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3. Theoretischer Rahmen

3.2 Professionelle Lehrkraft Expertenlehrkraft

Was unterscheidet eine professionell agierende Lehrkraft von einer Expertenlehrkraft?

Professionell agierende Lehrkräfte entwickeln und strukturieren auf der Basis des von ihnen berufs- und domänenspezifisch erworbenen Wissens und Könnens einen Unterricht, der dieses Wissen und Können nicht nur im Gießkannenprinzip über Schülerinnen und Schüler ausschüttet.

Vielmehr ist es der professionell agierenden Lehrkraft ein Anliegen, dabei kontextuelle Einflüsse zu beachten. Dies können unterschiedliche Lernstandsvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler sein, wie beispielsweise ihre Alltagsvorstellungen zu geographischen Themen. Die professionell agierende Lehrkraft legt Wert darauf und ist auch in der Lage, individuelle Schülervorstellungen zu erfassen, sie zu hinterfragen, um sie Gewinn bringend im Unterricht zu nutzen. Sie setzt sie ein, um bestenfalls Lerngelegenheiten zu konzipieren, die die Prinzipien der Binnendifferenzierung und Heterogenisierung berücksichtigen, die untrennbar mit einem professionellen Umgang mit Alltagsvorstellungen von Schülerinnen und Schülern verbunden sind. Insofern kann auch eine Lehrkraft, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen hat, beim Eintritt in das Berufsleben aufgrund ihres in der theoretischen Ausbildung erworbenen Professionswissens über Schülervorstellungen und erster Berufserfahrungen im Referendariat professionell mit Schülervorstellungen umgehen. Andererseits ist vorstellbar, dass Lehrkräfte, die aufgrund einer langen Dienstzeit und entsprechender Berufserfahrung als Expertenlehrkraft bezeichnet werden könnten, überhaupt nicht professionell mit Schülervorstellungen umgehen,

weil ihr fachdidaktisches Wissen hierzu unzureichend ist und/oder keine, beziehungsweise wenig reflektierte Erfahrungen zu Schülervorstellungen vorliegen.

Professionalität ist somit nicht automatisch mit Expertise gleichzusetzen. Als Synonyme für Expertise werden Begriffe wie Koryphäe, Meister, Virtuose, Fachmann verwendet. Personen, die diese Bezeichnung tragen dürfen, zeichnen sich durch hohes Sachverständnis und meisterhaftes Können aus. Im Allgemeinverständnis ist ein Experte zunächst jemand, der sein Handwerk in Bezug auf ein bestimmtes Fachgebiet besonders gut versteht und beherrscht. Lehrkräfte können dann als Experten bezeichnet werden, wenn sie dauerhaft auf herausragende Leistungen in ihrer Domäne (GRUBER 2001, S. 582 f.) – eben beim Unterrichten von Schülern – verweisen können.

Folglich ist anzunehmen, dass eine Lehrkraft mit zunehmender Zahl an Dienstjahren in der Lage sein sollte, einer Leistungsexellenz sehr nahe zu kommen. Als ein herausragendes Merkmal von Leistungsexellenz bei Lehrkräften sieht POSNER (1988) die berufsspezifische, aber nun dauerhafte Problemlösekompetenz an. Der Erklärungsansatz für Lehrerexpertise nach HACKER (1992) sagt, dass Expertise ein Gebilde aus der Verknüpfung von Fähigkeiten wie Intelligenz und Begabung sei. Nach HACKER ist diese Kombination sowohl als generelle als auch als domänenspezifische Kompetenz zu verstehen. Domänenspezifische Schlüsselqualifikationen, die ausschlaggebend für die Beschreibung von Lehrerexpertise sind, werden von CHI,GLASER UND FARR (1988,S.61) wie folgt formuliert:

 Sehr schnelle domänenspezifische Informationsverarbeitung

 Schnelles Erkennen und reflektiertes Anwenden von Bedeutungszusammenhängen

 Leichtes Erkennen der Strukturen von Sachzusammenhängen

 Fähigkeit, eigene Kompetenzen richtig einzuschätzen

LEINHARD UND GREENO (1986,S.75) sprechen im Zusammenhang mit einer Studie zur Expertise von Lehrkräften von Stabilität, Zielgerichtetheit, Flexibilität, Flüssigkeit und Logik des Unterrichtsaufbaus. Sie stellen zudem fest, dass Expertenlehrkräfte ihr Wissen in sogenannten curriculum skripts (PUTNAM 1987, S. 17) speichern. Zwei Begriffe spielen bezüglich Expertise eine herausragende Rolle: Wissen und Können, wobei Wissen als Voraussetzung für Können zu verstehen ist. Kumulativ angehäuftes Wissen sollte es einer Expertenlehrkraft ermöglichen, progressiv flexibler auf unterrichtliche Situationen zu reagieren im Vergleich zu weniger erfahrenen Kolleginnen und Kollegen. Berufserfahrung befähigt sie als Expertin, unterrichtliche Situationen schneller und differenzierter wahrzunehmen sowie Problemlösestrategien rascher entwickeln zu können. Die Leistungsexellenz würde sich im Zusammenhang mit dem Thema Schülervorstellungen beispielsweise dadurch zeigen, dass eine (Experten-)Lehrkraft, welche im Geographieunterricht permanent wiederkehrend mit Schülervorstellungen konfrontiert wird, allein aus diesem Grund in der Lage sein müsste, typische Schülervorstellungen nennen zu

können. Folglich wäre auch erwartbar, dass in den mentalen Skripts der Lehrkraft passende Umgangsstrategien mit Schülervorstellungen aufgrund ihrer Berufserfahrung zur Verfügung stehen. Um diese Annahmen empirisch belegen zu können, ist es notwendig, geeignete qualitative Erhebungs- und Auswertungsmethoden einzusetzen, die einen Einblick in die Tiefenstruktur der Denkkonzepte von Geographielehrkräften über Schülervorstellungen ermöglichen. Allerdings sind die konkrete Messbarkeit und Generalisierbarkeit von Daten aus qualitativen Forschungsdesigns aufgrund individueller Zielstellungen und Orientierungen der Lehrperson für ihren Geographieunterricht, ihrer epistemologischen Überzeugungen sowie weiterer affektiv-motivationaler Einflussfaktoren, nur eingeschränkt vornehmbar. Betrachtet man die zentralen Begriffe zur Erklärung von Lehrerexpertise (Erfahrung, Fähigkeiten, Schlüsselqualifikationen) kann die Frage aufgeworfen werden, ob eine routinierte gleichzeitig auch eine Expertenlehrkraft ist. Routiniert ist jemand, der klar umrissene Problemstellungen aufgrund seines umfangreichen Wissens bündeln kann und entsprechende Handlungsstrategien bereit hält. Routinen im Berufsalltag von Lehrkräften sind immer wiederkehrende Handlungsabläufe, die beispielsweise durch curriculare Vorgaben determiniert sind. So hat eine dienstältere Lehrkraft beispielsweise Routine hinsichtlich einer günstigen didaktischen Reihung geographischer Inhalte entwickelt, die es ihr aufgrund des alljährlich wiederkehrenden Unterrichtens dieser Inhalte (zum Beispiel Entstehung der Jahreszeiten) ermöglicht, erfahrungsbasiert sicher und zielorientiert zu entscheiden. Dass Routine zu Expertise führe, sei allerdings kein Automatismus, stellt GRUBER (2001, S. 582 f.) fest. Routinierte Abläufe können im Unterricht insofern gestört werden, als dass sich Lehrkräfte täglich unterschiedlichsten, oft nicht planbaren Einflüssen ausgesetzt sehen. Dazu zählen variierende Lehr- und Lernvoraussetzungen, zu denen auch ad-hoc geäußerte Schülervorstellungen gehören können.

Fakt ist, dass ein Gewinn bringender Umgang mit diesen Schülervorstellungen kontextabhängige Strategien erfordert, deren Einsatz in diesen Fällen spontan und schnell angepasst werden muss.

Da Routine auf positiver Erfahrung beruht, könnte sie sich in diesem Fall kontraproduktiv auf die Flexibilität der Lehrkräfte im Umgang mit nicht eingeplanten, spontanen Alltagsvorstellungen der Lernenden auswirken. So könnte beispielsweise das (nicht so gute) verbale Ausdrucksvermögen von Schülerinnen und Schülern ein Einflussfaktor auf die Entscheidung sein, sich eher nicht so intensiv mit Schülervorstellungen auseinanderzusetzen, da schon das Verstehen von geäußerten Alltagsvorstellungen im Unterricht Probleme bereitet.

Umso schwieriger kann es dann sein, in der konkreten Situation schnell über passende strategische Entscheidungen zum Umgang mit diesen (schwer verständlichen) Alltagsvorstellungen der Lerner zu befinden. Die Lehrkraft sieht sich trotz jährlich immer wiederkehrender Themen, die durchaus eine gewisse strategische Routine zulassen, aber in der

täglichen Unterrichtspraxis mit situativ bedingten, immer anderen komplexen Problemstellungen konfrontiert, die spontane Anpassungen notwendig werden lassen. Um nachhaltige Veränderungen bei individuellen und heterogenen Alltagsvorstellungen der Schülerinnen und Schülern zu erreichen, kann erfahrungsbasiert routiniertes Unterrichten eine Art Basissicherheit geben; der Diversität im Umgang mit Schülervorstellungen ist sie sicherlich nur begrenzt zuträglich. Gleiches gilt natürlich auch für die Veränderung von Lehrervorstellungen. Insofern sind manche, auf Routine seitens der Ausrichter aufbauende Fortbildungskonzepte für Geographielehrkräfte durchaus auf den Prüfstand zu stellen. Routine muss also kontextuell gesehen werden. Positiv wirkt sie im Unterricht dann, wenn tatsächlich ein Fundus an flexibel einsetzbaren, erfolgreichen Strategien zum Umgang mit Schülervorstellungen in den mentalen Skripten der Lehrkräfte verfügbar ist und diese auch erfahrungsbasiert und situativ passgenau abgerufen werden können. Negativ wirkt sich Routine dann aus, wenn diese Flexibilität nicht vorhanden ist und der Umgang mit Schülervorstellungen schematisch abläuft oder sogar ganz unterbleibt. Damit wird deutlich, dass eine berufserfahrene, routinierte, fachlich und didaktisch-methodisch versierte Lehrkraft nicht zwangsläufig eine Expertin im Umgang mit Schülervorstellungen sein muss. Fundiertes deklaratives Wissen über Schülervorstellungen, bestenfalls kombiniert mit ersten Unterrichtserfahrungen und Selbstreflexionskompetenz kann auch eine gerade erst in die Berufspraxis eingetretene Lehrkraft zur Expertin in Sachen Schülervorstellungen machen, obwohl sie über keinerlei Unterrichtsroutine verfügt. Im Vergleich dazu ist die Expertenlehrkraft, welche zwar auf mehr erfahrungsbasierte implizite Unterrichtsstrategien zurückgreifen kann, im Umgang mit Schülervorstellungen vielleicht eine Anfängerin, obwohl sie eine routinierte Lehrkraft in anderer Hinsicht ist. Sehr erfahrene Lehrkräfte profitieren aus ihrer Sicht davon, diesen Unterschied oberflächlich mit einer „[...] selbst entwickelten Mischung aus curricular-fachlichen und pädagogisch-psychologischen Wissen mit ihren eigenen Erfahrungen über Unterrichtssituationen” (HAAS 1998, S. 18) vermeintlich auszublenden oder zu nivellieren zu können. Experten haben nach BROMME (2014) eine „eigene Didaktik“

entwickelt, FISCHLER ET AL. (2002) sprechen von individuellen Unterrichtsskripts und SCHOEN (1983) bezeichnet die im Unterricht situativ zur Anwendung kommenden mentalen Skripts als

“knowledge-in-action”. Alle genannten Autoren fokussieren sich dabei auf das erfahrungsbasierte, episodengebundene Expertenwissen von Lehrkräften. Für echte Expertise (auch im Umgang mit Schülervorstellungen) sprechen jedoch insbesondere ein permanent vorhandener und praktizierter Reflexionswille und die damit verbundene Reflexionsfähigkeit der Lehrkraft.

Problematisch ist, dass beides nicht automatisch mit Expertise und schon gar nicht mit Routine einhergeht. Ohne bewusst eingesetzte Reflexion der eigenen Lehrervorstellungen, die die Unterrichtgestaltung maßgeblich beeinflussen, kann die Lehrkraft aufgrund ihrer Erfahrung

zwar routiniert handeln, ob sie aber wirklich als Expertin bezeichnet werden kann, bleibt ohne Einbeziehen der Reflexionskompetenz als wichtiges Element der kompetent handelnden Lehrkraft zu hinterfragen.