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Propositionalität und Ding an sich

Im Dokument Die Heilung der Moderne (Seite 45-55)

Konzeptualismus contra Nonkonzeptualismus 1.1.1 Der kantische Ursprung des Problems

1.1.4 Propositionalität und Ding an sich

Die Entwicklung einer philosophischen oder hermeneutischen Tradition ist manchmal durch merkwürdige Umstände charakterisiert. So mag es zum Beispiel geschehen, dass eine ganze philosophische Tradition einer gewissen Annahme zustimmt, ohne zu wissen, was diese Annahme genau bedeutet.

Bisher habe ich das Begriffspaar „propositional“/„nicht-propositional“ gebraucht, ohne es zu definieren. Möglicherweise hat mein gedankenloser Gebrauch dieser so wichtigen Begriffe dem Leser sogar eine gewisse Enttäuschung bereitet. Dafür entschuldige ich mich, aber ich beruhige den Leser, dass mein unterbestimmter Gebrauch dieser Begriffe absichtlich war. Dies stellte die einzige Möglichkeit dar, eine plausible Wiedergabe des Konzeptualismusstreites zu liefern. Denn es lässt sich zeigen, dass der unterbestimmte Gebrauch des Begriffspaares

„propositional“/„nicht-propositional“ eine Hauptursache für das Entbrennen des Konzeptualismusstreites ist.

32 Vgl. R. Hanna, Kant and the Foundations of Analytic Philosophy 2001.

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Aufgabe dieses Abschnittes ist es erstens, eine konsequente Definition des Propositionalen zu entwickeln. Diese Definition soll es uns im zweiten Schritt ermöglichen, das kantische Projekt in einer aussagekräftigeren Form zu formulieren und dadurch die Untersuchung seiner Schlüssigkeit bzw. seine Kritik vorzubereiten. Da aber die gesuchte Definition an sich selbst konsequent und schlüssig zu sein hat, ist hier kein Konsens zu erwarten. Ganz im Gegenteil wird diese Suche die Unmöglichkeit zur Schau stellen, innerhalb der Denkmuster des Konzeptualismusstreites, und insbesondere von Seiten der Konzeptualisten, eine hinreichende Bestimmung des Propositionalen zu gewinnen. Nichtsdestotrotz wird die gesuchte Definition, weil sie durchaus Schlüssigkeit und Wahrheit anbieten soll, die Interpretation des Konzeptualismusstreites beeinflussen. Der Konzeptualist und der Nonkonzeptualist sollen von der Stringenz, welche die Hinführung zu dieser Definition auch gegenüber ihren eigenen Standpunkten aufzuweisen hat, zu deren Akzeptanz gezwungen werden. Wir suchen daher in diesem Abschnitt eine Definition des Propositionalen in Auseinandersetzung mit dem Konzeptualismus und dem Nonkonzeptualismus. Aber es gilt zu insistieren, dass diese Definition nicht gemäß dem Konzeptualismus oder dem Nonkonzeptualismus entwickelt werden muss. Während der Auseinandersetzung mit dem Konzeptualismus – die Auseinendersetzung mit dem Nonkonzeptualismus wird sich ziemlich schnell erledigen – ist ständig zu bedenken, dass der Zweck dieses Abschnittes die Definition des Propositionalen ist.

Sollte sich der Konzeptualist – der Nonkeptualist hat dazu, wie gesagt, weniger Anlass – verwirrt fühlen, da seine Begriffe und Theorien nicht entsprechend seinen Wünschen dargestellt werden, kann er – wenn er die Regeln des Spieles beachten soll – nicht sofort murren. Denn die Definition des Propositionalen ist vielmehr der Maßstab seiner Begriffe und Theorien. Da der Konzeptualismus – wie auch der Nonkonzeptualismus – anhand des Begriffes des Propositionalen definiert wird und diesem Begriff auch seine Genealogie zu verdanken hat, ist die Bedeutung der konzeptualistischen Begriffe und Theorien von der Bedeutung des Propositionalitätsbegriffes abhängig. Der Konzeptualist darf deswegen nicht fordern, dass seine Begriffe und Theorien unabhängig von diesem Begriff interpretiert werden. Er darf nicht erwarten, dass zunächst seine Theorien treu wiedergegeben werden, und dann ausgehend von diesen Theorien eine Definition des Propositionalen gesucht wird. Diese Forderung wäre zirkulär.

Einem Definitionsvorschlag von „propositional“ sei vorangestellt, dass dieses Adjektiv keine Bezeichnung für den Arbeitsbereich der Sprachwissenschaftler darstellt.

„Propositional“ benennt weder die sprachlich tatsächlich ausgedrückten Propositionen noch das sprachlich Ausgedrückte als solches (d. h. nicht nur die Propositionen, sondern auch deren

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ablösbare Bestandteile – z.B. die Nomina, die Verben usw.). Von nicht-propositionalen Entitäten zu reden wäre andernfalls der Behauptung gleichbedeutend, dass es etwas anderes gibt als Propositionen und Wörter. Aber es ist hoffentlich klar genug, dass diese Idee den Ausgangspunkt keines interessanten philosophischen Projektes darstellen könnte.

„Propositional“ ist das, was durch Sätze oder Elemente von Sätzen – Propositionen oder Elemente von Propositionen –33 (Wörter, Nominalausdrücke, usw.) ausgedrückt werden kann.

Dieser Definitionsvorschlag, welcher offensichtlich darauf hinausläuft, das Propositionale mit dem Ausdrückbaren gleichzusetzen, steht nicht am Ende, sondern ganz am Anfang eines virtuellen Streites über die Propositionalität. Denn vor allem die Konzeptualisten werden von der vorgeschlagenen Gleichsetzung zu Thesen gezwungen, zu deren Behauptung sie nicht bereit wären. Das Problem wird sichtbar, wenn diese Definition auf den ersten Teil der ersten Prämisse des kantischen Projekts angewandt wird: Es gibt in der Welt nicht-propositionale Entitäten. Der vorgeschlagenen Definition zufolge lautet nun diese Behauptung folgendermaßen: Es gibt Entitäten in der Welt, welche nicht durch Propositionen oder Elemente von Propositionen (einzelne Wörter) ausgedrückt werden können.

Würden die Kantianer eine solche Umformulierung ihrer Annahme akzeptieren?

Die Nonkonzeptualisten würden wahrscheinlich dazu neigen, sie zu unterschreiben.

Allerdings würden sie geltend machen, dass natürlich alle Entitäten in der Welt in gewisser Weise durch Propositionen oder Wörter ausgedrückt werden können. Nur in gewisser Weise oder unter einer anderen Betrachtungsweise gebe es also an diesen Entitäten in der Welt etwas Unaussprechliches. Das bedeute allerdings nicht, dass die Welt unerkennbar ist, und dass alle unsere Bemühungen um Erkenntnis zum Scheitern verurteilt sind. Denn dies wäre eine Form des Irrationalismus. Kants Bewusstsein der Existenz von etwas Unaussprechlichem – so die Nonkonzeptualisten – werde ferner vom Begriff des Dings an sich belegt. Die Funktion dieses Begriffes bestehe tatsächlich darin, die Nicht-Propositionalität des Nicht-Propositionalen immer wieder geltend zu machen, um die Täuschung zu vermeiden, dass unsere konzeptuelle Erkenntnis dazu Zugang hat.

Andererseits würden die meisten Konzeptualisten, welche wahrscheinlich die vorweggenommene Entschuldigung des Nonkonzeptualisten als eine implizite Anerkennung der Problematizität seiner Perspektive interpretieren würden, die Rede von „unaussprechlichen Entitäten“ nicht akzeptieren. Eben so wenig würden diese Konzeptualisten einräumen, dass der Begriff des Dings an sich ein wesentlicher Bestandteil des Kritizismus sei.

33 Ich werde „Satz“ und „Proposition“ gemäß dem allgemeinen Gebrauch als gleichbedeutend gebrauchen, ungeachtet dessen, dass es philosophische Versuche gibt, die zwei Begriffe zu differenzieren.

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Kant’s agnosticism, however, if taken seriously – i. e., construed as the view that we have no determinate concepts of how things are in themselves – means that no conceptual response can be evaluated […] as correct or incorrect. Rules of the Form

(Ceteris Paribus) one ought to respond to φ items with conceptual acts of kind C

could never be rules in accordance with which people criticize conceptual responses; for, on his official view, the esse of any item to which any empirical predicate applies is already to be a conceptual response, not something that is responded to.34

Die konzeptualistische Verleugnung des Dings an sich war im vorigen Abschnitt der Grund, weshalb der Versuch nach einer ökumenischen Beschreibung des kantischen Projektes nicht auf diesem Begriff beruhen konnte; denn ansonsten hätten die Konzeptualisten meinen Vorschlag von vornherein als uninteressant empfunden. Es ist jetzt Zeit, die Wiedergabe des kantischen Projektes zu normieren. Die Konzeptualisten müssen vor eine Entscheidung geführt werden.

Der Konzeptualist weist die unaussprechlichen Gegenstände, die kantischen Dinge an sich, mit voller Überzeugung zurück. Aber die Existenz von unaussprechlichen Gegenständen (oder Gegebenheitsweisen von Gegenständen) ließ sich aus der Beschreibung des kantischen Projektes ableiten, indem das Propositionale als das sprachlich Ausdrückbare definiert wurde.

Doch der Konzeptualist will diese unaussprechlichen Gegenstände auf keinen Fall einräumen.

Um die Schlussfolgerung zu verhindern, muss der Konzeptualist entweder das kantische Projekt oder meine Definition der Propositionalität ablehnen. Im ersten Fall wäre die dialektische Arbeit des Elenchos wesentlich kürzer und ich würde mich freuen, den Konzeptualisten als Antikantianer begrüßen zu dürfen. Ich befürchte allerdings, dass die Konzeptualisten vielmehr meine Definition der Propositionalität loswerden wollen.

Vorausgesetzt, dass der Konzeptualist, ebenso wie ich, die linguistische Definition von

„propositional“ als zu eng betrachtet, gibt es einen wichtigen Kandidaten, den eine wohlwollende Interpretation des Konzeptualismus in Betracht ziehen kann.35

Etwas ist propositional, wenn sein Inhalt ist, dass Dinge so und so sind.36

Was bedeutet diese Definition und wie unterscheidet sie sich von der hier vorgeschlagenen?

34 W. Sellars, Some Remarks on Kant’s Theory of Experience 2007, S. 452-453. Ähnliche Überlegungen befinden sich in McDowells Mind and World 1996, und in Strawsons The Bounds of Sense 1966.

35 Das Adjektiv „wohlwollend“ bezieht sich darauf, dass sich die Konzeptualisten nicht wirklich gewahr zu sein scheinen, dass sich an der Definition von „propositional“ der Großteil des philosophischen Wertes ihrer Theorien entscheidet. Deswegen ist eine intensive Beschäftigung mit diesem Problem entweder sehr selten oder gar abwesend.

36 Vgl. J. McDowell, Geist und Welt 1996, z. B. S. 26, Übersetzung von T. Blume.

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Erstens lässt sich behaupten, dass sich diese Definition von der hier vorgeschlagenen darin unterscheidet, dass sie sich nur auf vollständige Propositionen bezieht, die Elemente der Propositionen – d. h. die einzelnen Wörter und das, was den einzelnen Wörtern entspricht – aber außer Acht lässt. Dementsprechend wäre z. B. die Tatsache, dass das Buch auf dem Tisch ist, propositional, wobei der Gegenstand, das Buch, selbst nicht-propositional wäre. Grund dafür wäre, dass „das Buch“ keine Proposition, während „Das Buch ist auf dem Tisch“ eine Proposition ist. Folglich wäre all das propositional, was durch einen „dass“-Satz ausgedrückt werden kann, all das aber nicht-propositional, was nicht durch einen „dass“-Satz ausgedrückt werden kann. In Bezug auf Gegenstände oder allgemein auf Entitäten, die durch einzelne Wörter bezeichnet werden, ist es in der Tat unmöglich von einem Inhalt zu reden, während man sagen kann, dass der Inhalt der Tatsache, dass das Buch auf dem Tisch ist, ist, dass das Buch auf dem Tisch ist.

Wenn dieser der Unterschied wäre, ließe sich zeigen, dass er bloß darin besteht, dass diese letzte Definition im Gegensatz zu meiner die einzelnen Wörter ausgrenzt. Aber die Ausgrenzung von Entitäten, die durch einzelne Wörter bezeichnet werden, aus dem Begriffsumfang von „propositional“ würde man ausgehend von der vorgeschlagenen Definition natürlich durchführen, wenn man die Möglichkeit außer Acht ließe, dass das, was propositional ist, durch einzelne Wörter ausgedrückt wird. Entitäten wie der Regen, das Buch vom Sinn und Leben, den Begriff der Gerechtigkeit, der Wille des Volkes und das Denken an eine himmlische Stadt kann man natürlich nicht durch Propositionen ausdrücken, sondern nur durch Wörter oder Nominalausdrücke. Dagegen werden Entitäten wie die Tatsache, dass das Buch auf dem Tisch ist, das Phänomen, dass schwere Gegenstände herunterfallen, und das Denken, dass eine himmlische Stadt existiert, durch Propositionen bzw. „dass“-Sätze ausgedrückt.

Ist dies der Unterschied, den der Konzeptualist geltend machen würde? Würde dementsprechend der Konzeptualist behaupten, dass z. B. das Denken an eine himmlische Stadt und der Begriff der Gerechtigkeit nicht propositional sind, während das Phänomen, dass schwere Gegenstände herunterfallen, propositional ist?

Ich glaube nein. 37 Wenn der Konzeptualist die Propositionalität von Tatsachen, Sachverhalten und Phänomenen akzeptieren würde, müsste er seinen Kantianismus sofort widerrufen; denn dieser besagt, dass ausschließlich geistige Zustände propositional sein dürfen.

Ich denke also, dass der Konzeptualist vielmehr auf dem Wort „Inhalt“ in seiner Definition insistieren würde. Er würde ungefähr behaupten, dass Tatsachen, Sachverhalte und Phänomene

37 Vgl. W. Sellars, Empiricism and the Philosophy of Mind 1997, Kap. 1, Par. 7. Hier sagt Sellars explizit, dass das Denken an eine himmlische Stadt zweifelsohne als etwas Propositionales zu betrachten ist.

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nicht in demselben Sinne einen Inhalt haben wie Gedanken, Überzeugungen, Eindrücke, Gefühle, usw. Nur die letzteren sind intentional.

Der Insistenz des Konzeptualisten ist zu erwidern, dass der Sinn dieser Antwort zunächst alles andere als klar ist. Denn was ist das Unterscheidungskriterium zwischen dem Sinn, in dem Tatsachen und Sachverhalte einen Inhalt haben, und dem Sinn, in dem Gedanken, Überzeugungen, usw. einen Inhalt haben?

Auf diese Frage gibt es nur zwei Antwortstrategien. Erstens kann man behaupten, dass sich intentionale Zustände von Tatsachen darin unterscheiden, dass sie propositional sind. Diese Antwort ist allerdings zirkulär. Wir sind auf den Begriff „intentionaler Zustand“ bei dem Versuch gestoßen, eine Definition der Propositionalität zu finden. Natürlich kann jetzt die Propositionalität nicht verwendet werden, um die intentionalen Zustände zu definieren.

Die zweite Antwort wäre: Intentionale Zustände sind geistige Zustände; sie sind das, was ein Erkenntnissubjekt von anderen Entitäten in der Welt differenziert. Diese Definition von

„intentional“ und von „Inhalt“ in dem Sinne, in dem Gedanken, Überzeugungen, Eindrücke und Gefühle einen Inhalt haben, ist meines Erachtens völlig richtig.

Aber hilft diese Definition dem Konzeptualisten bei der Definition von „propositional“?

Der folgende Gedankengang muss vom hypothetischen Konzeptualisten, dem vermutlich kein wirklicher Konzeptualist entspricht, 38 im Lichte dieser Definition zugelassen werden:

1) „Intentional“ ist das, was ein Erkenntnissubjekt von anderen Entitäten in der Welt differenziert: der Geist (auf Englisch: mind); 2) „Propositional“ ist gleichbeutend wie

„intentional“ und beschreibt also die geistigen Zustände eines Erkenntnissubjektes; 3) „Es gibt in der Welt nicht-propositionale Entitäten“ bedeutet so viel wie „Es gibt in der Welt andere Entitäten als geistige Zustände“.

Das Problem für den Konzeptualisten besteht darin, dass, wenn er diese Definition von

„propositional“ akzeptiert, seine Version des Kritizismus folgendermaßen aussieht: Es gibt in der Welt geistige Zustände und andere Entitäten. Die geistigen Zustände haben möglicherweise die Eigenschaft, die Welt objektiv zu repräsentieren, d. h. zu erkennen.

Und die klassische Metaphysik hätte diese Theorie zurückgewiesen? Es ist sogar nicht klar, was man bei diesen Aussagen überhaupt verneinen könnte.

Die dialektische Situation ist schwer zu durchschauen. Eine Kurzfassung macht sich deswegen nötig. Ausgangspunkt war die schon erahnte Ablehnung meiner Gleichsetzung des

38 Doch Peter Strawson und John McDowell in Mind and World kommen diesem Bild häufig nahe. Im dritten Teil von Mind and World plädiert McDowells Argumentation tatsächlich dafür, dass das Geistige und das Propositionale gleichgesetzt werden. Mind and World stellt in der Tat in vielen Hinsichten die konsequenteste Version des Konzeptualismus dar, die ich kenne.

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Propositionalen und des Ausdrückbaren in den Reihen der Konzeptualisten. Der Grund für diese Ablehnung war, dass der Konzeptualist die Existenz der Dinge an sich nicht einräumen will, wozu ihn aber meine Definition des Propositionalen zwänge. Es wurde also ausgehend von unsystematischen Hinweisen der Konzeptualisten nach einer alternativen Definition des Propositionalen gesucht. 1) Der erste Kandidat war das Inhalt-Habende oder das, was durch einen „dass“-Satz ausgedrückt werden kann. Diesen Kandidaten kann aber der Konzeptualist nicht wählen, weil er sonst Entitäten wie das Denken an eine himmlische Stadt und den Begriff der Gerechtigkeit, die er offensichtlich für propositional hält, als nicht-propositional betrachten müsste. 2) Der zweite Kandidat war das Intentionale, das wiederum unbedingt als gleichbedeutend mit dem Geistigen zu betrachten wäre. Dieser Kandidat musste allerdings auch für unbefriedigend erklärt werden. Denn, wenn „propositional“ und „geistig“ das Gleiche bedeuten würden, ginge der Sinn des Kantianismus ohne Weiteres unter. Wenn eine Definition von „propositional“ wie die erste formal und eine wie die zweite inhaltlich genannt wird, dann lässt sich sagen, dass die inhaltliche Definition den Sinn der Rede von Propositionalität und von Konzeptualismus loswird. Kein Philosoph in der Geschichte der Philosophie hat behauptet, Tische und Bücher haben Gefühle oder Gedanken und wenn die Rede von Propositionalität nur dies besagt und keinen formalen Beitrag leisten kann, dann ist nicht einzusehen, wie dieser Begriff eine philosophische Revolution wie diejenige versprechen kann, die Kant und die Kantianer beabsichtigen. Es hat sich daher als unmöglich erwiesen, in den Reihen der Konzeptualisten eine Definition des Propositionalen aufzufinden, welche die konzeptualistische Ablehnung der Dinge an sich zu rechtfertigen imstande wäre.

Der obigen Argumentation folgend, werde ich zu der Behauptung gedrängt, dass sich die Position von Konzeptualisten wie Sellars und McDowell am besten dadurch charakterisieren lässt, dass darin der Begriff „propositional“ in ambiger Weise gebraucht wird. Sie verwenden den Begriff „propositional“ als etwas, das in der Mitte liegt zwischen dem, was hier formaler Sinn, und dem, was hier inhaltlicher Sinn genannt wurde. Gegen den Nonkonzeptualisten und gegen die Idee, dass es unaussprechliche Entitäten gebe, machen sie die unerschöpflichen Möglichkeiten des Ausdrückens geltend, indem sie den formalen Sinn des Propositionalen in den Vordergrund rücken. Andererseits wollen sie sich nicht überzeugen lassen, dass gemäß demselben Argument sehr viele Dinge außerhalb des Geistes propositional und andererseits viele geistige Gehalte, die sie als propositional betrachten, nicht-propositional wären. Um weiter Kantianer zu bleiben und die ausschließlich geistige Dimension des Propositionalen zu verfechten, wollen sie dagegen glauben, dass nur einiges in der Welt propositional ist. Um das plausibel zu machen, rekurrieren sie mehr auf den inhaltlichen Sinn von „propositional“.

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Insgesamt sind sie überzeugt, dass die echte Bedeutung von „propositional“ weder mit der formalen noch mit der inhaltlichen Bedeutung, sondern eher noch mit einer dritten, von den beiden anderen verschiedenen Bedeutung zu identifizieren ist, die sie aber nicht genau beschreiben könnten.

Nun gilt, dass »[w]histling in the dark is not the method of true philosophy«.39 Wenn der Konzeptualist philosophisch streng und sauber bleiben möchte, dann muss er meine Definition des Propositionalen akzeptieren, zu der es keine tragbaren Alternativen gibt: Propositional ist das, was durch Propositionen oder Elemente von Propositionen (einzelne Wörter) ausgedrückt werden kann. Danach kann er sich entscheiden: Entweder er verzichtet auf die Idee, dass es nicht-propositionale Entitäten oder Dinge an sich gibt, und damit auf das kantische Projekt, oder er räumt diese Idee ein und macht einen Schritt in die Richtung der Nonkonzeptualisten.

Wenn dieser Schritt nur ein Schritt und nicht eine vollständige Bekehrung zum Nonkonzeptualismus sein soll, kann er an diesem Punkt nur darin bestehen, dass der Konzeptualist die Unterscheidung zwischen propositionalen und nicht-propositionalen Entitäten mit der Unterscheidung zwischen Geist und Welt (Subjekt und Objekt) zusammenfallen lässt; während es für den Nonkonzeptualisten noch eine mittlere Klasse von subjektiven und nicht-propositionalen Entitäten gibt.

Bedenkt man, was ein solcher Konzeptualismus bedeuten würde, liegt der Einwand nahe, dass niemand ihn vertreten würde. Dieser Einwand besagt meines Erachtens Wahres, aber er ist kein richtiger Einwand. Zu Beginn dieses Abschnittes hatte ich angekündigt, dass die Auseinandersetzung mit dem Begriff des Propositionalen nachgewiesen hätte, dass dessen voreiliger und weit unterbestimmter Gebrauch ein Hauptgrund des Entbrennens des Konzeptualismusstreites ist. Nach dieser Auseinandersetzung wissen wir auch, warum. Der Punkt ist, dass der Konzeptualismus vor dem Hintergrund der Gleichsetzung der Begriffe

„propositional“ und „ausdrückbar“, worin die einzige Möglichkeit einer stringenten Definition besteht, sein Profil verliert. Rein theoretisch wäre eine solche Variante des Konzeptualismus zwar gemäß den oben gestellten Anforderungen noch möglich, aber die Tatsache, dass niemand diesen Konzeptualismus vertreten hat bzw. vertreten würde, zeigt eindeutig, wie unattraktiv diese Position ist.

Die Überlegungen zum Propostionalitätsbegriff schließen also den Großteil der konzeptualistischen Positionen als sinnvolle Ausführungen des kantischen Projekts aus und überlassen dieses Feld den Nonkonzeptualisten. Da diese Überlegungen den unumgänglichen Zusammenhang zwischen dem Kantianismus und dem Glauben an die Unausdrückbarkeit bzw.

39 W.V.O. Quine, Word and Object 1994, S. 207.

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Unerkennbarkeit zumindest einiger Teile der Realität hervorhebt, enthüllen sie den ansonsten immer nur implizit geltenden Tatbestand, dass nur, wer diese Unausdrückbarkeit zu behaupten bereit ist, legitim als Kantianer angesehen werden kann: Und dies sind die Nonkonzeptualisten oder wenigstens diejenigen unter den Nonkonzeptualisten, deren Theorien Konsistenz anzuerkennen ist. Vor diesem Hintergrund lässt sich eine neue, etwas unterscheidungsfähigere

Unerkennbarkeit zumindest einiger Teile der Realität hervorhebt, enthüllen sie den ansonsten immer nur implizit geltenden Tatbestand, dass nur, wer diese Unausdrückbarkeit zu behaupten bereit ist, legitim als Kantianer angesehen werden kann: Und dies sind die Nonkonzeptualisten oder wenigstens diejenigen unter den Nonkonzeptualisten, deren Theorien Konsistenz anzuerkennen ist. Vor diesem Hintergrund lässt sich eine neue, etwas unterscheidungsfähigere

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