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7.2 Professionelles pädagogisches Handeln und dessen Einbindung in den Kontext der Untersuchung

7.2.2 Professionelles pädagogisches Handeln im Rahmen der Unterstützung eigenaktiver Lernprozesse

her-ausgestellt wurde. Die Geeignetheit erlebnispädagogischer Arrangements als spezifische Vermittlungsangebote könnte auch daraus resultieren, dass sie gerade in Bezug auf die Rolle der Pädagoginnen und Pädagogen Erkenntnisse der psychologischen Nachbardisziplinen in-tegriert und sich damit zutiefst einem humanistischen Menschenbild verpflichtet, welches die Achtung der Würde und Autonomie des Einzelnen und den Glauben an seine Entwicklungs-fähigkeit in den Vordergrund stellt. Damit wird nach Ansicht der Autorin innerhalb moderner Leitorientierungen der Erlebnispädagogik die diffuse, nicht rollenförmige Sozialbeziehung zwischen Pädagoginnen und Pädagogen und Schülerinnen und Schülern in besonderem Maße konzeptionell reflektiert. Heilpädagogik als „Wagnis einer Suchbewegung mit ungewissem Ausgang“ (Lindmeier 2000. S. 176) scheint hierbei in hoher Weise von erlebnispädagogi-schen Konzepten profitieren zu können.

7.2.2 Professionelles pädagogisches Handeln im Rahmen der Unterstützung

7.2.2.1 Professionelles pädagogisches Handeln im Kontext der Gestaltung der An-forderungssituation

Im Laufe des Projekts wurde das Ziel der eigenaktiven Bewältigung der Anforderungssituati-on aus Sicht der Studierenden in unterschiedlichem Maße erreicht. Dabei wurde vAnforderungssituati-on ihnen klar geäußert, dass die Notwendigkeit für eine vorab nicht geplante Einflussnahme seitens der Studierenden mit dem Maß an Passung zwischen Anforderungsstruktur der Aufgabe und Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler direkt im Verhältnis stand. Je besser diese Passung zustande kam, desto eigenaktiver konnten die Schülerinnen und Schüler agieren.

Damit wird die relationale Gestalt von Kompetenz, welche in Kapitel 3 herausgearbeitet wur-de (vgl. S. 42f.), auch innerhalb dieser Untersuchung wur-deutlich.

Unter 3.3.2 Unterstützung von Lernprozessen unter den Bedingungen prinzipieller Unsicherheit und Offenheit (vgl. S. 80f.) wurde aus der relationalen Gestalt die unterrichts-praktische Bedeutung des Kompetenzbegriffs im pädagogischen Kontext abgeleitet, da sie den pädagogischen Prozess als Vermittlung zwischen den aktuellen Dispositionen auf Seiten des Individuums und seiner ihn fördernden Umgebung im Sinne der Gestaltung seiner Lern-landschaft in den Blick zu nehmen vermag (vgl. S. 44f.). Die Orientierung an der „Zone der nächsten Entwicklung“ wurde hier als didaktische Grundorientierung herausgestellt. Gleich-zeitig wurde betont, dass Lernen als „Ergebnis von Selbstorganisationsprozessen im neurona-len Netzwerk des selbstreferentielneurona-len Systems, das autonom über eine Weiterverarbeitung von Informationen entscheidet“ (Bergeest 1999, 193f.) sich der Außendeterminiertheit im Sinne eines stringenten Ursache-Wirkungs-Denkens entzieht. Obwohl Intentionalität, Stringenz und Planbarkeit von Lernprozessen unter dieser Prämisse fragwürdig erscheinen, kann man davon ausgehen, dass das Anbieten eines „passenden“ Lernarrangements das individuelle Erleben von Kompetenz unterstützt und damit grundlegenden Einfluss auf die motivationale Entwick-lung hat. Die Bedingung für diese Passung kann in zweierlei Richtung beleuchtet werden.

Einerseits muss sie den schmalen Grad zwischen Über- und Unterforderung treffen, also über-setzt in den erlebnispädagogischen Kontext innerhalb der Wachstumszone angesiedelt sein.

Andererseits muss das Lernarrangement Möglichkeiten zur selbstgesteuerten Konstruktion von Kompetenzen anbieten und somit Eigenaktivität ermöglichen. Für Lehrerinnen und Leh-rer als Gestalter der Lernsituation hieße das, sich selbst als direkte Anleiter und Vormacher zurückzunehmen und dies in die Struktur der Lernlandschaft zu verlagern.

Diese vorerst hermeneutische Aussage wurde innerhalb dieser Untersuchung empi-risch bestätigt. Außerdem wurden Faktoren herausgearbeitet, welche den Grad der Passung beeinflussen und Orientierung im Planungsprozess geben können. Unter konstruktivistischer

Perspektive muss jedoch einschränkend darauf verwiesen werden, dass ein guter Plan noch kein Garant für eine optimale Passung ist, da nicht von linearen Ursache-Wirkungs-Mechanismen ausgegangen werden kann. Ungewissheiten, die den pädagogischen Prozess stets begleiten (vgl. Reiser 2006, S. 43f.) zeigen hier Grenzen der Antizipierbarkeit auf und werden unter Punkt 7.2.3 Professionelles pädagogisches Handeln im Kontext von Ungewiss-heiten noch einmal thematisiert (vgl. S. 267f.).

Die Frage nach der Gestaltung der Anforderungssituation stellte sich während der gruppendynamischen Prozessreflexionen, welche Elemente der Evaluation und prozessorien-tierten Planung waren, schon aus der Logik der Sache heraus. Hier wurde aus planerischer Perspektive versucht, die Struktur der Anforderung von vornherein so zu gestalten, dass deren Bewältigung ohne direkten Einfluss der Studierenden möglich wurde. Während im psycholo-gischen Kontext der Begriff der nondirektiven Einflussnahme speziell auf die konkrete The-rapiesituation abzielt, wird der Begriff im Kontext dieser Arbeit um die Gestaltung des Lern-arrangements in Form planenden Handelns erweitert. Diesem erweiterten Begriffsverständnis liegt die Annahme zugrunde, dass die Struktur der Anforderungssituation in Form des Lernar-rangements deren eigenaktive Bewältigung maßgeblich beeinflusst. Von ihr ist sowohl das Handeln der Lehrerinnen und Lehrer als auch der Schülerinnen und Schüler in der konkreten Lernsituation abhängig. Unter der Maßgabe größtmöglicher Eigenaktivität der Schülerinnen und Schüler in Bezug auf die Problemlösung war es Anliegen der Studierenden, dass die Struktur des Lernarrangements einerseits zur selbstständigen Bewältigung der Anforderung herausfordert und andererseits die Studierenden als Anleitende in den Hintergrund treten kön-nen.

Innerhalb des Planungshandelns war somit zu bedenken, dass die Aufgabe quasi für sich spricht und ein Eingreifen durch die Pädagoginnen und Pädagogen während der Aufga-benbewältigung unnötig wird. Es wurde betont, dass das Moment der Unmittelbarkeit in Form offensichtlicher Handlungsnotwendigkeiten, wie z.B. das gegenseitige Helfen und Unterstüt-zen beim Passieren der Niedrigseilelemente, dafür wesentlich ist. Unmittelbarkeit und Au-thentizität sind eng verwandt. AuAu-thentizität bedeutet, dass die Problemsituation nicht speziell für den Unterricht entworfen wurde, sondern „echt“ ist. Sie sollte somit als unmittelbar-real oder als lebensecht akzeptierbar sein. Dies bedeutete hier, dass die Notwendigkeit sozialen Handelns sich aus der Struktur der Anforderungssituation ergibt und das Ziel der Anforde-rungssituation in Form des Endergebnisses der Handlung unmittelbar deutlich werden sollte.

Ein Punkt, der sowohl in den Reflexionen der Pädagoginnen und Pädagogen des Pro-jekts „Linde“ als auch in den Fällen 1, 2 und 4 durch die Studierenden kontrovers diskutiert

wurde, war die gezielte Zusammensetzung der Kleingruppen. Obwohl im Projekt ausschließ-lich mit Schülerinnen und Schülern gearbeitet wurde, denen ein sonderpädagogischer Förder-bedarf in der geistigen Entwicklung attestiert wurde, zeichneten sich die Lerngruppen beider Projektteile durch eine relative Heterogenität aus. Die Intention zur Bildung von Kleingrup-pen war generell der Versuch, den Schülerinnen und Schülern überschaubarere Interaktionssi-tuationen anzubieten und damit Komplexität zu verringern. Die Frage nach der Zusammen-setzung der Kleingruppen wurde innerhalb der Diskussionen mit der Frage nach der jeweili-gen Intention der Gruppenbildung verbunden. Die Frage nach Vor- und Nachteilen von Ho-mogenität und Heterogenität bestimmte dabei die Diskussionen, wobei Vor- und Nachteile wiederum in Bezug zur eigenaktiven Bewältigung diskutiert wurden. Die Ergebnisse dieser Diskussionen sollen an dieser Stelle nicht noch einmal wiedergegeben werden, da sie den einzelnen Fällen zu entnehmen sind. Generell scheint jedoch interessant, dass auch hier die Tendenz zur Homogenisierung deutlich zu erkennen war. Dies geschah stets unter dem As-pekt der Wahrung der Interessen aller Schülerinnen und Schüler, die von der Überzeugung getragen war, dass die Eigenaktivität von leistungsmäßig schwächeren Schülerinnen und Schülern durch dominantes Auftreten stärkerer Schülerinnen und Schüler determiniert wird.

Das Streben des Erziehungssystems nach Homogenisierung (Moser 2005, S. 93) ist also auch in diesem kleinen Rahmen deutlich zu erkennen. Andererseits wurden jedoch auch Vorteile der Vielfalt benannt, indem herausgestellt wurde, dass auch Schülerinnen und Schüler, die z.B. verbal nicht so dominant sind, wesentliche Beiträge zur Problemlösung liefern können.

Aufgabe der Studierenden war es dann, Strukturen zu schaffen, die genau diese Schülerinnen und Schüler zu Wort kommen lassen (z.B. durch die Vergabe verschiedener Rollen oder Ver-antwortungen an die Schülerinnen und Schüler). Somit wäre die „Sicherung von Heterogeni-tät eine Dimension sonderpädagogischen Handelns“ (Moser 2005, S. 93). Moser hebt hierbei zwar auf die Sonderpädagogik als Profession innerhalb des Erziehungssystems ab, ihre Aus-sage kann jedoch auch auf den Kontext dieser Untersuchung bezogen werden. Während inne-re Diffeinne-renzierungsmaßnahmen oftmals die Homogenisierung der Schülerschaft unter Leis-tungsaspekten im Blick haben, sollte auch hier nach Strukturen gesucht werden, die zur „Ab-sicherung der Teilhabe“ (a.a.O.) beitragen. Gerade unter der Prämisse der Unterstützung der sozialen Kompetenzentwicklung können hierbei alle Beteiligten voneinander profitieren.

Aufgabe der Pädagoginnen und Pädagogen wäre es im konkreten pädagogischen Prozess, die Teilhabe des Individuums beim Prozess seiner individuellen sozialen Kompetenzentwicklung innerhalb der Gesamtgruppe zu gewährleisten. Eine Grundlage dafür wäre, wenn die Intention

von Gruppenbildungen stets intensiv reflektiert und mit Inhalts- und Methodenfragen in Ü-bereinstimmung gebracht wird.

7.2.2.2 Professionelles pädagogisches Handeln im Kontext der konkreten Interakti-on

Neben der oben beschriebenen Möglichkeit nondirektiver Einflussnahme in Form der Gestal-tung der Lernlandschaft wurde von den Pädagoginnen und Pädagogen und den Studierenden die Art und Weise von Einflussnahme auf den Erkenntnisprozess im unmittelbaren Unter-richtsprozess reflektiert. Auch hier war das zentrale Anliegen, Interaktionsmöglichkeiten zu finden, die die Eigenaktivität der Schülerinnen und Schüler unterstützen und Problemlösepro-zesse nicht vorwegnehmen.

Hier kann das Konzept der Nondirektivität, welches im psychologischen Kontext ver-ortet ist, herangezogen werden. Damit konkretisiert sich ein Aspekt der therapeutischen Di-mension professionellen Handelns im (sonder-) pädagogischen Kontext, welcher bereits unter 7.2.1 Professionelles pädagogisches Handeln im Spannungsfeld von Verantwortungsüber-nahme und Verantwortungsabgabe (vgl. S. 254ff.) angesprochen wurde. Innerhalb der klassi-schen Gesprächspsychotherapie werden Therapeutinnen und Therapeuten aufgefordert, ihr Verhalten nondirektiv auszurichten. Es wird angestrebt, dass sie Klientinnen und Klienten nicht durch selektives Eingehen auf bestimmte Gesprächsinhalte beeinflussen, alle Inhalte lediglich aufnehmen und keinerlei Vorgaben machen. Sachse (2005) betont jedoch kritisch, dass es innerhalb interaktionaler Prozesse unmöglich ist, keinen Einfluss auf Klientinnen und Klienten zu nehmen und unterscheidet Prozessdirektivtät und Inhaltsdirektivität. Die inhaltli-chen Entscheidungen sollten ihnen selbst überlassen werden. „Wenn und solange der Thera-peut mit dem Klienten Schemata klärt, ist der Klient ganz eindeutig Experte für seine Inhalte“

(a.a.O.) Das Verstehen und Herausarbeiten dieser Schemata, nicht jedoch ihre Beeinflussung, wäre dann Aufgabe von Therapeutinnen und Therapeuten. Auf der Prozessebene jedoch soll-ten Therapeutinnen und Therapeusoll-ten durchaus Einfluss nehmen. Eine Zurücknahme auf die-ser Ebene wäre schon unter ethischem Aspekt abzulehnen, denn es impliziert, die Klientinnen und Klienten „einfach in ihrem Problem sitzen zu lassen“ (S. 65). Sie kommen ja gerade in die Therapie, weil es ihnen schwer fällt neue Perspektiven einzunehmen und sie bei der Lö-sung ihrer Probleme Unterstützung brauchen. Diese Ansicht korrespondiert stark mit dem, was Schlee (2007) mit „Förderung als planvolle Veränderung subjektiver Theorien“ (S. 178) bezeichnet und was auf die Entwicklung neuer und angemessener Handlungsmöglichkeiten abzielt (vgl. dazu 3.3.1.2 Lernen als aktiver Aneignungsprozess auf S. 76f. in dieser Arbeit).

Prozessdirektivität umfasst dabei gezielte Unterstützungsangebote im Sinne der Akti-vierung von Schemata, der Steuerung von Aufmerksamkeit, der Entwicklung von Fragestel-lungen und der Bearbeitung der Repräsentationen von Schemata (vgl. Sachse 2005, S. 82), wobei hier der Begriff des Schemas ebenfalls durch den der subjektiven Theorien ersetzt wer-den könnte. Dabei sollten normative Vorgaben in Bezug auf das Denken und Fühlen der Kli-entinnen und Klienten jedoch in den Hintergrund treten und sie dadurch befähigt werden, ei-gene Entscheidungen zu treffen. Nondirektivität bedeutet an dieser Stelle „weitgehende In-haltsabstinenz“ (S. 83) und impliziert das Zurücknehmen von Fremdbewertungen.

Die Unterscheidung von Prozess- und Inhaltsabstinenz erscheint bei der Frage nach Art und Maß von Unterstützungsangeboten durchaus hilfreich. Sie kann als Leitorientierung innerhalb von Interaktionsprozessen dienen, auf deren Folie reflexive Prozesse in Bezug auf professionelles pädagogisches Handeln im Kontext pädagogischer Einflussnahme bzw. päda-gogischer Zurücknahme stattfinden können. Innerhalb der Untersuchung wurde deutlich, dass den Studierenden diese Unterscheidung zwar nicht theoretisch zugänglich war, sie ihr Han-deln jedoch danach ausrichteten. Die einzelnen Umsetzungsformen sollen an dieser Stelle nicht noch einmal diskutiert werden, da dies v.a. innerhalb der Ergebnisdiskussion zu Fall 4 erfolgte. Eine klare theoretische Verortung von Prozess- und Inhaltsdirektivität könnte jedoch helfen, die Reflexion über professionelles Handeln im pädagogischen Alltag zu strukturieren.

7.2.3 Professionelles pädagogisches Handeln im Kontext von