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Politökonomische Rahmenbedingungen forstwirtschaftlicher Landnutzung

Reproduktions prozess

6. Politiksektoren und ökologische Dimensionen der Land- und Forstwirtschaft

6.1 Politiksektoren Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Natur- und Umweltschutz

6.1.2.4 Politökonomische Rahmenbedingungen forstwirtschaftlicher Landnutzung

Die internationale Waldpolitik ist fragmentiert und forstsektorale policy issues werden in diversen Regelungsregimen thematisiert (vgl. u. a. Giessen/Krott/Möllmann 2014:

97; Jürging/Giessen 2013: 318). So lassen sich forstsektorale Bezüge in der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC), dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD), dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) und dem Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten frei lebender Tiere und Pflanzen (Washingtoner Artenschutzübereinkommen:

CITES) finden. Zentral aus forstsektoraler Perspektive ist das Waldforum der Vereinten Nationen (UNFF), da es die (nachhaltige) Waldnutzung relativ zur CBD, welche den Waldnaturschutz fokussiert, priorisiert (vgl. Giessen/Krott/Möllmann 2014: 99). Das UNFF hat 2006 die Ziele:

-Stopp des Waldverlustes und der Waldverwüstung weltweit mittels nachhaltiger Waldbewirtschaftung

-Verbesserung der ökologischen, sozialen und ökonomischen Wirkungen der Wälder -Ausweitung der Fläche geschützter Wälder

-Erhöhung der Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit im Waldbereich festgelegt (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2014). Auf EU-Ebene bestehen neben der Erstellung forstpolitischer Strategien (1998; 2013) und Aktionspläne (2006) keine formalen forstpolitischen Kompetenzen (vgl. Edwards/Kleinschmit 2012; Kokko/Toivonen/Pelkonen/Mäki-Hakola/Letto-Vanamo/Enroth/Ojanen/Tahvanainen 2006: 10; Krott 2008: 13, 22). Einfluss kann von der EU-Ebene allerdings in relational zum Agrarsektor schwächerer Form über die Förderung der ländlichen Entwicklung etwa durch Aufforstungsförderung

94 genommen werden. Forstpolitik ist auch auf Grund der regionalen Differenzierung der Forstwirtschaft hauptsächlich national und insbesondere subnational organisiert (Kokko/Toivonen/Pelkonen/Mäki-Hakola/Letto-Vanamo/Enroth/Ojanen/Tahvanainen 2006: 10; vgl. auch Juerges/Newig 2014: 4). Auf EU-Ebene wird forstpolitisch hauptsächlich „by means of informational guidance“ (ebd.: 10) in den Forstsektor eingewirkt. Einfluss auf die Forstwirtschaft folgt ausgehend von der EU-Ebene aus anderen Politiksektoren, z. B. Natur- und Umweltschutzsektor (vgl. zum Einfluss der

„Nachhaltigkeit“ auf die Waldnutzung Kokko/Toivonen/Pelkonen/Mäki-Hakola/Letto-Vanamo/Enroth/Ojanen/Tahvanainen 2006: 14; vgl. dazu auch die Darstellung zum

„Legally-binding law“ der EU von Juerges/Newig 2014: 3) oder durch die ländliche Entwicklungspolitik. EU-Umweltschutzverpflichtungen folgen primär aus dem natur- und umweltschutzfachlichen Ordnungsrecht, z. B. FFH-Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen.

Dementsprechend ist der Einfluss der EU auf nationale und subnationale Forstpolitiken bisher gering (vgl. zur Absenz der Forstpolitik auf EU-Ebene bis 1989 Juerges/Newig 2014: 2). Juerges/Newig weisen allerdings auf gegenläufige Tendenzen der „internationalization and Europeanization of forest governance“

(2014: 1) seit der Rio-Konferenz von 1992 hin. Seitdem werden Wälder und der Forstsektor stärker als öffentliche Güter geframt, die durch nationale Forstprogramme zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen sollen. Die Verhandlungen über eine „pan-europäische Waldkonvention“ (Jürging/Giessen 2013:

317) bilden dementsprechend den Versuch forstpolitische Regelungskompetenzen auf EU-Ebene zu zentralisieren und die nationalen und subnationalen Politiken unter Verwendung des Schlagworts „Sustainable Forest Management“ (Jürging/Giessen 2013: 319) zu vereinheitlichen. Ein Rechtsverbindliches Abkommen über die Wälder in Europa könnte den Zugriff der EU-Ebene, vor allem der EU-Kommission, auf nationale und subnationale Forstprogramme (zu den Forstprogrammen vgl. Krott 2005: 23) stärken und die konfliktiven „formale[n] Kompetenzfragen und informale[n]

Politikpraktiken“ (Jürging/Giessen 2013: 323) zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedsstaaten beeinflussen. Juerges/Newig betrachten die politischen Prozesse der forest governance von der Perspektive der multi-level governance (MLG) aus und argumentieren, dass Kompetenzverschiebungen und veränderte Steuerungsmodi auf veränderte Darstellungen und framing von Wäldern und Forstwirtschaft zurückzuführen sind (2014: 4). Waldbezogene Ökosystemdienstleistungen geraten in den Fokus der politischen Öffentlichkeit.

Auf nationaler Ebene ist das Gesetz zur Erhaltung des Waldes und zur Förderung der Forstwirtschaft (BWaldG) das zentrale Sektorgesetz (zu den Zielen vgl. 6.1.2.3 Ziele des Politiksektors Forstwirtschaft; Giessen/Hubo/Krott/Kaufer 2013). Das Bundesministerium für Landwirtschaft (BMEL) ist das für den Forstsektor zuständige Ministerium, welches sich jedoch in einer Konkurrenz mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bauen und Reaktorsicherheit (BMUB) um forstpolitische Kompetenzen befindet. Bewirtschaftung und Erhalt staatlichen Waldeigentums ist in Deutschland auf siebzehn Forstverwaltungskörper (Krott 2005: 43) verteilt und staatliche Forstverwaltungen agieren wie Forstbetriebe im Einklang mit europäischen

95 Standards (ebd.: 43). Subnational bestehen unterschiedliche Regime zur Steuerung des Forstsektors. So haben die Länder eigene Landeswaldgesetze, z. B.

Niedersächsisches Gesetz über den Wald und die Landschaftsordnung (NWaldLG), Waldgesetz des Landes Brandenburg (LWaldG), Waldgesetz für das Land Sachsen-Anhalt (WaldG LSA) und Landesforstgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesforstgesetz - LFoG), erlassen. Daneben bestehen die eigenständigen Landesforstbetriebe, z. B. Landesbetrieb Forst Brandenburg, Niedersächsische Landesforsten, Landesbetrieb Wald und Holz Nordrhein-Westfalen und Landesforstbetrieb Sachsen-Anhalt, als Ausdruck der Materialität der Staatlichkeit im Forstsektor. Aus der staatlich organisierten Waldbewirtschaftung folgen die relational zum Agrarsektor besseren Optionen der politischen Einflussnahme auf die Produktionsweise (Krott 2005: 43) und damit die Ökologieorientierung im Rahmen der forstwirtschaftlichen Nutzung. So besteht in Niedersachsen das LÖWE-Programm (LÖWE - Langfristige Ökologische Waldentwicklung), welches die Niedersächsischen Landesforsten (NLF) in ihrer konkreten Produktionsweise an bestimmte Kriterien bindet. Im LÖWE-Erlass ist etwa unter 2.2. Laub- und Mischwaldvermehrung festgehalten, dass „der Anteil der Laubbaumarten beträgt im Landeswald gegenwärtig 40 %. Er soll langfristig auf 65 % erhöht werden“. Durch die stärkere Bindung der staatlichen Forstwirtschaft an politische Zielstellungen als die Bindung privatkapitalistischer Forst- und Landwirtschaft an ökologieorientierte Zielsetzungen ist die ökologische Qualität der staatlich-forstwirtschaftlichen Landnutzung ex ante besser politisch steuerbar (Krott 2005: 43). Zusätzlich zum hohen Staatswirtschaftsanteil im Forstsektor besteht ein dichtes Netz aus Forschungs- und Beratungsstellen, z. B. die Fachhochschule Eberswalde in BB, die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt (NW-FVA) für Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, welche alle wissenschaftliche Politikberatung betreiben und im Deutschen Verband Forstlicher Forschungsanstalten (DFFVA) organisiert sind. In Niedersachsen wurde zudem der Waldbeirat im Niedersächsischen Landwirtschaftsministerium geschaffen, dessen Aufgaben die Beratung des Ministeriums in waldpolitischen Fragestellungen und die Förderung von Transparenz und Dialog in der niedersächsischen Waldpolitik sind. Regional und lokal sind die forstlichen Staatsapparate in den Forstämtern, z. B. Ämter für Landwirtschaft, Flurneuordnung und Forsten (ÄLFF) Sachsen-Anhalt, 16 Regionalforstämter in Nordrhein-Westfalen, organisiert. Dabei unterscheiden sich die Organisation und Funktionen der jeweiligen Forstbürokratien in den Bundesländern deutlich (vgl. zur Auflösung der Ämter für Forstwirtschaft und die Überführung derer Aufgaben an den Landesbetrieb „Forst Brandenburg“ (LFB) gemäß § 1 Gesetz zur Errichtung des Landesbetriebs „Forst Brandenburg“ und zur Auflösung der Ämter für Forstwirtschaft des Landes Brandenburg und der Landesforstanstalt Eberswalde). Auf mikroregionaler und lokaler Ebene unterstützen in NI und NW die Landwirtschaftskammern als Selbstverwaltungsorganisationen der Landnutzer regionale WaldeigentümerInnen. Aufgabenschwerpunkte bilden die Standortkartierung, Beratung und Betreuung in jagdlichen Aufgaben, die Erstellung von Betriebs- und Sachgutachten und die Unterstützung des Vollzugs von Landes-

96 und Fachgesetzen. Politökonomische Relevanz für die forstwirtschaftliche Landnutzung bekommt der Vergleich der Eigentumsart Forst mit anderen Kapitalanlageformen. Krott verweist darauf, dass „forest assets do not attain a comparably high rate of interest, however they are estimated to be very secure according to past experience in Central Europe with the devaluation of currency as well as stocks and bonds” (2005: 48; vgl. Nießlein 1985: 43). Dazu kommt, dass

“forest property assets are not directly taxed. This exemption from taxation is highly valued by forest owners (Bergen et al. p.31)” (Krott 2005: 48). Krott schlussfolgert, dass die steuerrechtliche Begünstigung des Waldeigentums und die relationale Stabilität des „Waldwerts” ForsteigentümerInnen motiviere in den Erhalt und die Erweiterung forstlicher Flächeninventare zu investieren (ebd.: 48), und dabei stärker ökologieorientiert wirksam zu werden. Zudem habe die Regulierung der Eigentumsübertragung und das daraus folgende kleinteilige private Waldeigentum die ökonomieorientierte Nutzung in Deutschland stark beeinflusst (ebd.: 48).

Hinsichtlich der Regulierung des Handels mit Holzprodukten wies Nießlein insbesondere im Vergleich zur dichten staatlich-politischen Regulierung landwirtschaftlicher Produktmärkte darauf hin, dass „Holz…auf einem freien und durch keinerlei staatliche Reglementierungen beeinflußten Markt“ (1985: 38) gehandelt wurde. An dieser Stelle gibt es Veränderungen, so versucht die EU im Rahmen von FLEGT (Forest Law Enforcement, Governance and Trade) illegalen Holzeinschlag zu reduzieren, ein „nachhaltiges“ Forstmanagement zu etablieren und den Handel mit legalem Holz auszuweiten (EUFLEGT Facility 2014). An den angeführten Anmerkungen und den Regulierungsbestrebungen auf EU-Ebene kann abgelesen werden, dass auch im Forstwirtschaftssektor die Prinzipien der globalisierten Konkurrenz Relevanz bekommen haben und die Strategien und Praktiken sektoraler AkteurInnen beeinflussen. Im Vergleich mit dem Agrarsektor ist festzustellen, dass im Forstsektor die dominante Ideologie nicht identisch ist mit dem (agrarpolitischen) „Produktivismus“ (Döpke 2012). Eine analoge staatlich-politische Förderung der Produktivkraftentwicklung findet nicht statt bzw. hat nicht stattgefunden (vgl. zu den in Relation zum Agrarsektor ungeregelten Produktmärken des Forstsektors Nießlein 1985: 38). Demgegenüber wirken die Prinzipien der profit- und produktionsorientierten Produktionsweise im Forstsektor unmittelbarer (vgl. für die „produktionswirtschaftlich orientierte[n, R. K.] forstliche[n, R. K.] Unternehmen“

Nießlein 1985: 33, 38; Kreienmeier 2004; Kies/Klein/Schulte 2011) und führen ebenfalls zu einer Preis- und Innovationsdruck bedingten Transformation der Produktionsweisen. Werden zudem die Ökonomisierungstendenzen im Staatswald berücksichtigt, diese lassen sich unter Rückgriff auf das Landnahmetheorem (vgl. u.

a. Dörre 2012; Harvey 2014) als „endogene“ Landnahme von Dekommodifizierungspolitiken mit dem Zweck der Markt- und Profitabilitätsorientierung (auch um die Länderfinanzhaushalte mit Gewinnen unterstützen zu können) beschreiben, so stellt sich im Forstsektor die Dominanz der kapitalistischen Produktionsweise deutlich dar. Auch unter Bezugnahme auf den hohen Anteil des Staatswaldes an den Waldeigentumsarten, neben der extensiveren Produktionsweise und dem nicht profitorientierten „unternehmensfreien Waldbesitz“

97 (Nießlein 1985: 37) oder auch Kleinstprivatwaldeigentum (Krott 2005: 42, 44), sind die Möglichkeiten für eine ökologieorientierte Steuerung im Forstsektor, und damit einer Umsetzung von EU-Umweltschutzzielen, z. B. im Bereich Erhaltung und Förderung der Biodiversität, als relational zum Agrarsektor erfolgversprechender.