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2. Grundzüge einer Theorie öffentlicher Aufgabenwahrnehmung in Kleinstaaten

2.1 Ziele und Anreize für Kleinstaaten

2.1.3 Anreize für das Innenverhältnis

Im Innenverhältnis gilt es, interne Konsistenz zu wahren, das heisst, genügend Anknüpfungspunkte für den Aufbau und die Bewahrung der eigenen Identität (vgl. Kellenberger 1996) zur Verfügung zu stellen. Der Kleinstaat benötigt eine "Binnentraditionalität zur Identifikationserhal­

Anreize für das Innenverhältnis

tung" (Geser 1993, S. 45). Dies hängt auch damit zusammen, dass es im Kleinstaat - unter normalen Umständen und eine entsprechende geogra­

phische Lage vorausgesetzt - überproportional viele Aussenkontakte gibt. Damit kommt es zur Möglichkeit des ständigen Vergleichens mit den Verhältnissen im Ausland.

Der Kleinstaat steht also unter einem ständigen und höheren Ver­

gleichsdruck. Um zentrifugalen Kräften entgegenzuwirken, muss der Kleinstaat - im ökonomischen, rechtlichen, politischen und im emotiona­

len Bereich - ein positives Gefälle zu seinen Gunsten erzeugen. In diesem Zusammenhang ist beispielsweise die Steuerpolitik ein geeignetes Instru­

ment, weil sie die Basis für Wohlstand legen kann und gemeinsamer Wohlstand einen besonderen "Kitt" für den inneren Zusammenhalt ab­

gibt. Darüber hinaus können diese Rolle auch in der Geschichte ge­

wachsene Ausprägungen von Institutionen, zum Beispiel monarchische Komponenten der Verfassung (wie in Liechtenstein oder Monaco) und Möglichkeiten der Selbstbestimmung oder besondere Anstrengungen und Erfolge im kulturellen oder sportlichen Bereich wahrnehmen.

Um - als kleiner Exkurs - die Steuerpolitik noch unter einem anderen Aspekt anzusprechen, der einerseits zu Anreizen nach innen führt und andererseits einen wichtigen Beitrag von Kleinstaaten im Aussenverhält-nis darstellt: In der Geschichte führte exzessive Steuerpolitik immer wieder zu Sezessionen und zur Bildung von neuen Staaten (zum Beispiel Bostoner Tea-Party). Dies ist besonders dann zu erwarten, wenn sich eine (regionale) Minderheit von einer Mehrheit in einem Staatswesen ausgebeutet fühlt. So zeigen Buchanan und Faith (1987), wie die Option einer Sezession die Möglichkeiten der steuerlichen Ausbeutung einer Minderheit durch die Mehrheit "deckelt". Insofern sind Steuerfragen für die Grösse von Staaten von Bedeutung. Man könnte aber noch weiter gehen: Wie Koslowski (1998) ausführt, können in einer globalisierten Wirtschaft "kleine Länder einen Vorteil erlangen [...], wenn sie niedrige Steuersätze im Inland einführen und dadurch ausländisches Kapital aus den grossen Ländern mit hohen Steuersätzen anziehen. [...] langfristig kann dieser komparative Vorteil der kleinen Staaten die Steuerbasis der grossen Länder so aushöhlen, dass diese zu erheblichen Senkungen der Steuersätze gezwungen sind." So gesehen, hätten kleine Länder - oder auch Kleinstaaten - die wichtige Rolle, den Besteuerungs-Leviathan in anderen Staaten in Schach zu halten und ihn zu einer Harmonisierung nach unten zu zwingen.

Eine ganz besondere Bedeutung bei der Identitätsstiftung von Staaten kommt den Bürgerrechten und ihrer besonderen Ausprägung zu. Der Nationalstaat bildet den Anknüpfungspunkt der Bürgerrechte. Die öko­

nomische Theorie versucht, mit einer Reihe konkurrierender oder sich ergänzender Ansätze zum einen zu zeigen, dass die Abgrenzung in ein­

zelne Staaten aus dem Eigeninteresse der Beteiligten sowohl individuell als auch kollektiv rational ist. Ferner kann sie erklären, dass es Argu­

mente gibt, die es rational erscheinen lassen, Souveränitätsrechte nach aussen abzugeben, aber gleichzeitig auch, die Vorteilhaftigkeit der Mit­

gliedschaft im betreffenden Staatswesen möglichst attraktiv zu erhalten.

Beispiele für solche Argumentationsketten sind:

- Staatlichen Leistungen kommt ein Clubcharakter zu. Diese lebens­

begleitende "Clubmitgliedschaft" ist nicht nur eindimensional (zum Beispiel berufsbezogen), sondern netzartig und umfasst viele Lebens­

bereiche (Congleton 1995).

- Staatsbürgerschaft hat neben der politischen vor allem eine ökonomi­

sche Dimension. Der Staat teilt Verfügungsrechte zu (Coleman 1995).

- Staaten stellen eine gemeinsame Kultur zur Verfügung, die Transak­

tionskosten senkt (Hardin 1995).

- Die Solidarität innerhalb von Staaten verringert die Risiken, die mit der Arbeitsteilung verbunden sind, und wirkt deshalb wohlstands­

erhöhend (Pagano 1995).

- Der Staat ist ein Instrument, um rent seeking durch Protektionismus zu erleichtern (Congleton 1995).

- Der Nationalstaat kann eine bedeutsame symbolic Utility stiften (Lafay 1995).

Im einzelnen Staat wird üblicherweise festgelegt, wer politische und so­

ziale Rechte hat, wer auf das Angebot des Sozialstaates zugreifen darf und wer nicht (Bürgerrechte). Es geht vor allem um soziale und ökono­

mische Anrechte. Die ökonomische Theorie zeigt (Alesina/Spolaore 1997), dass es für die Eigeninteressen verfolgenden Bürger rational ist, eher für kleinere staatliche Einheiten mit möglichst homogenen Präfe­

renzen und mit realistischen Möglichkeiten der Partizipation zu sein als für staatliche Gebilde mit heterogenen Präferenzen und mangelnden Möglichkeiten der Mitbestimmung. Aus demselben Grund wird auch die Immigration beschränkt. Es gilt, die Vorteile der "Clubmitglied­

schaft" zu lukrieren (Breton/Breton 1995). Homogene Präferenzen im­

plizieren definitionsgemäss, dass sich der einzelne oder die Mitglieder

Beiträge verschiedener ökonomischer Theorierichtungen mit ihnen identifizieren, weil ansonsten Homogenität als sozialer Druck oder als Mangel von Optionen empfunden würde.

- Hypothese (zur Ausgabenintensität):

Die Ausgabenstruktur des Kleinstaates wird ein Schwergewicht bei jenen Aufgaben aufweisen, die unmittelbar spürbar den eigenen Staatsbürgern zugute kommen (zum Beispiel Förderungen, Subven­

tionen, Beschäftigung).

- Hypothese (zur Aufgabenpriorität):

Der Kleinstaat wird bei den Rechten sehr deutlich zwischen In- und Ausländern unterscheiden (zum Beispiel Berufsprotektionismus, Er­

werb von Immobilien).

Während es eine ständig zu leistende Aufgabe des Kleinstaates darstellt, Identität zu stiften, können die Vorteile der Nähe auch in die Nachteile der Enge umschlagen: Der Kleinstaat ist gut beraten, wenn er dem inter­

nen Druck, eine protektionistische Politik in bestimmten Bereichen zu betreiben (zum Beispiel öffentliches Auftragswesen), nicht nachgibt und den geschützten Sektor möglichst klein hält. Aus der Kleinheit folgt nämlich, dass es auf den meisten Gebieten nur sehr wenige Anbieter gibt. Dann kann es leicht zu "Absprachen und Kartellierungstenden-zen" kommen (vgl. Rothschild 1993, S. 82).

2.2 Beiträge verschiedener ökonomischer Theorierichtungen