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Politikintegration: ein ambivalentes und normatives Konzept

Reproduktions prozess

2.2.1 Politikintegration: ein ambivalentes und normatives Konzept

Bornemann weist nach, dass Politikintegration „ein seit geraumer Zeit in unterschiedlichen Diskussionszusammenhängen kursierendes Konzept [ist, R.K.], das auf problematische Folgen der Ausdifferenzierung im System politischer Problembearbeitung verweist“ (Bornemann 2012: 23). Der EuRH fokussiert diese Fragmentierung politischer Problembearbeitung aus der Perspektive steuerstaatlicher und bürokratischer Evaluierung politischer Programme und diagnostiziert aus einer zentralstaatlichen EU-Supervisionsperspektive eine unzureichende Abstimmung zwischen getrennten Politikbereichen. Somit wird ersichtlich, dass „Politikintegration“ als ein konkreter Modus der Problembearbeitung in fragmentierten politisch-administrativen Systemen vorgestellt wird. Nach Feindt wird Umweltpolitikintegration (engl.: environmental policy integration (EPI)) entsprechend dieser, durch den EuRH artikulierten, politpraktischen Vorstellungen als “policy approach that focuses on the causes of environmental problems and proceeds from additive outsider regulation to integrative consideration of environmental concerns in those areas where they originate (Lenschow 2002b;

OECD 2002; Bohne 2006)” (Feindt 2010: 301) gefasst. Aus wissenschaftlicher Perspektive betrachtet, erfasst Politikintegration allgemein „die umfassende Abstimmung ausdifferenzierter politischer Problembearbeitungsaktivitäten zur Bewältigung politischer Probleme, welche die Grenzen etablierter Politikbereiche überschreiten (vgl. Meijers 2004; Persson 2007; Underdal 1980)“ (Bornemann 2012:

23). Fragmentierte politisch-administrative Systeme, z. B. in der Form der Landnutzungssektoren Land- und Forstwirtschaft, erfordern in dieser Betrachtungsweise eine „umfassende Abstimmung“ (ebd.: 23). Die Verwendung des

32 Begriffs Politikintegration ist dabei äußerst heterogen, so wurde Politikintegration als Sammelbegriff für diverse Beschreibungen politischer Abstimmungsprozesse wie

„»policy coherence« (OECD 2002b, 2003; Aberbach/Derlien/Rockman 1994; May et al. 2005; May/Sapotichne/Workman 2006) und »policy consistency« (Pal 2001: 10ff.), von »cross-cutting policy-making« (Flynn 1999), »holistic government« (6 1997) bzw.

»holistic governance« (6 et al. 2002), »joined-up government« (Ling 2002; Bogdanor 2005; Pollitt 2003; Ling 2002), »policy co-ordination« (Peters 1998b; Metcalfe 1994) und in einem weiteren Sinne auch von »collaborative public management« (McGuire 2006)“ (Bornemann 2012: 40) etabliert. In der umweltpolitischen Forschung hat das Konzept der Politikintegration „seit jeher…einen besonderen Stellenwert“, da

„Umweltprobleme, so eine verbreitete These, aufgrund ihrer Komplexität und ihres Querschnittscharakters am wirkungsvollsten durch die Integration von Umweltschutzbelangen in andere Politikfelder bearbeitet werden könnten“ (ebd.: 24) und problemorientierte Instrumente entwickelt werden müssten (vgl.

Jordan/Lenschow 2010; Schulz/Krumm/Bücking et al. 2014; Sgobbi 2010). Weiterhin gehöre folglich der „Ruf nach Umweltpolitikintegration zum Standardrepertoire umweltpolitischer Reformforderungen – ein Ruf, der, wie eine steigende Zahl empirischer Studien zeigt, in der politischen Praxis durchaus mehr oder weniger weitreichende und erfolgreiche Reformdynamiken ausgelöst hat“ (Bornemann 2012:

24). Hierin kommt die normative und appellative Dimension von „Politikintegration“

zum Ausdruck. Aus einer normativen und reformorientierten Umweltforschung werden Forderungen hinsichtlich der Intensivierung von Politikintegration an das politisch-administrative System gerichtet. Neben dieser normativen und appellierenden Umweltpolitikforschung besteht eine stärker analytische Forschung zu Politikintegration. Diese fasst „Policy-Integration…als Kategorie zur Kennzeichnung und Beschreibung bestimmter empirisch beobachtbarer Phänomene“ und „dieser empirisch-analytische Teildiskurs widmet sich einer Klärung der Frage, wie Policy-Integration als empirisches Phänomen beschrieben und erklärt werden kann (Shannon/Schmidt 2002; Briassoulis 2005a, 2005b)“ (Bornemann 2012: 41). Diesem Teildiskurs ist die vorliegende Studie zuzuordnen. Um die analytische Schärfe der Studie hinsichtlich der Erklärung des Phänomens „Politikintegration“ zu erhöhen, wird eine kritisch-materialistische und machtressourcenorientierte Perspektive eingenommen. Dies ist vor dem Hintergrund der politökonomischen Rahmenbedingungen kapitalistischer Produktionsweise und Gesellschaftsformation notwendig, da „Politikintegration“ im Bereich der Umweltpolitikforschung als Abweichung vom Status quo der bestehenden dominanten Produktionsweise betrachtet werden kann. Dies wird etwa deutlich, wenn Bornemann darauf hinweist, dass das Konzept der Politikintegration „im Zusammenhang mit Überlegungen der politischen Umsetzung der Idee einer nachhaltigen Entwicklung aktualisiert“ (ebd.:

23) wurde und wird. So gebe es eine „neuere rhetorische Allianz zwischen Nachhaltigkeit und Politikintegration“ (ebd.: 23). Fraglich ist folglich, inwieweit

„Politikintegration“ eine Kampfansage an die gegenwärtig dominante gesellschaftliche Produktionsweise oder eine Strategie zur Beibehaltung des Status quo darstellt. Politikintegration als „Konzept taucht einerseits in wissenschaftlichen

33 und andererseits in politischen Zusammenhängen auf“ (Bornemann 2012: 41). Ist hierin ein Hinweis auf die gesamtgesellschaftliche Relevanz des Konzepts vor dem Hintergrund der Auswirkungen der dominanten gesellschaftlichen Produktionsweise und der staatlichen Verfasstheit zu sehen? Der Beantwortung dieser Frage wird sich in der vorliegenden Studie anhand kritisch-materialistischer Reflexionen des Konzepts und dessen materieller Auswirkungen im Bereich der (land- und forstwirtschaftlichen) Landnutzung angenähert. Policy-Desintegration wird als Ursache für die Notwendigkeit von Policy-Integration diagnostiziert (Bornemann 2012: 43). So wird festgestellt, dass die „Existenz ausdifferenzierter und spezialisierter Bereiche der Politikproduktion“, wonach „Policy-Making innerhalb räumlich, sachlich und sozial getrennter, politisch-institutionell formierter und zum Teil historisch verfestigter Politikbereiche stattfindet (Shannon/Schmidt 2002)“ (ebd.:

43). Diese Beobachtung findet ihre theoretische Entsprechung im Konzept der Politiksektoren (vgl. Kap. 2.1 Politiksektoren). Dabei stellt das Konzept der Politiksektoren eine wissenschaftliche Reaktion auf die empirisch beobachtbare Fragmentierung von Politikproduktion vor dem Hintergrund des Charakters der Staatlichkeit als Raum „immerwährende[r] Schlacht“ (Foucault 2013: 38) zwischen unterschiedlichen Akteursgruppen mit dem Ziel der Ausrichtung staatlicher Politik zu Gunsten eigener Interessen dar (vgl. Kap. 2.6 Machtressourcen). Policy-Integration wird im Rahmen der oben dargestellten Diagnose von Policy-Desintegration als ein

„»Reparaturmechanismus«, der die durch zentrifugale Kräfte induzierte Fragmentierung des Systems der politischen Problemverarbeitung eindämmen und die damit verbundenen Dysfunktionalitäten beheben soll (Jordan 2002)“ (Bornemann 2012: 45) entgegengestellt. Policy-Integration oder Politikintegration bekommt damit eine klar reformorientierte Dimension um „policy-übergreifende Themen und Probleme (»cross-cutting issues«) zu bewältigen (Meijers 2004: 10)“ (Bornemann 2012: 45). Somit erscheint „Policy-Integration als Ansatz der Ordnung der politischen Problembearbeitung, der sich auf die Steigerung der Kohärenz, Effektivität und Effizienz nicht einzelner Policies für sich, sondern des Systems der politischen Problembearbeitung insgesamt bezieht“ (ebd.: 45). Ziel ist nach dieser Lesart gegensätzlich ausgerichtete Politikbereiche, Akteursgruppen und Interessen miteinander zu versöhnen, um die Kosten und negativen Auswirkungen der Problembearbeitung zu reduzieren. Als Ursache für den wissenschaftlichen und politischen Diskurs über Politikintegration identifiziert Bornemann gesellschaftliche Differenzierung, Spezialisierung und die Fragmentierung der Problembearbeitung im politisch-administrativen System (Bornemann 2012: 20, 45). Ausgangspunkt für die hier zu Grunde liegende Konzeptualisierung und Anwendung des Begriffs der Politikintegration ist die Diagnose, dass die Landnutzungssektoren Forst- und Landwirtschaft sowohl Verursacher als auch Betroffene von Umweltschädigungen sind und daraus Konflikte beim Versuch, Politikintegration als politisch-praktische Strategie zur Ökologisierung der Landnutzung umzusetzen, resultieren. Fraglich ist, inwieweit Politikintegration zur Umsetzung von EU-Umweltschutz beigetragen hat.

34 2.2.2 Horizontale Politikintegration

Giessen weist darauf hin, dass das Konzept der Politikintegration die „incorporation of “new” objectives into existing sectoral policies” (Giessen 2011a: 293) beinhaltet.

Für den Bereich der Umwelt- und Naturschutzpolitikforschung bedeutet dies, dass umwelt- und naturschutzpolitische Belange ausgehend von der EU-Ebene in andere Politiksektoren überführt werden, etwa durch die Aufnahme umwelt- und naturschutzpolitischer Ziele oder durch Einführung neuer oder Anpassung bestehender Instrumente an Belange des Klima-, Natur- und Umweltschutzes. Diese Vorgehensweise wird unter dem Schlagwort Environmental Policy Integration (EPI) diskutiert (ebd.: 294). Horizontale (Umwelt-) Politikintegration benennt eine politische Strategie, welche darauf abzielt, externe, z. B. umweltpolitische, Belange in bestehende Politikbereiche auf einer Governance-Ebene zu inkorporieren. Nach Giessen steht im Rahmen Horizontaler Politikintegration die formale Aufnahme z. B.

umwelt- und naturschutzpolitischer Ziele im Vordergrund (Giessen 2011a: 295). Die formal aufgenommenen, sektorexternen Belange werden anschließend durch sektorale Organisationen verwaltet, weshalb es zur Dominanz originär sektoraler Interessen kommen kann (ebd.: 295).