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Multifunktionalität der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP)

Reproduktions prozess

UMWELT- SCHUTZ

6.2 Dimensionen Europäischer Agrarpolitik

6.2.1 Multifunktionalität der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP)

Die Ausgestaltung der GAP ist geprägt durch eine Vielzahl von Werten und Interessen verschiedener Akteure. EU-Kommission, Europäisches Parlament, Mitgliedstaaten, nationale Verwaltungen, wissenschaftliche Institutionen, privatwirtschaftliche Unternehmen und zivilgesellschaftliche AkteurInnen beeinflussen die Formulierung von Zielen und Funktionen, die der GAP zugewiesen werden. Daneben bilden Pfadabhängigkeiten eine Grundlage für deren Zustandekommen. Historisch haben sich verschiedene Funktionszuweisungen an die GAP herausgebildet, die unter dem politisch instrumentalisierten Leitbild der

„Multifunktionalität“ gefasst werden können, so verweisen Bergschmidt und Wilstacke auf „Ernährungssicherung, Verbraucherschutz/Qualitätsstandards, Arten-und Biotopschutz, Ressourcenschutz, Erhaltung und Pflege der Kulturlandschaft, Tierschutz, landwirtschaftliche Dienstleistungen, Beitrag zur regionalen Wirtschaftskraft, Arbeitgeber im ländlichen Raum, Beitrag zur kulturellen und regionalen Identität und Erzeugung von Lebensmitteln, nachwachsenden Rohstoffen und Bioenergie“ (Bergschmidt/Wilstacke 2007: 3). Gegen die Instrumentalisierung der „Multifunktionalität“ wurde eingewandt, dass „eine pauschale Förderung der landwirtschaftlichen Flächennutzung aufgrund einer vorausgesetzten

107 Multifunktionalität unter regional- und umweltpolitischen Gesichtspunkten kaum noch zu begründen ist“ (Haaren v. 2009: 135). Auf diese Diskussion soll im folgenden Abschnitt eingegangen werden, indem aufgezeigt wird, inwiefern sich die Rechtfertigung der finanziellen Förderung des Agrarsektors auf die ökologische Dimension als Bestandteil der Multifunktionalität stützen kann.

Im Rahmen der GAP wurde anhand einzelner Maßnahmen und Strategien auf genannte Funktionszuweisungen und landwirtschaftliche Herausforderungen reagiert. Diese Maßnahmen und Strategien lassen sich in bestimmte Teilpolitiken der GAP einordnen:

-Agrarpreispolitik -Agrarstrukturpolitik -Agrareinkommenspolitik -Agrarsozialpolitik

-Agrarhandelspolitik -Agrarumweltpolitik

Originär ökologische Ziele werden insbesondere im Rahmen der Agrarumweltpolitik und teilweise mit der Agrarstrukturpolitik verfolgt, jedoch werden auch durch Steuerungsimpulse anderer Teilpolitiken ökologische Wirkungen ausgelöst. Deshalb werden nachfolgend die einzelnen Teilpolitiken kursorisch vorgestellt und in deren ökologische Auswirkungen skizziert.

6.2.1.1 Agrarpreispolitik

Die Agrarpreispolitik war bis zur MacSharry-Reform von 1992 der zentrale Politikbestandteil der GAP und hat seitdem an Bedeutung verloren, da Preisstützungen, Preisgarantien und die Exportförderung zurückgeführt wurden und Quotenregelungen auslaufen. So werden die Milch- und die Zuckerquoten voraussichtlich bis 2015 auslaufen (EU-Kommission 2010a: 8). Auch soll das System der Pflanzungsrechte im Weinbausektor auslaufen, was jedoch von Teilen des Europäischen Parlaments kritisch gesehen wird (Europäisches Parlament 2011:

Parlamentarische Anfrage E-010195/2011). Insbesondere die Abschaffung der Preisgarantie- und Preisstützungsmechanismen hatte ökologisch vorteilhafte Folgen, da deren vormalige Förderimpulse die Überproduktion bestimmter Güter (Milch und Milchprodukte) anreizte (Heinrich et al. 2013: 20; Pezaros 2001: 14; v. Haaren 2009:

125). Abgesehen von den weiterhin hohen Einfuhrzöllen in den Produktionsbereichen Milchprodukte, Rindfleisch und Zucker (Bureau 2012: 316) wurden seit der MacSharry-Reform die produktionsorientierten Preismechanismen und Exporterstattungen abgeschafft und zurückgefahren (ebd.: 316). Hieraus folgte eine stärkere Effizienzorientierung beim Ressourceneinsatz in der EU. Dem wird entgegengestellt, dass im Zuge dieser Reformen die EU vom Zucker- und

108 Rindfleischexporteur zum Zucker- und Rindfleischimporteur wurde (Bureau 2012:

318/319). Aus dieser Trendumkehr kann der Import bzw. die Förderung von Produktionsweisen mit niedrigeren Umwelt- und Naturschutzstandards folgen. Dies wird unterstützt durch Zahlen der FAO, wonach die Emissionsbilanz pro produzierter Milcheinheit in Westeuropa günstiger ist als in anderen Erzeugerregionen wie Mittel- und Südamerika oder Südasien (FAO 2010b: 34). Offen ist zudem, wie sich die Abschaffung der Milchquote und mögliche Senkungen der Einfuhrzölle (im Rahmen der WTO) auf die ökologische Qualität der europäischen Agrarpolitik auswirken werden. Zur Reduzierung des Überangebots an Agrargütern wurde 1992 die obligatorische Flächenstilllegung eingeführt, welche hinsichtlich der Entwicklung von Habitaten für die Wildfauna in der Agrarlandschaft Räume schaffte. Unterstützend argumentieren Osterburg/Nitsch/Laggner/Roggendorf, dass „obgleich die verpflichtende Flächenstilllegung ursprünglich zur Limitierung der Überproduktion eingeführt wurde, hatte diese Regelung positive ökologische Nebeneffekte.

Entstandene Brachen hatten einen naturschutzfachlichen Wert als Lebensraum für Wildtiere und Ackerwildkräuter und stellten aus Gewässerschutzsicht

„Verdünnungsflächen“ ohne Düngung und Pestizidanwendung dar“

(Osterburg/Nitsch/Laggner/Roggendorf 2009: 14). Auf Grund steigender Agrarweltmarktpreise wurde die Stilllegungsverpflichtung 2009 abgeschafft.

„Zwischen 2007 und 2008 sind mehr als 50 % (338.000 ha) der ungenutzten

Stilllegungsflächen in Nutzung genommen worden“

(Osterburg/Nitsch/Laggner/Roggendorf 2009: 14). Die Nutzung vormals stillgelegter Flächen lohnt sich aus betriebswirtschaftlicher Perspektive bei steigenden Agrarpreisen und entsprechender Flächenproduktivität stärker. Zudem werden

„Agrarumweltmaßnahmen zur ökologischen Aufwertung stillgelegter Flächen ohne eine Prämienerhöhung besonders auf Gunststandorten unattraktiver“ (ebd.: 14). Es wird ersichtlich das Maßnahmen der Agrarpreispolitik nicht intendierte ökologische Handlungsfolgen auslösten.

6.2.1.2 Agrarstrukturpolitik

Zentrale Rechtsgrundlage der Europäischen Agrarstrukturpolitik ist die ELER-Verordnung mit der Fokussierung auf Integrierte ländliche Entwicklung, einzelbetriebliche Investitionsförderung, Diversifizierung, Verbesserung der Vermarktungsstrukturen und Markt- und Standortangepasste Landbewirtschaftung, welche als Einzelmaßnahmen unter die Ziele des Art. 4 Abs. 1 a) und c) der Verordnung (EU) Nr. 1698/2005 (seit 2013 VO (EU) 1305/2013) zu subsumieren sind. Diesen Maßnahmen lagen gemäß Art. 4 Abs.1 a) und c) VO (EU) 1698/2005 die Ziele der „Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft und der Forstwirtschaft durch Förderung der Umstrukturierung, der Entwicklung und der Innovation“ und „Steigerung der Lebensqualität im ländlichen Raum und Förderung der Diversifizierung der Wirtschaft“ zu Grunde. Auch werden im Rahmen der Agrarstrukturpolitik umweltpolitische Ziele proklamiert. So formulierte die Generaldirektion, dass die Prioritäten der GAP, insbesondere gilt dies für die zweite Säule, im Bereich „promoting a viable and competitive agricultural sector which

109 respects high environmental and production standards…”, ”contributing to sustainable development of rural areas…” und “promoting the European agricultural sector in world trade” (EU- DG AGRI 2011: 6) liegen. Dem wurde entgegen gehalten, die Agrarstrukturpolitik, insbesondere die Terminologie der „ländlichen Entwicklungspolitik“, mit ihrer begrenzten Schwerpunktsetzung im Bereich Umwelt-, Natur- und Ressourcenschutz diene letztlich der Rechtfertigung der agrarpolitischen Subventionierung gegenüber Drittländern und WTO-Partnern (Schrader 2004: 16).

So erstaunt wenig, dass anhand der eingangs genannten Einzelmaßnahmen keine ökologischen Ziele verfolgt werden. Im Rahmen der deutschen Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes"

(GAK) werden vom Bund und von den Ländern insbesondere die Agrarinvestitionsförderung (Agrarinvestitionsförderprogramm (AFP)) mit den

„Zielstellungen Wettbewerbsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Multifunktionalität…[und, R.K.] Unterstützung einer besonders umweltschonenden und besonders tiergerechten Landwirtschaft“ (Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) 2013: Ausblick für den GAK-Rahmenplan 2014-2017), die Diversifizierung, die Vermarktungsstruktur landwirtschaftlicher Erzeugnisse und die Markt- und standortangepasste Landbewirtschaftung (MSL), welche zukünftig ebenfalls dem Klimaschutz dienen solle (BMELV 2013: Ausblick für den GAK-Rahmenplan 2014-2017), finanziell gefördert. Die ökologisch vorteilhaften Auswirkungen der Agrarinvestitionsförderung, der Diversifizierung, der Verbesserung der Vermarktungsstruktur landwirtschaftlicher Erzeugnisse und der MSL sind begrenzt, da diese Maßnahmen lediglich eine „Einkommensstützung landwirtschaftlicher Betriebe bewirken und kaum mit anspruchsvollen Bedingungen an zusätzliche Umweltleistungen der Landwirtschaft verknüpft sind“ (Tietz 2010: 1).

So verweisen Flessa et al. darauf, dass im Rahmen des Niedersächsischen Agrarinvestitionsförderungsprogramms (AFP) „vorwiegend Gebäudeinvestitionen wie Stallbauten gefördert“ werden und „keine über das Ordnungsrecht hinausgehende Auflagen für den Klimaschutz“ vorgesehen sind (Flessa et al. 2012: 45). Zudem werden trotz möglicher betriebswirtschaftlicher Vorteile wie Energiekostenreduzierung „Investitionen in moderne Maschinen, mit denen Emissionen vermieden werden können (z. B. Präzisionslandwirtschaft), derzeit nicht gefördert“ (ebd.: 45).

6.2.1.3 Agrareinkommenspolitik

Agrareinkommenspolitik wird innerhalb der europäischen Agrarpolitik auf Grundlage der vormaligen Verordnung (EU) 73/2009 (seit 2013: VO (EU) 1307/13) betrieben.

Sie war das wesentliche Instrument der GAP, da sie Regelungen zur unmittelbaren Finanzierung der landwirtschaftlichen Betriebe beinhaltet (Art. 1 b) VO (EU) 73/2009) und die Gewährung der Direktzahlungen an die Einhaltung von ökologieorientierten und weiteren Mindestanforderungen (Cross Compliance-Prinzip) koppelt (Art. 4 Abs.

1 S. 1 i. V. m. Art. 5 und Art. 6 VO (EU) 73/2009). Die Auszahlung der Betriebsprämien ist an den Umfang der „beihilfefähigen Hektarfläche“ (Art. 34 Abs. 1 VO (EU) 73/2009) eines Betriebes gebunden, wobei diese Fläche „hauptsächlich für

110 eine landwirtschaftliche Tätigkeit genutzt“ (Art. 34 Abs. 2 a) VO (EU) 73/2009) werden muss. Anhand dieser Regelungen ergibt sich, dass ein Betrieb der über mehr Hektarfläche verfügen kann auch einen größeren Betriebsprämienbetrag bekommt.

Diese Regelung berücksichtigt folglich nicht die Fragestellung, ob die Bewirtschaftungsintensität mit zunehmender Hektarfläche zunimmt (vgl.

Poppinga/Jostes 2014). Die Einkommensziele im Rahmen der VO (EU) 73/2009 wurden durch die Einführung des Cross Compliance (CC) um Umweltschutz-, Tierschutz- und Gesundheitsschutzziele ergänzt. Deren Verwirklichung anhand der Auflagenbindung im Rahmen des Betriebsprämiensystems früh als ineffektiv beschrieben wurde (Isermeyer 2002: 13). Zur Erreichung der Umweltschutz-, Tierschutz- und Gesundheitsschutzziele bedarf es auch im Rahmen der Reformvorschläge der EU-Kommission zur Agrareinkommenspolitik von 2014-2020 laut Heinrich et al. der stärkeren Berücksichtigung des einzelbetrieblichen Beitrages zu diesen als bisher (Heinrich et al. 2013: 22; vgl. auch Poppinga/Jostes 2014).

Diskutiert wurden im Rahmen dieser Reformvorschläge zahlreiche Optionen zur Ökologisierung der Direktzahlungen als Kernbestandteil der ersten Säule. Nitsch und Osterburg setzten dem entgegen, dass „CC-Auflagen sowohl gesetzlich vorgegebene als auch darüber hinausgehende Standards umfassen. Letztere erlangen durch CC für die Landwirte insofern einen quasi-gesetzlichen Status, als die meisten Betriebe in hohem Maße von Direktzahlungen abhängen und ihr Bezug keinen freiwilligen Charakter hat, so dass für sie Prämienkürzungen wie Bußgelder wirken. Durch CC sollen so die relevanten Standards, im Gegensatz zu einer begrenzten Beteiligung von Betrieben an Agrarumweltprogrammen, flächendeckend durchgesetzt werden“ (Nitsch/Osterburg 2005: 15). Darüber hinaus wirke CC als Instrument der Fachrechtskontrolle der EU gegenüber den nationalen Verwaltungen, welche zudem im Falle von Verstößen durch die Einbehaltung oder Rückforderung von Fördermitteln sanktionsbewährt sei (Nitsch/Osterburg 2005: 1). Unkritisch verweisen Nitsch und Osterburg darauf, dass „die Einhaltung der anderweitigen Verpflichtungen, also die Grundanforderungen an die Betriebsführung und der „gute landwirtschaftliche und ökologische Zustand“ anhand von Kontrollstandards bei 1 % der Betriebe, die Anträge auf Direktzahlungen stellen, systematisch vor Ort überprüft wird (für die Kennzeichnung und Registrierung von Tieren gilt eine Mindestkontrollquote von 5 %)“ (ebd.: 21). 1 bzw. 5 % können nicht als hinreichende Überprüfung der Umwelt- und Naturschutzstandards betrachtet werden. Kritisch hinsichtlich unterschiedlich belastender Auflagen in den EU-Mitgliedstaaten argumentieren Nitsch und Osterburg, dass „die betrachteten Länder strengere Auflagen als Deutschland haben (z. B. Sperrzeiten), die in Frankreich und England jedoch nur in den gefährdeten Gebieten gelten. Besonders anspruchsvolle Anforderungen weisen Dänemark (z. B. Einreichung eines Düngeplans, Einhaltung der N-Quote, verpflichtende Anlage von Pufferstreifen und „catch-crops“) und die Niederlande (emissionsarme Ausbringung von Gülle, düngefreie Zonen, Einschränkungen bezüglich Kulturen nach Mais) auf. In Frankreich besteht in Gebieten mit hoher N-Belastung eine Pflicht zur Bodenbedeckung im Winter“

(Nitsch/Osterburg/von Buttlar/von Buttlar 2008: 21). Somit werden niedrige

111 Kontrollraten kombiniert mit länderspezifischen Umsetzungsmaßnahmen des EU-Agrarumweltschutzes. Koester führt unter Berufung auf den Europäischen Rechnungshof kritisch an, dass „die Direktzahlungen zu der Mehrzahl der offiziell deklarierten Ziele der EU Agrarpolitik nicht beitragen, dass sie teilweise der Zielverwirklichung entgegenwirken und dass die Kosten unangemessen hoch sind, wenn sie doch einen positiven Beitrag leisten“ (Koester 2011: 502). So führten diese

„vornehmlich zu einer Erhöhung der Pacht- und Bodenpreise (ebd.: 502). Auch wird eingewendet, dass eine Honorierung von Umweltleistung durch Direktzahlung nicht gegeben sein kann, „da die gegenwärtige Direktzahlung sich aber weitgehend an den durch die Preissenkung entstandenen Einkommensverlusten orientiert…“ (ebd.:

502). Historisch betrachtet wurden die Direktzahlungen den landwirtschaftlichen Betrieben und Interessenverbänden als politisches Tauschobjekt für die Abschaffung der Preisstützungsmechanismen gewährt (Isermeyer 2001: 12; Maas et al. 2007: 96;

Tangermann 2012: 323). Durch die direkten Einkommenstransfers an landwirtschaftliche Betriebe konnte die GAP ihrer Teilfunktion als Agrareinkommenspolitik entsprechen. Deren monetäre Ausstattung mit einem Finanzvolumen von 40 Mrd. Euro (EU-Kommission 2012: 6) den quantitativ größten Teil der europäischen Agrarpolitik einnimmt. Im Vergleich zum vormaligen produktionsbezogenen Interventionssystem der GAP ist die produktionsunabhängige, flächenbezogene Betriebsprämienregelung ökologisch vorteilhafter, da einerseits ohne garantierte Stützungspreise Produktivitätssteigerungen angeregt werden, welche sowohl zur Erreichung des agrarpolitischen Leitziels aus Art. 39 Abs. 1 lit. a) AEU V beitragen (Frenz 2011:

772) als auch einen geringeren Ressourceneinsatz ermöglichen, und andererseits sogar extensive Bewirtschaftungsformen honoriert werden können. In der Mitteilung der Kommission „Die GAP bis 2020: Nahrungsmittel, natürliche Ressourcen und ländliche Gebiete – die künftigen Herausforderungen“ wird hingegen der Beitrag der GAP samt der internen Stützungsmaßnahmen zur Ernährungssicherheit als Ziel genannt (EU-Kommission 2010b: 5), welche wiederum über die Steigerung der Produktionskapazitäten der Landwirtschaft erreicht werden soll. Somit wird der Beitrag zur Ernährungssicherheit argumentativ verwendet, um einerseits die Aufrechterhaltung der Einkommensstützung und andererseits das Festhalten an intensiven Produktionssystemen zu legitimieren (vgl. Döpke 2012). Bereits 2001 hat Isermeyer darauf hingewiesen, dass die insbesondere ökologieorientierte

„Veränderung landwirtschaftlicher Produktionssysteme durch zusätzliche Auflagen…in der zweiten Säule der Agenda 2000 grundsätzlich einen erfolgversprechenden Hebel findet. Um nennenswerte Wirkung zu erzielen, müsste sie diesen Politikbereich allerdings finanziell kräftig aufstocken und auch inhaltlich weiter entwickeln“ (Isermeyer 2001: 9/10). Hieraus kann für die Agrareinkommenspolitik der ersten Säule geschlussfolgert werden, dass deren finanzielle Ausstattung auch über die bestehenden Modulationsregelungen (Transfer der Fördergelder der ersten Säule in die zweite Säule nach festgelegtem Degressionssatz) hinaus zu Gunsten der zweiten Säule reduziert werden müssten.

112 6.2.1.4 Agrarsozialpolitik

Europäische Agrarsozialpolitik lässt sich aus Art. 39 Abs. 2 a) Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ableiten, wonach die GAP der

„besondere[n] Eigenart der landwirtschaftlichen Tätigkeit, die sich aus dem sozialen Aufbau der Landwirtschaft“ ergibt, Rechnung zu tragen hat. Insbesondere die Aufteilung und die Verfügung über landwirtschaftliches Grundeigentum beeinflussen die Betriebs- und Sozialstruktur europäischer Landwirtschaft. Im Bereich der Agrarsozialpolitik ist insbesondere das landwirtschaftliche Sozialversicherungssystem von Bedeutung. In Deutschland steht hier die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) im Vordergrund, anhand derer die finanzielle Absicherung der landwirtschaftlichen Erwerbsbevölkerung gegen Risiken organisiert wird. Unmittelbar ökologieorientierte Zielstellungen werden anhand der Agrarsozialpolitik nicht verfolgt.

6.2.1.5 Agrarhandelspolitik

Insbesondere die Beeinflussung der internationalen Agrarhandelspolitik im Rahmen der WTO ist für die Ausgestaltung der GAP bisher von zentraler Bedeutung gewesen, da die EU, als außenhandelspolitische Vertretung der Mitgliedsstaaten in der WTO, einerseits für die Liberalisierung der Agrarmärkte, und damit für den Zugang zu den Agrarmärkten in sog. Entwicklungsländern (vgl. zum Landnahme-Theorem Dörre 2012; Harvey 2006, 2014; Mari 2014: 96), argumentiert hatte, um die Global- und Exportorientierung der europäischen Landwirtschaft zu erleichtern, und andererseits im Rahmen der agrarhandelspolitischen Verhandlungen Rechtfertigungen, ausdrücklich die ökologischen Standards der europäischen Landwirtschaft, welche in den Bereich der green box (nicht handelsverzerrende Maßnahmen) fallen, für den Außenschutz und die Exportsubventionen der GAP geltend gemacht hatte, um das EU-Außenhandelsregime zu legitimieren (Bergschmidt/Wilstacke 2007: 8). Im Rahmen der Doha-Runde der WTO forderten

„die Handelspartner von der EU, ihren Außenschutz deutlich abzubauen und ihre Exportsubventionen einzustellen“ (ebd.: 8). Dem wurde entgegengestellt, dass „für das Fortbestehen einer multifunktionalen Landwirtschaft es jedoch erforderlich ist, das europäische Agrarmodell durch ein Mindestmaß an Außenschutz und eine angemessene nicht handelsverzerrende interne Stützung abzusichern“ (ebd.: 8). Die politisch konstruierte „Multifunktionalität“ der europäischen Landwirtschaft und der EU-Agrarpolitik wurde argumentativ herangezogen, um Maßnahmen zu legitimieren, welche der Doktrin der Marktliberalisierung entgegenstehen. Kritisch wurde dagegen bemerkt, dass auf Grund der Multifunktionalitätsargumentation und der Subventionierung heimischer Produktionsverfahren (Tierschutznormen, Ökolandbau, Direktzahlungen, etc.) hohe Kosten auf den Agrarmärkten in Entwicklungsländern entstünden (Schrader 2004: 20). Inwiefern die ökologische Qualität der GAP als Kern der Multifunktionalitätsargumentation die Aufrechterhaltung der internen Stützung und Maßnahmen des Außenschutzes rechtfertigt, wird aufgezeigt. A priori ist jedoch festzuhalten, dass lediglich deutlich höhere als gegenwärtig geltende

113 ökologieorientierte Standards erforderlich wären, um die genannten Maßnahmen zu legitimieren. Dieses setzt voraus, dass Konsens bestünde hinsichtlich der Hinnehmbarkeit von Handelsbeschränkungen auf Grund ökologieorientierter Erwägungen. Insbesondere der Aspekt der Freihandelsbeschränkung wegen ökologischer Anforderungen ist von Relevanz für die Aushandlung von bilateralen Freihandelsabkommen zwischen der EU und anderen nationalstaatlichen Akteuren.

So sind im Rahmen der Aushandlung eines transatlantischen Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA die systematische Nutzung der Agrogentechnik und der flächendeckende Hormoneinsatz in der Tierhaltung, diese Techniken werden in den USA deutlich stärker verwendet, zentrale Streitgegenstände, da der Marktzugang für US-Produkte, welche anhand dieser Techniken erzeugt werden, in der EU erleichtert werden könnte. Hier ist die politökonomische Relevanz der Agrarhandelspolitik zu erkennen, da die VertreterInnen der territorialen Einheiten die Bedingungen der Kapitalakkumulation zu optimieren suchen (Harvey 2014: 190ff).

6.2.1.6 Agrarumweltpolitik

Zielvorgaben Europäischer Agrarpolitik sind in Art. 39 Abs. 1 AEUV zusammengefasst. Enthalten sind 1) Produktivitätssteigerung durch technischen Fortschritt, Rationalisierung und effizienten Produktionsfaktoreinsatz, 2) Gewährleistung einer angemessenen Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung, 3) Marktstabilisierung, 4) Versorgungssicherheit und 5) angemessene Verbraucherpreise. Frenz argumentiert, dass der in „Art. 39 Abs. 1 lit. a) AEU V ausdrücklich genannte technische Fortschritt im Rahmen des Kartellrechts nach Art.

101 Abs. 3 AEU V als Einfallstor für außerökonomische und dabei vor allem für ökologische Belange gesehen und mit jeder Verringerung von Umweltbelastungen gleichgesetzt wird“ (Frenz 2011: 772). Zudem sei das Ziel der Versorgungssicherheit Grundlage für „...ein sinnvolles Ressourcenmanagement...mit dem die zukünftige Versorgung durch die Verhinderung einer übermäßigen Nutzung der natürlichen Ressourcen sichergestellt werden kann. Relevant ist dies insbesondere im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik hinsichtlich der Überfischung der Meere, aber auch für die Bodennutzung, da es auch dabei um einen langfristigen Ertrag auf fruchtbaren und nicht etwa durch Überdüngung bzw. zu starkes Aufbringen von Jauche übersäuerten Böden geht“ (Frenz 2011: 773). Demgegenüber steht, dass in der Anführung von agrarpolitischen Zielen ökologieorientierte Belange keine explizite Erwähnung finden, obschon der europäischen Landwirtschaft anhand des technischen Fortschritts erhebliche Möglichkeiten für Eingriffe in den Naturhaushalt zur Verfügung stehen (Foley et al. 2005: 572). Die Landwirtschaft ist Schmidt et al.

folgend „deutlicher als andere Sektoren gleichermaßen Verursacher (Akteur) und Betroffener (Akzeptor) von Umweltbelastungen: die verschiedenen Aktivitäten der landwirtschaftlichen Produktionsbereiche in Pflanzenbau und Tierzucht haben Umweltbelastungen zur Folge, die nicht nur die Umwelt insgesamt (z. B.

Grundwasser, Gewässer, Meere) beeinflussen können, sondern durch indirekte Belastungen (z. B. durch Emissionen auf das Klima) oder direkte Einwirkungen (z. B.

114 auf den Boden) auf die eigenen Produktionsbedingungen zurückwirken und die Agrarlandschaft und die Agrarökosysteme beeinträchtigen“ (Schmidt et al. 2004: 5).

Insofern wird deutlich, dass die sog. „Multifunktionalität“ der GAP hinsichtlich der ökologischen Dimension auf der Zielformulierungsebene im AEUV einen blinden Fleck hat. Lediglich über Artikel 11 AEUV, wonach die „Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung und Durchführung der Unionspolitiken und -maßnahmen insbesondere zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung einbezogen werden müssen“, findet die Ökologieorientierung mittelbar Eingang in den primär ökonomieorientierten Zielkatalog der GAP. Originär ökologieorientierte Zielformulierungen der GAP können der Mitteilung der Kommission „Eine vereinfachte GAP für Europa – ein Erfolg für uns alle“ aus dem Jahr 2009 entnommen werden. Hierin formuliert die Kommission, dass „die Vereinfachung der GAP ein wesentlicher Faktor ist bei den Bemühungen, die Landwirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen, Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen und zu einer nachhaltigen Entwicklung der ländlichen Gebiete beizutragen“ (EU-KOM 2009: 3). „Nachhaltige Entwicklung“ der ländlichen Regionen als Politikziel beinhaltet die ökologische Dimension der GAP. Demgegenüber stärker kommt der politische Wille der Kommission zum Ausdruck über die Unterstützung der Erzeuger durch das Festhalten an Stützungsmaßnahmen die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Landwirtschaft und deren Arbeitsmarktpotential zu erhöhen. Hinsichtlich der ökologischen Dimension der GAP enthält die Mitteilung den Anspruch, dass europäische Agrarpolitik die Landwirtschaftsbetriebe bei der Abwehr von Umweltschädigungen und der Bereitstellung öffentlicher Güter zu unterstützen habe.

Erkennbar ist eine unter dem Schlagwort der „nachhaltigen Entwicklung der ländlichen Gebiete“ subsumierbare Ökologieorientierung. Ergänzt wird diese Schwerpunktsetzung im Bereich nachhaltiger Entwicklung durch den Managementplan 2012 der Generaldirektion für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung. Darin wurde festgestellt, dass „the CAP faces the same challenges as those identified in the "Europe 2020" strategy, resulting from budgetary constraints and from the need to respond to the economic crisis and climate change. The overall objectives of the CAP are to maintain the production base for food, feed and renewable energy across the whole European Union ("EU"), to provide environmental public goods and services, to ensure a sustainable management of natural resources, and to contribute to the viability of rural areas and to a balanced territorial development in the EU” (EU- DG AGRI 2011: 3). Es wird ersichtlich, dass die Generaldirektion für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung zur ökologischen Dimension der GAP deren Beitrag zum Klimaschutz, insbesondere durch die Produktion nachwachsender Rohstoffe, die Bereitstellung von Ökosystemleistungen und die langfristig ausgerichtete Nutzung natürlicher Ressourcen zählt. Zentrale Bausteine Europäischer Agrarumweltpolitik sind die Grundanforderungen an die Betriebsführung gemäß den Artikeln 4 und 5 der VO (EU) 73/2009 des Rates vom 19. Januar 2009 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der

Erkennbar ist eine unter dem Schlagwort der „nachhaltigen Entwicklung der ländlichen Gebiete“ subsumierbare Ökologieorientierung. Ergänzt wird diese Schwerpunktsetzung im Bereich nachhaltiger Entwicklung durch den Managementplan 2012 der Generaldirektion für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung. Darin wurde festgestellt, dass „the CAP faces the same challenges as those identified in the "Europe 2020" strategy, resulting from budgetary constraints and from the need to respond to the economic crisis and climate change. The overall objectives of the CAP are to maintain the production base for food, feed and renewable energy across the whole European Union ("EU"), to provide environmental public goods and services, to ensure a sustainable management of natural resources, and to contribute to the viability of rural areas and to a balanced territorial development in the EU” (EU- DG AGRI 2011: 3). Es wird ersichtlich, dass die Generaldirektion für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung zur ökologischen Dimension der GAP deren Beitrag zum Klimaschutz, insbesondere durch die Produktion nachwachsender Rohstoffe, die Bereitstellung von Ökosystemleistungen und die langfristig ausgerichtete Nutzung natürlicher Ressourcen zählt. Zentrale Bausteine Europäischer Agrarumweltpolitik sind die Grundanforderungen an die Betriebsführung gemäß den Artikeln 4 und 5 der VO (EU) 73/2009 des Rates vom 19. Januar 2009 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der