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2. Grundzüge einer Theorie öffentlicher Aufgabenwahrnehmung in Kleinstaaten

3.3 Internationaler Vergleich der Gemeindehaushalte

3.3.3 Interregionaler Vergleich der Gemeindehaushalte Neben dem gerade präsentierten Vergleich mit allen Schweizer Ge

meinden erscheint es interessant, die Liechtensteiner mit ihren unmit­

telbaren Nachbargemeinden im Kanton St. Gallen beziehungsweise in Vorarlberg zu vergleichen.81 Wie bei allen internationalen Vergleichen

81 Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Projektteils (1995) bildete das Jahr 1993 den jüngstverfügbaren Vergleichszeitraum. Da die Konsolidierung einen hohen Aufwand erfordert und die Ergebnisse über die Zeit hin recht stabil bleiben dürften, wurde von einer Aktualisierung abgesehen.

Interregionaler Vergleich der Gemeindehaushalte

Abbildung 3.23: Schema für die Aggregatbildung (Vergleich der Ge­

meindehaushalte)

Aggregat Liechtenstein St. Gallen Vorarlberg

Allgemeine

ist bei der Interpretation der Daten auf die institutionellen Besonder­

heiten Bedacht zu nehmen.

Exkurs: Vorbemerkungen zur Vergleichbarkeit der Rechnungsmodelle Die kommunalen Rechenwerke der Schweiz/Liechtensteins einerseits und Österreichs andererseits unterscheiden sich in wesentlichen Aspek­

ten (insbesondere Abschreibungen in der Schweiz, siehe dazu Palm 1991). Für die nachfolgenden Auswertungen wurden die Haushalte so­

weit konsolidiert, dass die Ausgaben und Einnahmen miteinander ver­

glichen werden können.

Darüber hinaus gliedern das österreichische beziehungsweise das Schweizer kantonale Rechnungsmodell die Aufgabenbereiche durchaus unterschiedlich. Zudem waren die Liechtensteiner Gemeinden im Beob­

achtungszeitraum (1993) gerade dabei, ihren Haushalt auf das kantonale Rechnungsmodell umzustellen.82 Für die Zwecke des Vergleiches der Gemeinden der drei Regionen musste also eine Gliederung gefunden werden, die ohne grössere Probleme anwendbar ist und trotzdem noch gehaltvolle Aussagen erlaubt. Insbesondere sind folgende Anpassungen beziehungsweise Verdichtungen und Vereinfachungen vorgenommen worden (siehe Abbildung 3.23).

Die allgemeine Verwaltung und der Aufgabenbereich Feuerwehr/

Sicherheitswesen sind ohne weiteres vergleichbar. Einzig die Gemeinde­

polizei verzerrt den Vergleich etwas: Während diese in Liechtenstein unter die allgemeine Verwaltung fällt, gehört sie in St. Gallen und Vor­

arlberg zu Feuerwehr/Sicherheitswesen. Da die Aufwendungen der Gemeindepolizei nicht sehr hoch sind, ist auf deren Herausschälung verzichtet worden.

Das Schulwesen umfasst in Liechtenstein die Primarschulen und die Kindergärten. Zu beachten ist allerdings, dass die St. Galler Gemeinden (über Schulgemeindeverbände) für alle Volksschulen, also auch für Ober- und Realschulen zuständig sind, während die österreichischen lediglich für die Hausverwaltung und Investitionen/Instandhaltung der Gebäude Sorge tragen müssen.

Ausgaben, die eigentlich dem Bereich Kultur und Freizeit zuzuord­

nen wären, können aufgrund des grösstenteils vorhandenen Nahverhält­

nisses der Sportplätze zu Schulen ebenso im Bereich Schulwesen anzu­

treffen sein. Lediglich Förderungen für Sportvereine und Jugendeinrich­

tungen sind in Vorarlberg in anderen Gruppen zu finden (allgemeine Verwaltung beziehungsweise soziale Wohlfahrt).

Das Sozialwesen musste mit dem Gesundheitswesen zusammenge-fasst werden.

Da die einzelnen Agenden in den Rechnungsmodellen keineswegs einheitlich verortet sind, musste das Bauwesen mit dem Bereich der technischen Infrastruktur (Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, Umweltschutz) zusammengelegt werden. Ebenso in diese Gruppe auf­

genommen worden sind die Liegenschaftsrechnung, die Waldwirtschaft, die Forstwirtschaft sowie gemeindeeigene Betriebe (Volkswirtschaft).

Die Finanzwirtschaft bildet wiederum einen recht homogenen Be­

reich.

82 Einige hatten diese Umstellung bereits vollzogen, andere noch nicht.

Interregionaler Vergleich der Gemeindehaushalte

Tabelle 3.25: Interregionaler Vergleich der Gemeindeausgabenstruktur (1993, in CHF pro Einw.)

Ausgaben Nettobelastung

FL SG Vlbg. FL SG Vlbg.

Allgemeine Verwaltung 626 615 330 562 349 274

Öffentliche Ordnung, Sicherheit 68 212 72 51 63 49

Schulwesen 1 119 1 623 516 918 1 554 333

Kultur, Freizeit 413 134 145 373 100 100

Soziale Wohlfahrt, Gesundheit 396 605 887 344 316 398 Bauwesen, techn. Infrastruktur 2 485 1 058 1 338 1 451 384 411 Finanz Wirtschaft 363 701 264 -3 741 -2 800 -1 559

Total 5 470 4 948 3 552 -42 -34 6

Quelle: diverse Gemeindestatistiken, eigene Berechnungen; Jahreswechselkurs: 100 CHF

= 787.41 ATS.

Neben der Schaffung einer vergleichbaren funktionalen Struktur be­

stehen aber weitere grundsätzliche Unterschiede zwischen den Rechen­

werken der beiden Staaten:

Bei den Gemeinden handelt es sich um elf Gemeinden in Liechten­

stein, 90 Gemeinden in St. Gallen und 96 Gemeinden in Vorarlberg. Um die Vorarlberger Daten vergleichbar zu machen, sind die Beträge mit dem Jahreswechselkurs für das Jahr 1993 umgerechnet worden (100 CHF = 787.41 ATS).

3.3.3.1 Volumen und Struktur der Gemeindeausgaben

Die Ausgabenvolumina sind in der letzten Zeile der Tabelle 3.25 abge­

tragen. Insgesamt geben die Liechtensteiner Gemeinden im Jahr 1993 um gut 500 CHF pro Einwohner (um ein Zehntel) mehr als die St. Gal­

ler und um die Hälfte mehr (um fast 2000 CHF) als die Vorarlberger Gemeinden aus. Im folgenden werden die einzelnen Aufgabenbereiche aus der Sicht der Liechtensteiner Gemeinden kommentiert:

Die Liechtensteiner Gemeinden verzeichnen in der allgemeinen Ver­

waltung etwa gleich hohe Ausgaben wie die St. Galler Gemeinden, die Vorarlberger Gemeinden fallen deutlich ab. Im Gegensatz zu den St. Galler verfügen die Liechtensteiner Gemeinden allerdings über keine

nennenswerten Einnahmen in diesem Bereich, wodurch sie eine markant höhere Nettobelastung aus der allgemeinen Verwaltung zu finanzieren haben (siehe rechts in Tabelle 3.25).

Bei der öffentlichen Sicherheit haben die Gemeinden in allen drei Regionen keine hohen Nettolasten zu tragen (allerdings ist bei den Liechtensteiner Gemeinden die Gemeindepolizei in der allgemeinen Verwaltung enthalten, vgl. weiter oben).83

Gravierende Unterschiede treten im Schulwesen auf. Die Liechten­

steiner liegen mit der Nettobelastung von 918 CHF zwischen den St. Galler Gemeinden, die fast ein Drittel ihres Budgets für schulische Belange aufwenden, und den Vorarlberger Gemeinden, die relativ gering aus dem Schulwesen belastet sind. In den Beträgen kommen wohl die unterschiedlichen (Finanzierungs-)Kompetenzen der Gemeinden im Schulbereich zum Ausdruck.

Bemerkenswert ist, dass die Liechtensteiner Gemeinden etwa das 3fache für Kultur/Freizeit ausgeben. Dieses Ergebnis bestätigt sich bei Betrachtung der Nettobelastung. Die Vorarlberger und St. Galler Ge­

meinden liegen hier etwa gleich auf.

Die Nettobelastungen der Gemeinden aus dem Sozial- und Gesund­

heitswesen unterscheiden sich im interregionalen Vergleich kaum. Die hohen Ausgaben der Vorarlberger Gemeinden aus der Trägerschaft von Krankenanstalten (vor allem durch die Städte Dornbirn, Bregenz, Blu-denz und Hohenems) und Pflegeheimen werden durch Einnahmen weitgehend kompensiert.

In der Sammelposition Bauwesen/technische Infrastruktur verzeich­

nen die Liechtensteiner Gemeinden deutlich höhere Ausgaben als ihre Nachbarn: Fast die Hälfte des Budgets fliesst in diesen Bereich. Dem stehen zwar auch recht hohe Einnahmen gegenüber, allerdings ver­

bleibt den Liechtensteiner Gemeinden eine um das 3fache höhere Nettobelastung. Offensichtlich verzichten die Liechtensteiner Gemein­

den darauf, sämtliche Ausgaben aus der technischen Infrastruktur (Ab­

wasser, Wasser, Abfall) in Form von Gebühren auf die Wirtschaftssub­

jekte umzulegen.84

83 Die St. Galler Gemeinden geben zwar deutlich mehr aus, haben jedoch entsprechende Einnahmen zu verbuchen.

84 Die Ausgaben in der Position Finanzwirtschaft sind für sich schwer zu interpretieren.

Deshalb wird davon Abstand genommen.

Interregionaler Vergleich der Gemeindehaushalte

Tabelle 3.26: Interregionaler Vergleich der Gemeindeeinnahmenstruktur

Liechtenstein St. Gallen Vorarlberg

Allgemeine Verwaltung 64 266 56

Öffentliche Ordnung, Sicherheit 17 149 23

Schulwesen 201 69 183

Kultur, Freizeit 40 34 45

Soziale Wohlfahrt, Gesundheit 52 289 489

Bauwesen, techn. Infrastruktur 1 034 674 927

Finanzwirtschaft 4 104 3 501 1 823

Total 5 512 4 982 3 546

Quelle: diverse Gemeindestatistiken, eigene Berechnungen; Jahreswechselkurs: 100 CHF

= 787.41 ATS.

3.3.3.2 Volumen und Struktur der Gemeindeeinnahmen

Die Liechtensteiner Gemeinden verzeichnen relativ hohe Nettobela­

stungen in den Bereichen allgemeine Verwaltung, Kunst/Freizeit und Bauwesen/technische Infrastruktur, die so aus dem Vergleich des Auf­

gabenbestands nicht zu erwarten waren. Welchen Einfluss übt,dabei die Höhe der Einnahmen aus?

Tabelle 3.26 spiegelt die Einnahmensituation der Gemeinden wider.

Die Liechtensteiner Gemeinden sind demnach im Jahr 1993 mit 5512 CHF pro Einwohner am besten ausgestattet. Die Schweizer, aber vor allem die Vorarlberger Gemeinden liegen - erwartungsgemäss - deutlich darunter. Die Finanzwirtschaft (eigene Steuern, Finanzausgleich) domi­

niert als Einnahmequelle, insbesondere bei den Liechtensteiner und Schweizer Gemeinden. Weitere grössere Einnahmepositionen bilden der Komplex Bauwesen/technische Infrastruktur für die Liechtensteiner und Vorarlberger Gemeinden (wenn sie auch für die Liechtensteiner Ge­

meinden nicht kostendeckend sind).85

Inwieweit verfügen die Gemeinden bezüglich der Einnahmen über Autonomie? Hier besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen den St. Galler Gemeinden einerseits und den Liechtensteiner beziehungs­

weise Vorarlberger Gemeinden andererseits: Während sich die St. Galler

85 Die Vorarlberger Gemeinden stützen sich zudem auf Einnahmen aus dem Sachbereich soziale Wohlfahrt/Gesundheit, was mit der Krankenhaus- und Pflegefinanzierung zu­

sammenhängt.

Gemeinden überwiegend durch eigene Steuern finanzieren und diese auch bis zu einem gewissen Grad autonom festsetzen (Steuerfuss), er­

halten die Liechtensteiner und Vorarlberger Gemeinden vornehmlich Mittel aus dem Finanzausgleich, die eigenen Steuern spielen meist keine grosse Rolle86, ein autonomer Handlungsspielraum (Steuerfuss, Hebe­

satz) besteht de facto kaum.

Dies hat auch Auswirkungen auf die Kontrolle durch die Gemeinde­

bürger: Die Schweizer Stimmbürger bekommen über den Steuerfuss die zusätzlichen Ausgaben direkt zu spüren. Eine solche Rückkoppelung besteht in Liechtenstein und Vorarlberg in diesem Ausmass nicht.

3.4 Zwischenergebnisse

Kapitel 3 beschäftigt sich empirisch mit der tatsächlichen Aufgabener­

füllung im Fürstentum Liechtenstein. Mit Hilfe eines Vergleichs mit den Nachbarstaaten Osterreich und vor allem der Schweiz sollen die Eigen­

heiten der Aufgabenerfüllung dieses Kleinstaates erhoben werden. Zu­

sammenfassend können drei Arten von Ergebnissen vorgelegt werden:

1) zur Aufgabenwahrnehmung (Punkt 3.4.1)

2) zur funktionalen Ausgabenintensität und zur Nettobelastung im Ländervergleich (Punkt 3.4.2) und

3) zur Verwendung ökonomischer Ausgabenaggregate (Punkt 3.4.3).

Die Basis für die Beurteilung dieser Ergebnisse liegt vor allem im Soll-Profil der Aufgabenerfüllung, wie es im Abschnitt 2.4 entwickelt wurde. Diese drei Arten von Ergebnissen münden in abschliessenden Aussagen zu den im 2. Kapitel entwickelten vier Haupthypothesen über die Besonderheiten der Aufgabenerfüllung im Kleinstaat.