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Ponte – Kindergärten und Grundschulen auf neuen Wegen

Dr. Frauke Hildebrandt

Das Programm „ponte. Kindergärten und Grundschulen auf neuen Wegen“ gibt es im Land Brandenburg seit 2004. Seit 2006 ist ponte in 4 Bundesländern aktiv – außer in Brandenburg noch in Berlin, Sachsen und Rheinland-Pfalz. Damit nehmen insgesamt 62 Kindergärten und Grundschulen in vier Bundesländern im Schuljahr 2006/2007 am Programm teil, in Brandenburg sind es 29 Ein-richtungen in 11 Tandems oder Tridems. Ponte ist ein Gemeinschaftsprogramm der Deut-schen Kinder- und Jugendstiftung und der Internationalen Akademie für innovative Päda-gogik, Psychologie und Ökonomie an der Freien Universität Berlin

(1) Was ponte ist

Frühkindliche Lernprozesse bilden die Basis für die gesamte spätere Bildungsbiografie der Kinder. Kindergartenzeit ist deshalb nicht Betreuungs-, sondern Bildungszeit, die kompe-tent und systematisch begleitet werden muss.

Bildungsprozesse bauen aufeinander auf:

Lernerfolge in der Schule sind nur möglich, wenn die Kinder schon viele Basiskompeten-zen haben, an die sie in der Schule anknüpfen können.

Kita und Grundschule müssen folglich eng mit-einander kooperieren und vor allem ihre unter-schiedliche Bildungsverständnisse (die ihre Ursache in der unterschiedlichen Entwick-lungsgeschichte von Schule und Kindergarten

haben), annähern. Kitas und Grundschulen einer Gemeinde treten bei ponte in einen inhaltlichen Dialog. Es werden Kooperationen etabliert und verankert, die über die rein organi-satorische Zusammenarbeit hinausgehen und ein gemeinsames Bildungs-, Kind- und Selbst-verständnis der erwachsenen Begleiter zum Ziel haben.

Externe Moderatorinnen stiften und begleiten diesen regelmäßigen Dialog, unterstützen bei der Ausarbeitung von Zielvereinbarungen und gemeinsamen pädagogischen Aktionen. Sie moderieren deren Vor- und Nachbereitung und gegenseitige Hospitationen. Sie arbeiten daran, die bestehenden Kommunikations-hürden zwischen den Institutionen zu überwin-den. Das ist die grundlegende Voraussetzung für einen bruchlosen Übergang der Kinder von einer in die andere Bildungsinstitution.

Einbezogen in diese pädagogische Annähe-rung sind die zuständigen Administrationen:

Sowohl staatliche Schulämter als auch regio-nale Jugendämter sind im Programm beteiligt.

Erst diese Verknüpfung ermöglicht die lang-fristige Wirkung von ponte.

Wissenschaftler der Freien Universität Berlin unterstützen die Moderatorinnen und bei Bedarf auch die Pädagoginnen in Schulen und Kindergärten durch gezielten Input. Die Koope-rationsprozesse werden dokumentiert und bewertet. Es zeigt sich, dass den Erzieherin-nen und LehrerinErzieherin-nen eine wissenschaftliche Begleitung sehr wichtig ist.

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(2) Wie ponte wirkt

Herzstück der Zusammenarbeit zwischen Kin-dergärten und Grundschulen ist die gemein-same Verständigung der ErzieherInnen und LehrerInnen über ihre pädagogische Haltung und ihr pädagogisches Handeln, ihr Kind- und Bildungsverständnis.

In ponte treffen zwei Berufsgruppen aufeinan-der, die unter völlig verschiedenen Rahmenbe-dingungen arbeiten: Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Ausbildungen und mit einem sozialen Status, der die Grundschule höher bewertet als die Kita, mit einem unterschiedli-chen gesellschaftliunterschiedli-chen Auftrag, der jeweils andere konzeptionelle Grundlagen nach sich zieht, und vor allem vor dem Hintergrund histo-rischer kultureller und sozialstruktureller Unter-schiede – versuchen beide Institutionen, Ver-einbarkeit herzustellen: Der Blick auf die Ent-wicklung jedes einzelnen Kindes verpflichtet sie nämlich zur Kontinuität.

Während dieser Reflexionsgespräche gibt es Situationen großer Brisanz, denn die Pädago-gInnen sind mit einem sehr voneinander abweichenden Verständnis der Begriffe „Ler-nen“ und „Bildung“ in der Praxis tätig. Durch die externe Moderation und den geschützten Rahmen kommen die PädagogInnen zu einer authentischen und wertschätzenden Refle-xion. Auf dieser Basis arbeiten sie gemeinsam an Zielvereinbarungen für die angestrebte Kooperation. Für die gezielte Qualifizierung der Pädagoginnen sorgen bundesweite Wei-terbildungen, 2006 z.B. zu „Beobachten und Dokumentieren“, „Altersmischung“, „Demokra-tische Erziehung und Methoden der Selbstre-flexion“.

Praktischer Gegenstand von ponte und Gele-genheit zu konkreter gemeinsamer pädagogi-scher Arbeit sind altersübergreifende Pro-jekte mit den Kindern: Das, was in gemeinsa-men Diskussionen erarbeitet wird, findet unmit-telbare Umsetzung in der Praxis. Die Tan-dem-Projekte werden von beiden Institutionen gemeinsam geplant, durchgeführt und nachbe-reitet. 2006 waren gemeinsame Projekte von Kindergärten und Grundschulen z.B.:

• „Bücherkumpel“ (Lesepatenschaften von Grundschulkindern für Kindergartenkinder)

• gemeinsame Elternarbeit

• naturwissenschaftliche Experimente

• Schulrallye (Erkundungen in der Schule)

• gemeinsamer Sportunterricht

• Sprachförderung

• Projekt „Wasser“

• gemeinsamer Musikunterricht

• „Projekt 7“ (Projekte rund um die Zahl 7).

(3) Wie moderierte Tandemgespräche aussehen

a) Beispiel

1. Die Tandemgruppe, bestehend aus 7 Päda-goginnen aus Kita und Grundschule, trifft sich zu ihrem 2-stündigen Reflexionsgespräch.

Eine Grundschulpädagogin ist ratlos. Die Kin-der Kin-der sechsten Klasse würden in Deutsch von Grammatik-Test zu Grammatik-Test alles vergessen. Was nicht direkt vorher wiederholt würde, sei nicht mehr präsent. Sie fühle sich manchmal hilflos. Sie gebe sich viele Mühe, speziell Wortarten seien immer wieder Thema in jeder Klassenstufe, aber wirklich merken würden die Kinder sich die Systematik nicht.

Was könne sie tun? Eine andere

Grundschul-pädagogin bestätigt diese Erfahrung. Die Moderatorin schlägt vor, dass beim nächsten Treffen die Problematik anhand der Frage „Wir verlaufen erfolgreiche Bildungsprozesse?“

bearbeitet werden könnte. Zwei Erzieherinnen bieten an, einen selbst gedrehten Filmaus-schnitt zu zeigen, der ihre Bildungsarbeit im Bereich „Mathematisch- naturwissenschaftli-che Bildung“ dokumentiert. Die Vorschläge werden angenommen.

2. Beim nächsten Termin schauen sich sieben Kolleginnen aus Kita und Grundschule den Filmausschnitt an. Der Film dokumentiert eine Situation, in der die Kinder weitgehend selbst-ständig Bäume im Wald erkunden, Stocklän-gen mit ihren Füßen nachmessen, mit großem Interesse bei den Dingen sind, nachfragen, sich wundern und viel miteinander kommuni-zieren.

Im Laufe des folgenden Gesprächs mit der Moderatorin äußert eine Grundschulpädago-gin: „Na, ich sehe, dass alle aktiv sind. Ich kenne die Kinder. Aber nicht alle von ihnen haben das Klassenziel der Jahrgangsstufe 1 erreicht.“ Die Pädagoginnen der Kita schwei-gen. Die Moderatorin lässt die Situation ohne Eingriff und die Diskussion nähert sich weiter der Frage vom letzten Mal. Warum merken sich die Kinder die Wortart-Klassifikation nicht – was ist das Problem?

Eine Erzieherin äußert: „Das interessiert sie einfach nicht, das ist nicht ihr Thema, da fühlen sie gar nichts dabei.“ Schnell wird deutlich, dass die Pädagoginnen das Thema selbst für nicht besonders interessant halten; das sei eben „trocken“. Die Moderatorin wirft ein, dass Sprachspiele, Reime, Rätsel für Kinder ihrer

Erfahrung nach häufig spannend seien. Die Grundschulpädagogin betont, dass sie ja schon vielfach damit arbeiten würde. Eine Erzieherin äußert, dass häufig auch Witze – die unter vie-len Kindern gerade kursieren – Sprachwitze sind; Wortarten würden durcheinander gewür-felt, das würde als witzig empfunden werden.

Eine andere Erzieherin vermutet, dass das Inte-resse für Wortarten häufig viel eher als in den Jahrgangsstufen 5 und 6 vorkommt – mögli-cherweise schon in der Kita? Die Frage kommt auf:Gibt es so etwas wie typische offene Gramma-tikfenster in Köpfen? Woran erkennen wir sie?

Eine Grundschulpädagogin gibt zu bedenken, dass die Kinder viele Dinge wissen müssten, an denen sie zunächst kein Interesse hätten. Da solle man sich nichts vormachen und außer-dem: „ Ich kann doch nicht bei jedem Kind, das ich unterrichte, feststellen, wann es sich gerade wofür interessiert.“ Es herrscht breite Zustim-mung. Das sei völlige Illusion. Schon mit der individuellen Beobachtung und Dokumentation der Kompetenzen sei das mehr als kompliziert.

Die Moderatorin bemerkt, dass es Kitas gebe, die tatsächlich auf diese Weise ganz konse-quent arbeiteten. Die Diskussion stockt. Die Moderatorin kommt zurück auf das Ausgangs-problem. Die Individualität von Bildungsprozes-sen – auch wenn ganz enge Zusammenhänge zwischen den Themenfeldern bestünden - stellt sie als mögliches Thema für eines der nächsten Treffen in Aussicht. Was könne die Grundschul-pädagogin denn konkret tun, um beim nächsten Grammatiktest bessere Ergebnisse zu erhal-ten? Eine Erzieherin schlägt vor, man müsse das Thema eben für möglichst viele „interessant

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machen“, mit Emotionen besetzen. Eine Grund-schulpädagogin rät, zum Beispiel einen Text aus der aktuellen „Bravo“ zu nehmen und anhand dieses Textes Wortartenunterscheidung zu üben oder einfach den zuletzt gesprochenen Satz eines Kindes aufzugreifen... Eine andere Grundschulpädagogin vermutet, es könne sinn-voll sein, etwas ganz und gar Ungewöhnliches tun – so trocken wie das Thema sei. Solle sie zur Deutschstunde – fragt die um Rat suchende Pädagogin nach – wenn es um Wortarten geht etwa immer im Bikini kommen? Es herrscht große Heiterkeit. Nicht konkret das, aber viel-leicht etwas Ähnliches, gibt die ratgebende Pädagogin zu bedenken.

Die Moderatorin fasst zusammen: Emotionen und Interessen als Gelingensbedingungen für Bildungsprozesse seien heute andiskutiert wor-den. Es seien viele neue Fragen entstanwor-den.

Ob daran beim nächsten Mal weitergearbeitet werden solle? Ja, es herrscht allgemeine Zustimmung.

b) Wozu so reden?

Es werden authentische Fragen erörtert, die besonders zwischen Kitas und Grundschulen strittig sind – aber nicht nur hier , sondern auch innerhalb der einzelnen Systeme. Diese Fra-gen und auch Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer bestimmten pädagogischen Arbeit in Kitas und Grundschulen werden als berech-tigt qualifiziert. Befürchtungen, begründete und unbegründete Positionierungen zu den professionellen Grundlagen der pädagogi-schen Arbeit werden von der Moderatorin auf-genommen und diskutiert. Fragen nach dem Vorrang individueller Förderung, nach ihrer

Praktikabilität, nach ihrer Rechtfertigung, nach dem Verbinden von Interessen und Kompe-tenzerwerb, nach Selbstwirksamkeit der Kinder in Lernprozessen werden hier gemeinsam anhand einer konkreten Dilemmasituation erörtert und nicht abschließend beantwortet.

In diesem Zusammenhang werden Fortbil-dungsbedarfe artikuliert. Gemeinsam generie-ren die Pädagoginnen Kataloge von Fragen, deren Beantwortung mit dem ständigen Auf-werfen neuer Fragen einhergeht. Dadurch kommt ein Reflexionsprozess der eigenen pädagogischen Arbeit in Gang, der profes-sionalisierend wirkt, weil die Akteure sich nicht mehr nur von ihren gutenAbsichten her begrei-fen, sondern Positionierungen artikulieren und sich dem kollegialen Diskurs aussetzen. So können Überzeugungen zum Bildungsver-ständnis, Auffassungen der eigenen Rolle und Kindbilder variabel werden.

Immer wieder wird deutlich: Vertrauensvoller, kritischer Dialog und gemeinsam durchdachtes pädagogisches Handeln gehören zusammen.

Die Aufgabe von ponte besteht im Manage-ment des noch Unvereinbarten durch Moderation; und Moderation des Unverein-barten ist – Vereinbaren.

Lokales Bündnis für Familie in Wiesen-burg/Mark arbeitet erfolgreich

Kontakt:

Dr. Frauke Hildebrandt

Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) Tempelhofer Ufer 11, 10963 Berlin

Telefon: 030/25767645

E-Mail: frauke.hildebrandt@dkjs.de www.ponte-info.de