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Produktion sachrationaler Argumente durch Wissenschaft

Reproduktions prozess

2.4 Macht und Machtressourcen

2.4.1 Akteurszentrierter Machtbegriff

2.4.2.1 Dominante Informationen

2.4.2.1.2 Produktion sachrationaler Argumente durch Wissenschaft

Politische UnternehmerInnen, verstanden als AdvokatInnen einer bestimmten Politik, (Rüb 2008: 104) müssen in der zur „Wissensgesellschaft“ stilisierten Gegenwartgesellschaft (zur Kritik an der Deutung der Klassengesellschaft als

„Wissensgesellschaft“ vgl. Conert 2002) zur Legitimation ihres Handelns und zur Beeinflussung der Wahrnehmung anderer AkteurInnen auf abgesicherte Informationen und Quellen verweisen können. Diese Informationen werden von öffentlichen, z. B. Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei (vTI) oder Universitäten, oder privatkapitalistischen Forschungseinrichtungen produziert. Unter Verweis auf wissenschaftliche oder semi-wissenschaftliche Studien bekommen politische Entscheidungen und politische Problemlösungen eine höhere Glaubwürdigkeit und die Legitimation durch die vermeintliche Rationalität des Teilsystems Wissenschaft (vgl. zur agrarwissenschaftlichen Wissens- und Begriffsproduktion u. a. Mann 2003;

Sauerberg/Wierzbitza 2013). Böcher und Krott argumentieren etwa, dass die Qualität wissenschaftlichen Wissens an dessen „Integration und Verwertung“ (Böcher/Krott 2014: 13) in und durch die politische Praxis gemessen werden muss. Vermeintliche Objektivität bzw. Intersubjektivität wird in der technisch-wissenschaftlichen Gegenwartsgesellschaft kapitalistischer Produktionsweise neben „Verwertbarkeit“

zum zentralen Argument, hinter dem andere Dimensionen politischer Entscheidungsfindung und Problemlösung, z. B. ethische Erwägungen wie politische Autonomie oder gesellschaftliche Bedürfnisorientierung, zurückstehen können.

Sektorale AkteurInnen können die „Währung“ Wissenschaftlichkeit benutzen, um andere Dimensionen politischer Problemlösung in ihrer Bedeutung zu negieren.

2.4.2.2 Anreize

AkteurInnen können Macht neben der Verwendung dominanter Informationen durch Gewährung von Anreizen ausüben, und das Handeln anderer AkteurInnen gegen deren Willen ändern, indem sie Vor- oder Nachteile anbieten. AkteurIn B, dessen/deren Handlung verändert werden soll, kalkuliert, ob die Aussicht auf Vor- oder Nachteile eine Handlungsänderung rechtfertigt. AkteurIn A muss dementsprechend entweder einen ausreichend attraktiven Vorteil oder einen abschreckenden Nachteil antizipieren und diesen vortragen. Ist etwa eine (finanzielle) Strafe zu gering oder bei einer hohen Strafe „die Wahrscheinlichkeit

46 gering, dass Devianz wirksam kontrolliert und geahndet wird“ (Schimank 2011: 7), so wird AkteurIn B unter dem Innovationsdruck der Konkurrenzökonomie „legale Umgehungstatbestände“ (ebd.: 7) ausnutzen oder den Rechtsbruch wagen.

Staatlicherseits muss eine Strafzahlungsfestsetzung deshalb eine Höhe vorsehen, die zumindest im Normalfall ein Unterlassen als äußerst wahrscheinlich, weil kostenintensiv, erscheinen lässt (vgl. Foucault 2013: 120/121). Auch ist die Setzung eines abschreckenden Nachteils, etwa in der Form der Geldzahlung, nicht vom Extremfall, das Ignorieren der Strafzahlungsandrohung zu Gunsten der Durchführung der unerwünschten Handlung, zu betrachten, sondern vielmehr vom Standpunkt des durchschnittlichen Akzeptierens des Nichthandelns zur Vermeidung der Strafzahlung.

Foucault argumentiert entsprechend, dass „die Strafe sich am stärksten bei jenen auswirken muss, welche die Untat nicht begangen haben“ (ebd.: 121). Vor- oder Nachteile als Grundlage der Anreizsteuerung können materieller oder immaterieller Natur sein. In der gewinnorientierten, geldvermittelten und warenproduzierenden Gesellschaft ist der Normalfall des Vorteils die Gewährung einer Geldzahlung und der Normalfall des Nachteils eine Strafzahlung oder das Versagen eines (Kauf-) Vertrages. Staatlicherseits wird in modernen, kapitalistischen Gesellschaften Herrschaft zunehmend durch monetäre Anreizsteuerung ausgeübt, z. B. das in der Klimapolitik zentrale Emissionszertifikatshandelssystem. Subventionierung oder negative Steuern für erwünschte Handlungen und Steuern, Gebühren, Abgaben, Ordnungs- oder Bußgelder für unerwünschte Handlungen bilden das Anreizinstrumentarium. Tatsächlich ist die verstärkte staatlich-politische Nutzung monetärer Anreizsteuerung ein Charakteristikum geldvermittelter und warenproduzierender Gesellschaft, da der Zugang zur Bedürfnisbefriedigung nur geldvermittelt stattfindet, Kapitaleigentum und Geld als Quellen gesellschaftlicher Macht (vgl. Harvey 2014: 48) zu Statussymbolen geworden sind und ein Entzug von Geldmitteln eine Reduzierung von Handlungsfähigkeit, Machtressourcen und Status bedeutet, und somit „Geldverlust“ einen deutlichen Freiheits- und Machtverlust (Handlungsfreiheit) darstellt. Darüber hinaus führt ein Entzug von Geldmitteln bei WirtschaftsakteurInnen zu einer Reduzierung des Eigenkapitals, was die Möglichkeiten der Investitionstätigkeit verschlechtert und unter der Bedingung der

„Zwangsgesetze der Konkurrenz“ (ebd.: 48) in der Marktwirtschaft die Wettbewerbsfähigkeit gefährden kann. Als Beispiel für die Ausübung von Macht durch den Staat anhand von Anreizen kann die Gewährung von Fördermitteln im Rahmen der Agrarumweltpolitik für erwünschte Bewirtschaftungsweisen gesehen werden. Dabei ist die Gestaltung der Fördersatzhöhe neben der Ausgestaltung der Bewirtschaftungsauflagen von zentraler Bedeutung. Ist der Fördersatz hoch genug, wird die Bewirtschaftungsweise im Normalfall umgestellt werden. Immaterielle Anreize, z. B. durch (Umwelt-) Verbände, können etwa aus der Mobilisierung potentieller Wähler oder Mitglieder und der technischen Unterstützung des Regelungsvollzugs bestehen. (Exekutiv-) PolitikerInnen können Tauschgeschäfte anbieten, deren Gegenstände i. d. R. (Steuer-) Erleichterungen für AkteurInnen, z. B.

Gewerbesteuererlass im Rahmen der (Tierhaltungs-) Gewerbeansiedlung, umfassen.

Privatwirtschaftliche Unternehmen und deren Verbände können Vorteile durch

47 Investitionen, Arbeitsplatzschaffung und Steuereinnahmen anbieten und gewähren oder im Gegenteil wirtschaftliche Nachteile durch Standortverlagerung und Arbeitsplatzabbau androhen (vgl. zur Kapitalzirkulation Harvey 2014: 46). So verweist der Deutsche Bauernverband darauf, dass durch die Diskussionen über die Superabgabe im Rahmen der Milchquotenregelung „Junglandwirte von Investitionen in die Milcherzeugung abgehalten würden“ (Deutscher Bauernverband 2014b) und folglich Wertschöpfungspotentiale nicht genutzt und die Besteuerungsgrundlage nicht wachsen würden. Hierbei handelt es sich um den Versuch das Handeln der EU-Kommission unter Verweis auf deren milchmarktbezogene Ziele und deren makro- wie mikroökonomische Folgen zu verändern, und die Superabgabe zu reduzieren (Schnittstelle zu den dominanten Informationen). Der DBV, als dominanter Unternehmensverband des deutschen Agrarsektors, versucht über die Beeinflussung der öffentlichen Meinung und politisch-administrativer EntscheidungsträgerInnen durch negative Anreize die Ausrichtung politischer Programme und deren Auswirkungen auf die Kapitalakkumulationsbedingungen der organisierten Kapitalfraktionen zu optimieren und nutzt dabei die regionale und volkswirtschaftliche Bedeutung ebendieser Kapitalfraktionen als Drohkulisse. Diese Argumentation wirkt, als Ausdruck der kapitalistischen Logik, vor dem Hintergrund der, in Kap. 2.3.4 Globale Orientierung beschriebenen, Konkurrenz zwischen Regionen stark auf politisch-administrative EntscheidungsträgerInnen (vgl. Dörre 2012: 194; Harvey 2014: 190/191). Auch können marktmächtige Unternehmen, die einen großen Anteil am Gesamtumsatz des Sektors haben, z. B. oligopolistische Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels (vgl. Bundeskartellamt 2014) oder marktmächtige Sägewerke im Forstsektor (vgl. Kreienmeier 2004: 1), durch die Androhung der Nichtabnahme von Waren/Dienstleistungen bzw. des Anbieterwechsels gegenüber VertragspartnerInnen, z. B. land- und forstwirtschaftliche ProduzentInnen und verarbeitende Unternehmen, die Reduzierung der Lieferpreise anreizen.

Nachfragemächtige AkteurInnen können auf Käufermärkten durch Androhung ausbleibender Nachfrage Preissenkungen gegenüber LieferantInnen, z. B. land- und forstwirtschaftliche PrimärproduzentInnen, durchsetzen (vgl. Kreienmeier 2004: 2). In der kapitalistischen Konkurrenzökonomie bietet der Abschluss eines Geschäftsvertrages ein erhebliches Movens. Fraglich bleibt, ob auf konzentrierten und oligopolistischen Märkten die Versagung eines Geschäftsvertrages oder deren Ankündigung eine negative Anreizsteuerung ist oder ob eine Zwangskonstellation vorliegt, da die WarenproduzentInnen geringe bis keine Ausweichalternativen haben, aber konkurrenzbedingt auf den Tauschwert der Waren angewiesen sind.

2.4.2.3 Zwang

Folglich ist der Übergang von der Kategorie Anreiz zur Kategorie Zwang unter bestimmten Umständen fließend. Die Machtressource Zwang von AkteurIn A beruht grundsätzlich auf der Fähigkeit durch Anwendung oder Androhung physischer Gewalt das Handeln anderer AkteurInnen unabhängig von deren Willen zu verändern. Staatlicherseits ist die militärische, polizeiliche und behördliche Gewalt der typische Fall für die Machtressource Zwang. Staatliches Ziel der Anwendung der

48 Machtressource Zwang ist die „Befolgung verbindlicher Regeln“ (Hubo/Krott 2014: 4) unabhängig davon, ob der Machtunterworfene die Regeln akzeptiert oder selbst gesetzt hat. Nicht allein die Anwendung oder Androhung physischer Gewalt gehören zur Kategorie der Machtressource Zwang, sondern auch die Fähigkeit und die Ressourcen zur physischen Überwachung (Kontrolle) des Handelns anderer AkteurInnen. Hubo und Krott weisen auf das Beispiel unerlaubter Waldnutzungen hin, die auf Grund mangelnder personeller Ausstattung der Naturschutzfachverwaltungen unentdeckt bleiben (ebd.: 5). Mithin wird deutlich, dass AkteurInnen neben physischen Mitteln zur Abwendung und Abschreckung delinquenter Handlungen zugleich der Fähigkeiten und Ressourcen zur Observierung des Handelns anderer AkteurInnen bedürfen, um deren Handeln wirkungsvoll entsprechend eigener Ziele beeinflussen zu können. Die Überwachungsdimension ist für die landnutzungsbezogene Politikforschung von Bedeutung, da Flächennutzung häufig nicht überwacht bzw. kontrolliert werden kann.

Die Kontrolle bzw. die Unterstützung des Vollzugs ist eine Möglichkeit für Verbände Macht durch Zwang (Kontrolle) auszuüben. Natur- und Umweltschutzverbände können als Machtressourcen der Kategorie Zwang die Verbandsklage (Rechtsbehelfe) gemäß § 64 BNatSchG gegen behördliche Entscheidungen einreichen, sollten diese verbandliche Rechte verletzen oder Rechtsvorschriften, welche den Belangen des Naturschutzes oder der Landschaftspflege dienen sollen, widersprechen (§ 64 (1) 1. BNatSchG), und Bürokratien zur Kooperation zwingen. So können jene auf Zugang zu Informationen klagen (vgl. Greenpeace 2013;

Juerges/Newig 2014: 4). Klagegegenstände können Planfeststellungs- und Plangenehmigungsverfahren sein (BMUB 2014). Voraussetzung für das Verbandsklagerecht, als Zwangsmachtressource, ist die Anerkennung durch den Bund nach dem BNatSchG (BMUB 2014a). Einzelunternehmen und ProduktionsmitteleigentümerInnen, z. B. land- und forstwirtschaftliche GrundeigentümerInnen, verfügen anhand der Eigentumsfreiheit und der Verfügung über die Produktionsmittel über „eine besondere Machtressource, die die übrige Gesellschaft in mehr oder weniger große Abhängigkeit zwingt“ (Imbusch 2003: 19;

vgl. auch zum Produktionsmitteleigentum als „domination“ Krott 2005: 44; Burghardt 1980; zur „rechtsstaatlichen Garantie der privaten Dispositionsfreiheit“ Lessenich 2012: 147). ProduktionsmitteleigentümerInnen können andere AkteurInnen, z. B.

LohnarbeiterInnen, Natur- und Umweltschutzverbände, zur Akzeptanz der Ergebnisse der Produktionsweise zwingen (Krott 2005: 44) bis jene eigene Machtressourcen aufgebaut haben, um in machtasymmetrischen Konstellationen zu bestehen.

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3. Hypothesen

3.1 Das Ausmaß von Politikintegration in der Landnutzung wird durch die