• Keine Ergebnisse gefunden

6.4 Darstellung des Forschungsprozesses im Projektteil „Rose“

6.4.4 Ergebnisdarstellung, -interpretation und -diskussion

6.4.4.2 Fall 2

Vor-dergrund (vgl. S. 152f.). Dies stellte aus Sicht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine ge-eignete Variante dar, um eine Risikosituation zu unterbrechen und entsprechende Reflexions-impulse zu geben. Mit Hilfe der Stopp-Regel könnte die verbale Einflussnahme von außen verkürzt werden („Da hätte ich, glaube ich, die Stopp-Regel einfach benutzt. Also gar nicht gesagt: „Hmm… vielleicht...“, sondern als der gesagt hat: „Ich springe jetzt durchs obere!“, da hätte ich einfach so „Stopp!“ und dann vielleicht gar nichts weiter sagen“ Position 104).

Gleichzeitig wurde resümiert, dass die Anwendung der Stopp-Regel eine komplexe Anforde-rungssituation darstellt, deren selbstständiger Einsatz angebahnt werden kann, indem Pädago-ginnen und Pädagogen sie modellhaft einsetzen.

Als übergreifende Aussage zum Thema Gestaltung der Anforderungssituation unter den Aspekten nondirektiver Einflussnahme und pädagogische Zurücknahme wurde von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Gruppendiskussion betont, dass eine prozessorientierte Evaluation für die Optimierung der Anforderungssituation hohe Relevanz besitzt. Dies schließt nach Ansicht der Autorin die Bereitschaft und Kompetenz zur Modifikation der Pla-nung innerhalb der laufenden Veranstaltung und innerhalb des Gesamtprojekts ein und setzt eine hohe diagnostische Kompetenz und Flexibilität im pädagogischen Handeln voraus („Wenn wir analysieren, woran es lag, kannst du ja dann in der nächsten Stunde überlegen, ob hier was fehlte, machen wir halt ne Vorübung. Dann machen wir’s noch mal und dann klappt’s. Und wenn es dann nicht klappt, dann müssen wir uns halt wieder überlegen, was müssen wir denen noch anbieten“ Position 101).

Innerhalb der Diskussion wurde außerdem auf ein weiteres Spannungsfeld verwiesen, welches auf den Zusammenhang von Ziel-, Inhalts- und Methodenentscheidungen hinweist.

Es wurde ausgesagt, dass unterschiedliche Ziele zu widersprüchlichen Anforderungen führen können. Dabei wurden die Ziele Persönlichkeitsstärkung durch das Erleben von Erfolg versus Entwicklung kognitiver Fähigkeiten im Sinne von Kompetenzen zur Handlungsplanung be-nannt („Ich denke, grundsätzlich sind es zwei verschiedene Anforderungen, die wir versuchen unter einen Hut zu bringen. Nämlich einerseits so eine Sache der Persönlichkeitsstärkung über die Bewältigung herausfordernder Situationen. Und andererseits kognitive Fähigkeiten entwickeln, dadurch, dass ein Plan gemacht werden muss um die Sache zu schaffen. Und das so aufeinander zu bringen ist ganz schwierig“ Position 114). Auch die Diskussion um die Bedingungen zur konstruktiven Verarbeitung der Erfahrung des Scheiterns können vor die-sem Hintergrund reflektiert werden. Die Diskussion um relationale Abhängigkeiten zwischen den Dimensionen von Ziel-, Inhalts- und Methodenentscheidungen wurde hier kurz angespro-chen, jedoch nicht weiter vertieft. Innerhalb der gruppendynamischen Prozessreflexion zu Fall

3 bildete dies jedoch den Gesamtrahmen der Diskussion und wird dort noch einmal vertiefend bearbeitet (vgl. S. 233ff.).

Abbildung 24: Zentrale Aussagen zu Fall 2

Hier fließt der Aspekt der pädagogischen Einflussnahme indirekt ein, da der Anreiz der Auf-gabe von den Pädagoginnen und Pädagogen in Form der gestalteten Anforderungssituation mitgesteuert wird. Der Anreiz der Aufgabe rückt als die Eigenaktivität beeinflussender Faktor in seiner Bedeutsamkeit desto mehr in den Hintergrund, je höher die intrinsische Motivation der Schülerinnen und Schüler ausgeprägt ist. Ein hoher Aufforderungsgehalt ist dann gege-ben, wenn die Aufgabe sich durch Unmittelbarkeit der Anforderungsstruktur auszeichnet („Sie haben halt gemerkt, es geht nicht, also müssen sie auch die schwächeren Schüler mit rüber transportieren. Also das war ja auch ohne, dass von uns jemand etwas gesagt hatte.

Also dass die Aufgaben im Grund für sich sprechen“ Position 86). Dies wurde bereits in der gruppendynamischen Prozessreflexion zu Fall 1 thematisiert und dort mit der Klarheit bzw.

Transparenz der Anforderungsstruktur umschrieben. Die Studierenden äußerten die Vermu-tung, dass ein hoher Anreiz der Aufgabe das Zulassen von Körperkontakt und das Geben ge-genseitiger Hilfestellungen unterstützt. Hier wird die gegenseitige Verflochtenheit der einzel-nen Faktoren klar, denn dies hätte wiederum Einfluss auf die Entwicklung von Vertrauen in-nerhalb der Gruppe. Als Anreiz wurde bspw. eine klare und unmittelbar einsichtige Zielstel-lung angesehen, die hier eigenaktives Handeln im Sinne prosozialen Verhaltens (gegenseiti-ges Helfen) unterstützte. Damit wäre wiederum ein Kompetenzbereich an(gegenseiti-gesprochen, der in Kapitel 3 als Kompetenz zur sozialen Anpassung und somit als Teilbereich sozialer

Kompe-tenzen definiert wurde (vgl. Abbildung 4 auf S. 57). Der Aufforderungsgehalt wird nach An-sicht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gruppendiskussion strukturell intensiviert, wenn der Grad der Herausforderung selbst gewählt werden kann, wie es in der Aufgabe „Der kleinste Kreis“ (vgl. S. 156f.) der Fall war („Also auch diese selber gestellten Ziele, wie weit schaffen sie es noch. Da hat es einer gelegt und die anderen haben die Herausforderung so-fort angenommen“ Position 64).

Auch innerhalb dieser Gruppendiskussion wurde die Zusammensetzung von Klein-gruppen diskutiert. Es wurde beobachtet, dass bei einer heterogenen Zusammensetzung domi-nante Schülerinnen und Schüler trotz Erleben des Scheiterns die Führungsrolle beibehalten und andere Gruppenmitglieder weiterhin passiv bleiben. Dies wurde wiederholt als Begrün-dung dafür angegeben, die Zusammensetzung der Kleingruppen zu steuern. Eine relative Ho-mogenität innerhalb der Gruppe sollte dazu führen, dass sich mehr Gruppenmitglieder ein-bringen. Die Idee der Homogenität wurde jedoch wieder relativiert, indem die Aussage ge-troffen wurde, dass in jeder Gruppe aktive und kreative Schülerinnen und Schüler enthalten sein sollten, die jedoch nicht zu dominant sein dürfen. Auch hier sind Parallelen, aber auch Relativierungen zu den Aussagen der Pädagoginnen und Pädagogen im Teilprojekt „Linde“

zu erkennen.

Als wesentliche, die Eigenaktivität beeinflussende Größe wurde die Passung zwischen Anforderungsstruktur der Aufgabe und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler benannt.

Dieser Grad der Passung kam ihrer Ansicht nach durch den logischen Aufbau der Übungen zustande, was ebenfalls schon in der Diskussion zu Fall 1 thematisiert wurde und wird durch das Vorhandensein eines verbindenden Elements für alle Einzelübungen erhöht („Also es gab immer so ein gleiches Grundelement: alle auf die Zeitung, alle in den Kreis, alle auf das Schiff. Also immer so dieses (…) diese Struktur wieder“ Position 84). Dies könnte man auch als thematische Einbindung bezeichnen, der nach Aussagen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch durch den gezielten Einsatz entsprechender Materialien unterstützt werden kann. Auch die Notwendigkeit der breiten Entfaltung der Fähigkeiten mit Hilfe geeigneter Vorübungen wird innerhalb dieser Diskussion, wie schon bei Fall 1, betont.

In Bezug auf die Unterstützung eigenaktiver Lernprozesse kann als wesentliche Erkenntnis innerhalb dieser gruppendynamischen Prozessreflexion die Diskussion um die Balance zwischen pädagogischer Einflussnahme und pädagogischer Zurücknahme gewertet werden. Damit verlassen die Studierenden nach Ansicht der Autorin eine polarisierende Haltung und kommen zu einer Synthese sich bedingender Faktoren („Ich denke, dass wir diesmal diese Balance ganz gut gefunden haben (…) zwar von uns Impulse da draußen

gekommen, sie haben die Ideen aber selbstständig mit hier reingenommen und hier in der neuen Situation angewandt. Und da haben wir uns völlig rausgenommen“ Position 78). Das Verhältnis von pädagogischer Einflussnahme und pädagogischer Zurücknahme wird differenziert, indem ausgesagt wurde, dass Einflussnahme, z.B. als Impulsgeberin oder Bereiter der Lernlandschaft pädagogische Zurücknahme an anderer Stelle, z.B. den selbstständigen Transfer auf Neues, ermöglicht bzw. vorbereitet.

Pädagogische Einflussnahme in Form erklärender Impulse innerhalb der Reflexionsphase unterstützt nach Ansicht der Studierenden den Erkenntnisgewinn dann, wenn die Isomorphie (Strukturgleichheit) zwischen Übung und Reflexionsmethode die Schülerinnen und Schüler überfordert. Ein Beispiel dafür wäre die Übertragungsleistung bei der Aufgabe, sich selbst innerhalb des Erlebnisbootes zu positionieren (vgl. S. 165ff.). In diesem Fall hielten sie pädagogische Zurücknahme für nicht angebracht, da der Erkenntnisgewinn nicht selbstständig vollzogen werden konnte. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass pädagogische Zurückhaltung innerhalb der Reflexionsphase generell als schwierig erlebt wurde. Dies könnte jedoch auch ein Hinweis darauf sein, dass hier die Anforderungsstruktur die Schülerinnen und Schüler teilweise überforderte und eine zu geringe Passung erreicht wurde. Moderierende Einflussnahme innerhalb der Aktionsphase der Schülerinnen und Schüler schien angeraten, um allen Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu geben, (verbal) aktiv zu werden („Vielleicht müssen wir uns was ausdenken, wie die Leute besser zu Wort kommen? Dass man so was vielleicht mal einführt, also wenn man (…) Ich habe immer das Gefühl, dass die dann irgendwie untergebuttert werden in Anführungsstrichen. Also nicht zu Wort kommen, nicht ihre Ideen ausdrücken können“

Position 73). Auch dies wäre eine Form nondirektiver Einflussnahme, die die Vorschläge innerhalb der Diskussion zu Fall 1 ergänzt. Die direkte Einflussnahme in Form von Lösungshinweisen wurde auch hier kritisch betrachtet und sollte nur zum Einsatz kommen, wenn Schülerinnen und Schüler keinerlei Eigenaktivität zeigen, da eine starke Einflussnahme die Motivation zur Eigenaktivität nach Ansicht der Studierenden generell hemmt („Ich glaube, so lange immer einer von uns mit dabei steht und das auch anleitet, wie in so Kleingruppen, haben sie das Gefühl, da auch nichts machen zu müssen“ Position 77).

Auch diese Überzeugung wurde von den Studierenden bereits in der Diskussion zu Fall 1 geäußert und weist wiederholt auf die Notwendigkeit pädagogischer Zurücknahme in dafür geeigneten Situationen hin. Dies wurde auch innerhalb dieser gruppendynamischen Prozessreflexion durch die Aussage, dass sie pädagogische Zurücknahme als positiv erlebt haben, da sie die Erfahrung gemacht haben, dass dadurch das eigenaktive Handeln der

Schülerinnen und Schüler unterstützt wurde, explizit von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern geäußert. Sie machten die Erfahrung, dass der Einsatz konkreter Materialien, wie z.B. das Modell des Erlebnisbootes, pädagogische Zurückhaltung vereinfacht.

Pädagogische Zurücknahme kann sich bspw. durch eine klare räumliche Distanzierung zeigen, indem die anleitende Person den Aktionsraum verlässt („Das hat R. total gut gemacht, dass sie es so erklärt hat und dann: „So, ich geh jetzt weg!“. Und dann waren sie plötzlich alleine und das war wirklich so ein Schnitt. Nicht einfach: „Mal gucken...“, sondern wirklich weg und ihr habt jetzt die Aufgabe! Fand ich gut!“ Position 38). Sie betrifft aber auch die Art und Weise der Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern. Hier wurde selbstreflexiv geäußert, dass Pädagoginnen und Pädagogen dazu neigen, Aufgaben- und Zielformulierungen im Plural zu äußern („Wir wollen heute…“), was eine Beteiligung der Pädagoginnen und Pädagogen prinzipiell einschließt. Dies ist zwar besonders in Bezug auf die Formulierung von Zieldimensionen nicht generell falsch, da auch die Pädagoginnen und Pädagogen durch verschiedene Aktivitäten bzw. Nicht-Aktivitäten indirekt am Lernzuwachs beteiligt sind, kann bei den Schülerinnen und Schülern jedoch nach Ansicht der Studierenden schnell dazu führen, dass die Notwendigkeit eigenaktiven Handelns der Schülerinnen und Schüler in den Hintergrund rückt („Also mir ist selber noch aufgefallen, was mir auch selber auch schwer fällt, dieses: „Und jetzt wollen wir das machen!“, also es war halt schon wieder ganz oft mit dabei. „Wir wollen jetzt machen“, aber eigentlich sollen die es ja machen“ Position 110). Es wurde reflektiert, dass dies zunächst nicht als gravierend erlebt wurde, da die Schülerinnen und Schüler solcherlei Formulierungen gewohnt sind. Es sollte jedoch in Zukunft bedacht werden, um die Erwartungen der Pädagoginnen und Pädagogen in Bezug auf die Eigenaktivität der Schülerinnen und Schüler auch auf verbaler Ebene zu unterstreichen.

Gleichzeitig wurde reflektiert, dass eine Abkehr von Ziel- und Aufgabenformulierungen in der oben beschriebenen Form schwer fällt.

Es wurde die Vermutung geäußert, dass hierbei widersprüchliche Gefühlslagen miteinander konkurrieren. Das Gefühl, dazugehören zu wollen, wurde mit dem Wissen um die Notwendigkeit pädagogischer Zurücknahme als schwer vereinbar erlebt („Man will sich ja auch nicht so ausgrenzen. Das ist richtig, dass man das so nicht sagt, aber man will sich ja auch irgendwie mit dazu nehmen“ Position 112). Möglicherweise wurde dabei ein gerade bei Berufsanfängern und Studierenden oft zu beobachtendes Phänomen angesprochen, da die eigene Rolle als Studierende und damit ebenfalls lernende Person innerhalb des pädagogischen Rahmens mit widersprüchlichen Anforderungen verbunden ist. Andererseits könnte es auch auf ein generelles Problem im pädagogischen Kontext hinweisen, welches sich

darin ausdrückt, dass sich die Pädagogik an sich mit der wachsenden Autonomie der Schülerinnen und Schüler, welche als Lernziel verbrieft ist, schrittweise überflüssig macht.

Dazu kommt eine tief in unserer Gesellschaft verwurzelte Leistungsorientierung, die sich meist durch positive Konnotation von Aktivität auszeichnet. Die Auseinandersetzung mit dem Kompetenzbegriff und den daraus resultierenden Konsequenzen in Bezug auf die Gestaltung von Lehr-Lernprozessen in Kapitel 3 (vgl. S. 73ff.) zeigt eindeutig die Notwendigkeit von Freiräumen für eigenaktive Lernprozesse und damit auch die Erfordernis pädagogischer Zurücknahme. In der Praxis wird jedoch Leistung oft mit Aktivität und Initiative gleichgesetzt, wobei die Rolle der abwartenden, den Lernprozess der Schülerinnen und Schüler begleitenden Lehrerin, diesem Bild möglicherweise auch in der Eigenwahrnehmung der Akteure widerspricht. Die Aussage der Studentin, dass sie sich dann ausgegrenzt vorkomme, könnte auf letzteren Sachverhalt hinweisen.