) sprechen in diesem Zusammenhang sogar von einem sogenannten „kollektiven Habitus“, der Kollegien beispielsweise gegen didaktische Neuerungen quasi immun machen kann. Sie können eine Barriere im Umgang mit Schülervorstellungen sein, auch wenn bereits profundes fachdidaktisches Wissen über diese Thematik vorhanden ist.

Als hinderlich wird der Umgang mit Schülervorstellungen dann angesehen, wenn die Überzeugungssysteme von transmissiven Vorstellungen bezüglich der Lehr- und Lerntheorien dominiert werden. Hierbei wird Unterricht als Weitergabe von Wissen gesehen. Das Gehirn wird als Behälter gesehen, in welchen eingefüllt werden muss. Ziel dieser Theorie ist nach REICH (2005),Wissen so zu vermitteln beziehungsweise anzueignen, dass als Output die richtigen, von der Lehrkraft erwarteten Antworten durch die Schülerinnen und Schüler gegeben werden.

Lehrkräfte, die diese Lehr- und Lerntheorie präferieren, sind davon überzeugt, dass sie die Wissenden im Unterricht seien, die ihr Wissen an Nicht-Wissende weitergeben. Im Gegensatz hierzu versteht die konstruktivistische Lehr- und Lerntheorie Lernen als selbstgesteuerten, aktiven, kooperativen Prozess, bei dem Wissen konstruiert wird (HARTINGER,KLEIKMANN &

HAWELKA 2006, S. 111). Die konstruktivistische Perspektive auf Unterricht berücksichtigt Schülervorstellungen. Entsprechend werden Lerngelegenheiten kreiert, die das Lernen der Schülerinnen und Schüler in vielfältiger Weise anregen, das Denken herausfordern und somit lebendiges, anwendbares Wissen und Können schafft. Beide Theorien sind als Extreme anzusehen. Der moderate Konstruktivismus hingegen sieht eine lernförderliche Verknüpfung von Instruktion und Konstruktion vor (REINMANN-ROTHMEIER &MANDL 2006, S. 638). Allerdings sind Lehrkräfte mitunter der Ansicht, dass handlungsorientierter Unterricht mit konstruktivistischem Unterrichten gleichzusetzen ist. Hier wirkt sich unvollständiges fachdidaktisches Professionswissen ungünstig auf den Unterricht aus, denn wenn der Unterschied zwischen beiden Lehr- und Lerntheorien nicht realisiert wird, besteht kein Grund, die eigenen erfahrungsbasierten Vorstellungen diesbezüglich zu hinterfragen. Lehrkräfte müssen sich ihre Vorstellungen über Unterricht bewusst machen. Ein wesentliches Merkmal einer professionell handelnden Lehrkraft ist der Wille und die Fähigkeit, ihre Vorstellungen zum Lehren und Lernen zu reflektieren, auf den Prüfstand zu stellen und gegebenenfalls zu verändern (BROMME 1997), auch wenn das ein mühseliger und durchaus unangenehmer Prozess sein könnte.

Der von KIRCHNER (2016, S. 100) im Zusammenhang mit ihrer Studie zu Lehrervorstellungen in der ökonomischen Bildung entwickelte definitorische Ansatz spiegelt die Komplexität des Konstrukts Lehrervorstellungen wieder, über die im wissenschaftlichen Diskurs nach wie vor Uneinigkeit herrscht. (JELEMENSKA 2012; LINSNER 2009). Nach FISCHER (2008, S. 231) sind Vorstellungen als wertneutrale geistige Repräsentationen eines Individuums über die Wirklichkeit zu verstehen, „die sich als ´verinnerlichte Strukturen´ in der Regel aus ´äußeren´ konkreten gegenständlichen Handlungen in der Auseinandersetzung mit Gegenständen in Alltagssituationen“

entwickeln. Sie nehmen einen stabilen Charakter an, obgleich ihre Herausbildung unbewusst verläuft. In ihrer Definition deutet KIRCHNER (2016)an, dass sie Lehrervorstellungen nur einen theorieähnlichen Charakter zuweist, da sie in sich nicht konstistent seien. Sofern man bei dieser

äußeren Betrachtungsweise von subjektiven Theorien ausgeht, darf nicht die innere Betrachtung vernachlässigt werden. Für das Individuum selbst bilden sie zunächst sehr wohl wiederspruchsfreie Erklärungsmuster der individuell wahrgenommenen Realität, die allerdings nicht interpersonal übertragbar sind. Insofern sind Lehrervorstellungen ein domänenspezifisches, individuelles, komplexes, kognitives Konstrukt aus erfahrungsbasierten Überzeugungen und Werthaltungen, welches deutlich zur Ausprägung von relativ stabilen lehr- und lerntheoretischen Überzeugungen beiträgt. Dieses Konstrukt wird außerdem von den domänenspezifischen epistemologischen Überzeugungen darüber, wie Lehr- und Lernprozesse ablaufen und demzufolge zu gestalten sind, beeinflusst (HOFER &PINTRICH 1997). Anders als bei Überzeugungen und Werthaltungen spielt das Wissen über pädagogische, psychologische Zusammenhänge und Abläufe beim Lehren und Lernen eine handlungsleitende und handlungssteuernde Funktion im Unterricht (DANN 1994; GROEBEN,WAHL,SCHLEE &SCHEELE 1988). Die Entwicklung und Stabilisierung von Lehrervorstellungen beginnt bereits viel früher als ursprünglich von Forschern angenommen. KUNTER UND POHLMANN (2009) weisen darauf hin, dass nicht nur die institutionelle Ausbildung sondern bereits die eigenen Schulerfahrungen starken Einfluss auf die Vorstellungen über Unterricht nehmen, die sich zwar durch die Ausbildung verändern lassen (RICHARDSON 1996) aber gerade in der Startphase der Berufsausübung durch alte Vorstellungen über Unterricht überlagert werden können. Zudem weisen Vorstellungen sowohl eine implizite als auch eine explizite Struktur auf. Implizit sind individuelle Vorstellungen, die in aller Regel nicht erforscht oder untersucht sind und sich in Handlungsroutinen niederschlagen, die sich aufgrund von Berufserfahrung entwickeln. Für Lehrkräfte kann es demzufolge sehr schwer sein, die impliziten Theorien, die ihr unterrichtliches Handeln leiten, überhaupt zu verbalisieren und explizit zu machen (FIVES &BUEHL 2012, S. 474).

KIRCHNER (2016, S. 67) weist zu recht darauf hin, dass diese Erkenntnis unbedingt bei der Wahl der Erhebungsverfahren zu berücksichtigen sei, indem man direkte Fragen für explizite formulieren solle und implizite Vorstellungen beispielsweise durch das Anbieten von konkreten Redeanlässen erforscht werden könnten. Lehrervorstellungen sind außerdem stark kontextgebunden. Je nachdem, wie sich die schulorganisatorischen Rahmenbedingungen darstellen, sind sowohl die allgemeinen als auch die domänenspezifischen Vorstellungen der Lehrkräfte über Unterricht sehr häufig von äußeren Parametern wie Räumlichkeiten, Klassenstärke, Verhaltensdisposition der Schülerinnen und Schüler dominiert. Auch Unterrichtstaktung und -zeit beeinflussen die Lehrervorstellungen stark (MANSOUR 2009, S. 32).

Hierbei übernehmen die Lehrervorstellungen eine Art Strukturierungsfunktion insofern, als dass diese Parameter dazu genutzt werden können, beispielsweise sowohl die Planungsstruktur einer Unterrichtsstunde zu begründen als auch ihre Durchführung zu rechtfertigen. Eine ordnende

Funktion wird den Lehrervorstellungen dann zugeschrieben, wenn sie Hilfen für Entscheidungsfindungen darstellen (KIRCHNER 2016, S. 71 ff.) Dies gilt insbesondere für das Agieren der Lehrkraft im komplexen, schnell ablaufenden Geschehen einer Unterrichtsstunde, in dem zum einen das Classroom-Managements permanent zu beachten ist, um Störungen möglichst zu vermeiden. Zum anderen kann die Ordnungsfunktion von Lehrervorstellungen auch dann greifen, wenn fachlich-inhaltliche Entscheidungen ad-hoc getroffen werden müssen.

Auch wenn Vielfalt und auch Uneinigkeit den wissenschaftlichen Diskurs über Lehrervorstellungen prägen, besteht hinsichtlich ihrer Relevanz nahezu Übereinstimmung:

Lehrervorstellungen können handlungssteuernd und -leitend sein, müssen aber nicht (MANSOUR 2009, S. 31). Dies ist insofern von Bedeutung, als das diese Erkenntnis Einfluss auf den Erhebungsgegenstand und die Erhebungsmethoden dieser Studie hat. Das Erfahren und Verstehen von Lehrervorstellungen kann nur erreicht werden, wenn die einzelne Lehrpersonen die Möglichkeit bekommt, ihre individuellen Denkstrukturen reflektierend offenzulegen. Ihren Unterricht nur zu beobachten ist in diesem Fall eher nicht geeignet; kann aber unterstützend wirken, wenn geprüft werden soll, inwiefern sich Lehrervorstellungen in der tatsächlichen Unterrichtspraxis widerspiegeln.