• Keine Ergebnisse gefunden

PräSES – ein Konzept zur alltagsintegrierten Sprachförderung in der Kita für alle Kinder

Julia Siegmüller & Astrid Fröhling

Hintergrund

Das Projekt PräSES1entwickelte sich aus der Notwendigkeit heraus, auf die anhaltend schlechten Ergebnisse deutscher Schüler und Schülerinnen in den PISA-Studien zu reagieren.

Ihre auffälligen Leistungen der Schüler im Schriftspracherwerb können jedoch nicht unab-hängig von den Basisfähigkeiten der gesproche-nen Sprache gesehen werden. Schriftsprachstö-rungen entstehen in der Regel aus persistenten Störungen des Spracherwerbs (vgl. z.B. von Suchodoletz, 2004), d.h. Sprachentwicklungs-störungen, weshalb die Entwicklungszeit der Sprache den einzigen geeigneten Interventions-zeitraum zur langfristigen und grundsätzlichen Verbesserung der schriftsprachlichen Leistun-gen von Schülern und Schülerinnen darstellt.

Kinder entwickeln die zentralen grammatischen Fähigkeiten ihrer Muttersprache zwischen der Geburt und dem vierten Lebensjahr (Pinker, 2000). Daher erscheint ein Eingreifen ab dem Eintritt in den Kindergarten oder in die Krippe zur Unterstützung dieses Erwerbsprozesses sinn-voll, eine spätere Intervention im Vorschulalter, d.h. im fünften Lebensjahr, kann einen altersge-mäß-chronologischen Erwerbsverlauf nicht mehr auslösen bzw. unterstützen.

PräSES ist in einer Weise konzipiert, dass jedes Kind einer Gruppe über seine gesamte Kita-Zeit von dem sprachförderlichen Verhalten der Erzieherin profitieren kann (Siegmüller et al., 2007). Um dies verwirklichen zu können, ist es für das Projekt wesentlich, alltagsintegriert zu sein. Die Sprache wird innerhalb der verschiede-nen pädagogischen Aktionsbereiche durch das Sprachverhalten der Erzieherin gefördert (vgl.

hierzu als grundsätzliches Vorgehen Jampert et al., 2006). Durch die Integration in den Alltag kommt PräSES ohne Kleingruppentraining aus.

Hierdurch wird gewährleistet, dass alle Kinder von der sprachlichen Förderung profitieren kön-nen. Die methodische Umsetzung (siehe Abschnitt im weiteren Text) ist an die einzelnen Kinder und auf die individuellen Entwicklungs-stufen der Kinder abstimmbar. Pauschalisierun-gen im Umgang mit verschiedenen Kindern kön-nen so vermieden werden. Die Teilnehmerinkön-nen bauen die neue Methodik auf ein solides Wissen über den Spracherwerb auf. Letzteres bildet den Einstieg in die Weiterbildung. So können die Erzieherinnen auffällige Kinder früher, sicherer und schneller erfassen und an entsprechende Fachkräfte verweisen.

PräSES wurde in Brandenburg für das Land Brandenburg entwickelt (das Modellprojekt im Kita-Jahr 2006/2007 wurde von Aktion Mensch gefördert). Es ist mit den aktuellen elementaren

1 Modellprojekt zur Prävention von Sprachentwicklungs- und Schriftsprachstörungen bei Kindern im Vorschul-alter und zum Eintritt ins SchulVorschul-alter.

Bildungsgrundsätzen des Landes Brandenburg vollständig kompatibel und kann ebenso in Kooperation mit den Grenzsteinen der Entwick-lung (Laewen, 2002) eingesetzt werden. Damit nimmt das Konzept die allgemeinen Strukturen des Kita-Tages auf und erweitert sie.

Umsetzung & Methodik

Zentrales Ziel von PräSES ist es, dass die teil-nehmenden Erzieherinnen lernen, sprachliche Inhalte thematisch zu ordnen und diese zusammenhängend über einen gewissen Zeit-raum vielschichtig mit den Kindern ihrer Gruppe zu erarbeiten und umzusetzen. Die Umsetzung dieses Ziels erfolgt in Projektarbeit.

Ein Projekt ist definiert als ein thematischer Überbau, der Themen für Aktionen wie Bas-teln, Malen, Turnen, Ausflüge u.Ä. vorgibt. Es soll darüber hinaus die alltäglichen Rituale des Kita-Tages berühren, so können z.B. Reime, Fingerspiele oder Lieder eingeübt werden, die thematisch passen. Hinsichtlich der Sprachför-derung werden in den Projekten Wortlisten erarbeitet und den einzelnen Aktionen zugrunde gelegt. Die Erzieherin lernt also, The-men sprachlich umzusetzen und ihre Sprache als Modell für das Kommunizieren über das neue Thema einzusetzen. Hierfür erwirbt sie Vermittlungsmethoden zur Verbesserung ihrer Sprache als Sprachmodell, die sie in der Pro-jektarbeit einsetzen soll.

In der konkreten Umsetzung wird der Kita-All-tag demnach vom Sprachmaterial (thematisch sortierte Wortlisten) ausgehend gestaltet. Wort-listen sind thematische Sammlungen von Begriffen zu einem bestimmten Thema. Dabei

umfasst eine Wortliste alle Wortarten, d.h., neben Objektbezeichnungen müssen auch Tätigkeiten, Eigenschaften sowie Funktions-wörter als grammatische Elemente aufgelistet sein. Die Auswahl der Wörter orientiert sich am sprachlichen Entwicklungsstand und Alter der Kinder und am Thema des Projekts. Im Laufe des Projekts erfahren die Wortlisten durch ein-zelne Aktionen eine ständige gruppenspezifi-sche oder auch individuelle Anpassung. Darü-ber hinaus besteht die Möglichkeit, durch Elterninformation und gruppenübergreifende Darstellung der Arbeit die sprachlichen Inhalte in den häuslichen Alltag zu übertragen und somit zu intensivieren.

Sprachförderung auf dieser Basis hat zur Folge, dass der gewählte sprachliche Inhalt in allen pädagogischen Themenbereichen wieder erscheint und den Alltag somit umrahmt (Sieg-müller et al., 2007). Damit wird die Sprachförde-rung als Schlüsselkompetenz für alle Kinder begreifbar, die in vielen Situationen des Alltags gefördert werden kann und die insbesondere vom Dialog zwischen Erzieherin und Kindern profitiert (Jampert et al., 2006; 2007). Dies bedeutet, dass die Erzieherin des (Projekt-)Thema vom sprachlichen Material aus gestaltet.

Die Planung eines Themenbereiches beginnt mit der Auswahl von Wörtern, welche sie den Kindern in ihrem Sprachmodell anbieten will.

Diese Wörter sollen einmal als bisher unbe-kannte Wörter neue Erwerbssituationen dar-stellen, zum anderen können sie aber auch bereits bekannt sein und durch die Bearbeitung im Projekt in ihrer Verankerung im kindlichen Sprachsystem abgesichert und ausdifferenziert

54 PräSES – EIN KONZEPT

werden. In der Projektarbeit wird von diesen konkreten Wortlisten ausgehend das ausge-wählte Thema mit den Kindern erforscht. Auf diese Weise wird der natürliche Wortschatzer-werb unterstützt, der thematisch orientiert in Handlungskonzepten stattfindet. Darüber hinaus profitieren die sprachschwachen Kinder im gesamten Zeitraum, d.h. sowohl in den Pro-jektarbeitszeiten als auch in freien Spielsitua-tionen, in der Gesamtgruppe wie auch in Ein-zeldialogen von Ansprache durch andere Kin-der, deren Sprachentwicklungsstand besser ist als der ihre. Durch die PräSES-Arbeit wird zugleich dieser sprachliche Kontext auf bestimmte Themenbereiche fokussiert und setzt die Wortschatzerweiterung, die durch die Wortlisten erreicht werden soll, im kindlichen Spiel weiter fort.

Das „Sprachmodell“ ist die Ansprache an das Kind, d.h. jegliche dialogische oder monologi-sche Sprache, die an die Kinder oder ein bestimmtes Kind gerichtet ist. In der Therapie kindlicher Sprachstörungen wird diese Metho-dik unter dem Namen „Inputspezifizierung“ seit Jahrzehnten erfolgreich praktiziert (Dannen-bauer, 1994). Die Inputspezifizierung ist als therapeutische Methode ausgesprochen wirk-sam und ihre Effizienz ist für verschiedene Altersgruppen belegt (Girolametto et al., 1996).

Im Rahmen des Projekts PräSES wurden die therapeutischen Techniken der Inputspezifizie-rung verändert, sodass die Methode nun in der Gruppensituation, im Kita-Alltag und vor allem in pädagogisch orientierter Projektarbeit ein-setzbar und im natürlichen Kontext umein-setzbar ist (Siegmüller et al., 2007).

Das Benutzen des Sprachmodells als Motor für die Sprachförderung im Alltag ist dem natürli-chen kindlinatürli-chen Spracherwerb nachempfun-den. DasAnnähern der Fördermethode an den natürlichen Erwerb der Sprache ist maßgeblich für den Erfolg, wenn Fördern in den Alltag inte-griert werden und keine abgesonderte Trai-ningssituation darstellen soll. Die Sprachförde-rung im ganzheitlichen Rahmen muss aber nicht nur den Gegebenheiten der natürlichen Sprachlernsituation folgen, da diese für das sprachschwache Kind nicht stark genug ist, um das Vorankommen im Erwerb gewährleisten zu können. Deshalb wird das Sprachmodell verstärkt, sodass die Kinder mehr Lerninhalte -und diese leichter - ermitteln können als dies in der „normalen“ an sie gerichteten Alltagsspra-che der Fall ist.

Ein weiterer wichtiger Motivationsfaktor, der durch die Inputspezifizierung entsteht ist, dass sich das Thema für alle Kinder ohne Druck ent-faltet. Inputspezifizierungen richten keine Auf-forderung an die Kinder, deren Aufgabe ist lediglich das Zuhören und Verarbeiten des Gehörten (Siegmüller, & Kauschke, 2006).

Dies kann auch von sprachschwachen Kindern geleistet werden. Hierdurch werden die The-men unter einer positiven Einstellung an die Kinder herangetragen, Frustration wird vermie-den. Dieses Vorgehen ist normal in der inte-grierten Sprachförderung. Ganzheitliche Ansätze vermeiden von vornherein eine Defi-zitbetrachtung des kindlichen Spracherwerbs und stellen stattdessen die individuellen Kom-petenzen der Kinder in den Vordergrund (Jam-pert et al., 2007). Die Kinder werden mit den

Spracherwerbsproblemen im Kita-Alltag angenommen und optimal integriert; eine Ausgrenzung durch direkte Konfrontation wird vermieden. Aus diesen Grundgedanken heraus ist es ein Ziel des Vorgehens, die Kin-der möglichst lang für ein Thema zu interes-sieren und ihr Lernen aktiv zu halten. Das inhaltliche Thema kann so über die Zeit des Projekts in einen immer größeren Sprach-kontext eingebettet werden. Die gesamte Kommunikation und Interaktion richten sich nach dem sprachlichen Rahmen des indivi-duellen kindlichen Entwicklungsstandes und erweitern ihn ständig.

PräSES gliedert sich in drei aufeinanderfol-gende Phasen, die sich über ein Schuljahr bzw. Kindergartenjahr strecken. Insgesamt umfasst das Projekt 120 Unterrichtseinheiten

und zwei Supervisionsbesuche vor Ort. In der Informationsphase lernen die Teilnehme-rInnen in sechs Blöcken zu je 12 Unterrichts-einheiten Grundlagen über Spracherwerb, Sprachentwicklungsstörungen, das Benut-zen von sprachlichen Beobachtungsbogen zum Identifizieren von Risikokindern und die Methoden zur Verbesserung des Sprachmo-dells. In den letzten beiden Blöcken wird das Projekt sprachlich und pädagogisch vorberei-tet sowie die Anwendung der Methoden geübt. In der Erprobungsphase erfolgt die Umsetzung des konzipierten Projektthemas.

Die Teilnehmerinnen werden in der Erpro-bungsphase von PräSES-Mitarbeitern vor Ort begleitet, so dass Fehler frühzeitig aufge-deckt werden können.

Abschließend findet die Reflexionsphase statt (vier Blöcke). Themen der

Reflexions-56 PräSES – EIN KONZEPT

Beispiel für Inputgabe innerhalb einer Aktion (Papierkind). Zielwort: Auge

phase sind die Nachbereitung des durchge-führten Projekts, die Systematisierung von Planungen für das kindgerichtete Input, die Vertiefung von Vermittlungsmethoden, Übun-gen zur Beobachtung und die Beschreibung von auffälligen Kindern und die Beschreibung ihrer Schwierigkeiten sowie die Vorbereitung von neuen Projekten.

Das Projekt PräSES wurde im Schuljahr 2006/2007 als Modellprojekt in Brandenburg durchgeführt. Es nahmen insgesamt 18 Erzieherinnen aus zehn Kindertagesstätten teil. Bei der Auswahl der Kitas aus den einge-gangenen Bewerbungen wurde darauf geachtet, dass sich Kitas aus ländlichem und städtischem Umfeld die Waage hielten. Pro Kita nahmen zwischen ein und vier Erziehe-rinnen teil. Es wurden zehn verschiedene Projekte zu verschiedenen Themen durchge-führt. Themen der Projekte waren z.B.

„Meine Stadt“, „Freunde – was können wir alles zusammen?“, „Tiere in ihrer Umge-bung“, „Ich und mein Körper“. Jedes Projekt umfasste mindestens sechs Wochen und wurde jeden Tag in verschiedenen Aktionen bearbeitet.

Es war wesentlich, dass Produkte der einzel-nen Aktioeinzel-nen entstanden, die für die Kinder im Gruppenraum oder im Haus generell zu jeder Zeit zugänglich waren. Dies waren z.B.

Fotos, Kollagen etc. Im Laufe des Projekts erzählten sich die Kinder zunehmend selbst-ständig Inhalte des Themenbereichs anhand der ausgestellten Projektprodukte und konn-ten die kognitive Absicherung der Inhalte auf diese Art selbst mit erarbeiten.

Erste Ergebnisse

Als erstes Ergebnis der Erprobungsphase wurde in Einzelstichproben festgestellt, dass sprachschwache Kinder beim Lernen neuer Wörter nach der Präsentation von Inputspezifi-zierungen genauso erfolgreich waren wie die anderen Kinder ihrer Gruppe. Daraus lässt sich ableiten, dass das Lerntempo bei diesen Kin-dern erhöht werden konnte. Eine genaue Aus-wertung liegt ab Herbst 2007 in Form des Eva-luationsberichtes vor.

Hinsichtlich der Umsetzbarkeit von PräSES in den Kita-Alltag wurde mit den Erzieherinnen nach Abschluss der Erprobungsphase ein Rating durchgeführt. Die Beurteilung der Methode (Inputspezifizierung durch verstärktes Sprachmodell) durch die TeilnehmerInnen erfolgte überaus positiv. Für viele stellte das Gebrauchen von Inputspezifizierungen eine Neubewertung der kommunikativen und inter-aktiven Form im Kita-Alltag dar, was darin resultierte, dass sprachliche Konzeptualisie-rung (d.h. das beständige Angebot von ausge-wähltem Sprachmaterial) als übergeordnete Form des Dialogs in den Vordergrund trat. Die Bewertung, wie gut PräSES allgemein in den Alltag integrierbar ist, fiel ebenso sehr positiv aus. In den Abschlussgesprächen wurde von den Erzieherinnen gewünscht, ihre neuen Pro-jekte weiterhin an Wortlisten orientiert zu begin-nen und dieses Vorgehen auf ihre gesamte Einrichtung auszuweiten. PräSES behält somit nach Abschluss der Modellprojektphase seine Relevanz als Instrument zur alltagsintegrierten Sprachförderung für alle Kinder über deren gesamte Kita-Zeit.

Literatur

Dannenbauer, F. M. (1994).

Zur Praxis der entwicklungsproximalen Inter-vention. In H. Grimm & S. Weinert (Hrsg.), Intervention bei sprachgestörten Kindern. (83-104). Stuttgart: Fischer.

Girolametto, L., Pearce, P., & Weitzman, E.

(1996). Interactive focused stimulation for toddlers with expressive vocabulary delays.

Journal of Speech and Hearing Research, 39, 1274-1283.

Jampert, K., Best, P., Guadatiello, A., Holler, D., & Zehnbauer, A. (2007). Schlüsselkompe-tenz Sprache: Sprachliche Bildung und Förde-rung im Kindergarten. Weimar, Berlin: Verlag das netz (2. überarbeitete Auflage).

Jampert, K., Leuckefeld, K., Zehnbauer, A., &

Best, P. (2006). Sprachförderung in der Kita.

Weimar: Verlag das Netz.

Laewen, H.-J. (2002). Grenzsteine der Ent-wicklung. Berlin: infans.

Pinker, S. (2000). Language acquisition. In L.

R. Gleitman & M. Liberman (Hrsg.), Language - an invitation to cognitive science, Vol. 1. (2.

überarbeitete Auflage, 135-182). Cambridge MA: MIT Press, A Bradford Book.

Siegmüller, J., Fröhling, A., Gies, J., Herrmann, H., Konopatsch, S., & Pötter, G. (2007).

Sprachförderung als grundsätzliches Begleit-element im Kindergartenalltag - das Modellpro-jekt PräSES als Beispiel.

L.O.G.O.S. Interdisziplinär, 15(2), erscheint.

Siegmüller, J. & Kauschke, C. (2006). Patho-linguistische Therapie bei

Sprachentwicklungsstörungen. München:

Elsevier.

von Suchodoletz, W. (2004). Zur Prognose von Kindern mit umschriebenen Sprachent-wicklungsstörungen. In W. von Suchodoletz (Hrsg.), Welche Chancen haben Kinder mit Entwicklungsstörungen? (155-199). Göttingen:

Hogrefe.

Kontakt:

Julia Siegmüller Projektgruppe PräSES Lindenbergstraße 11 18055 Rostock Telefon: 0170/8374412 E-Mail: j.siegmueller@gmx.de www.ses-praevention.de

58 PräSES – EIN KONZEPT

Ohne sprachliche Kompetenz bleiben dem