4. Fallstudien zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben in Liechtenstein
4.1 Institutional choice als Rahmen für die Fallstudien
4.1.3 Kriterien für institutionell choice .1 Der Entscheidungskontext
Im Rahmen der soeben beschriebenen Institutionenhierarchie kann nun auf jeder Ebene ein institutional choice stattfinden. Die konkrete Ent
scheidung (Wahl) hängt von drei grundlegenden Rahmenbedingungen ab:
- den Ausgangsbedingungen auf der jeweiligen Entscheidungsebene, - den institutionellen Alternativen und
- den angewandten Entscheidungskriterien.
Beispielsweise sieht sich ein Unternehmen mit einem unzuverlässigen Zulieferer einer wichtigen produktionsnahen Vorleistung konfrontiert (Ausgangsbedingung). Das Management erwägt drei Alternativen: Der Zulieferer könnte übernommen werden (vertikale Integration), die Vor
leistung könnte von einem anderen Zulieferer bezogen werden, oder die Vorleistung könnte im eigenen Unternehmen produziert werden (Alter
Institutionenökonomik als Interpretationsrahmen des Status quo
speist sich diese Denkschule aus verschiedenen Quellen und hat sich im Lauf der Zeit in unterschiedliche Teiltheorien ausdifferenziert, was in dieser Arbeit nicht im einzelnen nachvollzogen wird."
4.1.2.1 Zum Begriff der Institution
Eine Gesellschaft oder ein Subsystem der Gesellschaft differenziert Re
geln (Institutionen) aus, an die sich die einzelnen Mitglieder zu halten haben. "Institutionen sind sozial sanktionierbare Erwartungen, die sich auf die Handlungs- und Verhaltensweisen eines oder mehrerer Indivi
duen beziehen." (Dietl 1993, S. 37) Die Definition weist auf den überin
dividuellen Kontext dieser Regeln hin, da das Handeln des Einzelnen auf andere Individuen (soziale Systeme) ausgerichtet werden soll.100
Institutionen stellen also Normen für wiederkehrende Entschei
dungssituationen dar, welche ein solches Mass an allgemeiner Gültigkeit erreicht haben, dass daraus relativ stabile reziproke Verhaltenserwartun
gen entstehen. Aus diesen stabilen gegenseitigen Verhaltenserwartungen, also der allgemeinen überindividuellen Gültigkeit, erwachsen die grund
legenden positiven Effekte einer Institution. Sie führt zur - Reduktion von Unsicherheit, zur
- Bildung und Stabilisierung von Erwartungen und zur - Reduktion von Informationskosten.
Die Institution erlaubt damit bestimmte Handlungsoptionen und schliesst andere aus. Es liegt auf der Hand, dass die positiven Effekte einer Institution von der "Mischung" erlaubter beziehungsweise nicht erlaubter Optionen abhängt. Die Kalkulierbarkeit der tatsächlich ge
setzten Handlungen ist dabei negativ abhängig von der Zahl der zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten und der Rigidität der institutionellen Regeln.
Wie wird nun sichergestellt, dass sich die Individuen gemäss den Vor
gaben der Institutionen verhalten? Die Einhaltung der institutionellen
99 Als hervorragende Pioniere und Vertreter der Neuen Institutionenökonomik gelten die Nobelpreisträger Coase, North und Williamson. Zur Entwicklung der Theorie siehe etwa Dietl (1993).
100 Ohne dass dabei nach dem Grad der Formalisierung und nach der Stärke der Institu
tionalisierung tatsächlich trennscharf zugeordnet werden kann, erscheint es sinnvoll, zwischen formgebundenen und formlosen Institutionen zu unterscheiden. Der Institu
tionenbegriff schliesst somit sowohl gesatztes Recht und Verträge (formgebunden) als auch Geschäftsethiken, Handlungspraktiken sowie Ideologien etc. (formlos) ein.
Regelungen kann mit positiven (Lob) und/oder negativen (Tadel, Strafe) Sanktionen abgesichert werden. Allerdings werden sich Individuen (auf
grund ihrer Präferenzen und Restriktionen) nicht in jedem Fall an Insti
tutionen orientieren. "Von Institutionen abweichende Erwartungen sind in Ausnahmefällen möglich. Sobald diese Ausnahmefälle allerdings zur Regel werden, ist die Institution erloschen." (Dietl 1993, S. 39)
4.1.2.2 Die Bedeutung von Institutionenhierarchien
In der Regel haben Institutionen partielle Gültigkeit, sie decken also nicht das gesamte System ab. Dies wird durch die Beobachtung unter
mauert, dass bereits relativ einfache Systeme mehrere Institutionen be
sitzen. Es ist daher sinnvoll, davon auszugehen, dass Gesellschaften Systeme von Institutionen (institutionelle Arrangements) entwickelt haben.
Es liegt auf der Hand, dass die einzelnen Institutionen eines Arrange
ments nicht gleichwertig sind. Vielmehr sind sie hierarchisch angeord
net. Fundamentale (primäre) Institutionen stehen in der Institutionen
hierarchie an oberster Stelle. Sie sollen jedes Gesellschaftsmitglied mit grundlegenden Handlungs- und Entscheidungsrechten ausstatten (Men
schenrechte, Gleichheitsgrundsatz).
Aus den primären sind sekundäre Institutionen abgeleitet, beispiels
weise Gesetze, die auf Basis von Verfassungsnormen bestimmte Rechts
bereiche regeln, oder Richtlinien in einem Unternehmen, mit denen das Management gewisse Ziele durchsetzen will. Diese abgeleiteten Institu
tionen können selbst wieder die Grundlage für weitere (tertiäre) Institu
tionen sein. Auf diese Weise entsteht ein hierarchisch strukturiertes Ge
füge mit fundamentalen Institutionen an der Spitze und einer Vielfalt direkt und indirekt abgeleiteter Institutionen darunter. Abbildung 4.1 zeigt eine solche Pyramide.
Welche Auswirkung hat diese hierarchische Anordnung auf die Ge
staltbarkeit von Institutionen? Auf der untersten Hierarchieebene ist der Gestaltungsspielraum durch die vorgelagerten Institutionen stark eingeschränkt: Beispielsweise wird ein Rauchverbot für öffentlich zu
gängliche Amtsräume erlassen. Die einzelne Behörde hat, ob sie diese befürwortet oder nicht, die Massnahme zu exekutieren.
Damit sind die Leitplanken, zwischen denen man sich bei der Wahl tertiärer Institutionen bewegen kann, eng gezogen: Allerdings sind die
Kriterien für institutionell choice
nativen). Weitere Ausgangsbedingungen bei dieser Entscheidung beste
hen in den Strukturen des Unternehmens (Verhältnis zwischen Eigen
tümern und Management) und in weiteren exogenen Grössen (Vorhan
densein von Know-how etc.).
Als Entscheidungskriterien kommen etwa (kurzfristige) Gewinn-maximierung, die Versorgungssicherheit bezüglich der Vorleistung oder - dies ist nicht auszuschliessen - die Auswirkungen auf unternehmens
interne Machtstrukturen in Frage. Beeinflusst durch diese drei Entschei
dungskomponenten (Ausgangsbedingüngen, Alternativen, Entschei
dungskriterien) wird letztlich eine institutionelle Alternative gewählt.
Für das institutionell choice im öffentlichen Sektor101 gilt grund
sätzlich derselbe Entscheidungskontext wie etwa in einem Unterneh
men: Als Ausgangsbedingung ist eine bestimmte Struktur der politi
schen Institutionen (Verteilung der politischen Eigentumsrechte, An
nahme bestimmter Entscheidungsregeln etc.) vorgegeben. Zur Auswahl stehen mehrere institutionelle Alternativen eines Aufgabenbereichs (zum Beispiel Errichtung eines Pflegeheims dürch.das Land selbst, Sub
vention an Gemeinden zur Errichtung eines Pflegeheims, Förderung an private Betreiber eines Pflegeheims).
Durch Anwendung eines Entscheidungskriteriums werden die Ak
teure in den politischen Gremien eine bestimmte Alternative aus den zur Verfügung stehenden auswählen. Wenn der externe Beobachter das an
gewandte Auswahlkriterium kennt, so kann er Mustervoraussagen vor
nehmen, welche Alternative gewählt wird.
Die entscheidende Frage ist nun, welches Entscheidungskriterium im öffentlichen Sektor zum Einsatz kommt. Die Neue Institutionenökono
mik bietet die Transaktionseffizienz (Punkt 4.1.3.2) an. Weiters können der Prinzipal-Agent-Ansatz und das Prinzip der fiskalischen Äqui
valenz eingebracht werden (Punkt 4.1.3.3).
101 Der Staat selbst kann als die wichtigste formgebundene Institution gelten. Gleichzeitig kommt ihm die Kompetenz zu, Institutionen auf nachgelagerten Ebenen des öffentli
chen und privaten Sektors und damit die Rahmenbedingungen für individuelles öko
nomisches Handeln zu schaffen, aufrecht zu erhalten und zu verändern. Insbesondere wird dem Staat das Recht übertragen, Eigentums- und Verfügungsrechte im privaten und öffentlichen Sektor zu spezifizieren. Er fixiert damit eine wichtige Dimension je
der institutionellen Analyse.
4.1.3.2 Das institutionenökonomische Kriterium Transaktionseffizienz
Die Neue Institutionenökonomik propagiert als anzustrebendes Krite
rium der institutionellen Alternativenwahl die Transaktionseffizienz.
Dabei wird verlangt, dass die Nettowohlfahrt aus der institutionellen Alternative zu maximieren ist.102 Die Transaktionseffizienz wird dabei vornehmlich anhand der mit den verschiedenen Alternativen einherge
henden Transaktionskosten beurteilt.
Mit jeder wirtschaftlichen Interaktion - sei sie zu Konsum- oder zu Pro
duktionszwecken - gehen Transaktionskosten einher. Die ökonomische Bedeutung von Institutionen liegt gerade in der Tatsache, dass sie Trans
aktionskosten zu senken vermögen. Institutionen sollen also quasi die
"Reibungsverluste", die bei jeder Koordination von Individuen (und da
mit mehreren unabhängigen Entscheidungsträgern) entstehen, reduzieren.
Aus der Warte der Transaktionseffizienz ist somit eine umfassende Definition der Transaktionskosten angezeigt. Diesen werden alle Kosten zugerechnet, die erstens mit der Bereitstellung einer Institution sowie zweitens mit der Nutzung dieser Institution verbunden sind. Zwischen den beiden Kostenkategorien besteht grundsätzlich eine substitutive Beziehung.
Zur ersten Kategorie zählen insbesondere alle Kosten der Bereitstel
lung und Sicherung kollektiver Institutionen. Es handelt sich dabei im ökonomischen Kontext vor allem um Kosten öffentlicher Entscheidun
gen, der Sicherung von Koordinationsmechanismen im privaten und öffentlichen Sektor (zum Beispiel Vertragsrecht, Gesetze) etc. Zum zweiten Typ zählen insbesondere die Kosten der direkten Nutzung von Institutionen wie des Marktes, der Unternehmung, öffentlicher Abstim
mungsmechanismen etc.
4.1.3.3 Prinzipal-Agent-Theorie und das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz
Die bisherigen Ausführungen zum Kriterium der Transaktionseffizienz erscheinen sehr abstrakt und gleichzeitig sehr ambitioniert: Der notwen
dige Informationsaufwand übersteigt sehr schnell die Verarbeitungs
102 Als Nettowohlfahrt wird dabei der Nutzen aus der institutionellen Alternative abzüg
lich der Kosten für Produktion und Transaktion definiert.