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An-spruch nach adressatenspezifischen Angeboten gerecht zu werden, scheint es günstig, erleb-nispädagogische Kompetenzen mit den Kompetenzen der Pädagoginnen und Pädagogen, die im alltäglichen schulischen Kontakt mit ihren Schülerinnen und Schülern stehen, zu ergänzen.

Hier besteht ein interdisziplinärer Anspruch, in welchem Erlebnispädagogik und Behinder-tenpädagogik voneinander profitieren könnten.

Innerhalb der Erlebnispädagogik werden Selbsttätigkeit und pädagogische Zurückhal-tung als Elemente von Handlungsorientierung stark betont. Dies erscheint im Zuge erschwer-ter Aneignungsbedingungen bei Schülerinnen und Schülern mit geistiger Behinderung zu-nächst schwer umsetzbar. Andererseits wurde in Kapitel 3 die Notwendigkeit von Selbsttätig-keit und Selbststeuerung für kompetenzorientierte Lernprozesse explizit herausgestellt. Dar-aus ergibt sich die Frage, wie erlebnispädagogische Lernprozesse konzeptionell gestaltet wer-den könnten, um beide Aspekte sinnvoll miteinander zu verbinwer-den. Das heißt, unter welchen konzeptionellen Bedingungen kann erlebnispädagogische Arbeit für Schülerinnen und Schü-ler mit geistiger Behinderung soziale Kompetenzentwicklung sinnvoll unterstützen? Hierbei wäre von besonderem Interesse, inwieweit es gelingt, Lernfelder zu eröffnen, welche den schmalen Grat zwischen Herausforderung und Überforderung treffen. Um diesen Fragen in der Praxis nachzugehen und die bisherigen theoretischen Überlegungen praxisrelevant zu ver-ankern, wurde ein erlebnispädagogisches Projekt initiiert, welches im Folgenden vorgestellt werden soll.

5.2 Implementierung im unterrichtlichen Kontext: Konzeption des

Erleb-nispädagogin) angehörten. Die Studierenden hatten bereits im Vorfeld ein erlebnispädagogi-sches Seminar besucht, in welchem neben der erlebnispädagogischen Selbsterfahrung die Er-arbeitung theoretischer Aspekte der Erlebnispädagogik im Mittelpunkt stand. Die Projekt-gruppe wurde durch Pädagoginnen und Pädagogen der jeweiligen Schulen unterstützt, die innerhalb eines pädagogischen Tages im Vorfeld mit dem erlebnispädagogischen Konzept vertraut gemacht wurden.

Außerdem konnte ein erlebnispädagogischer Verein der Stadt Leipzig als Kooperati-onspartner gewonnen werden. Der KooperatiKooperati-onspartner hatte bisher keine konkreten Erfah-rungen in Bezug auf erlebnispädagogische Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung, hatte jedoch schon Projekte mit Schülerinnen und Schülern mit Lernbehinderung durchge-führt. Er unterstützte das gesamte Projekt auf vielfältige Weise. Ihm steht innerhalb der Stadt ein Gelände mit Hochseilgarten, Kletterwand, Wasserzugang, Lehmofen, Feuerplatz, Über-nachtungsmöglichkeiten im Tipi und einem großem Gelände für erlebnispädagogische Übun-gen zur Verfügung. Außerdem gibt es verschiedenste Materialien, die zur erlebnispädagogi-schen Arbeit genutzt werden können. Dazu gehören Kletterausrüstung, Boote, Zelte, Fahrrä-der, Materialien zum Bau mobiler Seilgärten etc.. Sowohl das Gelände, als auch die gesamten Materialien konnten von der Projektgruppe genutzt werden.

Pro Schule gab es eine feste Gruppe von Schülerinnen und Schülern, mit denen über den Zeitraum eines Schulhalbjahres kontinuierlich gearbeitet wurde. Am Projektteil „Rose“

nahmen insgesamt 17 Schülerinnen und Schüler aus den Ober- und Werkstufenklassen der Schule teil. Am Projektteil „Linde“ nahmen insgesamt 24 Schülerinnen und Schüler teil, die ebenfalls aus den Ober- und Werkstufenklassen stammten. Bei beiden Projekten wurde klas-senübergreifend gearbeitet. Ein dreitägiges Abenteuercamp bildete jeweils den Abschluss und Höhepunkt eines als Gruppe erlebten Prozesses, der geprägt war von der Konfrontation mit z.

T. ungewohnten Anforderungen.

5.2.2 Planung und Durchführung

Unter Punkt 5.1 Die Frage nach einer besonderen Erlebnispädagogik (vgl. S. 139f.) wurde dargelegt, inwieweit die Erlebnispädagogik auf die Lernbedürfnisse von Schülerinnen und Schülern mit geistiger Behinderung eingehen kann. Daraus können Entwicklungsthemen ab-geleitet werden, die innerhalb des Gesamtprojekts verfolgt wurden. Dazu zählen der Aufbau intrinsischer Motivation und des selbstständigen Handelns, der Aufbau von Handlungsregula-tion durch Bewusstheit und Kontrolle von Gefühlen, die Differenzierung des MotivaHandlungsregula-tionssys- Motivationssys-tems durch das Erleben des Einzelnen innerhalb einer Gruppe, das Erfahren von

Selbstwirk-samkeit und Umweltkontrolle, die Entwicklung kommunikativer Kompetenzen sowie die Emanzipation von Fremdbewertung durch die realistische Einschätzung der eigenen Fähigkei-ten. Die aufgezählten Entwicklungsthemen werden je nach situativen Bedingungen, Anforde-rungsgehalt der speziellen Übung und Bedürfnislage des Einzelnen individuell unterschiedlich angesprochen. Eine Voraussage zu operationalisierbaren Lernerfolgen ist dabei nur bedingt gegeben. Sie dienen trotz dessen als Groborientierung für die konzeptionelle Ausgestaltung des Gesamtprojekts.

Im Vorfeld wurde gemeinsam mit dem Kooperationspartner überlegt, welche erlebnis-pädagogischen Medien innerhalb des Abenteuercamps zum Einsatz kommen könnten. An-hand der Grobplanung des Abenteuercamps konnte die Planung der wöchentlich stattfinden-den schulischen Veranstaltungen inhaltlich strukturiert werstattfinden-den. Dabei wurde stets darauf ge-achtet, dass bei der Grob- und Feinplanung genügend Freiraum blieb, um den erlebnispäda-gogischen Prinzipien der Offenheit und Prozessorientierung gerecht zu werden und den Schü-lerinnen und Schülern Möglichkeiten zur Selbst- und Mitbestimmung zu geben. Während dieser Planungsphase konnten die Kompetenzen des Kooperationspartners hinsichtlich be-stimmter Medien der Erlebnispädagogik sinnvoll mit den förderpädagogischen Kompetenzen der Projektgruppe synergieren. Während des Projekts selbst hielten sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter inhaltlich im Hintergrund und unterstützten die Projektgruppe durch die Be-reitstellung und den Aufbau von Materialien und kompetente Beratung zum Thema Sicherheit während der erlebnispädagogischen Übungen. Während der Veranstaltungen in der Schule unterstützten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kooperationspartners die Arbeit der Projektgruppe nur dann, wenn mit speziellen erlebnispädagogischen Medien, wie zum Bei-spiel dem Niedrigseilgarten, gearbeitet wurde.

Um das Projekt im schulischen Alltag zu implementieren, bot es sich an, einmal wö-chentlich zu einem festen Zeitpunkt in 90-Minuten-Blöcken zu arbeiten. Durch das kontinu-ierliche Arbeiten über ein gesamtes Schulhalbjahr wurden die Schülerinnen und Schüler schrittweise mit den erlebnispädagogischen Angeboten vertraut gemacht. Zum Einsatz kamen Übungen, die innerhalb des Schulgeländes, evtl. auch innerhalb eines Klassenraumes oder der Turnhalle oder in der näheren Umgebung durchführbar waren. Im Vordergrund standen hier-bei kooperative Abenteuerspiele aus dem erlebnispädagogischen Bereich, da diese den be-grenzten zeitlichen und örtlichen Rahmenbedingungen am besten gerecht wurden (vgl. zur theoretischen Fundierung Kooperativer Abenteuerspiele Kapitel 4 auf S. 129ff.).

Die Feinplanung und Durchführung der einzelnen erlebnispädagogischen Einheiten war Aufgabe der Studierenden in enger Kooperation mit der Projektleiterin. Die im

theoreti-schen Teil dieser Arbeit dargelegten Grundzüge einer modernen Erlebnispädagogik dienten dabei in gekürzter und modifizierter Form der methodisch-didaktischen Orientierung inner-halb des erlebnispädagogischen Handlungsrahmens. In ihrer Gesamtheit ergeben sie in Form erlebnispädagogischer Leitlinien ein dichtes Netz an praxisrelevanten Aussagen zur Planung und Durchführung entsprechender erlebnispädagogischer Angebote (vgl. Abbildung 13 auf S.

145). Auf deren Grundlage können die Planung optimiert und die stattgefundenen Einheiten evaluiert werden. Die ausführliche inhaltliche Beschreibung der Leitlinien ist zu finden bei Kinne 2007 (vgl. S. 5ff.).

Abbildung 13: Erlebnispädagogische Leitlinien

Die konkrete Umsetzung oblag jeweils einer Gruppe von zwei bis vier Studierenden. Alle anderen Studierenden hatten während der Veranstaltung Beobachtungsaufgaben und hielten sich so weit wie möglich aus dem Geschehen heraus. Dazu gehörte auch, einen gewissen Ab-stand zum Geschehen einzuhalten, damit die Situation für die Schülerinnen und Schüler nicht zu unübersichtlich wird. Das Anleitungsteam hatte jedoch die Möglichkeit, im Vorfeld Helfer für bestimmte Aktivitäten, wie die Betreuung von Kleingruppenarbeit oder zur Absicherung risikoreicherer Übungen, zu bestimmen. Den Schülerinnen und Schülern wurde eingangs er-klärt, dass die Studierenden die Aufgabe haben, das Projekt zu beforschen und dazu genau beobachten müssen, was im Einzelnen passiert. Dabei wurde als Ziel der Beobachtung die Verbesserung des Unterrichts benannt. Dies trug dazu bei, dass die Beobachtungssituation auf Seiten der Schülerinnen und Schüler nur anfangs geringe Irritationen nach sich zog, die

je-doch schon innerhalb der ersten Veranstaltung stark abnahmen. Dies traf ebenfalls für den Videoeinsatz zu.

5.2.3 Die gruppendynamischen Prozessreflexionen

Ein wichtiger inhaltlicher und prozessualer Bestandteil des Projekts waren die gruppendyna-mischen Prozessreflexionen. Sie wurden unmittelbar im Anschluss an jede einzelne der 90-minütigen Veranstaltungen im wöchentlichen Kontext durchgeführt und es nahmen alle betei-ligten Studierenden und die Projektleiterin teil. Die gruppendynamischen Prozessreflexionen erfüllten zwei grundlegende Funktionen im Forschungsprozess:

• Die Ergebnisse dieser Gruppendiskussionen flossen einerseits unmittelbar in die Ges-taltung der nächsten Anforderungssituation ein. Diese „praxisverändernde Umsetzung der Ergebnisse im Forschungsprozess“ (Mayring 1996, S. 36) gehört zu den Grundsät-zen der Handlungsforschung. Die Ergebnisse wirken bereits im Forschungsprozess verändernd auf die Praxis ein und bringen somit eine neue Praxis hervor. Im hier ge-schilderten Fall handelt es sich um die logische Verbindung von Analyse und Planung.

Die Erkenntnisse der Analyse des konkreten Vollzugs erlebnispädagogischer Maß-nahmen (Prozessebene) werden zu handlungsleitendem Wissen für die Gestaltung der nächsten erlebnispädagogischen Anforderungssituation (vgl. Jank & Meyer 2002, S.

99).

• Sie dient andererseits als „Instrument zur Erhebung von Informationen“ (Lamnek 2005, S. 411) der Erhellung subjektiver Deutungsmuster der Handelnden im Feld. Da-zu wurden die Gesamtdiskussionen aufgezeichnet und nach den im Anhang Da-zu finden-den Regeln transkribiert. Anschließend wurfinden-den sie gemäß der aus der Voruntersu-chung hervorgehenden Fragestellung ausgewertet (vgl. dazu Kapitel 6).

An dieser Stelle treffen unterrichtspraktische und wissenschaftliche Faktoren unmittelbar auf-einander. Einerseits bekam das prozessorientierte Vorgehen innerhalb der Planung der einzel-nen Veranstaltungen eine konkrete konzeptionelle Umsetzungsform, andererseits wurde eine Form gefunden, forschungsrelevante Daten zu erheben. Letzterer Punkt wird an dieser Stelle zunächst vernachlässigt, da er im empirischen Teil dieser Arbeit näher ausgeführt wird. Fo-kussiert wird hier die situative Anpassung der Einzelaktivitäten an die jeweiligen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler, die sich aus der Reflexion der vergangenen Einheit ergab.

Auch ohne forschungsrelevante Fragestellung scheint diese Methode der Verbindung von Analyse und Planung im Team eine geeignete Variante zur prozessorientierten Anpassung größerer Lerneinheiten zu sein. Es wird vermutet, dass der kollegiale Austausch ebenfalls zur

Qualitätssteigerung der Gesamtmaßnahme beitragen kann. Auf die Darstellung des konkreten Vorgehens innerhalb der gruppendynamischen Prozessreflexion wird an dieser Stelle verzich-tet, da es im folgenden Kapitel unter forschungsrelevantem Fokus auf S. 189ff. ausführlich dargestellt wird.