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2. Grundzüge einer Theorie öffentlicher Aufgabenwahrnehmung in Kleinstaaten

2.2 Beiträge verschiedener ökonomischer Theorierichtungen In diesem Abschnitt sollen auf Basis finanzwissenschaftlicher Theorien

2.2.4 Der Beitrag der Public-Choice-Theorie

Auch die Public-Choice-Theorie bezieht den politischen Prozess in die Analyse ein, wendet darauf aber wiederum ökonomische Denkmuster an, die uns Hinweise auf unsere Ausgangsfragestellung geben sollen. Ein

Der Beitrag der Public-Choice-Theorie

erstes Untersuchungsfeld bilden (in der Tradition von Downs und Arrow) Abstimmungen und Wahlen, bei denen die Präferenzen der In­

dividuen aggregiert werden. Wie beeinflussen diese gesellschaftlichen Koordinationsmechanismen das Ergebnis der Entscheidungsfindung?

Zum anderen geht die Public-Choice-Theorie davon aus, dass die handelnden Akteure (Politiker, Verwaltung, Interessensgruppen) ganz sicher nicht primär und ausschliesslich am Allgemeinwohl interessiert sind, sondern (auch) Eigeninteressen verfolgen: Die Politiker wollen ihre Macht erhalten beziehungsweise erlangen, die Verwaltung will ihren Einfluss ausbauen, die Verbände wollen die von ihnen präferierten Vor­

haben durchbringen.

Der Kleinstaat dürfte sich bezüglich des politischen Prozesses nicht ganz grundsätzlich von grösseren Staaten unterscheiden. Allerdings sind einige Besonderheiten zu beobachten, die im weiteren auf ihre Auswir­

kungen hinsichtlich Aufgabenwahrnehmung und Ausgabenintensität analysiert werden. Bevor dies geschieht, muss zuerst eine zentrale Rah­

menbedingung für die Ausgabengebarung herausgestellt werden.

Öffentliche Einnahmen als Begrenzung des Ausgabenvolumens

Wenn es dem souveränen Kleinstaat gelingt, aus dem gesetzgeberischen Spielraum einen qualitativen Standortvorteil zu gewinnen, kann die po­

litische Souveränität auch wirtschaftlichen Wohlstand nach sich zie­

hen.30 Am Beispiel Liechtensteins seien diese Vorteile kurz ausgeführt:

Im wesentlichen beruhen diese auf dem Personen- und Gesellschafts­

recht vom 20. Januar 1926, in dem bereits spezifische Gesellschafts­

formen für die Behandlung von Kapitalvermögen angelegt wurden.31 Mit dem Gesetz über die Landes- und Gemeindesteuern (Steuergesetz) vom 30. Januar 1961, in dem niedrige Steuersätze für in Liechtenstein angelegtes Kapital beschlossen wurden, war der Grundstein für die

"Steueroase" gelegt.

Mit der zunehmenden Freiheit im Kapitalverkehr nach dem Zweiten Weltkrieg kam das im Gesellschaftsrecht angelegte Rechtsgefälle zu den grösseren europäischen Staaten erst richtig zum Tragen. Darüber hinaus

30 Voraussetzung ist allerdings ein stabiles politisches Umfeld.

31 Ein weiterer, inzwischen vergleichsweise weniger bedeutender Bereich, in dem die Sou­

veränität genützt werden kann, besteht in der Ausgabe von Briefmarken oder Münzen.

wird den den besonderen Gesellschaftssteuern unterliegenden domizi­

lierten Unternehmen bezüglich der zu leistenden Steuern gemäss aus­

drücklicher gesetzlicher Bestimmungen nach wie vor ein absolutes Steuergeheimnis sowie ein weitgehendes Verbot der Amts- und Rechts­

hilfe garantiert (siehe Malunat 1987, S. 113).32

Der daraus resultierende Kapitalzufluss beeinflusst natürlich auch die Einnahmensituation der öffentlichen Haushalte. Es genügt eine mode­

rate Besteuerung der von Ausländern gesetzten wirtschaftlichen Akti­

vitäten (zum Beispiel Kapitalzufluss), um dem öffentlichen Sektor aus­

reichend Einnahmen zuzuführen. Trotz niedriger Steuersätze kann auf­

grund der hohen Steuerelastizität des Kapitals (Kapital wandert dorthin, wo es geringer besteuert wird) ein relativ hohes Steueraufkommen er­

zielt werden.

Einschlägige Berechnungen kommen zu dem Ergebnis, dass in Liech­

tenstein mehr als die Hälfte der Fiskaleinnahmen vom Finanzdienstlei­

stungssektor "erwirtschaftet" wird (Graf/Eidenbenz/Marti, zit. in Bau­

denbacher 1995, S. 81).33 Insgesamt ist ein grosser Anteil der staatlichen Einnahmen von Ausländern finanziert oder zumindest induziert.

Darüber hinaus musste Liechtenstein, weil es mit der Schweiz einen Wirtschaftsraum (ohne Grenzen) bildet, jüngst die Einführung der Mehrwertsteuer im grösseren Nachbarstaat nachvollziehen. Ein günsti­

ger Aufteilungsschlüssel beschert dem Fürstentum Liechtenstein als eine Art windfall-profit für das Jahr 1996 107.2 Mio. CHF.Jedenfalls erspa­

ren sich die Entscheidungsträger die politischen Kosten, die normaler­

weise mit der Steuererhebung (bei den Stimmbürgern) verbunden sind.34 Insgesamt ergibt sich eine Steuerstruktur, die von jener grösserer Staa­

ten deutlich abweicht. Insbesondere kann die einheimische Bevölkerung - wenn sie dies im politischen Prozess durchsetzt - von direkten Steuern

32 Der Beitritt zum EWR hat am Rechtsgefälle in der Kapitalvermögensverwaltung nichts geändert: "Entscheidend ist jedoch, dass die für Liechtenstein so wichtigen Rechtsfor­

men Anstalt, Stiftung und Treuunternehmen vom EWRA unberührt bleiben." (Bauden­

bacher 1995, S. 55). Dies resultiert daraus, dass die weitere Harmonisierung des Gesell­

schaftsrechtes wegen des Streites um die Mitbestimmung seit vielen Jahren praktisch zum Stillstand gekommen ist. "Eine Lösung in diesem Konflikt ist nicht in Sicht." (Bau-denbacher 1995, S. 55).

33 Fuchs (Staat und Steuern im Fürstentum Liechtenstein, Wirtschaftsmagazin 1/1993, S. 18) kommt für das Jahr 1992 auf einen Wert von 58.4 Prozent der gesamten Landes­

einnahmen.

34 Steuereinführungen beziehungsweise -erhöhungen führen tendenziell zu Stimmenver­

lusten der (Regierungs-)Partei, die diese propagiert.

Der Beitrag der Public-Choice-Theorie

weitgehend entlastet werden. Für die Volkswirtschaft des Kleinstaates ist jedoch besonders wichtig, dass sich quasi im Querverbund Steuerent­

lastungen für jene heimischen Unternehmen, die in anderen Branchen tätig sind (Industrie, Gewerbe), ergeben (vgl. Büchel 1990, S. 291 f.). Die Steuer­

last der anderen Branchen (und der privaten Haushalte) kann relativ nied­

rig gehalten werden, wodurch die Unternehmen, die in den übrigen Wirt­

schaftssektoren tätig sind, gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten ebenfalls einen Standortvorteil geniessen, der gewissermassen indirekt aus der gesetzgeberischen Souveränität des Kleinstaates resultiert.

Die Höhe der Steuereinnahmen bildet die entscheidende Rahmenbe­

dingungfür das Volumen der öffentlichen Ausgaben, zumal Art. 1 Abs. 2 Finanzhaushaltsgesetz, wonach Staatsverschuldung untersagt ist, zu be­

achten ist und von den Parteien de facto auch beachtet wird. Es stellt sich nun die Frage, wie das durch die Steuereinnahmen nach oben hin be­

grenzte Ausgabenvolumen durch den politischen Prozess gestaltet wird (Struktur). Welchen Einfluss übt die Verfassungswirklichkeit35 auf die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben aus?

- Hypothese (zur Einnahmenintensität):

Es ist zu erwarten, dass der durch die Einnahmen vorgegebene Rah­

men der Ausgaben durch die Eigenheiten des politischen Prozesses ständig ausgeschöpft wird. Dies gilt auch für windfall-profits (zum Beispiel Einnahmen aus der Mehrwertsteuer).

Besonderheiten der Präferenzbildung und des politischen Prozesses in Kleinstaaten

Wie Alesina/Spolaore (1997) zeigen, gibt es bei grossen Staaten einen trade-off zwischen dem Nutzen (den Vorteilen) grosser Jurisdiktionen und den Kosten (Nachteilen) der Heterogenität einer grossen, differen­

zierten Bevölkerung. Sie verwenden diese Erkenntnis zur Erläuterung von Staatenbildung und zur Hypothesenbildung über die Wahrschein­

lichkeit von Sezessionen: "[. . .] ethnic minorities should be Willing to bear the relatively high costs of forming small countries in exchange for

35 Mit der Kommentierung der Verfassungswirklichkeit wird bewusst von der Verfas­

sungstheorie, wie sie in mehreren staatsrechtlichen Abhandlungen ausgelegt wird, abge­

gangen.

not having to share government with the ethnic majority." (S. 1045) Aber auch ökonomische Aspekte spielen eine bedeutsame Rolle, wenn es um die "Freuden der Homogenität" geht, denen sich Kleinstaaten hingeben können (o.V., "The Economist" 1998, S. 65). Beispiele dafür wären Gemeinsamkeiten bei der Verteilung des persönlichen bezie­

hungsweise des regionalisierten Einkommens. Wenn in einem Land eine wirtschaftlich vergleichsweise homogene Situation vorherrscht, dann muss man nicht für arme Regionen (Leute) mitzahlen. Die Homogenität bezieht sich dann vor allem auf den erreichten gemeinsamen Wohlstand, der keine grossen Umverteilungsaktivitäten erforderlich macht. Dafür, dass man mit Seinesgleichen zusammenleben kann, nimmt man gerne höhere Kosten in Kauf: "Differences in income, in addition to differen-ces in preferendifferen-ces, may be crucial determinants of the degree of heteroge-neity in the population that determines the equilibrium size and number of countries." (Alesina/Spolaore 1997, S. 1046)

Kleinstaaten sind üblicherweise homogener bezüglich sprachlicher, kultureller und ethnischer und - vor allem auch - ökonomischer Aspekte. Sie haben dementsprechend auch homogenere Präferenzen über Umfang und Art der Güter und Leistungen, die die öffentliche Hand bereitzustellen hat und darüber, wie dies erfolgen soll. Im Klein­

staat ist aus diesen Gründen eine bessere Präferenzadäquanz zu erwar­

ten. Dies senkt die politischen Einigungskosten. Es ist zu erwarten, dass dadurch ein vergleichsweise geringerer Teil der Bevölkerung politisch überstimmt wird und seine Präferenzen unverwirklicht sehen muss.

Im besonderen Fall von Liechtenstein könnte es noch für die Präfe­

renzbildung von Interesse sein, dass sowohl das Volk (demokratisches Prinzip) als auch der Fürst (monokratisches Prinzip) an der politischen Willensbildung mitwirken. Im Zusammenhang mit der Präferenzbildung ist von Bedeutung, dass der Fürst über keine Richtlinienkompetenzen ver­

fügt (Waschkuhn 1993, S. 14). Davon unabhängig sind die Funktionen des Fürsten im Budgetbewilligungsprozess und seine Möglichkeiten der Ein-flussnahme in diesem Zusammenhang (vgl. Heeb 1998).

Das Fürstentum Liechtenstein bildet eine konstitutionelle Monarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage. Für eine einge­

hende Darstellung des fein austarierten Gleichgewichts zwischen den Souveränen Fürst und Volk sei auf Waschkuhn (1993) oder Allgäuer (1989) verwiesen. An dieser Stelle wird eine geraffte Einschätzung der Einflussstärken der einzelnen Akteure versucht.

Der Beitrag der Public-Choice-Theorie

Der Fürst greift nicht direkt in die Aufgabenwahrnehmung ein.

Lediglich mit den Thronreden hat der Fürst in der Vergangenheit eine Art "Initialzündung" für seines Erachtens in Angriff zu nehmende Auf­

gabenbereiche gegeben (Sozialversicherung, aktive Aussenpolitik; siehe Heeb 1998). Zur weiteren Strukturierung der Ausführungen wird zuerst die direkte Demokratie (Einfluss des Volkes über Abstimmungen) und anschliessend die repräsentative Demokratie (Einfluss von Landtag, Regierung, Bürokratie, Verbänden) behandelt.

Ein besonderes Problem der Willensbildung in Kleinstaaten ist die Elitenkonnektivität (vgl. Geser 1993, S. 60 ff.). Die Elite ist naturgemäss sehr klein und verflochten. Sigfusson (1998) spricht in diesem Zusam­

menhang von an old boy's network, das in Kleinstaaten viel ausgeprägter als in grösseren Staaten sei: "Their senior politicians and businessmen have often known each other since nursery school."36 Die Beteiligten treffen sich sehr häufig. Es gibt vielfältige Möglichkeiten, durch infor­

melle Verfahren Vorhaben und Projekte zu beschleunigen.

Da sich der Kleinstaat aus Gründen der Existenzsicherung andau­

ernde interne Konflikte nicht leisten kann, kommt der Konfliktvermei­

dung ein bedeutsamer Stellenwert zu, während in grossen Staaten Me­

chanismen der Konfliktaustragung und -beilegung besonders etabliert sind (Geser 1993, S. 53). Bei der politischen Willensbildung geht unter diesen Umständen Kooperation vor Konkurrenz, was sich in langjähri­

gen politischen Koalitionsbindungen und in bedeutsamem log-rolling (Stimmentausch) bei Ressourcen- und Stellenzuteilungen eindeutig aus­

gabenerhöhend niederschlagen müsste.

Diese Art von politischer Kooperation kann naturgemäss auch zu ei­

nem "Faulbett" führen, weil die Konkurrenz fehlt, oder - noch schlim­

mer - zu einem etwas sorglosen Umgang der Elite mit der Macht. Es muss an dieser Stelle nun offenbleiben, ob es im Kleinstaat, trotz der vie­

len Vorteile, die man gewöhnlich mit dezentralen Staaten verbindet (Überschaubarkeit, Präferenzadäquanz, geringere Einigungskosten, höhere Innovationsfähigkeit), zusätzlich noch einer internen Dezentra­

lisierung bedarf. Beim Symposium des Liechtenstein-Instituts wurde als

36 Die Autoren haben Thor Sigfusson im Zusammenhang mit dieser Arbeit kontaktiert:

Sigfusson, der in der Zeitschrift "The Economist", Jan 3rd 1998 mit dem Buch "The Ministate in Turbulence" zitiert wird, teilt mit, dass die entsprechende Publikation zur Zeit nur auf isländisch vorliegt.

Diskussionsergebnis gefordert, dass es in dieser Situation der Elitenkon­

nektivität im Kleinstaat besonderer Sicherungen gegen Machtmiss­

brauch bedürfe (vgl. Waschkuhn 1993, S. 12). Dabei wird dem Födera­

lismus, der staatsinternen vertikalen Machtteilung, ein hoher Stellenwert eingeräumt (vgl. Geser 1993, S. 92). Es kann aber in einer primär öko­

nomischen Studie nicht entschieden werden, ob die traditionellen Siche­

rungen (Instrumente der direkten Demokratie, Wahlen, Parteien und Medien) hierzu nicht genügen und ob nicht auch die Vertreter dezentra­

ler Einrichtungen sehr rasch und informell in der Elite aufgehen.

Zusammenfassend gibt es also im Kleinstaat eine Reihe von bemer­

kenswerten Besonderheiten des politischen Willensbildungsprozesses, die nicht ohne Auswirkungen auf die Staatsfinanzen und auf Art und Um­

fang der öffentlichen Leistungserfüllung bleiben dürften.

Direkte Demokratie

Nach Schweizer Vorbild nimmt auch im Fürstentum Liechtenstein die direkte Mitbestimmung der Stimmbürger im Politikgefüge eine promi­

nente Stellung ein. Da die Bürger bei Abstimmungen direkt (ungefiltert) über Projekte entscheiden, kommt die Public-Choice-Theorie zu dem Schluss, dass den Präferenzen der Bürger damit besser entsprochen wird als in der repräsentativen Demokratie. Insbesondere sieht die Public-Choice-Theorie (siehe etwa Blankart 1994) in der direkten Demokratie ein wirksames Instrument, um das Wachstum des Staates einzubremsen (den "Leviathan Staat im Zaum zu halten").

Welche Möglichkeiten bestehen nun in Liechtenstein? Das Volk kann einerseits Gesetzesinitiativen (wenigstens 1000 Personen) beziehungs­

weise Verfassungsinitiativen (wenigstens 1500 Personen) starten. Ande­

rerseits kann nach Art. 65 und 66 der Verfassung gegen jedes vom Land­

tag beschlossene und von ihm nicht als dringlich erklärte Gesetz oder gegen einen Finanzbeschluss, sofern er eine einmalige neue Ausgabe von 50 000 oder eine jährliche Neuausgabe von mindestens 20 000 CHF ver­

ursacht, das Referendum ergriffen werden.

Es würde die direkte Demokratie überfordern, wenn über jedes Ge­

setz (Projekt) abgestimmt würde. Der langjährige Durchschnitt liegt bei nicht einmal einer Abstimmung pro Jahr (siehe Waschkuhn 1993, S. 326 ff.), wobei bereits der präventiven Wirkung der Instrumente der direkten Demokratie eine eigenständige Bedeutung zukommt. Die

Der Beitrag der Public-Choice-Theorie

Abbildung 2.7: Der Einfluss der direkten Demokratie auf die Ausgaben­

struktur

Einnahmendeter­ Geplante Laufende

miniertes Budget: Investitionen Ausgaben Referendum abschlägig

1

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Realisierte Laufende Ausgaben dehnen sich Investitionen tendenziell aus

Volksabstimmungen betrafen nicht immer Initiativen, die direkt zu öf­

fentlichen Ausgaben führten, doch insgesamt lässt sich eine interessante Struktur der Fragestellungen in Volksabstimmungen konstatieren. In welchen Bereichen wird sich der Einfluss der direkten Demokratie be­

sonders auswirken?

Während wichtige Entscheidungen (EWR-Beitritt, Krankenversiche­

rungsgesetz) und Grossinvestitionen (Neubau Regierungsviertel, Um­

fahrung Vaduz) intensiv diskutiert werden und im Mittelpunkt politi­

scher Diskussionen stehen, erregen Entscheidungen, die zu laufenden Ausgaben führen, kaum Aufmerksamkeit. In diesem Zusammenhang kann in Liechtenstein im letzten Jahrzehnt insbesondere eine Abneigung der Stimmbürger gegenüber Grossprojekten (Umfahrung Vaduz/Schaan, Regierungsviertel) festgestellt werden.37

Abbildung 2.7 veranschaulicht die Argumentation. Nicht alle Investi­

tionen, die mittelfristig im Rahmen der repräsentativen Demokratie -geplant werden, passieren die "Hürde" direkte Demokratie. Einzelne Projekte, gegen die das Referendum ergriffen wird, werden in der Folge verworfen (aufgeschoben). Wenn diese Bremse für die laufenden Ausga­

ben nicht in demselben Mass greift, so dürften sich in der Folge die lau­

fenden Ausgaben tendenziell zu Lasten der Investitionen ausbreiten.

37 Offensichtlich kommt darin auch ein gewisser Sparwille der Bevölkerung zum Aus­

druck: Nicht bei allen öffentlichen Leistungen (zum Beispiel bei bestehenden gesetz­

lichen und vertraglichen Verpflichtungen) können die Stimmbürger unmittelbar Ein­

fluss nehmen.

- Hypothese (zur Aufgabenpriorität):

Gegen Gesetzesvorlagen, die zu zusätzlichen laufenden Ausgaben führen, wird seltener das Referendum ergriffen als gegen Investitionen.

Gegen Investitionen, die von der Vorstellungswelt der Stimmbürger weit entfernt sind (EDV-Ausstattung, Fernmeldeinvestitionen), wird seltener das Referendum ergriffen als gegen Investitionen, die viele un­

mittelbar betreffen (Strassenneubau, Umgestaltung des Ortsbildes).

Eine weitere Differenzierung der Investitionen basiert auf den Ergebnis­

sen des vorigen Abschnitts. Nicht alle Aufgabenbereiche sind aus der Sicht der Bürger gleich wünschenswert. Die Stimmbürger mögen zwar einsehen, dass sogenannte public bads bereitgestellt werden müssen, wenn möglich aber nicht in ihrer unmittelbaren Nähe (Gefängnis, Müll­

deponie, sozialpsychiatrische Einrichtungen). Deswegen dürften Inve­

stitionen eine unterschiedliche Zustimmungsquote aufweisen.

- Hypothese (zur Ausgabenintensität):

Gegen Investitionen für Aufgabenbereiche, die positiv besetzt sind, wird seltener das Referendum ergriffen und wenn, dann wird die Investition von den Stimmbürgern befürwortet.

Repräsentative Demokratie

Die Public-Choice-Theorie (siehe Blankart 1994) geht davon aus, dass alle beteiligten Akteure (Politiker, Beamte, Interessengruppen) nicht nur im Sinn des Allgemeinwohls agieren, sondern in ihrer Tätigkeit auch Eigeninteressen verfolgen (Macht, Geld, Einfluss, Reputation).

Im Kleinstaat hat ein viel grösserer Prozentsatz der Bevölkerung die Möglichkeit der aktiven politischen Mitwirkung, sich persönlich zu ken­

nen, im politischen Prozess das passive Wahlrecht auszuüben oder ein politisches Amt zu bekleiden. Die Überschaubarkeit des Kleinstaates bewirkt eine gewisse soziale Kontrolle und senkt die Informationsko­

sten im Vergleich zu grösseren Staatsgebilden.

In der liechtensteinischen Verfassungswirklichkeit verfügen Regierung und Verwaltung gegenüber dem Landtag über einen enormen Infor­

mationsvorsprung. Den Milizparlamentariern ist es realistischerweise bei weitem nicht möglich, alle zu treffenden Entscheidungen vor Beschluss­

fassung auf ihre Auswirkungen hin zu untersuchen, geschweige denn,

Der Beitrag der Public-Choice-Theorie

jeweils eigene Vorstellungen einzubringen. Die Einflussnahme des Land­

tags beschränkt sich so auf eine punktuelle Revidierung der von der Regie­

rung eingebrachten Gesetzesvorlagen (darunter Budget).

Den zentralen Dreh- und Angelpunkt in der Wahrnehmung öffent­

licher Aufgaben stellt die Regierung dar, die sich auf eine Mehrheit im Landtag stützt. Die knappen Mehrheitsverhältnisse im Landtag führen dazu, dass jede Stimme bei den nächsten Wahlen entscheidend sein kann.

Insofern muss die Regierung nicht nur grössere Verbände ernst nehmen, sondern darf auch die Anliegen einzelner Stimmbürger beziehungsweise kleiner Initiativen nicht ausser acht lassen. Jede noch so k leine Gruppe schlüpft so i n die Rolle der Medianwähler, also des potentiellen Mehr-heitsbeschaffers. Das aus der Diskussion um die direkte Demokratie be­

kannte Konzept des Medianwählers kann somit durchaus auf die reprä­

sentative Demokratie in Liechtenstein übertragen werden.

Um die bisherigen Wähler bei der Stange zu halten beziehungsweise um den Medianwähler auf seine Seite zu ziehen, gewinnen für die Re­

gierung (Opposition) individuell zurechenbare Ausgaben (Transfers, Subventionen) und Positionen beziehungsweise die Befürwortung von Einzelinitiativen einen besonderen politischen Stellenwert. Der Politiker sichert sich die nachhaltige Zustimmung einzelner Wähler, wenn er ihre Sonderwünsche im politischen Prozess durchsetzt.

- Hypothese (zur Ausgabenintensität):

Die knappen Mehrheitsverhältnisse im Landtag führen dazu, dass in­

dividuell zurechenbare Ausgaben (Transfers, Subventionen) an Ge­

wicht gewinnen, weil sich der Politiker damit die Zustimmung ein­

zelner Wähler am nachhaltigsten sichern kann.

Zweifelsohne spielen die aus grösseren Demokratien bekannten Er­

scheinungen wie Stimmentausch (log-rolling) in Liechtenstein ebenfalls eine erhebliche Rolle: Innerhalb der grossen Parteien (und bis vor kurzem in der Koalitionsregierung) findet ein Interessenausgleich statt, bei dem verschiedene Gruppen einander Zusagen geben, ihre Anliegen gegenseitig zu unterstützen. Dahinter stehen Verbände (Unternehmer, Arbeitnehmer etc.), regionale Interessen (Ober- vs. Unterland) usw.

Ebenso nimmt die Verwaltung Einfluss auf Aufgabenwahrnehmung und Ausgabenintensität: Als jeweilige Experten bilden die Beamten nicht nur ein passives Hilfsinstrument der Regierung, sondern sie bringen ihre

eigenen Vorstellungen in die Diskussionsprozesse ein. Dabei verfolgen sie auch Eigeninteressen, die tendenziell in Richtung einer intensiveren Auf­

gabenwahrnehmung (höheren Ausgabenintensität) wirken.

Interessengruppen und Verwaltung dürften einen steten Druck in Richtung zusätzlicher öffentlicher Aufgaben und Ausgaben ausüben, was dazu führt, dass das durch die öffentlichen Einnahmen eher gross­

zügig begrenzte Ausgabenvolumen so weit wie möglich ausgeschöpft wird. Während dieser "Niveaueffekt" wohl unbestritten ist, ergeben sich aus der Analyse kaum Anhaltspunkte bezüglich struktureller Schwerpunkte dieser Einflussnahmen. Welcher Aufgabenbereich sollte davon besonders betroffen sein?

2.2.5 Zielkriterien für die Aufgabenwahrnehmung