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3. Theoretischer Rahmen

3.4 Professionelle Kompetenz von Lehrkräften

3.4.4 Überzeugungen und Werthaltungen

In ihrem generischen Strukturmodell unterscheiden BAUMERT UND KUNTER (2006) zwischen Wissen und Überzeugungen, obgleich betont wird, dass sie sich wechselseitig durchdringen.

Beide Kompetenzbereiche unterliegen einem unterschiedlichen epistemischen Zustand. Wissen ist nach westlichem philosophischen Verständnis eng an Wahrheit (hier als objektive Wahrheit, die relativ ist, verstanden) gekoppelt (REINMANN-ROTHMEIER &MANDL 2000), evidenzbasiert und dynamisch. Zudem unterscheiden sich wissenschaftliches Wissen und Alltagswissen. Während wissenschaftliches Wissen methodisch reflektiert generiert wird, intersubjektiv überprüfbar ist und einem Geltungsanspruch unterliegt, dient Alltagswissen der individuellen Lebens-bewältigung, ist subjektiv gefärbt und weit weniger komplex als Ersteres. Generell gilt Wissen als recht gut veränderbar. Die menschliche Wahrnehmung hat zur Folge, dass Individuen objektive Wahrheiten unterschiedlich sehen und diese damit relativ, das heißt personenabhängig

werden. Dies gilt beispielsweise für Vorstellungen von Lehrkräften über Schülervorstellungen.

Das objektive, wissenschaftliche Wissen über Schülervorstellungen wird durch das Alltagswissen der jeweiligen Lehrkraft subjektiv eingefärbt und vor allem auch durch kognitive Strukturen wie Überzeugungen beeinflusst. Im Gegensatz zu Wissen erheben Überzeugungen keinen Anspruch auf Wahrheit und bedürfen keiner wissenschaftlich haltbaren Rechtfertigung.

Sie entstehen durch persönliche Erfahrungen, die individuell geprüft wurden und sich in einer individuellen Meinung über einen Sachverhalt manifestieren. Somit sind sie individuelle Wahrheiten einer Person. Sie können allerdings zum Problem werden, da sie über feste Strukturen verfügen und sehr schwer veränderbar sind. BAUMERTUND KUNTER (2006, S. 496) verweisen darauf, dass innerhalb der Strukturdebatte zur Lehrerkompetenz Wert auf die Unterscheidung zwischen Wissen und Überzeugungen gelegt wird, dies aber nicht immer stringent durchgehalten wird.

Da dieser Studie das Kompetenzstrukturmodell von BAUMERT UND KUNTER (2006) zugrunde liegt, wird ihr Verständnis und ihre Ausdifferenzierung des Terminus Überzeugungen als Orientierung näher betrachtet. Ausgehend von ersten Ordnungsversuchen durch PAJARES (1992) und später durch OP´T EYNDE,DE CORTE UND VERSCHAFFEL (2002), die Überzeugungen von Lehrkräften als individuelle, professionsbezogene Wahrheitszuschreibungen verstehen, unterscheiden sie zwischen „Wertbindungen”, „epistemologischen Überzeugungen”, „subjektiven Theorien über Lehren und Lernen” und „Zielsystemen für Curriculum und Unterricht” (BAUMERT &

KUNTER 2006,S.497). Sie gehen davon aus, dass diese Überzeugungs-Facetten interagieren. Im Folgenden soll auf epistemologische Überzeugungen und insbesondere auf subjektive Theorien eingegangen werden. Von ihnen wird angenommen, dass sie in besonderer Weise auf professionsbezogene Vorstellungen von Lehrkräften Einfluss nehmen.

3.4.4.1 Epistemologische Überzeugungen

Auch als „Weltbilder“ (HELMKE 2009,S.118) bezeichnet, sind epistemologische Überzeugungen sowohl allgemein als auch professionsspezifisch betrachtet, Vorstellungen über das Wissen, seine Struktur und seinen Erwerb (ebd.). KÖLLER,BAUMERT UND NEUBRAND (2002) konkretisieren die Funktionen, die epistemologische Überzeugungen im Zusammenhang mit Unterricht übernehmen. Für Lehrkräfte sind sie demnach intuitive Theorien, die Einfluss auf das Denken, Lehren (und Lernen), die Motivation haben und damit die Vorstellungen in konkrete Handlungsmuster im Unterricht überführen. Ihre Struktur weist große Ähnlichkeiten zu subjektiven Theorien auf, zeichnet sich aber durch ihren fundamentalen Charakter aus, der die Grundeinstellungen von Lehrkräften gegenüber dem Unterricht grundlegend beeinflusst.

Infolgedessen können epistemologische Überzeugungen von Lehrkräften Überzeugungen von Schülerinnen und Schülern über das Wissen und Lernen maßgeblich beeinflussen.

3.4.4.2 Subjektive Theorien

„Subjektive Theorien umfassen Aggregate von prinzipiell aktualisierbaren Kognitionen, in denen sich ihre subjektive Sichtweise des Erlebens und Handelns niederschlägt und die untereinander in einem Argumentationszusammenhang stehen“ (MANDL &HUBER 1983, S. 98).

Sie werden auch als implizite Theorien, Alltagstheorien, naive oder intuitive Theorien (von Lehrkräften) bezeichnet, da sich in ihnen zunächst die Sichtweise auf sich selbst und die Welt widerspiegelt (WAHL 2002 zitiert nach HELMKE 2009, S. 312). Sie sind im unterrichtlichen Kontext insofern äußerst relevant, als dass sie – wie epistemologische Überzeugungen auch – auf Erwartungshaltungen und Zielstellungen der Lehrkraft an den und im Unterricht, sowie auf die Wahrnehmung und das professionelle Handeln Einfluss nehmen (GROEBEN,WAHL,SCHLEE &

SCHEELE 1988;WAHL 1991). Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihres Charakters von wissen-schaftlichen Theorien dahingehend, dass sie personenbezogen sind und keine Sichtweise einer größeren Gruppe repräsentieren. Zudem sind sie nicht methodisch durchdacht, nicht auf generalisierbare Gültigkeit hin überprüft und entsprechen lediglich individuellen, jedoch nicht von ganzen Gruppen angenommenen Wahrheiten. Gemeinsam ist beiden Arten, dass sie eine beschreibende und erklärende Funktion hinsichtlich der Dinge der Welt übernehmen und eine handlungsleitende Funktion bei der Professionsausübung übernehmen. Sie helfen, komplexe Sachverhalte oder Situationen zu strukturieren, um damit überlegt umgehen zu können (KIRCHNER 2016, S. 75). Subjektive Theorien sind komplexe Gebilde, denen eine implizite Argumentationsstruktur innewohnt. So ist es wie bei wissenschaftlichen Theorien möglich, die Struktur nachzuvollziehen, um sie offenzulegen und zu analysieren. (GROEBEN 1986). Aufgrund ihrer Struktur und Komplexität erfordert die Auseinandersetzung mit subjektiven Theorien von Lehrkräften ein überlegtes methodisches Vorgehen, nicht zuletzt deswegen, weil sie in aller Regel unbewusst entstehen und somit von der betroffenen Person schlecht geäußert werden können.

Obwohl subjektive Theorien nicht intersubjektiv überprüfbar sind und keinen Anspruch auf Wahrheit haben, verfügen sie für die jeweilige Person über einen sehr hohen Erklärungsstatus, weil sie in sich konsistent sind. Ihre Veränderbarkeit ist damit – im Gegensatz zum Wissen – nur sehr schwer umsetzbar. Sie tragen starke berufsbiographische Züge (CALDERHEAD 1996). Folglich hat Berufserfahrung einen enorm prägenden Einfluss auf die Entwicklung dezidierter Überzeugungssysteme. Diese manifestieren sich mit der Zeit in „stabilen“ Gewohnheiten bei der Professionsausübung (HELMKE 2009, S. 312). Welche Folgen dies auf das Lehrerhandeln haben kann, wird im Abschnitt (3.4.5) erläutert. DANN (1994) formuliert wesentliche Merkmale subjektiver Theorien wie folgt:

 Sie sind relativ stabile Kognitionen, die, wenn, dann nur schwer und vor allem durch Erfahrung veränderbar sind.

 Ihre implizite Struktur kann mit entsprechender Hilfestellung sichtbar gemacht werden.

 Sie verfügen über eine implizite Argumentationsstruktur, die auf Wenn-Dann-Beziehung basiert und somit das Schlussfolgern ermöglicht.

Sie helfen, Situationen zu definieren; mit ihrer Hilfe können eingetretene Ereignisse erklärt und, zukünftige Ereignisse vorhergesagt werden.

 Damit übernehmen sie eine handlungsleitende und -steuernde Funktion.

BAUMERT UND KUNTER (2006) stellen in Bezug auf subjektive Theorien von Lehrkräften folgende Aspekte heraus:

 Sie beeinflussen die Wahrnehmung und Deutung unterrichtlicher Situationen.

 Sie beeinflussen das professionelle Handeln der Lehrkräfte.

 Sie beeinflussen die Zielvorstellungen von Lehrkräften und ihre Erwartungshaltung gegenüber ihren Schülerinnen und Schülern.