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6.3 Darstellung des Forschungsprozesses im Projektteil „Linde“

6.3.4 Ergebnisdarstellung, -interpretation und -diskussion

6.3.4.1 Kategorie „Spezifische Wirkungen“

In Kapitel 3 dieser Arbeit wurde unter konstruktivistischer Perspektive die Selbstorganisation von Lernprozessen betont und damit auf die prinzipielle Offenheit und Unbestimmbarkeit individueller Lernziele verwiesen. Innerhalb der theoretischen Auseinandersetzung zur Erleb-nispädagogik in Kapitel 4 wurde einer dezidierten Zielorientierung, die ein kausales Ursache-Wirkungs-Denken impliziert, eine generelle Wachstums- und Prozessorientierung entgegen-gesetzt.

Auch Lakemann (2005) weist darauf hin, dass sich Wirkungen von erlebnispädagogi-schen Angeboten keinesfalls geradlinig erzeugen lassen. Sie entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern müssen stets im Kontext selbstorganisierter Lernprozesse von Personen und sozialen Systemen gesehen werden. Vor dem Hintergrund ganz bestimmter Vorbedingungen der Situation und Person bzw. der Gruppe werden durch das erlebnispädagogische Lernange-bot zwar vielfältige Wirkungsimpulse ausgehen, inwieweit diese zur eigenaktiven Verarbei-tung anregen, wird jedoch höchst individuell geprägt sein (Lakemann 2005, vgl. S. 11).

Die hier vorliegende Studie verfolgt nicht das Ziel, eine Kausalität zwischen erlebnis-pädagogischem Angebot und einer allgemeingültigen spezifischen Wirkung nachzuweisen.

Im Allgemeinen wird dieser Nachweis (nicht nur) innerhalb erlebnispädagogischer Angebote bei Menschen mit geistiger Behinderung problematisch sein, da der Mensch als aktiver Ge-stalter seiner Wissens- und Verstehensstrukturen aus dem gleichen Angebot unterschiedliche Lernerfahrungen verinnerlichen wird. Diese sind stets abhängig von seinen individuellen Vor-erfahrungen und Verarbeitungsprozessen. Dazu kommt die Problematik der großen Heteroge-nität innerhalb der hier untersuchten Zielgruppe. Aus diesem Grund ist die hier dargestellte Hauptkategorie nur als vorsichtiger Versuch zu verstehen, die angebotenen Erfahrungs- und

Lernmöglichkeiten in Bezug auf Veränderungen bei den Schülerinnen und Schülern zu inter-pretieren. Nachdrücklich betont sei dabei, dass die getroffenen Aussagen aus den Interpretati-onen der Beobachtungen der Pädagoginnen und Pädagogen resultieren und damit vorerst hy-pothetischen Charakter haben und nicht generalisiert werden dürfen.

Zunächst wurde in Bezug auf die Geeignetheit für bestimmte Schülergruppen festge-stellt, dass sowohl Schülerinnen und Schüler auf einem höheren als auch Schülerinnen und Schüler auf einem niedrigeren Fähigkeitsniveau vom erlebnispädagogischen Angebot profitie-ren konnten („Ich muss sagen von unsern sechs Schülern haben eigentlich alle profitiert vom Camp. Jeder auf seine Weise“ Position 18-2). Das erlebnispädagogische Lernarrangement scheint also unabhängig vom individuellen Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler ge-eignet, um die aktive Aneignung sozialer Kompetenzen zu unterstützen.

Es wurde zwischen Schülerinnen und Schülern mit Verhaltensauffälligkeiten und Schülerinnen und Schülern mit niedrigem Selbstwertgefühl und sozialer Unsicherheit diffe-renziert. Bei Schülerinnen und Schülern mit niedrigem Selbstbewusstsein und großer Selbst-unsicherheit führte die Teilnahme am Projekt nach Aussagen der Pädagoginnen und Pädago-gen zur Steigerung des Selbstwertgefühls („Und auch bei der N. merkt man das ganz schön, die vorher nie irgendwas geredet hat in der Gruppe, und auch eben ganz viel gesagt hat und dadurch auch irgendwie gelernt hat auch besser aus sich raus zu kommen“ Position 32). Bei Schülerinnen und Schülern mit Verhaltensauffälligkeiten wurde die Notwendigkeit zur Unter-ordnung innerhalb der Gruppe und das Spüren und Akzeptieren eigener Grenzen als wirksame Faktoren herausgestellt („Zum Beispiel, dass ein E. an der Kletterwand wieder runter möchte und er hat trotzdem gesagt, es hat ihm gut gefallen. Also es war ein Eingeständnis seiner ei-genen Endlichkeit sozusagen irgendwo“ Position 18-1). Damit werden zwei Aspekte sozialer Kompetenzen akzentuiert. Das Spüren und Akzeptieren eigener Grenzen setzt die Sensibili-sierung für eigene Gefühle voraus. Dies ist die Voraussetzung zur Regulation derselben und damit Basis für Handlungsregulation. Ohne diese wiederum wäre keine Unterordnung in eine Gruppe zum Zwecke der gemeinsamen Zielerreichung möglich.

Die Wirkung des erlebnispädagogischen Angebots wird anschließend in Bezug auf de-ren Reichweite diffede-renziert. Dabei wird unterschieden zwischen Effekten, die unmittelbar im Projekt selbst spürbar waren und Effekten, die über das Projekt hinaus in unterschiedlichen schulischen Situationen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten beobachtet wurden. Bei letzte-ren kann von nachhaltigen Effekten gesprochen werden, da sie einen Transfer der gemachten Erfahrungen auf projektunabhängige Situationen voraussetzen.

Innerhalb des Projekts wurden ein insgesamt erhöhtes Kommunikationsbedürfnis und hohe Kommunikationsbereitschaft deutlich. Dies betraf in besonderem Maße Gesprächssitua-tionen, die direkt nach Bewältigung einer herausfordernden Anforderung zustande kamen und nur zum Teil pädagogisch initiiert waren. Die kommunikative Aktivierung wurde auf das un-mittelbare Spüren der eigenen Leistung zurückgeführt. Diese Aussage fokussiert den Aspekt der Selbstwirksamkeitserfahrung. Besonders im Zusammenhang mit der Bewältigung heraus-fordernder Situationen scheint hierbei der emotionale Aspekt von Bedeutung zu sein. Eine starke emotionale Beteiligung ist konstituierend für eine Erfahrung, die sich vom Alltäglichen abhebt und dadurch als besonderes Erlebnis bezeichnet werden kann (vgl. Felten 1998, S. 35).

In besonderem Maße wurde dies bei Schülerinnen und Schülern deutlich, die bisher eher ein sprachgehemmtes Verhalten zeigten („Ich fand das auch toll, dass zum Beispiel auch wie H., unsere sprachgehemmten Kinder, in der Runde dort überhaupt was sagen konnten. Was mit hatten, was sagen konnten dazu, was jetzt auch wirklich nen Sinn gemacht hat“ Position 147).

Gleichzeitig weisen diese Aussagen darauf hin, dass Reflexionsphasen auch und gerade bei Schülerinnen und Schülern mit geistiger Behinderung innerhalb einer erlebnispädagogischen Anforderung durchführbar und relevant sind. Sie unterstützen nicht nur den Schritt von der Erfahrung zur Erkenntnis als Transferbedingung, sondern stellen gerade bei dieser Klientel ein geeignetes Lernfeld für kommunikative Prozesse dar.

Die Annahme und Bewältigung komplexer kognitiver Anforderungen ist ein Indiz da-für, dass erlebnispädagogisch orientierte Lern- und Erfahrungsräume für Schülerinnen und Schüler eine geeignete Anforderungsstruktur darstellen. Es konnte eine Vielzahl von Aktivitä-ten der Schülerinnen und Schüler beobachtet werden, die das Übernehmen von Verantwor-tung für den Gruppenprozess zeigten. Das Spüren eigener Grenzen und die unmittelbaren Rückmeldungen über Erfolg oder Misserfolg führten zur Steigerung der Selbstkontrolle in-nerhalb des Projekts. Außerdem wurde von den Pädagoginnen und Pädagogen eine Steige-rung der individuellen Leistungsfähigkeit innerhalb der AnfordeSteige-rungssituation beobachtet („Also der R., der ist ja über sich rausgewachsen (…) das war ja gigantisch (…)“ Position 60). Diese Beobachtung der Pädagoginnen und Pädagogen scheint darauf hinzuweisen, dass es innerhalb der erlebnispädagogischen Situation bei einigen Schülerinnen und Schüler zu einem Flow-Erleben kam, welches in Kapitel 3 (vgl. S. 79) beschrieben wurde und das beson-ders dann auftritt, wenn eine Person völlig in ihrer Tätigkeit aufgeht und alltägliche Verhal-tens- und Kommunikationsformen durchbrochen und durch zweckmäßigere ersetzt werden.

Aus dem glückvollen Aufgehen im eigenen Tun scheint also auch hier eine hohe motivationa-le Kraft zu resultieren, die zusätzliche extrinsische Anreize unnötig machte.

In Bezug auf selbstunsichere Schülerinnen und Schüler wurde jedoch auch geäußert, dass sich Misserfolgserfahrungen negativ auswirken könnten.Alex (2001) verweist ausdrück-lich darauf, dass besonders in Bezug auf die Zielgruppe Schülerinnen und Schüler mit geisti-ger Behinderung ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis berücksichtigt werden muss (vgl. S. 82), welches jedoch nicht als behinderungsbedingtes Merkmal der Personengruppe gesehen wer-den darf, sondern aus einer oftmals überbehütenwer-den Interaktion resultiert (vgl. Theunissen 1994, S. 35). Wie bereits in Kapitel 4 unter dem Stichpunkt „Herausforderung“ (vgl. S. 118) betont wurde, ist die erlebnispädagogische Situation oft gekennzeichnet durch Neuartigkeit und Ungewohntheit der Situation. Dadurch kommt es häufig zu ambivalenten Gefühlen. Auf der einen Seite wirken sie motivierend und spornen dazu an, sich auf sie einzulassen. Ande-rerseits können sie jedoch auch Ängste erzeugen. Die Konfrontation mit einer herausfordern-den Situation wird individuell mit einem sehr unterschiedlichen Erleben einhergehen, wobei individuelle Vorerfahrungen und Faktoren wie Selbstsicherheit und Kontrollüberzeugung, aber auch das situative Befinden niemals für alle Schülerinnen und Schüler im Vorfeld präzise bestimmt werden können. Aus diesem Grund scheint der situationsadäquaten Einschätzung der individuellen Befindlichkeit der Schülerinnen und Schüler von Seiten der Pädagoginnen und Pädagogen eine besondere Bedeutsamkeit zu besitzen. Diese kann einerseits durch ge-naue Beobachtungen und entsprechende Modifikationen bzw. Interventionen der Pädagogin-nen und Pädagogen realisiert werden. Andererseits kann durch das Raum geben zum Spüren des eigenen Befindens und zur Kommunikation darüber die Verantwortung für den Lernpro-zess stückweise wieder in die Selbstbestimmung der Schülerinnen und Schüler verlagert wer-den. Da gruppendynamische Effekte und individuelles Erleben innerhalb der Planung niemals vollständig zu antizipieren sind, sollte eine ausreichende Anzahl an Pädagoginnen und Päda-gogen zur Verfügung stehen, um eventuelle Überforderungssituationen im emotionalen Be-reich auffangen zu können. Außerdem gewinnt der Punkt der Freiwilligkeit eine besondere Bedeutung. Dies betrifft den Grad der Annäherung an individuelle Grenzbereiche: „Unfrei-williges Handeln innerhalb des individuellen Grenzbereichs führt zu Überforderungssituatio-nen, die gerade im sozial-emotionalen Bereich bei Menschen mit geistiger Behinderung zu negativen Folgen führen können! Ein aufgezwungenes Bewegen im persönlichen Grenzbe-reich des Individuums ist pädagogisch keinesfalls zu vertreten und ethisch abzulehnen“ (Kin-ne 2007, S. 7).

Innerhalb des Kapitels 4 wurde unter dem Punkt Herausforderung (vgl. S. 118f.) eben-falls ausgeführt, dass das Verlassen der Komfortzone stets mit Verunsicherung und Destabili-sierung verbunden ist (vgl. Kinne 2007). Dies spricht dafür, dass besonders im Hinblick auf

die hier untersuchte Klientel eine gefestigte Beziehung zwischen Pädagoginnen und Pädago-gen und Schülerinnen und Schülern eine Voraussetzung zur bestmöglichen Planung und Durchführung erlebnispädagogischer Elemente ist. Speck (1995) führt zum Beziehungsaspekt innerhalb erlebnispädagogischer Angebote aus: „Ohne persönliche Zuwendung, ohne eine wechselseitige authentische emotionale Begegnung, die im Blick ebenso erlebbar ist, wie im Spüren der Haut, bleibt der bloße äußere Reiz leer“ (S. 15). Je besser die Beziehungen zu Pä-dagoginnen und Pädagogen sowie zu Mitschülerinnen und Mitschülern entwickelt sind, desto höhere Anforderungen im sozial-emotionalen Bereich sind vertretbar. Die teilnehmenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichteten davon, dass sie im Laufe des Projekts und da-nach von den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern immer besser als Bezugsperson ak-zeptiert wurden. Dies zeigt, dass es sich auch bei der Gestaltung der pädagogischen Bezie-hung um einen zirkulären Prozess handelt. Eine solide BezieBezie-hung zwischen Schülerinnen und Schülern und Pädagoginnen und Pädagogen ist einerseits Voraussetzung zum sinnvollen Ein-satz erlebnispädagogischer Aktivitäten, ist andererseits jedoch auch deren Ziel. In diesem Sinne wirkte das erlebnispädagogische Projekt in der Wahrnehmung der Pädagoginnen und Pädagogen auch dahingehend, dass sie in projektunabhängigen Situationen eine größere Ak-zeptanz von Seiten der Schülerinnen und Schüler spürten.

Es wurde ebenfalls geäußert, dass für Schülerinnen und Schüler mit mangelnder Selbstwirksamkeitserfahrung eine zu komplexe Anforderungsstruktur ebenfalls negative Kon-sequenzen haben kann. In Kapitel 4 wurde darauf verwiesen, dass der Handlungsraum, in welchem subjektive Sicherheit empfunden wird, in einem gewissen Umfang verlassen werden muss, um neue Lernerfahrungen zu ermöglichen (vgl. S. 115f.). Dies darf jedoch nicht zu un-lösbaren Überforderungssituationen führen. Ziel muss es also sein, Lernlandschaften zu ges-talten, welche den schmalen Grad zwischen Herausforderung und Überforderung treffen. Die Aussagen der Pädagoginnen und Pädagogen wiesen darauf hin, dass ein möglichst genauer Kenntnisstand der individuellen Fähigkeiten und emotionalen Gegebenheiten der Schülerin-nen und Schüler eine wichtige Voraussetzung dafür ist, angemessene Angebote zu konzipie-ren. Daraus wäre abzuleiten, dass es nicht sinnvoll ist, ausschließlich externe erlebnispädago-gische Anbieter mit einem Angebot zu beauftragen, ohne Pädagoginnen und Pädagogen der Schule zu beteiligen. Will man im schulischen Kontext auf das erlebnispädagogische Know- How nicht verzichten, wären eine Kooperation mit einem erlebnispädagogischen Experten ratsam. Auf diesen Punkt wird bei der Diskussion der Ergebnisse zur Kategorie „Rahmenbe-dingungen“ auf S. 210ff. noch einmal eingegangen.

Auch über den Projektzeitraum hinaus zeigten sich nach Aussagen der pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nachhaltige Effekte. Diese können als Transfereffekte be-zeichnet werden: „Als Transfer wird das Fortscheiten des Lernenden vom Konkreten zum Abstrakten verstanden, indem er neue Verhaltensweisen in der konkreten (Kurs-) Situation entdeckt, diese Lernerfahrungen generalisiert und auf andere (Alltags-) Situationen überträgt“

(Reiners 1995, S. 59). Aussagen zu Transfereffekten können im hier betrachteten Kontext lediglich in Bezug auf den schulischen Raum getroffen werden und betreffen sowohl schuli-sche Situationen außerhalb des Projekts, als auch Effekte über den eigentlichen Projektzeit-raum hinaus.

Die von den Pädagoginnen und Pädagogen angeführte große Präsenz des Themas in Gesprächen zwischen den Schülerinnen und Schülern, die am Projekt teilnahmen, kann zwar noch nicht direkt als Transfereffekt bezeichnet werden, weist jedoch darauf hin, dass sich das Erlebte als motivationale Kraft, z.B. in kommunikativen Situationen über das Projekt hinaus zeigte. Besonders Schülerinnen und Schülern, die bisher über ein eher eingeschränktes Kom-munikationsbedürfnis und -vermögen verfügten, zeigten sich nach Aussagen der Pädagogin-nen und Pädagogen während und nach dem Projekt kommunikativ aktiver. Außerdem wurde darauf verwiesen, dass Erlebtes über sehr lange Zeiträume gemerkt und kommuniziert wurde.

Innerhalb der Klassengemeinschaften wurde eine Festigung des Zusammenhaltes beobachtet, was beispielsweise durch die Bereitschaft sich gegenseitig zu helfen zum Ausdruck kam („Ja überhaupt auch soziale Strukturen, das einander helfen, also das spür ich bei unseren sechsen eigentlich auch, also das hat zusammengeschweißt die Zeit und soziale Fähigkeiten“ Position 23). Außerdem wurde von intensiven Bezügen zwischen den Projektteilnehmerinnen und -teilnehmern berichtet. Dies betrifft sowohl die Schülerinnen und Schüler untereinander, als auch intensive Kontakte zwischen pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Schülerinnen und Schülern. Auf die erhöhte Akzeptanz auf Seiten der Schülerinnen und Schü-ler gegenüber den Pädagoginnen und Pädagogen wurde schon oben eingegangen.

Indirekte Wirkung ist die Beeinflussung der Wahrnehmung der Pädagoginnen und Pä-dagogen bezüglich der Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler. Sie äußerten Erstau-nen darüber, wozu ihre „Schützlinge“ in der Lage waren und was sie leisten konnten (Da dachte ich mir auch so: „Na ja wenn wir das hier so sehen!“, aber ich war so positiv dann überrascht, als ich wieder zurück kam, also hätt’ ich nicht gedacht, wirklich! Und vor allen Dingen für mich war’s auch schön, dass man die Erfolge bei den Schülern richtig mitbe-kommt. Wo man auch manchmal denk: ‚Na schafft der bestimmt nicht!’ Das ist auch so Erfolg für uns Pädagogen, sag ich jetzt mal, ist wirklich auch sehr lehrreich“ Position 213). Diese

Aussage erscheint nicht nur unter inhaltlichem Aspekt bedeutsam. An dieser Stelle wird be-sonders deutlich, dass durch die Teilnahme am erlebnispädagogischen Projekt auch auf Seiten der Pädagoginnen und Pädagogen Lernprozesse stattgefunden haben, die von einer erhöhten Bereitschaft zur Selbstreflexion bezüglich des eigenen Verhaltens im pädagogischen Prozess zeugen. Soll Bildung und Erziehung auf ein Leben in größtmöglicher Eigenverantwortung und Selbstbestimmung vorbereiten, müssen für Schülerinnen und Schüler Lernbedingungen geschaffen werden, die selbstbestimmte Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten eröff-nen und eigenverantwortliches Handeln in einem gewissen Schonraum zulassen. Dies impli-ziert, dass den Schülerinnen und Schülern das Finden eigener Lösungsmöglichkeiten prinzi-piell zugetraut und ihnen auch die Zeit dafür zur Verfügung gestellt wird. In der theoretischen Auseinandersetzung wurden beide Aspekte unter den Stichworten „Selbstbestimmung und pädagogische Verantwortung“ (vgl. S. 93ff.) und „Zur Bedeutung von Selbstreflexion bei Pädagoginnen und Pädagogen“ (vgl. S. 95ff) intensiv theoriegeleitet diskutiert. Hier wurde auch darauf verwiesen, dass man in der Praxis „noch häufig Haltungen und Einstellungen [findet], die die Abhängigkeit geistig behinderter Menschen in den Vordergrund stellen“

(Mattke 2004, S. 305, Einfügung T.K.). Dies geht oft mit der Annahme einer erhöhten Hilfs-bedürftigkeit einher, die schnell zur Überbehütung und somit zu erlernter Hilflosigkeit führen kann. Die ständige Reflexion des eigenen pädagogischen Handelns, welche hier von den Pä-dagoginnen und Pädagogen explizit angesprochen wird, könnte als Basis für eine „enthierar-chisierte Grundhaltung“ (Schuppener 2005, S. 275) gelten, die sich u.a. in der veränderten Rolle von Pädagoginnen und Pädagogen von Allwissenden zu Prozessbegleitern im dialogi-schen Miteinander zeigt.

Ohlhaver & Wernet (1999) verweisen diesbezüglich auf eine Expertise der Bund-Länder-Kommission (BLK). Darin wird festgestellt, dass Lehrerinnen und Lehrer ihr persön-liches professionelles Wissen hauptsächlich in den ersten Berufsjahren erwerben. Dies ge-schieht weniger unter ausbildungskonzeptionellen, administrativen und curricularen Aspek-ten, sondern wird vielmehr durch kulturelle Skripte vermittelt. Diese kulturellen Skripte wer-den durch die allgemeine und fachspezifische Berufskultur der Lehrerschaft bestimmt, beru-hen also auf geteilten Erfahrungen und Leitbildern, die im Sozialisationsprozess tradiert und erworben werden. Dadurch wird zwar einerseits die Berufskarriere stabilisiert, da dieser Pro-zess mit dem Erwerb wichtiger Routinen einhergeht, andererseits behindert dies jedoch die innovative Öffnung und Erweiterung unterrichtspraktischer Handlungsmöglichkeiten in Theo-rie und Praxis, da innovative OTheo-rientierungen innerhalb kultureller Skripte nur schwer Fuß fassen können. Um ein höheres Maß an Professionalität im Lehrerberuf anzustreben, werden

neben kooperativen Fähigkeiten auch Fähigkeit zu Selbstvergewisserung und Selbstüberprü-fung gefordert (Olhaver & Wernet 1999, vgl. S. 12f.). Dies erscheint besonders vor dem Hin-tergrund bedeutsam, dass Unterricht niemals ein vollständig zu kontrollierender Handlungsab-lauf ist. „Akzeptiert man aber die Nicht-Standardisierbarkeit dieser Berufspraxis, dann er-scheinen reflexive Kontrolle als einzig ihr adäquater Modus“ (a.a.O., S. 26).

Möglicherweise könnten erlebnispädagogische Angebote, in denen Lehrerinnen und Lehrer selbst zu Teilnehmerinnen und Teilnehmern werden, ein weiteres erlebnispädagogi-sches Einsatzfeld sein, in welchem sie anhand des eigenen Erlebens innerhalb erlebnispäda-gogischer Lernarrangements ihr Rollenverständnis hinterfragen und Reflexionsfähigkeit als pädagogische Schlüsselkompetenz weiterentwickeln können. Als immanenter Bestandteil von Aus- und Fortbildungen könnten hierbei auch die Weiterentwicklung von Kooperations- und Teamfähigkeit im Mittelpunkt stehen. Die Selbsterfahrung im erlebnispädagogischen Feld könnte ihnen außerdem die Gestaltung und Begleitung erlebnispädagogischer Angebote für ihre Schülerinnen und Schüler erleichtern. Erlebnispädagogische Selbsterfahrung für Lehren-de wird von Lehren-den Pädagoginnen und Pädagogen als wichtige Voraussetzung zum erfolgreichen Einsatz erlebnispädagogischer Angebote für Schülerinnen und Schüler angesehen und unter der Kategorie „Rahmenbedingungen“ (vgl. S.210) nochmals thematisiert.

Insgesamt wurde von den Schülerinnen und Schülern immer wieder ein großes Inte-resse an der Weiterführung des Projekts geäußert, woraus zu schließen ist, dass das erlebnis-pädagogische Angebot auf Seiten der Schülerinnen und Schüler akzeptiert und angenommen wurde. Dies wäre unter emotionalen und motivationalen Aspekten eine wichtige Vorausset-zung zur Förderung eigenaktiver Lernprozesse (Also, das ist auch in anderen Klassen so, also dass die sich jetzt schon alle voranmelden fürs nächste Mal, falls es so was gibt, da sind eini-ge richtig, richtig, ja beeini-geistert davon was die anderen erzählt haben und zeieini-gen sich dann die Bilder und ja nächstes Jahr bin ich mit dabei und dann rufen natürlich die anderen, die dabei waren: „Ja ich will auch wieder mit“ Position 29).