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3. Theoretischer Rahmen

3.4 Professionelle Kompetenz von Lehrkräften

3.4.3 Das Professionswissen

Grundsätzlich liegt den meisten Konzeptualisierungsvorschlägen zum Professionswissen die Topologie des Lehrerwissens nach SHULMAN (1987) mit ihren sieben Inhaltsbereichen zugrunde.

SHULMANs Systematik wurde für den deutschsprachigen Raum zunächst von BROMME (1997), später vonBAUMERT &KUNTER (2006); BLÖMEKE ET AL. (2008); BLÖMEKE,KAISER UND LEHMANN (2008); BRUNNER, KUNTER UND KRAUSS ET AL.(2006);LIPOWSKY (2006) UND SCHMELZING (2010) weiterentwickelt und fachspezifisch adaptiert. Trotz des uneinheitlichen Diskurses (BESSER &

KRAUSS 2009;JÜTTNER &NEUHAUS 2013) über die Struktur des Professionswissens kristallisierten sich im deutschsprachigen Raum drei Kernbereiche heraus: das Fachwissen, das fachdidaktische Wissen sowie das pädagogische Wissen. Die englischsprachigen Begriffe Content Knowledge für Fachwissen, Pedagogical Content Knowledge für fachdidaktisches Wissen und Pedagogical Knowledge für pädagogisches Wissen können nicht ohne Weiteres synonym verwendet werden.

Gerade bezüglich des fachdidaktischen Wissens liegt in der englischsprachigen Didaktik-Forschung ein anderes, differenziertes Verständnis zugrunde. Es gibt zum einen das integrative Modell (GESS &NEWSOME 1999),welches dem Pedagogical Content Knowledge als Gemisch aus fachlichem und pädagogischem Wissen keine gesonderte Facette zuweist und zum anderen das transformative Modell (MAGNUSSEN,KRAJCIK & BORKO 1999) welches dem fachdidaktischen Wissen einen eigenen Wissensbereich zuschreibt. Begründet wird dies damit, dass fachdidaktisches Wissen Spezialwissen ist, welches eine Lehrkraft bei der domänenspezifischen Professionsausübung benötige. Es ist der entscheidene Unterschied zum Wissen eines reinen Fachwissenschaftlers. Angenommen wird generell, dass professionelles unterrichtliches Handeln erlernbar sei und sich im Laufe der Berufsausübung so entwickelt, dass man unter Berücksichtigung der im Kapitel 3 beschriebenen Kennzeichen von Professionalität sprechen kann. Diese Entwicklung starte nach BERLINER (2004) und TERHART (2000) bereits in der ersten Ausbildungsphase und ist im Idealfall ein lebenslanger, die Berufsausübung begleitender Prozess. Die drei Wissensbereiche Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und pädagogisches Wissen bilden das Fundament einer erfolgreichen Lehrtätigkeit, machen aber allein noch keine Expertise aus. Die Komplexität dieser Wissensbereiche macht es notwendig, sie in jeweils fachspezifische Kernkompetenzen (Facetten) auszudifferenzieren. Sie weisen bezüglich ihrer inhaltlichen Schwerpunktsetzungen fächerübergreifende Ähnlichkeiten auf, unterscheiden sich aber in ihren Ausformulierungen und Schwerpunktsetzungen. Da für die Geographie bisher kein Handlungskompetenzmodell existiert, das Unterrichtsfach aber eine große Nähe zu den rein naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächern aufweist, wird im Rahmen dieser Forschungsarbeit auf die modifizierten Kompetenzfacetten des Modells der ProwiN-Studie (BOROWSKI ET AL. o.J.)

zurückgegriffen. Entscheidungsrelevant hierfür war die passgenaue Formulierung der Kompetenzfacette fachdidaktisches Wissen über fachspezifische Schülerkognitionen.

Abb. 2: Konzeptualisierung der drei Dimensionen des Professionswissens von Lehrkräften, ProwiN-Studie (BOROWSKI et al. o.J.), erweitert für die vorliegende Studie

Einordnung der Forschungsarbeit hinsichtlich des Professionswissens der Geographielehrkräfte über Schülervorstellungen

lervorstellungen

Den Rahmenvorgaben für die Lehrerausbildung im Fach Geographie liegt eine ähnliche Konzeptualisierung des Professionswissens zugrunde:

Abb. 3: Die drei Ausbildungsbereiche der beruflichen Professionalisierung von Geographieleh-rerinnen und -lehrern an deutschen Universitäten und Hochschulen

(verändert nachDGFG 2010, S. 9)

Da der Fokus in den Rahmenvorgaben auf die Ausbildung zukünftiger Geographielehrkräfte ausgerichtet ist, unterscheiden sich die Kompetenzfacetten dahingehend, dass hier die

„Hauptaufgaben der Geographiedidaktik im Rahmen der Lehramtsausbildung an deutschen Universitäten und Hochschulen” (DGFG 2010, S. 13) formuliert werden und nicht die fachdidaktische Handlungskompetenz von im Berufsleben stehenden Lehrkräften im Fokus steht. Für das Lehramtsstudium der Geographie im Themenbereich „Lern- und entwicklungspsychologische Voraussetzungen und Bedingungen geographischen/geowissenschaftlichen Lehrens und Lernens” (ebd., S. 14) wird die „Vermittlung von Kenntnissen aus lern- und entwicklungspsychologischer Forschung (z.

B. raumbezogene Schülerinteressen/-vorstellungen, […])” (ebd., S. 14) deutlich postuliert.

Zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern sei also bereits im ersten Ausbildungsabschnitt bewusst zu machen, dass unter anderem die Kenntnis von und die Einsicht in die Notwendigkeit eines Umgangs mit Schülervorstellungen Voraussetzungen dafür sind, „schüler-, ziel- und fachgerechte Unterrichtskonzepte zu entwickeln und adäquate Lernarrangements zu gestalten” (ebd., S. 14). Insofern spiegeln sich die Wissensfacetten des fachdidaktischen Wissens aus der ProwiN-Studie auch in den Anforderungen an das fachdidaktische Wissen von angehenden Geographielehrkräften wieder. Diese Aspekte könnten auch als Richtlinien für das fachdidaktische Wissen von Lehrkräften in der Schulpraxis von Relevanz sein.

Professionswissens der Geographielehrkräfte Fachliche

Kompetenzen

Bildungswissen schaftliche Kompetenzen Fachdidaktische

Kompetenzen

3.4.3.1 Wissensbereiche des Professionswissens

Pädagogisches Wissen wird benötigt, um Lernsituationen gestalten und optimieren zu können und dient dem reibungslosen Ablauf von Unterricht. Pädagogisches Wissen ist fach- und kontextunabhängig. Bei allen Personen, die berufsbedingt mit Bildung und Erziehung zu tun haben, gehört es zum Professionswissen dazu. Während LOUGHRAN,MULHALL UND BERRY (2006, S. 372 f.)das fachdidaktische Wissen als Verschmelzung von Fach- und pädagogischem Wissen verstehen und ihm deshalb keinen separaten Wissensbereich zuordnen, wird in der überwiegenden Anzahl aller Studien zum Professionswissen (unter anderem COACTIV, TEDS-M, ProwiN) die im Modell sichtbare Dreiteilung vorgenommen.

Fachwissen benötigt die Lehrkraft als Grundlage für die Vermittlung von fachwissenschaftlichen Inhalten im schulischen Kontext des jeweiligen Unterrichtsfaches (BALL,LUBIENSKI &MEWBORN 2001, S. 3 f.). Es ist eindeutig domänenspezifisch und zeichnet eine Fachlehrkraft aus. Um kognitiv anspruchsvollen Unterricht zu gestalten und beispielsweise kognitiv aktivierende Aufgabenstellungen so konzipieren zu können, dass sie Herausforderungscharakter haben, ist es notwendig, dass das Wissensniveau der Lehrkraft weit über dem des Schulwissens liegen muss.

Seine enge Verknüpfung mit dem fachdidaktischen Wissen zeigt sich unter anderem darin, dass eine Lehrkraft mit hoher Fachkompetenz besser in der Lage sein sollte, beispielsweise Schülervorstellungen, die sich von der fachwissenschaftlichen Sichtweise auf einen (geographischen) Inhalt unterscheiden, schneller und sichererer zu identifizieren, um dann aus fachdidaktischer Sicht passgenaue Unterrichtsstrategien für den Umgang mit ihnen entweder schon in der Planungsphase oder ad-hoc bei der Durchführung des Unterrichts entwickeln zu können. Gleiches gilt auch für den Umgang mit Schülerfehlern in der Stunde. Andersherum heißt das aber nicht, dass eine Novizenlehrkraft, die am Anfang ihrer Berufslaufbahn steht, schlechteren Unterricht macht, nur weil sie noch nicht über einen sehr reichhaltigen fachlichen Erfahrungsschatz verfügen kann. Die Aneignung von Fachkompetenz ist zentrales Anliegen im ersten Ausbildungsabschnitt auf Hochschulebene; ihre Erweiterung und Aktualisierung sollte für jede Lehrkraft parallel zur Berufsausübung zur lebenslangen Maxime werden. Auch Unterrichtserfahrung und daraus resultierende Routine im Umgang mit fachlichen Inhalten sollte einer steten Erweiterung von Fachkompetenz bis hin zur Fachexpertise nicht entgegenstehen.

Das fachdidaktische Wissen als „special amalgam of content and pedagogy that is uniquely the province of teachers, their own special form of professional understanding“ (SHULMAN 1987, S. 8) beziehungsweise Bindeglied wird zwischen Fachwissen und pädagogischem Wissen positioniert, weil es ohne die Fach- und pädagogische Kompetenz einer Lehrkraft im Unterricht nicht zur erfolgreichen Anwendung kommen kann. Ein fundiertes, flexibel einsetzbares, sowohl

gelerntes als auch auf Erfahrungen aufbauendes fachdidaktisches Wissen ist notwendig, um das Kerngeschäft einer Lehrkraft, die Unterrichtskonzeption und -durchführung, erfolgreich bewältigen zu können. Genauer gesagt besteht es aus der adressatengemäßen Aufbereitung der fachlichen Inhalte unter Berücksichtigung des adäquaten Einsatzes von Unterrichtsverfahren, Methoden, Sozialformen und Medien. Nach BAXTER UND LEDERMANN (1999, S. 155) ist das fachdidaktische Wissen das Zusammenspiel von Fachwissen und begründetem Handeln der Lehrperson im Unterricht. Damit ist es im Gegensatz zum pädagogischen Wissen Spezialwissen von Fachlehrkräften.

Novizen und Experten unterscheiden sich hinsichtlich der Struktur ihres fachdidaktischen Wissens. Obwohl sich Novizen die zentralen Termini, Konzepte und Regeln des Unterrichtens in der Ausbildung aneignen, sind sie aufgrund fehlender Praxiserfahrungen noch nicht in der Lage, dieses Wissen flexibel anzuwenden und agieren im Unterricht eher rational und rezeptartig. Erst mit zunehmender Unterrichtserfahrung entwickelt sich die detailorientierte Wahrnehmung in unterrichtlichen Situationen hin zu einer ganzheitlichen Betrachtungsweise einer Unterrichts-situation, die kennzeichnend für eine Expertenlehrkraft ist (siehe 3.2). Unterrichtserfahrung macht fachdidaktisches Wissen hochindividualisiert im Gegensatz zum Fachwissen, über welches auch Wissenschaftler des jeweiligen Fachbereichs (z. B. physische Geographie) verfügen.

3.4.3.2 Wissensfacetten fachdidaktischen Wissens

Sieht man das fachdidaktische Wissen als Ganzes an, ist es aufgrund unterschiedlicher domänspezifischer Kernaufgaben einer Lehrkraft angebracht, dieses in entsprechende Teilbereiche weiter auszudifferenzieren. Übersichten hierzu liegen von PARK UND OLIVER (2008);

SCHMELZING (2010) sowie VAN DRIEL, DE JONG UND VERLOOP (2002)vor. Sie zeigen auf, dass es durchaus unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, welche Kernkompetenzen für das fachdidaktische Wissen maßgeblich sind; und doch kristallisieren sich letztendlich inhaltliche Übereinstimmungen heraus, die fächerübergreifend und wiederum auf SHULMAN zurückzuführen sind:

 fachdidaktisches Wissen über fachspezifische Inhalte

 fachdidaktisches Wissen über die Vermittlung fachspezifischer Inhalte

 Wissen über fachspezifische Schülerkognitionen

Auf eine ähnliche Strukturierung verweisenKOTZEBUE UND NERDEL (2012) in ihrem Artikel zum Professionswissen von Biologielehrkräften sowie MINDNICH,BERGER UND FRITSCH (2013) für das Fach Rechnungswesen und KIRCHNER (2016) für den Wirtschaftsunterricht. Auch für Geographielehrkräfte können diese drei Kompetenzfacetten des fachdidaktischen Professions-wissens als relevant angenommen werden. Dass beispielsweise das Wissen von Lehrkräften zum Erkennen, Analysieren und Berücksichtigen von Schülervorstellungen im Geographieunterricht

ein Bestandteil des fachdidaktischen Wissens ist, wurde bereits 2010 in den Rahmenvorgaben für die Lehrerausbildung im Fach Geographie an deutschen Universitäten und Hochschulen (DGFG 2010,S.14) festgelegt. Über die Tatsache, dass eine Lehrkraft über fachdidaktisches Wissen zu Schülervorstellungen verfügen muss, besteht – betrachtet man die Struktur des Professions-wissens verschiedenster Fächer – kaum Dissens. Unstrittig ist auch, dass Lehrende im Unterricht mit Schülervorstellungen in Kontakt kommen. Für die Konzeption einer Studie zu Lehrervorstellungen über Schülervorstellungen ist das Wissen über Wissensformen insofern relevant, als dass zu erwarten ist, dass die Lehrkräfte ihr deklaratives Wissen über Schüler-vorstellungen recht gut kommunizieren können, im Gegensatz zu Darlegungen über Handlungsroutinen im Umgang mit Schülervorstellungen, die eher implizites Wissen – weil nicht immer bewusst verfügbar – darstellen. Dies muss sowohl bei der Interviewleitfaden-konzeption als auch bei der Durchführung der Interviews berücksichtigt werden. In der ProwiN-Studie werden unter der Wissensfacette fachdidaktisches Wissen über Schülerkognitionen verschiedene Kompetenzen subsumiert. Zunächst liegt der Fokus auf dem (deklarativen) Wissen über Schülervorstellungen, wobei in dieser Arbeit die zu befragenden Lehrkräfte Auskünfte insbesondere über die themenspezifischen Vorstellungen der Schüler und Schülerinnen geben können sollten. GRAMZOW,RIESE UND REINHOLD (2013,S. 22) sehen es als Voraussetzung dafür an, typische Schülerantworten antizipieren zu können oder Alltagsvorstellungen von Schülern und Schülerinnen aus deren Unterrichtsbeiträgen diagnostizieren zu können. Nicht zuletzt sollte das fachdidaktische Wissen über Schülervorstellungen der Planung und Durchführung eines angemessenen Umgangs mit ihnen zuträglich sein (ebd.). Außerdem steht in engem Zusammenhang mit der Facette Wissen die Vermittlung desselben.