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2. Grundzüge einer Theorie öffentlicher Aufgabenwahrnehmung in Kleinstaaten

2.4 Soll-Profil der öffentlichen Aufgabenerfüllung in Liechtenstein

2.4.2 Soll-Profil der einzelnen Aufgabenbereiche und ökonomischen Aggregate in Liechtenstein

Die theoriegestützten Ausführungen ergeben eine ganze Reihe von An­

haltspunkten, wie sich die öffentliche Aufgabenerfüllung im Kleinstaat und damit auch die Ausgabenintensität von jener in grösseren Nachbar­

staaten vermutlich unterscheiden wird. Wenn in den folgenden Hypo­

thesen von über- oder unterdurchschnittlichen Ausgaben gesprochen wird, so sind damit Ausgabengrössen pro Einwohner im Vergleich zu den grösseren Nachbarstaaten Schweiz und Osterreich gemeint.

Die Hypothesen zielen einerseits auf eine funktionale Gliederung der Ausgaben ab (Gesundheitswesen, Verkehrswesen etc.; Punkt 2.4.2.1), andererseits auf eine ökonomische Gliederung (Personalausgaben, För­

derungen etc.; Punkt 2.4.2.2), wobei jeweils auf obige Tendenzaussagen Bezug genommen wird.

Abbildung 2.10: Aufgabenprioritäten öffentlicher Aufgaben im Klein­

staat Liechtenstein (normative Analyse)

| Unverzichtbar [

Souveränität - Legislative, Exekutive, allgemeine Verwaltung

-Rechtsaufsicht, Polizei, Rechtsprechung, Sicherung der Bereitstellung des Strafvollzugs

- Politische und wirtschaftliche Beziehungen zum Ausland -Raumordnung

- Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Volkswirtschaft, Sicherung der Bereitstellung von Energie

-Steuern, übrige Finanzen und Steuern Nachrichtlich:

- Sicherung der Bereitstellung des Geld- und Währungswesens - Sicherung der Bereitstellung der Sicherung der Aussengrenzen

(Zollwesen)

- Sicherung der Bereitstellung von PTT-Dienstleistungen

Identität -Mitbestimmung in Legislative, Exekutive und allgemeiner Verwaltung -Rechtsaufsicht, Polizei, Rechtsprechung, Feuerwehr

- Politische und wirtschaftliche Beziehungen zum Ausland - Kindergärten, Volksschulen, allgemeinbildende Schulen - Kulturförderung, Sportförderung

- Sicherung der Benützung von Krankenanstalten, übriges Gesundheits­

wesen

- Sicherung der Bereitstellung der Alters-, Invaliden-, Kranken- und sonsti­

gen Sozialversicherung, sozialer Wohnungsbau, Jugendschutz, Fürsorge - Staats- und Gemeindestrassen

- Gewässer- und Lawinenverbauung, Raumordnung - Steuern, übriges an Finanzen und Steuern Nachrichtlich:

- Sicherung der Bereitstellung des Geld- und Währungswesens - Bereitstellung der Sicherung der Aussengrenzen

- Gestaltung der Rahmenbedingungen (und Förderung der Medien) -Sicherung der Bereitstellung von PTT-Leistungen

Prosperität - Mitbestimmung in Legislative, Exekutive und allgemeiner Verwaltung - Rechtsaufsicht, Polizei, Rechtsprechung, Feuerwehr

- Politische und wirtschaftliche Beziehungen zum Ausland

- Kindergärten, Volksschulen, Berufsbildung, Sicherung der Bereitstellung von höherer Berufsbildung, Hochschulen

- Krankenanstalten, übriges Gesundheitswesen

- Sicherung der Bereitstellung der Alters-, Invaliden-, Kranken- und sonsti­

gen Sozialversicherung, sozialer Wohnungsbau, Jugendschutz, Fürsorge - Staats- und Gemeindestrassen, Sicherung des Zugangs zu Nationalstrassen,

Bundesbahnen, Regiorialverkehr

- Abwasser- und Abfallbeseitigung, Lawinen- und Gewässerverbauung, Raumordnung

- Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Volkswirtschaft, Sicherung der Bereitstellung von Energie

- Steuern, Finanzausgleich, Einnahmenanteile, Vermögens- und Schulden­

verwaltung, übriges an Finanzen und Steuern

Soll-Profil der Aufgabenbereiche und ökonomischen Aggregate

Nachrichtlich:

- Sicherstellung der Bereitstellung des Geld- und Währungswesens - Sicherstellung der Bereitstellung der Sicherung der Aussengrenzen - Sicherstellung der Bereitstellung von PTT-Dienstleistungen Notwendig

Souveränität - Feuerwehr

- Zivile Landesverteidigung

- Kindergärten, Volksschulen, allg.-bildende Schulen, Lehrerausbildung - Kulturförderung

- Sicherung der Benützung von Krankenanstalten; übriges Gesundheits­

wesen

- Sicherung der Bereitstellung der Alters-, Invaliden-, Kranken- und sonstigen Sozialversicherung

-Jugendschutz, Fürsorge

- Staats- und Gemeindestrassen, Regionalverkehr

- Abwasser- und Abfallbeseitigung, Gewässer- und Lawinenverbauung - Finanzausgleich, Einnahmenanteile

Identität - Zivile Landesverteidigung, Sicherung der Bereitstellung des Strafvollzugs - Lehrerausbildung, übriges Bildungswesen

- Krankenanstalten - Regionalverkehr

- Abwasser- und Abfallbeseitigung - Förderung der Volkswirtschaft

- Finanzausgleich, Einnahmenanteile, Vermögens- und Schuldenverwaltung Prosperität - Zivile Landesverteidigung

- Lehrerausbildung, übriges Bildungswesen - Kulturförderung

| Nicht unbedingt notwendig |

Souveränität - Militärische Landesverteidigung - Entwicklungshilfe

-Berufsbildung, höhere Berufsbildung, Hochschulen, übriges Bildungs­

wesen -Sport

- Sozialer Wohnungsbau

- Sicherung der Bereitstellung von Nationalstrassen, Bundesbahnen - Vermögens- und Schuldenverwaltung

Nachrichtlich:

- Medien

Identität - Militärische Landesverteidigung - Entwicklungshilfe

Insgesamt soll mit den folgenden Ausführungen die Messlatte für die in den nachfolgenden Kapiteln empirisch zu analysierende Aufgabener­

füllung in Liechtenstein im Vergleich zu den Nachbarstaaten Schweiz und Osterreich bereitgestellt werden.

2.4.2.1 Erwartungen für die funktionale Gliederung der Ausgaben Die Abgrenzung der Aufgabenbereiche und damit der Hypothesen ori­

entiert sich an der funktionalen Gliederung, nach der die öffentlichen Haushalte von der amtlichen Statistik der Schweiz aufgefächert werden.40

- Allgemeine Verwaltung:

Die Aufgabenbereiche Legislative (Landtag) und (allgemeine) Exeku­

tive (Regierung, Stabstellen, allgemeine Verwaltung) sind unter den drei Gesichtspunkten der Souveränität, Identität und Prosperität des Kleinstaates unverzichtbar und müssen selbst produziert werden.

Nicht zuletzt aufgrund nicht realisierbarer economies of scale ist im Kleinstaat mit überdurchschnittlichen Verwaltungsaufwendungen zu rechnen. Die Vorteile der kurzen Wege und einer vergleichsweise wenig ausdifferenzierten Verwaltung, aber auch der Umstand, dass es in Liechtenstein nur die Staats- und die Gemeindeebene gibt, dürften hier die Nachteile der Grösse nicht kompensieren. Dies bedeutet je­

doch keineswegs, dass Vorleistungen nicht aus dem Ausland bezogen werden können.

- Öffentliche Sicherheit:

Gerade beim Justizwesen (Rechtsaufsicht, Rechtsprechung) geht es auch um die Wahrung der Bürgerrechte und um die davon abgesetz­

ten Rechte der Ausländer bei der Beschäftigung, der Niederlassung, dem Erwerb von Grund und Boden und den Möglichkeiten von Liechtenstein im Bereich der Finanzdienstleistungen.

Die öffentliche Sicherheit ist, soweit die Polizei tangiert ist, ebenso eine Kernaufgabe des Kleinstaates wie die eben genannten Bereiche.

40 Vgl. Eidgenössische Finanzverwaltung, Bundesamt für Statistik (1987, S. 24). Dies er­

leichtert die spätere empirische Überprüfung anhand dieser leichter verfüg- und inter­

pretierbaren Vergleichsdaten. Die folgende Kommentierung der Aufgabenbereiche er­

folgt nach den unter Punkt 2.3.3 gemachten Anmerkungen zu den Haupthypothesen.

Soll-Profil der Aufgabenbereiche und ökonomischen Aggregate Sensible (von den Bürgern nicht sonderlich geschätzte) Teilaufgaben wie der Strafvollzug (das Gefängniswesen) können auch von grösse­

ren Nachbarstaaten erledigt werden. Das Feuerwehrwesen ist aus Gründen der Identität und vor allem der Prosperität im Kleinstaat zu organisieren, kann aber von privaten Organisationen (Vereinen) wahrgenommen werden. Die militärische Landesverteidigung wird der Kleinstaat den grösseren Nachbarstaaten oder übergeordneten Sicherheitssystemen überlassen und der Aussenpolitik überbinden.

Hingegen kann der Kleinstaat den Bereich der zivilen Landesvertei­

digung selbst vollumfänglich in die Hand nehmen.

Die komplexe Aufgabe der Erstellung und Pflege eines eigenen Rechtsrahmens für den Kleinstaat müsste hier zu stark überpropor­

tionalen Ausgaben selbst dann führen, wenn der Grossteil der Rege­

lungen vom Ausland übernommen und nur in geeigneter Weise adap­

tiert werden muss. Welche Rolle für die Ausgabenintensität bei der Rechtsprechung der bedeutsame Sektor der Finanzdienstleistungen spielt, ist der empirischen Analyse vorbehalten. Höhere relative Aus­

gaben sollten für das Polizeiwesen im Kleinstaat an sich nicht anfal­

len, insbesondere dann nicht, wenn das Staatsgebiet keine grossen städtischen Agglomerationen aufweist. Auch für das Feuerwehrwe­

sen und die zivile Landesverteidigung sind ex ante keine diseconomies of scale zu erwarten. Diese könnten aber beim Strafvollzug auftreten, falls für das Gefängniswesen eigene Strukturen aufgebaut werden.

Die militärische Landesverteidigung müsste zu einer Belastung von null führen, falls der Kleinstaat von keiner Seite zu Ausgleichszahlun­

gen herangezogen wird.

- Aussenbeziehungen:

Die Gestaltung und Wahrnehmung von politischen und wirtschaft­

lichen Beziehungen zum Ausland ist naturgemäss eine Kernaufgabe eines Staates. Ein Netzwerk von politischen und wirtschaftlichen Aussenbeziehungen aufzubauen und zu pflegen, ist für den Kleinstaat von existenzieller Bedeutung. Dabei müssen nicht sämtliche Aktivitä­

ten selbst produziert werden, vielmehr dürfte in manchen Bereichen auch die Sicherung der Bereitstellung ausreichen. Falls sich der Klein­

staat bestimmte Nischen - etwa in der Aussenwirtschaftspolitik - re­

servieren will, wird er selbst entsprechende Kapazitäten aufbauen müssen. Ein Kleinstaat wird im Zweifelsfall auch völlig um Entwick­

lungshilfe herumkommen (können), auch wenn dies bei einem sehr entwickelten Land keine sonderlich solidarische Haltung wäre.

Werden im Bereich der Aussenbeziehungen die entsprechenden Aufgaben (Aussenpolitik, Aussenwirtschaftspolitik) an einen Nach­

barstaat (stillschweigend) delegiert, so ist eine relativ kleine Belastung zu erwarten. Betreibt der Kleinstaat hingegen eine aktive Aussen(wirt-schafts)politik (mit eigenen behördlichen Strukturen), so werden auf­

grund der fehlenden Grösse deutlich überdurchschnittliche Ausgaben zu erwarten sein. Bei Liechtenstein liegt eine Mischung zwischen die­

sen beiden Bereitstellungsformen vor, so dass in diesem Bereich insge­

samt eher mit nur leicht überproportionalen Ausgaben zu rechnen ist.

- Bildungswesen:

Das Bildungswesen ist ein sehr heterogener Bereich. Der Kleinstaat stösst auch in diesem Bereich mangels Einwohnern in den entspre­

chenden Alterskohorten rasch an seine natürlichen Grenzen. Keine der Aufgaben im Bildungswesen ist aus Gründen der Souveränität eine absolute Kernaufgabe des Kleinstaates, allerdings wird man aus Gründen der Identität und der Notwendigkeit der Bereitstellung haushaltsnaher Infrastruktur Kindergärten und Volksschulen und -schon abgeschwächt - auch allgemeinbildende Schulen im Inland be­

reitstellen (müssen). Dies impliziert auch eigene Schulgesetze und eine eigene Schulleitung, allerdings wird der Kleinstaat nicht bei allen diesbezüglichen Regelungen "das Rad neu erfinden" müssen.

Bei der Lehrerausbildung könnte aus Aspekten der Identität und bei der Berufsbildung aus solchen der Prosperität eine Eigenproduk­

tion ins Auge gefasst werden. Bei höherer Berufsbildung und bei Hochschulen ist eine solche nicht zu erwarten. Die öffentliche Auf­

gabe besteht vielmehr darin, die Benützung solcher Einrichtungen für die Einwohner zu akzeptablen Bedingungen sicherzustellen. Das übrige Bildungswesen mag für Identitäts- und Prosperitätszwecke eine Bedeutung haben, unverzichtbare Staatsaufgaben dürften sich dahinter keine verbergen.

Was die Ausgabenintensität anlangt, so ergeben sich - aus Grös-sennachteilen - für die Kindergärten, Primarschulen, die allgemein­

bildenden Sekundärschulen und das übrige Bildungswesen - mit Aus­

nahme der Notwendigkeit von Schulgesetzen und Schulleitung -wenig Anhaltspunkte für überdurchschnittliche Ausgaben. Je spezia­

Soll-Profil der Aufgabenbereiche und ökonomischen Aggregate lisierter das Bildungswesen wird (berufsbildende Schulen, Hochschu­

len), desto eher ist eine Mitbenützung ausländischer Einrichtungen zu erwarten. Uber die relative Ausgabenposition wird in diesem Be­

reich a priori eine Null-Hypothese aufgestellt. Letztlich hängt es von den Abgeltungsbedingungen (Kostenbeteiligungen) und der Benüt­

zung ab, wieviel Aufwand der Kleinstaat hier zu betreiben hat.

Kultur und Freizeit:

Kulturförderung und Sport sind für die Souveränität von geringer, für die Identitätsbildung hingegen oft von ausserordentlicher Be­

deutung. Sie können einen Teil des emotionalen "Kitts" des Klein­

staates bilden. Analoges gilt auch für die in dieser Ausgabenaufstel­

lung nicht enthaltene, mögliche Staatsaufgabe Medien(förderung), für die im Kleinstaat zwecks Erhaltes der Meinungsvielfalt ein ge­

wisser Anlass gegeben wäre, da zum Beispiel im Printbereich die Einnahmen aus dem Verkauf und den Werbeeinschaltungen bei ge­

ringer Auflage vergleichsweise niedrig sein dürften. Analoges gilt für Radio und Fernsehen.

Im Bereich der Kultur ist aus der Diskussion um Infrastrukturein­

richtungen zu erwarten, dass permanente Theater oder Orchester normalerweise von Kleinstaaten nicht unterhalten werden, wobei hier auch historische Usancen hineinspielen mögen (zum Beispiel in Österreich). Im übrigen wird der Kleinstaat zur Betonung seiner Identität verstärkt kulturelle und sportliche Einrichtungen oder An­

lässe fördern (Museum, Bibliothek; Sporteinrichtungen und -anlässe).

Die Ausgaben dürften aus den genannten Motiven deshalb über­

durchschnittlich hoch sein.

Gesundheitswesen:

Im Gesundheitswesen ist es wahrscheinlich, dass spezialisierte Schwerpunkt-Araw&ewawsta/te« aufgrund des dafür erforderlichen Einzugsgebietes nicht von oder in Kleinstaaten betrieben werden. Ein Standardkrankenhaus weist hingegen eine stark identitätsstiftende Funktion auf und gehört wohl auch zur Wohninfrastruktur des Kleinstaates. Auch das übrige, extramurale Gesundheitswesen ist selbstverständlich im Kleinstaat bereitzustellen, wobei die Möglich­

keiten zur Inanspruchnahme von ausländischen Fachärzten durchaus eine kostendämpfende Massnahme darstellen können.

Was die Ausgabenintensität des Gesundheitswesens anlangt, so hängt die Ausgabenbelastung der Gebietskörperschaften massgeblich davon ab, wie das System der Krankenversicherung und dessen Lei­

stungen konstruiert sind und inwieweit die Patienten zur Finanzie­

rung herangezogen werden (Selbstbehalte, Privatversicherung). Des­

halb kann a priori über die relative budgetäre Belastung der Gebiets­

körperschaften keine Aussage getroffen werden. Im Zweifel wird der Kleinstaat insbesondere gehobene stationäre Leistungen aus dem Ausland zukaufen, und dann hängt es von den vertraglichen Verein­

barungen ab, wie die durchschnittliche Belastung ausfällt. Im konkre­

ten Fall von Liechtenstein ist die geographische Lage von Bedeutung.

In sehr kurzer Fahrdistanz zu praktisch allen Gemeinden Liechten­

steins liegen sowohl in der Schweiz wie auch in Osterreich attraktiv ausgestattete Krankenanstalten.

Auch bezüglich der übrigen Gesundheit (inkl. Gesundheitsverwal­

tung wie: Gesundheitspolizei, Lebensmittelkontrolle) ist kaum zu er­

warten, dass trotz eigenständiger Erfüllung dieser Aufgaben die Aus­

gaben im Kleinststaat überdurchschnittlich ausfallen sollten.

- Sozialwesen:

Im Sozialwesen hängt die Ausgabenbelastung der Gebietskörper­

schaften massgeblich von der Ausgestaltung des Sozialversicherungs­

systems (Alter, Unfall, Krankheit, Arbeitslosigkeit) und dessen Lei­

stungen ab. Für die Souveränität des Kleinstaates ist ein völlig eigen­

ständiges Sozialversicherungswesen keineswegs erforderlich, wohl aber müssen aus Gründen der Identität und vor allem der Prosperität entsprechende Sicherungen der Bereitstellung (eventuell aus dem Aus­

land) vorgesehen werden. Es ist eine überraschende Einsicht bei der Betrachtung von Kleinstaaten, dass solche Umverteilungsaktivitäten, die im Zug ausgebauter Wohlfahrtsstaaten der Gegenwart im Ver­

ständnis der meisten Menschen einen Kernbereich staatlicher Aufga­

ben darstellen, über weite Strecken von Nachbarstaaten (oder privaten Versicherungen) zugekauft werden können. Insbesonders kann sich der Kleinstaat statt der Einrichtung einer Pflichtversicherung auch auf die Option Versicherungspflicht zurückziehen.

Der soziale Wohnbau hat keinen Souveränitätsgehalt, ganz im Ge­

gensatz zu den identitätsbildenden Wirkungen solcher Massnahmen und ihrer Bedeutung für das Beschäftigungssystem. Jugendschutz zählt

Soll-Profil der Aufgabenbereiche und ökonomischen Aggregate ebenso wie Fürsorge zur Herstellung eines Mindestmasses an sozialer Gerechtigkeit wohl unbestritten zu den Kernaufgaben eines Staates.

Im Hinblick auf die Ausgaben ist zu erwarten, dass die Eigenpro­

duktion von Sozialversicherungen im Kleinstaat überproportional teu­

rer wäre als der Fremdbezug. Bei letzterem hängt es naturgemäss von den vertraglichen Vorkehrungen ab. Eine insgesamt jüngere Bevölke­

rung sowie Vollbeschäftigung müssten aber in relativ unterproportio­

nalen Ausgaben ihren Niederschlag finden. Mit der Förderung des (so­

zialen) Wohnbaus werden individuell zurechenbare Vorteile gewährt, denen ein besonderer politischer Stellenwert zugemessen wird. Da­

durch werden die Ausgaben überdurchschnittlich hoch sein. Jugend­

schutz und Fürsorge sollten im Kleinstaat nicht überproportional aus­

gabenintensiv sein. Teilaufgaben können von Gemeinden, Non-Profit-Organisationen und privaten Haushalten übernommen werden.

Verkehr:

Beim Verkehrswesen stehen zum Teil Identitätsaspekte, vor allem aber wirtschaftliche Auswirkungen einer funktionierenden Verkehrs­

infrastruktur im Vordergrund. Der Kleinstaat wird den Bau und den Erhalt von Staats- und Gemeindestrassen sowie den Regionalverkehr im Auftragsweg vergeben. Er wird darüber hinaus die Benützung von Autobahnen und der Bundesbahnen für Haushalte und Unternehmen sicherstellen.

Beim Bau und dem Erhalt des niederrangigen Verkehrsnetzes (Ge­

meinde- und Staatsstrassen) sind - abgesehen von topographischen und geologischen Gegebenheiten - keine Ausgabenunterschiede zu erwarten, wobei es auf das Ausmass an zugelassener Konkurrenz an­

kommt, wie preisgünstig der Kleinstaat diese Leistungen einkauft.

Analoges gilt für den Regionalverkehr. Ein Kleinstaat sollte, muss aber nicht unbedingt über ein hochrangiges Verkehrsnetz (Autobah­

nen, Bahnverbindung) verfügen. Sollte der Kleinststaat durch Nach­

barstaaten an das hochrangige Verkehrsnetz angebunden sein, ohne dass dies abgegolten werden muss, so sind im Kleinstaat relativ nied­

rigere Ausgaben als in den Nachbarstaaten zu erwarten.

Umwelt und Raumordnung:

Im Bereich der technischen Infrastruktur (Wasserversorgung, Abwas­

ser- und Abfallentsorgung, Brandschutz) stehen naturgemäss Prospe­

ritätsziele im Vordergrund. Allerdings können Gewässer- (zum Bei­

spiel Rhein-) und Lawinenverbauung auch identitätsstiftend sein. Die Raumordnung selbst ist eine absolute Kernaufgabe des Kleinstaates.

Bezüglich der Ausgabenintensität spielt der Aufgabenmodus bei Abwasser- und Abfallbeseitigung eine sehr bedeutende Rolle. So sind unter anderem kommunale Zusammenschlüsse (Gemeindever­

bände) zu erwarten. Da in diesen Bereichen auch durchaus Koope­

rationen über Staatsgrenzen hinweg denkbar sind, können optimale Einzugsgebiete für zentrale Anlagen erreicht werden. Damit erge­

ben sich aus produktionsseitigen Überlegungen keinerlei Anhalts­

punkte für eine relative Mehrbelastung des Kleinstaates. Da die Schweiz und Liechtenstein bezüglich der topographischen Struktur recht ähnlich einzuschätzen sind, ergibt sich auch bezüglich der Ge­

wässer- und Lawinenverbauungen a priori kein Anhaltspunkt für eine relative Mehrbelastung Liechtensteins. Allerdings mögen hier mögliche Rücksichtsnahmen auf heimische Unternehmen bei der Auftragsvergabe das Bild stark verändern. Bei der Raumordnung hingegen mögen diseconomies of scale auftreten, wie sie mit den meisten Verwaltungsaufgaben im Kleinstaat verbunden sind, die sich aber im Rahmen halten müssten.

Volkswirtschaft:

Die verschiedenen Teilgebiete des Bereiches Volkswirtschaft (Land-und Forstwirtschaft, Tourismus, Industrie, Gewerbe, Handel (Land-und Energie) haben eines gemeinsam: Die Gestaltung ihrer Rahmenbedin­

gungen und die Sicherung von Energie ist eine unverzichtbare Kern­

aufgabe auch des Kleinstaates. In der Realität der Internationalisie-rung, der Liberalisierung und der Globalisierung der wirtschaftlichen Austauschprozesse wird der Kleinstaat seine Erwartungen zurückge­

bunden haben. So kann es in diesem Bereich nur darum gehen, die ei­

gene Nische innerhalb des internationalen Regelgeflechtes (zum Bei­

spiel im EWR) abzusichern.

Analoges gilt auch für jene Bereiche, die im gegenständlichen Aus­

gabenschema nicht enthalten sind, wie zum Beispiel die Sicherung der Bereitstellung des Geld- und Währungswesens, die Sicherung der Aus-sengrenzen (zum Beispiel Zollwesen) sowie die Sicherung der Bereit­

stellung von PTT-Leistungen. Beim Geld- und Währungswesen er­

reicht der Grossteil der Mitglieder der EU mit dem Inkrafttreten der

Soll-Profil der Aufgabenbereiche und ökonomischen Aggregate Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion erst einen Status, wie ihn Liechtenstein mit der Einführung des Schweizer Frankens bereits seit den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts innehat: eine Entnatio­

nalisierung des Geld- und Währungswesens, verbunden mit einer Reihe von Vorteilen und einer Aufgabe von Identität, die viele Staaten (erstaunlicherweise) gerade mit einer eigenständigen Währung verbin­

den. Bei den PTT-Leistungen umfasst der Untersuchungszeitraum dieser Studie nicht die jüngsten Liberalisierungsschritte.

Uber die Ausgabenintensität dieser Aktivitäten sind ex ante keine Voraussagen zu treffen. Auf die Höhe der Förderung von Land- und Forst(Wald-)wirtschaft nehmen die geltende Marktordnung (Preis-und Abnahmegarantien) (Preis-und die topographischen Gegebenheiten (Alpwirtschaft) massgeblich Einfluss. Bei der Gestaltung der Rah­

menbedingungen sind im Kleinstaat naturgemäss höhere Verwal­

tungsaufwendungen erforderlich, die aber bereits im Bereich der all­

gemeinen Verwaltung erfasst sind. Darüber hinaus ist der Bereich Volkswirtschaft natürlich ein Einfallstor für politisch induzierte Wirtschaftsförderungen aller Art. Lässt man diesen Aspekt ausser acht, so müssten hier in Anbetracht des Erfolges der Liechtensteiner Volkswirtschaft keine überdurchschnittlichen Ausgaben auftreten, zumal wesentliche Aufgaben bereits im Zollvertrag geregelt sind und durch die Schweiz wahrgenommen werden.

- Finanzen und Steuern:

Besteuerung gehört zu den Kernaufgaben des Kleinstaates, schon aus Gründen der Souveränität, aber auch der Prosperität. Auch hier kön­

nen internationale Verträge dazu führen, dass bei bestimmten Steuern Souveränität abgegeben wird (zum Beispiel Mehrwertsteuer). Eben­

falls aus Gründen der Prosperität und wohl auch aus Gründen der horizontalen Gerechtigkeit und damit der Identität in einem Land ist ein Finanzausgleich erforderlich, während es grundsätzlich denkbar wäre, die Vermögens- und Schuldenverwaltung durch Dritte wahr­

nehmen zu lassen, besonders dann, wenn im Privatsektor soviel Ex­

pertise wie in Liechtenstein vorhanden ist. Die Verwaltungsausgaben in diesem Bereich werden unter allgemeiner Verwaltung geführt, wo­

bei hier beim Aufbau und Betreiben eines eigenen Steuersystems und eines ausgefeilten Finanzausgleichs zwischen insgesamt elf Gemein­

den naturgemäss stark überproportionale Ausgaben anfallen.

Der Umstand, dass in Liechtenstein der Schuldendienst überaus klein und die Rücklagengebarung vergleichsweise gross ist, sollte in diesen Bereichen zu deutlich anderem Ausgabeverhalten als in den Ver­

gleichsstaaten führen.

Die Aussagen zum Soll-Profil und zur relativen Ausgabenintensität der öffentlichen Aufgabenerfüllung sind in Tabelle 2.1 zusammengefasst.

2.4:2.2 Anmerkungen zur öffentlichen Aufgabenerfüllung im Kleinstaat auf Basis ökonomischer Ausgabenaggregate

Die Aufgliederung der ökonomischen Aggregate orientiert sich an der üblichen Einteilung in Personalaufwand, Intermediärverbrauch, Brutto-kapitalbildung (Investitionen), intragovernmentale Transfers (Finanzzu­

weisungen), extragovernmentale Transfers (Subventionen, Transfers), Schuldentilgung, Zinsen und Rücklagenzufuhr (siehe Gantner 1989, S. 239). Üblicherweise werden mit Hilfe der ökonomischen Gliederung die Auswirkungen staatlicher Tätigkeit auf den Wirtschaftskreislauf ana­

lysiert. Die Gliederung nach ökonomischen Ausgabearten kann aber auch dazu verwendet werden, den Modus der Leistungserstellung näher zu analysieren. Es ist zu erwarten, dass im Kleinstaat bei einzelnen öf­

fentlichen Aufgaben eine weitgehend andere Kombination von ökono­

mischen Instrumenten zum Einsatz kommt als in grösseren Staaten (zum Beispiel im Gesundheitswesen, wegen der Zukäufe von Kranken­

hausleistungen). In diesem Zusammenhang könnte man mit einer Kreuzgliederung (Gliederung der Ausgaben nach Aufgaben einerseits

hausleistungen). In diesem Zusammenhang könnte man mit einer Kreuzgliederung (Gliederung der Ausgaben nach Aufgaben einerseits