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7.2 Professionelles pädagogisches Handeln und dessen Einbindung in den Kontext der Untersuchung

7.2.1 Professionelles pädagogisches Handeln im Spannungsfeld von Verantwortungsübernahme und

Die Diskussion um pädagogisches Handeln im Spannungsfeld von Verantwortungsübernahme und Verantwortungsabgabe durchzog den gesamten Diskussionsverlauf. Auch innerhalb die-ser fallübergreifenden Betrachtung wird hier der Schwerpunkt der Diskussion liegen. Schon im Fall „Linde“ wurde dieses Themenfeld in zweierlei Richtungen geöffnet. Eine Dimension fokussiert die physische und psychische Unversehrtheit aller Beteiligten. Eine andere betrifft die Notwendigkeit zu pädagogischer Verantwortungsübernahme für den Lernprozess der Schülerinnen und Schüler aufgrund einer angenommenen erschwerten Aneignung. Beide Di-mensionen wurden vor dem Hintergrund des formulierten Anspruchs an Eigenaktivität der Schülerinnen und Schüler und pädagogischer Zurücknahme der Pädagoginnen und Pädagogen diskutiert.

In Bezug auf die physisch-psychische Unversehrtheit aller Beteiligten reflektierten die Studierenden ihr Handeln vor dem Hintergrund der Überzeugung, dass erst die Abgabe von Verantwortung auf Seiten der Pädagoginnen und Pädagogen Freiräume für

Verantwortungs-übernahme für den Lernprozess auf Seiten der Schülerinnen und Schüler schafft. Diese Über-zeugung wurde ergänzt durch die Ansicht der Studierenden, dass die Unmittelbarkeit des Er-lebens der Konsequenzen eigenen Handelns den Erkenntnisprozess der Schülerinnen und Schüler wesentlich unterstützt. Bereits innerhalb von Fall 1 wurde diese Thematik von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern als Verantwortungsproblem explizit angesprochen. Inte-ressant ist, dass schon zu einem frühen Zeitpunkt innerhalb des Gesamtprojekts die Notwen-digkeit zur Reflexion dieses Widerspruchs benannt wurde. Das Verantwortungsproblem wur-de im weiteren Projektverlauf immer wiewur-der im Kontext von Selbstorganisation, pädagogi-scher Zurücknahme und pädagogipädagogi-scher Einflussnahme diskutiert.

Möglicherweise ist das benannte Problemfeld besonders im erlebnispädagogischen Kontext brisant, da hier mit der Ermöglichung von sinnlichen Erfahrungen eng an leibliches Erleben angeknüpft wird, d.h. wenn bestimmte soziale Kompetenzen, z.B. zur Verantwor-tungsübernahme für einen Partner, nicht gezeigt werden, kann dies zu unmittelbaren, körper-lich erfahrbaren Konsequenzen führen. Dies hat zur Folge, dass pädagogische Verantwortung in Bezug auf die physische Unversehrtheit hier deutlicher spürbar ist, als in anderen pädago-gischen Kontexten. Gleichzeitig wird damit eine Erfahrungsebene angesprochen, welche die Übernahme von Verantwortung unmittelbar zu Tage treten lässt. Somit könnte sie als beson-ders geeignet angesehen werden, um den Prozess der Verantwortungsübernahme auf Seiten der Schülerinnen und Schüler zu unterstützen. Im Gegensatz zu psychischen Verletzungen, als Folge von Grenzüberschreitung im sozial-emotionalen Bereich, die ebenfalls thematisiert wurden, liegt hier auch das Verletzungsrisiko unmittelbar auf der Hand. Dies könnte ein Grund dafür sein, warum im Kontext der erlebnispädagogischen Arbeit dieses Spannungsfeld von den Studierenden so intensiv erlebt und reflektiert wurde.

Doch auch die psychische Unversehrtheit im Sinne personaler Integrität wurde inner-halb des Projektverlaufs als Bezugsgröße für pädagogisches Handeln herangezogen und be-sonders unter dem Blickwinkel motivationaler Grundbedingungen diskutiert. Bebe-sonders das Moment des Scheiterns als Nichtbewältigung der Aufgabe war Auslöser kontroverser Diskus-sionen in Bezug auf ein verantwortungsbewusstes pädagogisches Handeln. Psychische Unver-sehrtheit wurde hierbei bezogen auf Prozesse, die ein Wachstum des Individuums ermögli-chen. Eine Generalisierung und Manifestierung von Misserfolgsorientierung aufgrund des Erlebens des Scheiterns bei Schülerinnen und Schülern, denen tendenziell Misserfolgsorien-tierung zugeschrieben wurde, wäre hierbei aus der Sicht der Studierenden unverantwortlich.

Es muss an dieser Stelle betont werden, dass diese Zuschreibung nicht generalisiert wurde. Im Gegenteil wurde diskutiert, dass Schülerinnen und Schüler zu einer unrealistischen

Selbstein-schätzung kommen könnten, wenn ihnen durch ein Zuviel an Hilfe stets das Gefühl gegeben würde, optimal zu handeln. Hier zeigt sich, dass beide Pole als Bezugsgröße zur Einschätzung verantwortlichen professionellen Handelns herangezogen wurden. In Bezug auf das Handeln in der konkreten Unterrichtssituation wurde immer wieder nach Möglichkeiten gesucht, die eigenaktiven Erkenntnisprozesse der Schülerinnen und Schüler durch ein adäquates Angebot zu unterstützen. Dieser Gedanke wird unter 7.2.2. Professionelles pädagogisches Handeln im Rahmen der Unterstützung eigenaktiver Lernprozesse intensiv diskutiert (vgl. S. 262ff.).

Damit wird ein Problemfeld deutlich, in welchem zwar ein grundsätzlicher Konsens darüber bestand, dass erst die Verantwortungsabgabe der Pädagoginnen und Pädagogen eine zunehmend autonome Verantwortungsübernahme der Schülerinnen und Schüler ermöglicht, spezifische Gegebenheiten auf Seiten der Schülerinnen und Schüler jedoch genau diese Ver-antwortungsabgabe zu unterminieren scheinen. Somit findet sich hier eine Thematik wieder, die bereits vorn als pädagogische Grundparadoxie gekennzeichnet wurde (vgl. S. 252f.).

Schon hier wird ein grundsätzliches Dilemma pädagogischen Handelns deutlich, welches in allen fünf Fällen in unterschiedlich ausgeprägter Intensität thematisiert wurde. In Fall 4 wird mit der Notwendigkeit der stellvertretenden Verantwortungsübernahme aufgrund der einge-schränkten Autonomie von Schülerinnen und Schülern generell und von Schülerinnen und Schülern mit geistiger Behinderung im Speziellen ein Problemfeld eröffnet, welches auch im theoretischen Diskurs intensiv thematisiert wird.

Die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung Rocks (2001) bestätigen, dass es sich hierbei um Spannungsfelder handelt, die nicht nur in der hier vorliegenden Untersuchung, welche vor dem Hintergrund der erlebnispädagogischen Arbeit unter dem Fokus von Eigenak-tivität und pädagogischem Handeln erfolgte, relevant sind. Rock untersuchte Orientierungs- und Deutungsmuster von Pädagoginnen und Pädagogen, die in der Erwachsenenbildung in unterschiedlichen Feldern mit Menschen mit geistiger Behinderung arbeiten. Fokus der Un-tersuchung war dabei die Ermöglichung und Unterstützung von Selbstbestimmung, was im schulischen Feld Parallelen zur Eigenaktivität aufweist. U.a. thematisiert sie ein Spannungs-feld von Autonomie und Fürsorge (vgl. S. 151ff.) sowie Autonomie und Verantwortlichkeit (vgl. S. 153ff.). Damit spricht sie beide Aspekte an, die in der hier vorliegenden Untersu-chung, welche den schulischen Kontext beleuchtet, ebenfalls thematisiert wurden.

Oevermann (2008) spricht diesbezüglich vom pädagogischen Grundparadox einer stellvertretenden Krisenbewältigung (vgl. S. 62). Unter professionellem Gesichtspunkt müsse diese stets so angelegt sein, dass die Wiederherstellung der Autonomie der Person unterstützt wird. Strukturell besteht jedoch die Gefahr, genau diese Autonomie wieder zu untergraben.

Oevermann fragt danach, wie man einen Beitrag zur Wiederherstellung der Autonomie leistet, ohne diese Autonomie andererseits durch Erzeugung neuer Abhängigkeiten zu beeinträchti-gen, „indem man den Klienten als hilfsbedürftig von sich abhängig macht“ (S. 63). Aus seiner Sicht lässt sich das damit verbundene Dilemma nur dann bewältigen, wenn das Maß an ge-währter Hilfe immer wieder durch das maximal mögliche Maß an Selbsthilfe begrenzt wird.

Das Problem der eingeschränkten Autonomie, welches nach Ansicht Oevermanns im pädagogischen Kontext zumindest bis zum Alter der Adoleszenz bei allen Adressaten päda-gogischer Professionalität anzutreffen ist und stets mit der Notwendigkeit zur stellvertreten-den Verantwortungsübernahme einhergeht, spitzt sich gerade im sonderpädagogischen Feld zu, denn „[d]ie immer schon vorweggenommene eingeschränkte Autonomie der Klientel ver-stärkt auf der Seite der Professionellen den Stellvertreterhabitus“ (Moser 2005, S. 88) Auch innerhalb der vorliegenden Untersuchung konnte dieses Phänomen beobachtet werden. So-wohl im Fall „Linde“ als auch im Fall 4 wurde problematisiert, dass pädagogische Einfluss-nahme zur Abwehr risikobehafteten Handelns auf Seiten der Schülerinnen und Schüler not-wendig wäre und damit implizit unterstellt, dass die Schülerinnen und Schüler nicht genügend Eigenverantwortung zur Sicherung ihrer Unversehrtheit aufbringen könnten. In Fall 4 wurde explizit geäußert, dass Pädagoginnen und Pädagogen an Stelle der Schülerinnen und Schüler Verantwortung für die Wahrung eigener Grenzen übernehmen müssten.

Theunissen (2003) benutzt den Begriff der stellvertretenden Verantwortungsübernah-me und beleuchtet das oben angesprochene Problem explizit vor dem Hintergrund des Em-powerment-Gedankens (zu Empowerment vgl. S. 135ff. in dieser Arbeit). Obwohl hier die Wahrung der Autonomie der Betroffenen im Vordergrund steht, räumt Theunissen ein, dass Menschen mit geistiger Behinderung auch ein gewisses Maß an Unterstützung benötigen, welche oftmals den Charakter des stellvertretenden Handelns hat. Auch er macht darauf auf-merksam, dass entsprechendes professionelles Handeln die Autonomie des anderen grund-sätzlich nicht gefährden sollte. „Von entscheidender Bedeutung ist, dass das expertokratische Fachwissen Professioneller eine angemessene, kognitiv, sozial und emotional verträgliche Form der Vermittlung findet und dass die Professionals in konkreten Handlungssituationen einen sinnverstehenden Zugang zu den Wünschen, Bedürfnissen, Problemlagen und Zu-kunftsperspektiven Betroffener suchen, ohne dabei zu vereinnahmen […] Darüber hinaus muss allerdings auch gesehen werden, dass das stellvertretende Handeln dem Betroffenen Perspektiven eröffnen kann, Neues zu erfahren oder andere Sichtweisen kennen zu lernen, die für eigene Entwicklung, das eigene Leben befördernd sein können“ (S. 50f., Auslassung T.K.).

Schütze (2000) diskutiert das Problem vor dem Hintergrund sozialpädagogischen Handelns und macht unter Bezugnahme auf empirische Ergebnisse darauf aufmerksam, dass die ständige Suche nach Möglichkeiten, die Klientinnen und Klienten zur Selbstständigkeit anzuregen, von den Professionellen oftmals als sehr aufreibend und kräftezehrend erlebt wird.

Infolgedessen geschieht es schnell, dass bestimmte Aufgaben nicht in die Hände der Betroffe-nen gelegt, sondern schnell und effizient selbst erledigt werden. Damit geht die Gefahr einer

„systematischen Entmündigung“ (S. 67) einher, die Schütze als zentralen Systemfehler pro-fessionellen Handelns bezeichnet. Auch die Pädagoginnen und Pädagogen des Falls „Linde“

reflektierten dieses Problem und äußerten selbstkritisch, dass das Selbstmachen durch die Lehrkräfte oft als der bequemere Weg erlebt wird. Wie unter 7.2.3 Professionelles pädagogi-sches Handeln im Kontext von Ungewissheiten: Reflexionsfähigkeit als professionelle Kern-kompetenz (vgl. S. 267) diskutiert werden wird, kann diese selbstkritische Sichtweise, die vor dem Hintergrund der Reflexion der Teilnahme am erlebnispädagogischen Projekt entstand, bereits als ein wesentlicher Schritt in Richtung professionelles Handeln im Kontext von wi-dersprüchlichen Anforderungen gesehen werden.

Oevermann (1996) stellt in Bezug auf die eingeschränkte Autonomie Heranwachsen-der die therapeutische Dimension als jeglichen pädagogischen Prozessen immanent heraus:

„Sie ergibt sich schlicht daraus, daß im Zuge der Wissens- und Normenvermittlung am sozia-len Schulort zwangsläufig eine Interaktionspraxis mit den Schülern eröffnet wird, die – zu-mindest bis zur Adoleszenzreife bzw. zum Abschluss der Pubertät angesichts des noch offe-nen Bildungsprozesses des Schülersubjekts – objektiv folgenreich für dessen spätere persona-le Integrität ist“ (S. 146). Daraus ergibt sich, dass Lehrerinnen und Lehrer sowohl rolpersona-lenför- rollenför-mig spezifische als auch diffuse, nicht-rollenförrollenför-mige Sozialbeziehungen zu ihren Schülerin-nen und Schülern eingehen müssen. Oevermann postuliert als Gelingensbedingung pädagogi-schen Handelns das Eingehen eines Arbeitsbündnisses. In Anlehnung an das Modell der psy-chotherapeutischen Beziehung ist das Arbeitsbündnis dadurch gekennzeichnet, dass sich der Klient freiwillig und unter Wahrung seiner Autonomie in die therapeutische Situation begibt.

Nur dann kann der Therapeut ihm seine stellvertretende Deutung, in Anlehnung an stellvertre-tende Verantwortungsübernahme, anbieten. Die hier vorzufindende Asymmetrie der Bezie-hung wird durch die rollenförmige, spezifische therapeutische Zuwendung ausgeglichen, wel-che allen Klientinnen und Klienten die gleiwel-che professionelle Behandlung zusiwel-chert. Professi-onalität wird hier an einer spezifischen Haltung des Therapeuten festgemacht, die auch auf den pädagogischen Kontext übertragen werden kann, wobei hier „pädagogisches Handeln ebenfalls nur gelingen kann, wenn sich zwischen Lehrer und Schüler ein Arbeitsbündnis

kon-stituiert, in das sich der Schüler freiwillig und unter Anerkennung seiner prinzipiellen Erzie-hungs- und Bildungsbedürftigkeit begibt“ (Lindmeier 2000, S. 173).

Als Äquivalent für den Leidensdruck des Patienten, der dafür sorgt, dass dieser sich als prinzipiell zu autonomer Selbstständigkeit befähigte Person freiwillig in ein partielles Ab-hängigkeitsverhältnis begibt, welches ein Arbeitsbündnis konstituiert, sieht Oevermann (1996) in Bezug auf das Kind seine Neugierde und seinen Wissensdrang. Resultierend aus der Einsicht des Kindes, dass es vieles noch nicht weiß, dieses aber wissen möchte, konstituiert sich hier ein pädagogisches Arbeitsbündnis, innerhalb dessen das Kind seine soziale Rolle als unterweisungsbedürftige Person anerkennt. Die oben angesprochene Diffusität in Bezug auf die Rolle von Pädagoginnen und Pädagogen ergibt sich daraus, dass sich der Schüler dem Lehrer in der „Ungeschütztheit seines Nichtwissens als ganze Person anvertrauen kann“ (S.

153) und der Lehrer dieses Vertrauen nicht durch negative Einschätzungen in Form von Stig-matisierung missbraucht. Seine Aufgabe wäre es, dem Kind „ein schlüssiges Angebot zu ma-chen, wie es diesen ‚Mangel’ beheben kann“ (a.a.O.). Die hier vorliegende Untersuchung fragt genau nach diesem schlüssigen Angebot. Die damit zwingend einhergehende Haltung von Pädagoginnen und Pädagogen müsste nach Ansicht Oevermanns getragen sein von der Überzeugung, dass dem Kind immer wieder Anstrengungen in Form von Problematisierungen nach dem Motto abverlangt werden müssten. „Wenn du es nicht auf dich nimmst, die An-strengungen zur Lösung dieses Problems ernsthaft zu übernehmen, dann weigerst du dich, das Problem als Problem realistisch ins Auge zu fassen, und/oder du weigerst dich, der Notwen-digkeit dieser Problemstellung folgend, Schritte zur möglichen Lösung […] auch konsequent auszuprobieren“ (S. 154).

Diese Aussage Oevermanns ist in hohem Maße anschlussfähig an die Prämissen pro-fessionellen Handelns innerhalb erlebnispädagogischer Kontexte. Hier hieß es in Kapitel 4 dieser Arbeit: „Destabilisierung als Voraussetzung für Lernprozesse besteht immer in der Zumutung, Menschen aus der Komfortzone in die Zone der Herausforderung zu bringen“

(Michl 2008, S. 40) In Kapitel 3 wurde aus kompetenzorientierter Sicht auf eine Aussage Trosts (2003) verwiesen: „Kompetenzorientierung bedeutet Zutrauen in die Fähigkeiten eines Menschen, aber auch Zumutung, weil sie Menschen jeden Alters für entwicklungs- und lern-fähig erachtet und sie dabei unterstützen will, ihre Chancen und Stärken besser zu nutzen“ (S.

512). Oevermanns Ausführungen zum Arbeitsbündnis liefern hierbei eine Konkretisierung in Bezug auf das professionelle Handeln der Pädagoginnen und Pädagogen. Das Verantwor-tungsproblem tritt innerhalb dieser Untersuchung deshalb besonders deutlich zu Tage, da wir es einerseits mit Schülerinnen und Schülern zu tun haben, denen eigenverantwortliches

Han-deln oft abgesprochen wird, und wir diese andererseits mit einem Lernarrangement konfron-tieren, welches genau dieses eigenverantwortliche Handeln konzeptuell einbindet und stark betont.

Lindmeier (2000) knüpft an die Argumentation Oevermanns an und betont in Bezug auf die eingeschränkte Autonomie die therapeutische Dimension innerhalb des professionel-len Handelns. Unter Bezugnahme auf frühe Arbeiten Moors verweist Lindmeier darauf, dass im Kontext der Sonderpädagogik „die Probleme schärfer hervortreten, die Widerstände härter und unerbittlicher und die Grenzen deutlicher und nicht zu übersehen sind“ (S. 172). Für Lindmeier ordnet sich sonderpädagogisches Handeln grundsätzlich allgemeinpädagogischem Handeln unter. Seine spezifische Legitimation erhält es dann, wenn die allgemeine Pädagogik versagt. Während innerhalb der allgemeinen Pädagogik die therapeutische Dimension des Handelns oft unterschlagen wird, müsse sonderpädagogisches Handeln genau an diesem Punkt ansetzen, indem ein pädagogisches Arbeitsbündnis zwischen Schülerinnen und Schü-lern und Pädagoginnen und Pädagogen (wieder) hergestellt wird. Dies geschieht dann, wenn die therapeutische Dimension „über die Rekonstruktion der diffusen, nicht rollenförmigen Interaktionsbeziehung zwischen Lehrer und Schüler die fruchtbare Spannung der wider-sprüchlichen Einheit von Spezifität und Diffusität des fallspezifischen pädagogischen Ar-beitsbündnisses wieder- bzw. überhaupt erst her[ge]stellt [wird]“ (S. 173, Anpassung T.K.).

Spezifität würde im Kontext dieser Untersuchung die Rolle von Pädagoginnen und Pädagogen als Verantwortungsabgebende betreffen, die damit die Eigenaktivität der Schülerinnen und Schüler anregen und fokussiert damit das Vermittlungsproblem. Diffusität betrifft die Rolle als stellvertretend Verantwortungsübernehmende, da die Schülerinnen und Schüler aufgrund nicht abgeschlossener Entwicklungsprozesse (noch) nicht über genügend Kompetenzen zu einer vollständig eigenverantwortlichen Übernahme der Verantwortung verfügen.

Die Heilpädagogik kann nur dann einen Beitrag zur Rekonstruktion des schen Arbeitsbündnisses leisten, wenn sie „den für alle Pädagogik konstitutiven pädagogi-schen Dialog als diffuse, nicht rollenförmige Sozialbeziehung zu eröffnen und zu erneuern vermag“ (Lindmeier 2000, S. 176). Dies wäre Voraussetzung dafür, dass sie ihre Vermitt-lungsaufgabe erfüllen kann und erfordert Kompetenzen, die über das hinausgehen, was als Unterrichtsexpertentum gelten könnte: „Lehrerinnen und Lehrer handeln professionell, wenn sie ihre pädagogisch-psychologische Expertise in die Erfahrungs- und Handlungsform der Selbstentwicklung (Selbstwahrnehmung, Selbstkonzeptbildung, Selbstkontrolle) und der Selbstwirksamkeit der Schülerinnen und Schüler umzusetzen vermögen“ (a.a.O.). Lindmeier spricht damit Bereiche an, deren besondere Relevanz innerhalb dieser Arbeit mehrfach

her-ausgestellt wurde. Die Geeignetheit erlebnispädagogischer Arrangements als spezifische Vermittlungsangebote könnte auch daraus resultieren, dass sie gerade in Bezug auf die Rolle der Pädagoginnen und Pädagogen Erkenntnisse der psychologischen Nachbardisziplinen in-tegriert und sich damit zutiefst einem humanistischen Menschenbild verpflichtet, welches die Achtung der Würde und Autonomie des Einzelnen und den Glauben an seine Entwicklungs-fähigkeit in den Vordergrund stellt. Damit wird nach Ansicht der Autorin innerhalb moderner Leitorientierungen der Erlebnispädagogik die diffuse, nicht rollenförmige Sozialbeziehung zwischen Pädagoginnen und Pädagogen und Schülerinnen und Schülern in besonderem Maße konzeptionell reflektiert. Heilpädagogik als „Wagnis einer Suchbewegung mit ungewissem Ausgang“ (Lindmeier 2000. S. 176) scheint hierbei in hoher Weise von erlebnispädagogi-schen Konzepten profitieren zu können.

7.2.2 Professionelles pädagogisches Handeln im Rahmen der Unterstützung