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„Im Sommer ist die Entfernung der Erde von der Sonne geringer als im Winter, deswegen ist es im Sommer bei uns wärmer” (ATWOOD &ATWOOD 1996; RABER 2015). Dieses Beispiel steht stellvertretend für die Vielzahl an Alltagsvorstellungen von Schülerinnen und Schülern, mit der sich Geographielehrkräfte in ihrer täglichen Unterrichtspraxis konfrontiert sehen. Die Schülervorstellungsforschung fokussiert unter anderem darauf, die unterrichtsrelevante Bedeutung von Alltagsvorstellungen als individuelle Lernervoraussetzung zu begründen.

Inzwischen kann auf eine Reihe von didaktisch-methodischen Leitlinien für einen konstruktiven Umgang mit Alltagsvorstellungen von Lernern zurückgegriffen werden (CONRAD 2014;DRIELING 2015;REINFRIED 2006;OBERMAIER &SCHRÜFER 2009). Welche Vorstellungen allerdings Lehrkräfte als weitere Akteure im Unterricht über Schülervorstellungen haben, welche Strategien sie für den Umgang mit ihnen entwickelt haben und wie sie diese erklären, darüber ist bisher kaum etwas bekannt, obwohl bereits SHULMAN (1986) postulierte, dass sich die Professionalität einer Lehrkraft auch im Umgang mit Schülervorstellungen widerspiegele.

Als Folge des PISA-Schocks wird in Deutschland im Zusammenhang mit der Qualität des Bildungssystems auch der Professionalisierung von Lehrkräften wieder verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet. Gegenwärtig werden drei Ansätze zu ihrer Bestimmung diskutiert:

der strukturtheoretische, der kompetenzorientierte und berufsbiographische Ansatz. Während der strukturtheoretische Bestimmungsansatz auf die „[…]Beschreibung und rekonstruktiven Durchdringung tiefliegender Strukturprobleme und Antinomien des Lehrerberufs[…]” (TERHART 2011, S.206 f.) fokussiert und der berufsbiographische Ansatz die Professionalisierung von Lehrkräften in engem Zusammenhang mit persönlicher und beruflicher Entwicklung sieht, geht der kompetenzorientierte Ansatz davon aus, dass die Aufgaben, die eine Lehrkraft zu erfüllen hat, leitend für die Kategorisierung von Kompetenzenanforderungen und Wissensbereichen für ihr professionelles Handeln ist (ebd.). Als Messgröße für Lehrerprofessionalität wird beim kompetenzorientierten Ansatz ausdrücklich auf „fachliche und überfachliche Lernerfolge der Schülerinnen und Schüler” verwiesen (ebd., S. 207). Alle drei Ansätze sind allerdings nicht strikt voneinander zu trennen: sowohl das Konzept der Entwicklung von Professionalität, als auch das Kompetenzkonzept sowie die Berücksichtigung der für den Lehrberuf charakteristische, oft situative Konfrontation mit Unwägbarkeiten und Widersprüchen (strukturtheoretischer Ansatz) durchdringen einander und können nicht wechselseitig ausgeschlossen werden. Sieht man die Hauptaufgabe der Lehrkraft im eingangs angeführten Beispiel darin, eine Vorstellungsänderung dieser Schülervorstellung herbeizuführen, ist Professionswissen unabdingbar. Im Zusammenspiel mit kognitiven Einflussfaktoren wie Überzeugungen, Motivation oder

selbstregulativen Fähigkeiten erklären sie das Handeln – konkret den Umgang mit Schülervorstellungen in der Stunde zur Entstehung der Jahreszeiten. Die Professionalität der Lehrkraft bei der Aufgabenbewältigung geht zugleich einher mit ihrer Berufserfahrung und zeigt sich dadurch ebenso im professionellen Umgang mit individuellen Alltagsvorstellungen der Schülerinnen und Schüler, die zunächst in Antinomie zu den für alle Lerner gleichermaßen zu erwerbenden fachlichen Inhalten zur Entstehung der Jahreszeiten stehen.

Ebenso wie die Frage nach der Professionalität von Lehrkräften ist die Frage, was ein guter Lehrer ist, ein dauerhafter Diskursgegenstand in der Bildungsforschung (vgl. MEYER 2007; TERHART 2011). Der Kompetenzansatz, welcher sowohl die Lehrerexpertise-Forschung als auch die Wissenstaxonomie von Lehrkräften nach SHULMAN in sich vereint, bildet die geeignete theoretische Ausgangsbasis der Arbeit und generiert das grundsätzliche Forschungsinteresse dieser Studie, wie es um die Kompetenz und Professionalität von Geographielehrkräften bei ihrer Arbeit mit Schülervorstellungen bestellt ist. Dabei geht es nicht um die Analyse tatsächlichen unterrichtlichen Handelns, sondern um die folgende Fragestellung: Welche Vorstellungen haben Geographielehrkräfte über Schülervorstellungen und den Umgang mit ihnen? Das Erkenntnisinteresse wird konkretisiert, indem erforscht werden soll, welche Vorstellungen Lehrkräfte zur Theorie der Schülervorstellungen haben, welche Bedeutung sie ihnen in ihrer Unterrichtspraxis beimessen und welche Strategien sie einsetzen, um mit ihnen umzugehen.

Gleichzeitig werden mögliche Rückschlüsse erwartet, wie sich die Vorstellungen über das Lehren und Lernen auf den Umgang auswirken. Als Referenzrahmen wird hierbei auf den Ansatz des Conceptual Change (POSNER ET AL. 1982) zurückgegriffen. Schließlich geht diese Studie der Frage nach, inwiefern persönliche Variablen wie beispielsweise die Berufsdauer oder die Fächerkombination Lehrervorstellungen beeinflussen.

Die Eingrenzung des Forschungsgegenstands auf Lehrervorstellungen wird damit begründet, dass nach wie vor kein Konsens darüber besteht, inwieweit Lehrervorstellungen und -handeln miteinander zusammenhängen (MANSOUR 2009). Vorstellungen von Lehrpersonen sind

„subjektive Erklärungssysteme” (KUNTER &POHLMANN 2009,S.267), die sowohl aus Wissen als auch aus kognitiven und affektiv-motivationalen Aspekten bereits zu Beginn der Lehrerlaufbahn bestehen und mit zunehmender Berufspraxis ausgeschärft werden. Kennzeichnend ist ihre Subjektivität; einerseits sind sie personalisierte Vorstellungen einer Lehrkraft und andererseits unterscheiden sie sich auch intrapersonal bezüglich ihres Gegenstands (zum Beispiel Schülervorstellungen). Lehrervorstellungen spiegeln sich nicht zwingend in Lehrerhandlungen wider. Deshalb ist es angemessen, sie getrennt voneinander zu untersuchen. Notwendigerweise reicht es nicht, das Forschungsinteresse lediglich auf Vorstellungen zum theoretischen Professionswissen über Schülervorstellungen zu beschränken. Verstärkte Forschungsaktivität

muss ebenso auf die kognitionspsychologischen Kompetenzaspekte, denen Überzeugungen von Lehrkräften zugeordnet werden, gelegt werden. Zu begründen ist die Fokussierung damit, dass subjektive Theorien von Lehrkräften über Lehr- und Lernprozesse, die sich durch Wissenserwerb aber auch durch biographisch gefärbte Berufspraxis und -erfahrung zu individuellen Überzeugungssystemen verdichten, im Unterricht eben jene handlungsleitende Funktion übernehmen (KORNECK, KOHLENBERGER, OETTINHAUS, KUNTER & LAMPRECHT 2013, S. 1).

Lehrervorstellungen sind außerdem von Relevanz, weil Lehrkräfte die Freiheit haben, Unterricht nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten zu können, somit individuelle Lehrervorstellungen auf Lehr-Lern-Prozesse einwirken ùnd folglich Einfluss auf den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler haben. Insofern wird es nicht nur vom fachdidaktischen Professionswissen über Schülerkognitionen abhängen, wie Geographielehrkräfte mit der eingangs vorgestellten Alltagsvorstellung umgehen. Es werden diejenigen Strategien eingesetzt werden, von deren Erfolg die Lehrkräfte erfahrungsgemäß überzeugt sind. Die reflektierende Offenlegung von subjektiven Theorien der Lehrkräfte über das Lehren und Lernen allgemein und ihrer eng damit verknüpften Strategien zur Veränderung von Schülervorstellungen kann dabei helfen, Lernerfolge auf Seiten der Schülerinnen und Schüler – erfolgreiche oder nicht erfolgreiche Vorstellungsänderung zur Entstehung der Jahreszeiten – zunächst zu erklären, um sie anschließend zu optimieren.

Die Abhängigkeit des Kompetenzerwerbs der Schülerinnen und Schüler von der Professionalität und Kompetenz der Lehrperson wird in den Rahmenvorgaben für die Lehrerausbildung im Fach Geographie der Deutschen Gesellschaft für Geographie (DGFG 2010, S. 5) deutlich hervorgehoben.

Geographielehrkräfte müssen „[…] über fachlich fundierte und zukunftsorientierte Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen […] und adäquate und aktuelle Formen der Vermittlung beherrschen.” (ebd.). Die Geographiedidaktik hat als „Wissenschaft vom Lehren und Lernen geographischer und weiterer geowissenschaftlicher Inhalte und Methoden” und damit als „lehrende Disziplin” (ebd., S. 13) die Aufgabe, diese Fähigkeiten und Fertigkeiten den Lehramtsstudierenden bereits in ihrer Ausbildungsphase zu vermitteln. Als Disziplin, die gleichzeitig „[…] geographische Lehr- und Lernprozesse” (ebd.) erforscht, leistet sie ihren Beitrag zur Optimierung von Unterrichtsprozessen und zur Professionalisierung von Lehrkräften (ebd.). Dabei gilt es, diese Forschungsergebnisse nicht nur in die Gestaltung von Ausbildungskonzepten von Geographielehramtsstudierenden einzubringen. Aufgabe der Geographiedidaktik ist es im Sinne der Unterrrichtsentwicklung im Fach Geographie ebenfalls, Forschungsbedarf aus der Schulpraxis heraus zu eruieren sowie wissenschaftlich gewonnene Erkenntnisse in die Schulpraxis zu überführen. Insofern ist es Aufgabe der (Geographie-)didaktik, Lehrervorstellungen zu thematisieren, da sie ein Element

des komplexen Unterrichtsgeschehens sind, welches Auswirkungen auf die Qualität des Geographieunterrichts hat.

Ausgehend vom eingangs beschriebenen Forschungsdesiderat fehlender empirischer Erkenntnisse über Lehrervorstellungen von Geographielehrpersonen ist die Arbeit so aufgebaut, dass zunächst der Forschungsstand vorgestellt wird (Kapitel 2). Im theoretischen Rahmen wird auf die Aspekte der Professionalisierung von Lehrkräften eingegangen (Kapitel 3, Abschnitte 3.1-3.3), die einen deutlichen inhaltlichen Bezug zum Forschungsgegenstand der Lehrervorstellungen aufweisen. Danach wird das Kompetenzkonzept als strukturtheoretische Grundlage dieser Arbeit vorgestellt (Kapitel 3, Abschnitt 3.4), in welchem sich auch die Auseinandersetzung mit dem Konstrukt der Lehrervorstellungen wiederfindet.

Forschungsstand und theoretische Grundlagen führen zu den Forschungsfragen in Kapitel 4.

Kapitel 5 enthält ausführliche Erklärungen zum Forschungsdesign. Nach der Entscheidungsbegründung für ein qualitatives Forschungsdesign wird die Konzeption des Interviewleitfadens vorgestellt, das Sampling erläutert und die Durchführung der Studie beschrieben. Es folgt die Darstellung der Datenerhebung, bevor die Datenauswertung mittels qualitativer Inhaltsanalyse erklärt wird. In Kapitel 6 werden die Ergebnisse der Inhaltsanalyse anhand zweier Interviewbeispiele auf der Ebene der einzelnen Lehrkräfte vorgestellt. Sie enthalten sowohl die geordneten Aussagen der Lehrkräfte zu denjenigen Gegenstandsbereichen, zu denen die Lehrervorstellungen erfasst wurden sowie deren Kurzexplikation. Zentrale Ergebnisse der Arbeit finden sich im Kapitel 7 in Form der Ableitung allgemeiner Aussagen über Lehrervorstellungen wieder. Im Kapitel 8 werden die Forschungsfragen beantwortet, bevor in Kapitel 9 diskutiert wird, welche Implikationen für die Modifikation von Lehrervorstellungen denkbar sind.