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Punktuelle Interessenkongruenzen verschiedener AkteurInnen ermöglichen Projekte mit punktueller Integration ökologischer Belange

Reproduktions prozess

3.5 Punktuelle Interessenkongruenzen verschiedener AkteurInnen ermöglichen Projekte mit punktueller Integration ökologischer Belange

In der politikwissenschaftlichen Forschung ist anerkannt, dass Koalitionen oder Bündnisse zur Beeinflussung politischer Prozesse gebildet werden (vgl. u. a.

Heaney/Lorenz 2013: 251; Krott 2005: 97) und dass diese Bündnisse von inhaltlichen und zeitlichen, folglich punktuellen (englisch: selective) (Hubo 2013: 6), Interessenkongruenzen im Rahmen eines konkreten public-policy Sachverhalts abhängen (vgl. Krott 2005: 97). Daraus folgt, dass einzelne Koalitionen oder Bündnisse zeitlich nicht stabil sein müssen, sondern durch fluktuierende Teilnehmerschaften gekennzeichnet sein können oder gar aufgelöst werden,

„coalition portfolios evolve over time as coalitions form and dissolve“ (ebd.: 251), wenn die Gemeinsamkeiten bezogen auf die konkreten Interessen verschwinden.

Heaney und Lorenz argumentieren, dass einzelne Interessengruppen über ein

„coalition portfolio, which is the set of all coalitions within a given area of public policy in which an interest group participates at a particular point in time” verfügten (2013:

251). Dieses Koalitionsportfolio hängt von den Koalitionsstrategien (ebd.: 251) und damit schließlich von den Interessen der AkteurInnen ab. Die Ziele, die Interessengruppen im Rahmen des kollektiven Agierens in einer Koalition erreichen wollen, sind vielfältig. So verweisen Heaney und Lorenz darauf, dass „interest groups

57 turn to coalitions as a mechanism to pool resources (Hula, 1999), to demonstrate to policymakers that they have resolved their internal differences and achieved a consensus on a position (Mahoney, 2008; Nelson and Yackee, 2012), and to aggregate political intelligence (Heaney, 2006)” (2013: 252). Eine zentrale Voraussetzung ist jedoch die Einschätzung, dass alle teilnehmenden AkteurInnen ähnliche Interessen verfolgen bzw. die eigenen Interessen trotz Differenzen hinsichtlich einzelner Überzeugungen oder gar hinsichtlich der „core issues“ (ebd.:

253) erreicht werden können, und die Fähigkeit, Einigkeit bezogen auf eine Positionierung im Rahmen des politischen Prozesses herzustellen. Politische EntscheiderInnen, herausgehobene ParteipolitikerInnen (z. B. agrarpolitische SprecherInnen der Parlamentsfraktionen) oder ExekutivpolitikerInnen, und andere staatliche AkteurInnen, etwa die Ministerialbürokratie oder die Fachverwaltungen, als AdressatInnen der Tätigkeiten solcher Koalitionen, müssen klar erkennen können, welche Position, als Zusammenführung der einzelnen Interessen, prioritär berücksichtigt werden soll. Neben den Interessenkongruenzen als Voraussetzung für Koalitionen zur Integration ökologischer Belange in bestehende Politiken sind die Strategien der unterschiedlichen AkteurInnen von großer Relevanz. Unterschieden wird dabei häufig zwischen inside- und outside-Strategien (Betzold 2013: 303).

Erstere dient als Strategie innerhalb des politisch-administrativen Systems dazu die politischen Entscheider direkt zu beeinflussen, letztere hingegen soll von außerhalb des PAS Druck ausüben. Verwenden einzelne Akteure, etwa Umwelt- und Naturschutzverbände, häufig und intensiv outside-Strategien zur Mobilisierung der eigenen MitgliederInnen aber auch zur Vergrößerung der Mitgliedschaftsbasis unter Nutzung von Freund-Feind-Schemata oder von aggressiver Rhetorik, der DBV etwa kritisierte jüngst den BUND heftig für dessen Kampagnen (DBV 2014a), so können Koalitionen trotz punktueller Interessenkongruenzen scheitern oder gar nicht erst zustande kommen.

Heaney und Lorenz nehmen im Rahmen ihres „coalition portfolio“-Konzepts Interessengruppen in den Blick, die zur Beeinflussung politischer EntscheidungsträgerInnen, Koalitionen eingehen (Heaney/Lorenz 2013). Nicht nur aus der Perspektive von Interessengruppen sind solche advocacy coalitions von Bedeutung, auch für staatliche Akteure, z. B. Ministerialbürokratien, können diese notwendig sein, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Empirisch häufiger lassen sich spezifische Interessenkongruenzen zwischen der „bäuerlichen Landwirtschaft“, als Verbände sind hier die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und regional der Bauernbund Brandenburg, und dem Klima-, Natur- und Umweltschutz, NABU und BUND aber auch Greenpeace etc., beobachten. Hierbei werden punktuell gemeinsam Versuche unternommen, die Agrarpolitik zu beeinflussen, um die Berücksichtigung ökologischer Belange, wie etwa den Schutz von Bodenbrütern auf Agrarflächen, zu fördern. Punktuelle Politikintegration kann für die „schwächeren“

AkteurInnen des Natur- und Umweltschutzsektors unter den Bedingungen geringerer Ressourcenausstattungen eine strategische Option darstellen, um zumindest Teilziele zu erreichen (vgl. Krott/Böcher/Hubo/Kleinschmit 2006). So weist Krott in der Beantwortung eines Fragebogen des Thüringer Rechnungshofs zur effizienteren

58 Ausgestaltung der Naturschutzinstrumente (Thüringer Rechnungshof, Dokumentenverzeichnis) unter Frage 2: Ordnungsrecht und Naturschutz darauf hin, dass eine „Fokussierung der Durchsetzung [von Naturschutzauflagen, R.K.] in ausgewählten Prioritätsgebieten“ empfehlenswert sei. Abzuleiten ist, dass es für den Natur- und Umweltschutzsektor strategisch sinnvoll sein kann, begrenzte Ressourcen auf Prioritäten zu fokussieren und dafür strategische Bündnisse einzugehen. So weist Krott für Thüringen auf die für die Integration von ökologischen und sozioökonomischen Belangen bedeutsamen Naturparke als Instrumente hin (Krott 2011: 3). Folglich können gebietsspezifische Bündnisse von ökonomie- und ökologieorientierten AkteurInnen Beiträge zur Erreichung natur- und umweltschutzfachlicher Teilziele leisten und zugleich die regionale Orientierung durch die Stärkung vertikalintegrierter Wertschöpfungsketten leisten. Punktueller

„Integrativer Naturschutz“ kann durch die Einbindung regionaler AkteurInnen der Land- und Forstwirtschaft und dessen Ökosystemdienstleistungen zu den Zielen europäischer und nationaler Biodiversitätsstrategien beitragen (Krott 2011: 3). Hierfür bedarf es jedoch der effektiven und strategischen Bildung von Bündnissen unter Einbeziehung gegensätzlicher Akteurstypen. Hierfür sind auf der mikropolitischen Ebene gute Beziehungen zwischen den FunktionsträgerInnen notwendig, weshalb aggressive Rhetoriken unter Verwendung von Freund-Feind-Schemata eher abträglich sind. Inwieweit effektive, punktuelle Politikintegrationen unter den Bedingungen etablierter Politiksektoren und deren Rückkoppelung an die Prinzipien der dominanten Produktionsweise möglich sind, bleibt folglich fallbezogen zu prüfen.

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4. Methodik

Zur Beantwortung der untersuchungsleitenden Fragestellung nach dem Niveau und der Umsetzung von EU-Umweltschutz in der deutschen Land- und Forstwirtschaft wurden aus dem theoretischen Konzept der Politiksektoren, welches Ergebnis zurückliegender Forschung ist (z. B. Hubo/Krott 2007; Hubo/Krott 2010; zur Relevanz nationaler Politiksektoren im Rahmen internationaler Forst- und Biodiversitätspolitiken vgl. Giessen/Krott/Möllmann 2014), Untersuchungshypothesen abgeleitet. Deren Prüfung liefert Belege für Ursachen des gegenwärtigen Niveaus der Umsetzung von EU-Umweltschutz und wird damit zur Beantwortung der Untersuchungsfrage beitragen. Dazu wurde erstens eine Literaturanalyse (Metaanalyse) wissenschaftlicher Beiträge zur ökologischen Qualität und den Dimensionen des europäischen und deutschen Agrarsektors, als dominantem Landnutzungssektor, durchgeführt (vgl. Kap. 6.2 Dimensionen Europäischer Agrarpolitik und 6.3 Ökologische Qualität der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und der landwirtschaftlichen Landnutzung). Anzuführen ist, dass eine derartige Forschungsperspektive auf Grund der primär nationalen und subnationalen Politikformulierung im Forstsektor (vgl. Edwards/Kleinschmit 2012;

Kokko/Toivonen/Pelkonen/Mäki-Hakola/Letto-Vanamo/Enroth/Ojanen/Tahvanainen 2006: 10; Krott 2008: 13, 22) nicht angemessen ist. Europäische Forstpolitik ist relational zum Agrarsektor nicht gleichwertig konstituiert. Die Ergebnisse der Literaturanalyse (Metaanalyse) wissenschaftlicher Beiträge zur ökologischen Qualität und den Dimensionen des europäischen und deutschen Agrarsektors belegen die Ursachen für den Diskurs über die Umsetzungsdefizite des EU-Umweltschutzes im Agrarsektor und die diagnostizierte Notwendigkeit der Integration von EU-Natur- und Umweltschutzpolitik in die Programme des Agrarsektors. Weiterhin werden anhand der qualitativen Interviewforschung in der Form der leitfaden-gestützten, teilstrukturierten ExpertInnengespräche Belege zur Unterstützung der Untersuchungshypothesen gesammelt. Anhand der ExpertInnengespräche werden fallstudienbezogen die politischen Prozesse der Umsetzung von EU-Umweltschutz in der deutschen Land- und Forstwirtschaft, insbesondere in den Bundesländern BB, NI, NW und ST, in den Förderperioden 2000-2006 und 2007-2013 nachgezeichnet und die Ursachen für Umsetzungsdefizite des EU-Umweltschutzes offengelegt.

Ergänzend wurden Rechtsquellen- und Dokumentenanalysen durchgeführt. So wurden die Agrar- und Forststatistiken und die Förderprogramme zur ländlichen Entwicklungspolitik hinsichtlich der Umsetzung von EU-Umwelt- und Naturschutzvorgaben geprüft. Auch eine Anwendung kritisch-materialistischer Staatstheorie auf die politischen Prozesse der Umsetzung von EU-Umweltschutz trägt zur, die empirischen Befunde unterstützenden, Erklärung dieser Prozesse bei.

Dabei wird deutlich, dass eine theoretische Verbindung der „territorialen Logik“

(Harvey 2014: 199), als Ausdruck staatlich-politischen Handelns innerhalb territorialer Grenzen, und der „kapitalistischen Logik“ (ebd.: 200), als Begriff für die Profitorientierung ökonomischer Akteurstypen, als Erklärung für Umsetzungsdefizite methodische Probleme auf Grund des beschränkten Zugangs zu Informationen ausgleichen kann. Empirische Belege für eine kritisch-materialistische Staatstheorie

60 liefern die Aussagen von politischen MinisterialbürokratInnen als politökonomische Eliten mit den Kompetenzen zur Steuerung gesellschaftlicher Produktionsweisen.

4.1 Literaturanalyse

Um die ökologische Qualität und die Dimensionen des europäischen und deutschen Agrarsektors, der Forstsektor wurde dabei als Folie genutzt um einen Vergleich zwischen den Ergebnissen der unterschiedlichen Landnutzungsformen zu ermöglichen, festzustellen, wurden 50 wissenschaftliche Beiträge hinsichtlich klima-, umwelt- und naturschutzfachlicher Aspekte europäischer Agrarpolitik und landwirtschaftlicher Landnutzung untersucht. Die Anzahl von 50 Beiträgen wurde gewählt, um die Repräsentativität der Aussagen sicherzustellen. Dabei lag der Schwerpunkt der Beiträge auf der GAP und der deutschen Agrarpolitik. Vor Auswahl und Analyse der Beiträge wurden in einem ersten Schritt die Analysetools ausgewählt. Dabei wurden die Fachzeitschriften Environment and Planning Government and Policy, Food Policy, Journal of Social Science, Land Use Policy, Sage Open: Subjects: Economic Science: Agricultural and Natural Resource Economics und Social Science Open Access Repository: SSOAR in englischer Sprache als einschlägige Wissenschaftsmedien identifiziert und ausgewählt, um den internationalen Forschungsstand zu den Themen “common agricultural policy, greening, ecology, environmental policy integration” abzubilden. Daneben wurde zur Abbildung des deutschsprachigen Forschungsstandes eine Suche auf EconStor, dem Open-Access-Server der Deutschen Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften/Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft (ZBW), durchgeführt. Die Auswahl des EconStor Open-Access-Mediums und des Social Science Open Access Repository: SSOAR entspricht dabei den kritisch-materialistischen Forschungsleitlinien der zu Grunde liegenden Studie, wonach wissenschaftliche Ergebnisse als kollektive Güter frei und kostenlos zugänglich sein müssen. Darüber hinaus entspricht der Zugriff auf Open-Access Analysetools einer Deutung kritisch-materialistischer Theorie der Wissenschaft, welche die Kommodifizierung wissenschaftlicher Ergebnisse und Methoden zurückweist. Neben EconStor wurde auch GoogleScholar als Analysetool genutzt. Als Suchbegriffe wurden bei EconStor und GoogleScholar „EU-Agrarpolitik“, „Ökologisierung Agrarpolitik“, „Agrarumweltpolitik“ und „greening“ verwendet. Die Prüfung von Rechtsquellen, z. B. EU-Richtlinien, EU-Verordnungen und Entscheidungen, nationale und subnationale Gesetze und Verordnungen, und öffentlichen Dokumenten, z. B. Strategiepapiere, Aktionsprogramme, Evaluierungen, Agrarstatistiken, wurde hinsichtlich der Diskrepanz von Zielen und Instrumenten durchgeführt. Ziel dieser Prüfung war die Aufdeckung von Diskrepanzen etwa zwischen ökologieorientierten Zielen und unzureichenden Instrumentarien und der Dominanz von ökonomieorientierter Steuerung, um nachweisen zu können, in wie weit Umweltpolitikimplementationsdefizite bestehen und dass „Politikintegration“ auf der Zielebene zur Legitimation sektoraler Praktiken genutzt wird. Auch wurde die Prüfung von Rechtsquellen und öffentlichen Dokumenten genutzt, um Daten aus den ExpertInnengesprächen zu überprüfen. Deutlich wird, dass die Literaturanalyse als

61 ein methodisches Korrektiv zur qualitativen Interviewforschung genutzt wurde. Neben dieser Funktion als methodisches Korrektiv dient die Literaturanalyse der Plausibilisierung theoretischer Annahmen.

4.2 Qualitative Interviewforschung: Leitfadengestützte, teilstrukturierte