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2. Grundzüge einer Theorie öffentlicher Aufgabenwahrnehmung in Kleinstaaten

2.3 Haupthypothesen für die staatliche Aufgabenerfüllung im Kleinstaat Liechtenstein

Aus der Vielzahl der unter 2.1 und 2.2 aufgelisteten Hypothesen werden im folgenden insgesamt vier Haupthypothesen abgeleitet. Die Haupt­

hypothesen werden im Abschnitt 2.4 dazu verwendet, ein Soll-Profil der öffentlichen Aufgabenerfüllung in Liechtenstein abzuleiten. Dieses Soll-Profil wird dann in den beiden folgenden Kapiteln der Studie der Empi­

rie der tatsächlichen Aufgabenwahrnehmung gegenübergestellt.

2.3.1 Präsentation der Haupthypothesen - Hl: Selektive Aufgabenwahmehmung im Kleinstaat

Der Kleinstaat wird jene Staatsaufgaben, die ihm seine Souveränität, Identität und Prosperität sichern helfen, ohne Rücksicht auf die Aus­

gabenintensität selbst erfüllen.

- H2: Spezifische yiske-or-buy-Entscheidungen

Der Kleinstaat kann und muss nicht alle Staatsaufgaben selbst produ­

zieren: Einrichtungen mit kleinem (das heisst internem) Einzugs­

gebiet wird der Kleinstaat selbst bereitstellen. Die Ausgabenintensität (Nettobelastung) sollte nicht von jener grösserer Staaten abweichen.

Er wird die Nutzung von Einrichtungen, die ein grosses (das heisst überstaatliches) Einzugsgebiet erfordern und die die Nachbarstaaten ohnehin für ihre Bevölkerung bereitstellen, über Verträge absichern, soweit sie nicht unentgeltlich zur Verfügung stehen.

- H3: Budgetrelevante Besonderheiten des politischen Prozesses und der öffentlichen Verwaltung

Der politische Prozess sowie Grösse und Struktur der öffentlichen Verwaltung im Kleinstaat unterscheiden sich deutlich von jenem in grösseren Staaten und führen zu höherer Ausgabenintensität.

- H4: Unspezifische kommunale Aufgabenerfüllung, aber hohe Zentralisierung

Auf der Gemeindeebene dürften sich die Aufgaben und Ausgaben­

strukturen nicht von jenen anderer Staaten unterscheiden. Hingegen ist ein hoher Zentralisierungsgrad zu erwarten, da im Kleinstaat ein­

heitlichen Regelungen und der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse ein sehr hohes Gewicht beigemessen werden dürfte.

2.3.2 Aufgabenpriorität, Aufgabenmodus und Ausgabenintensität

Für die Interpretation der eben aufgestellten Haupthypothesen sind die Begriffe Aufgabenpriorität, Aufgabenmodus und Ausgabenintensität von erkenntnisleitender Bedeutung. Diese Begriffe sprechen unter­

schiedliche Ebenen der Aufgabenerfüllung an.

- Die Aufgabenpriorität steuert den Umfang und die Struktur der Auf­

gaben und gibt Antwort auf die Frage: Welche staatlichen Aufgaben sollen wahrgenommen werden?

- Davon muss der Aufgabenmodus unterschieden werden, bei welchem die Art und Weise der Aufgabenerfüllung im Vordergrund stehen.

Die entsprechende Frage lautet: Welche Organisation erfüllt auf wel­

che Art und Weise eine staatliche Aufgabef

Überdies ist dabei sehr klar zwischen Bereitstellung beziehungs­

weise Gewährleistung, Sicherstellung der Benützung, Wahrnehmung und Erfüllung als synonymen Uberbegriffen des Aufgabenmodus und der eigentlichen Produktion sowie der Finanzierung einer Auf­

gabe zu unterscheiden.

Wie bereits beim Outsourcing (Punkt 2.2.3) erwähnt, kommen hier als Produzenten neben dem Land, den Gemeinden und Gemeinde­

verbänden auch private Haushalte und Unternehmen, private Orga­

nisationen und das Ausland für die Leistungserstellung in Frage. Bei der öffentlichen Hand verbleibt dann häufig die Funktion der Ge­

währleistung, Bereitstellung, Sicherstellung der Benützung und ähn­

liches mehr. Die Finanzierung kann über den öffentlichen Haushalt laufen oder direkt zwischen Nachfragern und Anbietern abgerechnet werden.

- Die Ausgabenintensität ist eine Folge von Aufgabenpriorität und -modus. Die Fragestellung dabei lautet: Wieviel Ausgaben sind mit der Art und Weise der Erfüllung der betreffenden Aufgabe verbunden?

2.3.3 Anmerkungen zu den Haupthypothesen

In Haupthypothese 1 (Hl) wird ausgesagt, dass die betreffende Aufgabe von unverzichtbarer Bedeutung für Liechtenstein sei (Priorität). Dar­

über hinaus sollte sie auch selbst produziert werden (Modus). Weiters

Anmerkungen zu den Haupthypothesen

dürfte ihre Produktion sehr aufwendig sein (Ausgabenintensität).

Naturgemäss interessiert deshalb bei der Analyse der liechtensteinischen Aufgabenerfüllung, welche Bereiche in diese Kategorie fallen. Könnte es beispielsweise sein, dass auch prioritäre Aufgaben fremdbezogen sind und vergleichsweise günstig erhalten werden können?

In Haupthypothese 2 (H2) steht vor allem die Entscheidung make or huy im Vordergrund. Es wird weniger darauf geachtet, ob die betref­

fende Aufgabe prioritär ist oder nicht. Vielmehr steht der Modus der Aufgabenerbringung im Vordergrund. Falls die betreffende Aufgabe lediglich den Liechtensteiner Einwohnern zugute kommt, dürfte sie vorwiegend in Liechtenstein produziert werden. Die Ausgabenintensität sollte in diesem Fall nicht von jener grösserer Staaten abweichen, da eco-nomies of scale ausgenützt werden. Falls eine Aufgabe hingegen über­

staatlichen Charakter besitzt, also ein Einzugsgebiet umfasst, das weit über Liechtenstein hinausgeht, dürfte sie fremdbezogen sein. Auf die Ausgabenintensität kann in diesem Zusammenhang ex ante nicht ge­

schlossen werden. Auch bei H2 interessiert, welche Aufgaben Liechten­

steins welches Einzugsgebiet umfassen und ob spillovers auftreten und abgegolten werden.

In Haupthypothese 3 (H3) spielen die Besonderheiten des politi­

schen Prozesses und der öffentlichen Verwaltung eine Rolle. Es gilt ab­

zuschätzen, bei welchen staatlichen Aufgaben diese Bereiche besondere Konsequenzen für den Aufgabenmodus und die Ausgabenintensität aufweisen.

Bei der Haupthypothese 4 (H4) liegt das Hauptinteresse vor allem in der Aufgabenteilung zwischen den beiden gebietskörperschaftlichen Ebenen.

Im folgenden Abschnitt 2.4 wird auf dieser normativen Basis ein Soll-Profil der öffentlichen Aufgabenerfüllung in Liechtenstein erstellt. Von besonderem Interesse der nachfolgenden Kapitel 3 und 4 wird es sein, wie die tatsächliche Aufgabenerfüllung - gemessen an der Ausgaben­

intensität - von diesen Vorgaben abweicht.

In Abbildung 2.8 wird gezeigt, dass die einzelnen ökonomischen Theoriebereiche in unterschiedlichem Ausmass für Aufgabenpriorität und -modus verantwortlich sind.

Aus Abbildung 2.9 geht hervor, dass auch bei der Aufgabenpriorität Abstufungen vorgenommen werden können. Im gegenständlichen Fall werden die Aufgaben normativ drei Kategorien zugeteilt:

unverzicht-Abbildung 2.8: Ökonomische Theoriebausteine - ihr Verhältnis zu Auf­

gabenpriorität, Aufgabenmodus und Ausgabenintensität

Aufgabenpriorität

nisse Folge der unter

Neue Institutio­

bar, notwendig und nicht unbedingt notwendig. Es zeigt sich, dass bei den unverzichtbaren Aufgaben des Kleinstaates aus Gründen der Sou­

veränität, Identität und Prosperität die Eigenproduktion das Mittel der Wahl darstellen wird, während bei politischen Prioritäten nicht ex ante der Eigenproduktion oder dem Fremdbezug der Vorrang eingeräumt werden kann. Je weiter man zu den nicht unbedingt notwendigen Auf­

gaben fortschreitet, desto eher dürfte in normativer ökonomischer Be­

trachtung Fremdbezug überwiegen und Eigenproduktion die Aus­

nahme darstellen.

Soll-Profil der öffentlichen Aufgabenerfüllung in Liechtenstein

Abbildung 2.9: Verhältnis von Aufgabenpriorität zu Aufgabenmodus

Begründung Aufgabenpriorität

Unverzichtbar Notwendig Nicht unbedingt notwendig Souveränität Eigenproduktion Eigenproduktion /

Fremdbezug

Fremdbezug / Eigenproduktion Identität Eigenproduktion Eigenproduktion /

Fremdbezug

Fremdbezug / Eigenproduktion Prosperität Eigenproduktion Eigenproduktion /

Fremdbezug Eigenproduktion: Öffentliche Entscheidungsträger oder Einrichtungen (z.B. Verwaltung von Staat und Gemeinden) stellen diese Leistungen (abgesehen von externen Vorleistun­

gen) selbst her.

Fremdbezug: Die öffentliche Hand zieht sich auf die Sicherung der Bereitstellung (= Ge­

währleistungsfunktion) zurück. Externe Produzenten erstellen die betreffende Leistung.

Die öffentliche Hand spezifiziert (bestellt) oder überlässt auch dies der privaten Nachfrage im Wissen, dass die Leistung insgesamt in der erwünschten Qualität den privaten Nach­

fragern (Benützern) zugänglich ist.

2.4 Soll-Profil der öffentlichen Aufgabenerfüllung