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Allgemeine Sprachförderung in der Kita

Stella Valentien

Die Sprache ist Mittel der Kommunikation und des Denkens. Sie hilft uns, Individuum und Mit-mensch zu werden. Praktisch betrachtet: Ohne ausreichende Sprachkompetenzen werden erfolgreicher Schulbesuch und Berufseinstieg nicht möglich. Sprachentwicklung zu unterstüt-zen ist somit ein Grundanliegen des im SGB VIII seit 1990 verankerten Bildungsauftrags der institutionalisierten Tagesbetreuung. Allge-meine Sprachförderung in der Kita muss, ent-sprechend dem Gleichheitsgrundsatz jedes Kind in seiner individuellen Entwicklung för-dern, das „unauffällige“ wie das „sprachauffäl-lige“ Kind, sei es besonders schnell oder lang-sam in der Entwicklung.

Welche Methoden unterstützen die Sprachent-wicklung? In brandenburgischen Fortbildungen im Bereich Sprache nennen Erzieherinnen fol-gende Beispiele: „viele Gesprächsanlässe“,

„Aufträge an die Kinder“, „handlungsbegleiten-des Sprechen“, Regel-, Bildkarten-, Finger-spiele, Puppentheater, Bild-, Buchbetrachtun-gen, Lieder, Reime sowie Morgenkreis, Lese-ecken, PC-Nutzung, Rollenspiele, Experimen-tier- und Forschungsmöglichkeiten, Naturerle-ben, Projektarbeit und ganzheitliche Entwick-lungsförderung. Diese Beispiele sind effektive Bildungsangebote, die in keiner Einrichtung fehlen sollten. Sie werden dann besonders wirksam, wenn ihr jeweiliger Einsatz, das pädagogische Handeln, auf Konzepten zur

Sprachförderung basiert, die die Vielschichtig-keit des Sprachentwicklungsprozesses berück-sichtigten.

Die Sprachförderung sollte Grundlagen und Abläufe kindlicher Sprachentwicklung beachten.

Die Sprachentwicklung ist Teil der individuellen Gesamtentwicklung. Vielfältige Körper-, Sin-nes-, Material und Lebenswelterfahrungen sowie sichere emotionale Bindungen, auch die Interaktion mit Gleichaltrigen schaffen Grundla-gen. Sprache wird angeregt, wenn das Kind sowohl mit der Bezugsperson als auch mit anderen Kindern und im selbsttätigen Auspro-bieren Eindrücke und Erfahrungen in verschie-denen Bildungsbereichen sammeln und inner-lich vernetzend nutzen kann. So unterstützt z.B. der Bereich „Musik“ über differenzierte Klang- und Rhythmuserfahrungen, die Lautbil-dung und -erkennung. Durch das Klatschen oder einfaches instrumentelles Begleiten von Liedern und Stücken wird das Gefühl für satz-ähnliche Strukturen gefestigt. Im Bereich

„Mathematik und Naturwissenschaften“ wer-den durch Experimentiermöglichkeiten kom-munikative Prozesse zwischen Kindern ange-regt, wenn diese zusammenarbeiten. Beim gemeinsamen Forschen wird es notwendig, die Dinge mit denen man umgeht, genau zu benennen, die Vorgänge, die man beobachtet zu beschreiben, um eigene Ideen mit anderen teilen zu können. Wichtig ist also, die Bildungs-bereiche, so wie sie in der Einrichtung vertreten

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sind, auch auf ihre innewohnenden Sprachför-dermöglichkeiten hin zu untersuchen und evt.

zu ergänzen.

Sprachentwicklung gestaltet sich im Zusam-menspiel von Faktoren der Anlage, der Rei-fung, der selbsttätigen Übung und im hohem Maß des täglichen Sprach- und Beziehungsan-gebots. Das Kind ist, um die Sprache zu erler-nen, auf die Kommunikation mit emotional zugewandten erwachsenen Sprachpartnern in

„Eins-zu-Eins-Situationen“ angewiesen. Kind-orientierte Arbeit berücksichtigt Komplexität innerhalb von Entwicklung, Individualität, Inte-ressen undAlter der Kinder bei Vorrangstellung des Dialogs. In der Kita sollte geklärt sein, ob jedes Kind die tägliche Gelegenheit zu intensi-ven, persönlichen Gesprächen mit einer Bezugserzieherin hat. Das, „was“ das Kind sagt, sollte dabei wichtiger sein als das, „wie“

etwas gesagt wird.

Sprachentwicklung erfolgt in Schritten, die durch eine „intuitive elterliche Didaktik“

unterstützt werden.

„Pragmatisch-kommunikative Kompetenzen“, wie die Fähigkeit zum Zuhören und Sprechen im richtigen Moment, werden von Anfang an in intensiven Mutter-(Vater)-Kind-Dialogen entwi-ckelt. Die kindliche Suche nach dem sozialen Gegenüber, nach Strukturen und Sprachinput trifft hier auf ein verhaltensbiologisch angeleg-tes „intuitives elterliches Verhalten“, das uns zu geborenen Sprachdidaktikern macht.

Im ersten Lebensjahr wird sensibel auf das Musikalische der Muttersprache reagiert;

Sprachmelodie-, rhythmus, -dynamik, die Klanglichkeit der Laute werden dem Säugling

vertraut, von ihm geübt und somit „prosodische Kompetenzen“ erworben.

Im zweiten Jahr füllt das Kind seinen „Wort-schatzpool“. Wichtig sind also in den frühen Krippenjahren, das Angebot von „klingender“

Sprache, die Nutzung kleiner Fingerverse und Lieder, aber auch kurze interaktive Spielchen, wie „Kuckuck“ und „Fang den Ball“, bei denen nicht das Angebot komplexer Sätze oder Regeln im Vordergrund stehen, sondern ein-fachste Strukturen und ein hoher Anteil musi-kalischer Elemente.

Mit dem dann folgenden Einstieg in die Gram-matik beginnt die Fähigkeit des Kindes, Sätze zu bilden und das Wortmaterial zu formen (Ver-ben beugen, Mehrzahl bilden usf.). Zu diesen so genannten „linguistischen Kompetenzen“

gehört auch, die Bedeutung von Lauten, Wör-tern und der Satzstellung zu verstehen. Bis zur Einschulung haben Kinder die Grundlagen der Sprache erworben und können diese quasi fehlerfrei nutzen. Wir unterstützen den Sprach-erwerb dabei intuitiv mit sprachlichen „Model-lierungstechniken“ wie der korrigierenden Rückmeldung: „Die Fis twimmt!“ – „Ja, der Fisch schwimmt!“ oder Erweiterungen „Da Auto!“ – „Genau, dasAuto wird aus der Garage gefahren!“ und thematischen Ausdehnungen:

„Mama geht!“ – „Ja, die Mama ist arbeiten gegangen. Vielleicht will sie auch noch etwas einkaufen?“. Kindern im Vorschulalter wird so geholfen, die Regeln der Sprache zu lernen und einen Grundwortschatz zu erwerben.

Auch wenn unsere natürliche Sprachdidaktik intuitiv, also angeboren ist, bleibt es wichtig zu reflektieren, ob man ein grammatikalisch gutes Sprachvorbild gibt und die eigene Aussprache

deutlich und lebendig ist und die eigene Sprachkultur kindgerecht. U.a. wirkt sich psy-chische Anspannung auf unsere Fähigkeit, die intuitive elterliche Didaktik adäquat zu nutzen, aus. Auch absichtslose Bemerkungen wie „Du schon wieder!“ oder „Wie alt bist du? 5? 5 Äpfel“ wirken auf Kinder verletzend oder wer-den, wie die Ironie, im Vorschulalter nicht ver-standen.

Beobachtung und Einschätzung kindlichen Sprachentwicklungsstands und Planung von Förderung

Scheinbar unauffällige Kinder können Pro-bleme bei der Sprachentwicklung haben, nicht alle auffälligen Kinder sind wirklich gefährdet.

Z.B. können sprachlich hochbegabte Kinder, die unterfordert sind, resignieren und wortarm erscheinen; Kinder, die besonders viel mit Klei-neren spielen, finden vielleicht bei diesen ihr sprachlich niedriges Entwicklungsniveau; als sprachauffällig gehandelte Kinder vertauschen zwar Konsonanten, sprechen aber grammati-kalisch korrekt. Bei gut ausgewerteter Beob-achtung werden solche subjektiven Einschät-zungsfehler weitmöglichst vermieden. Darüber hinaus können differenzierte Aussagen zum Sprachentwicklungsstand getroffen werden, um individuelle Förderung zu planen.

Erst auf dieser Grundlage kann auch allge-meine Sprachförderung auf individuelle Ent-wicklungstempi und -charakteristika der Kinder eingehen, darauf, wie jedes Kind mit der Welt in Kontakt tritt, auf seine Interessen, sein Tem-perament, seine Stärken und die Entwicklung in den unterschiedlichen Bereichen der Spra-che. Sprachförderung darf nicht nur

„univer-selle Prävention“, also an alle Kinder gerichtet sein, wie beispielsweise das Training ganzer Kita-Gruppen auf die Lösung spezieller Aufga-ben von Schuleinganguntersuchungen. Sie muss ebenso, durch „selektive Prävention“, Individualität in der Entwicklung anerkennen und Inklusivität garantieren, indem sie, in ihrem intimen Lebensraum, einzelnen Kinder hilft, Kompetenzen zu erweitern sowie Kompensati-onsmöglichkeiten zu nutzen. Im persönlichen Gespräch sowie in Kleingruppen mit Kindern gleichen Entwicklungsstands werden intensive Fördersituationen möglich. Sogar entwick-lungspsychologisch fundierte und erprobte Programme können in unterschiedlichen Kom-petenzbereichen wirksam werden. Die Sprach-förderung sollte außerdem „indizierte Präven-tion“, die Behandlung durch Sprachtherapeu-ten, Logopäden, in Abstimmung mit diesen, unterstützend begleiten.

Raum, Material und Methoden

Beispielhaft und im Sinne der Reggio-Pädago-gik kann der Raum als „(Sprach)Erzieher“ ver-standen werden. Z.B. können durch gemütli-che Plauderecken, in mehreren Ebenen und Dimensionen nutzbare Wohnlandschaften, Podeste, Kinderbibliotheken, Bauspielmöglich-keiten, Experimentierbereiche und Materialviel-falt zum gemeinsamen Tun einladen, das Sprechen anregen und unterstützen.

Räume sollten das soziale Kita-Leben aktivie-ren helfen: Rückzugsmöglichkeiten, Platz für Foren und Spiel in kleinen Gruppen bieten. Die

„Klassiker“ Puppenecke, Kisten mit Verklei-dungsbedarf, der Kaufmannsladen bleiben wichtig. Raumelemente, die den Bau von

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„Höhlen“, Wohnungen“ usf. erlauben, regen Kinder dazu an, im Freispiel Szenen mit Spra-che zu gestalten und gemeinsame Vorhaben zu besprechen.

Im Bereich „Literacy“, dem Zugang zur Schrift-Sprache, profitieren Kinder ebenfalls, wenn viele verschiedene Materialien, besonders sol-che, die mit Notationen und Zeichen zu tun haben, zur Verfügung stehen. Nach Dr.

Michaela Ulich vom Staatsinstitut für Frühpä-dagogik in München kann es gelingen, „Kinder in eine ganze Kultur einzuführen mit Bilderbü-chern, Schreibspielen, Handpuppenspiel, mit Theater, mit Lesungen von Autoren...“ und somit mehr als reine „Leseförderung“ zu betrei-ben. Stets nutzbare Mal- und Schreibmöglich-keiten sollten in der Einrichtung selbstverständ-lich sein.

Methodisch-didaktische Mittel der Sprachför-derung können in der Planung gezielter Sprachförderung hinsichtlich ihrer Sprachförderqualität, orientiert an den drei Bereichen -prosodische Kompetenz; linguistische Kompe-tenz; pragmatisch-kommunikative Kompetenz – betrachtet werden, je nachdem ob kommuni-kative Fähigkeiten, der Worterwerb oder Gram-matik unterstützt werden sollen. Letztendlich aber muss jede Methode immer natürliches Miteinandersprechen unterstützen und das Interesse an den Inhalten dessen, was Kinder zu sagen haben, vorrangig sein, egal, welche Förderidee im Hinterkopf besteht. DasAngebot muss allen Beteiligten Spaß machen!

Ein Beispiel: ErgebnisorientiertesAbfragen von Bilderbuchinhalten reduziert Kommunikation auf Leistungserbringung. Eine Bilderbuchbe-trachtung kann aber ebenso als entspannte

und intensive Fördersituation gestaltet werden.

Manchmal liegt der Unterschied nur in der Fra-gestellung. Sätze wie „Was ist da zu sehen?

Was ist das? Kannst du mir sagen, was das für ein Tier ist? Erinnere dich, gestern haben wir das Buch schon angeschaut!“ schaffen Stress-situationen, besonders für Kinder, die ohnehin Wortfindungsprobleme haben. Fragestellun-gen wie „Ah, was seh´ ich denn da? Ist das ein Bär, dort hinter dem Baum? Was der wohl vor-hat? Hmm, vielleicht ist das gar kein Bär, also ich weiß nicht genau...“ laden das Kind zur gemeinsamen, gleichberechtigten Wanderung in die Bildinhalte hinein ein.

Erziehungspartnerschaft und Sprachförderung Familiäres Sprachklima ist entwicklungsbe-stimmend; das Kind bringt seine Mutter(!)sprache, Kommunikations-, Bezie-hungserfahrungen sowie ein Wissen, um das, was in und für seine Familie Sprache ist, mit in die Kita.

Gespräche mit den Eltern können diese moti-vieren, emotional aufschließen für die Themen ihres Kindes und seine Erfahrungen in der Kita, wenn vermieden wird, Erziehungsfähigkeit abzu-sprechen und Fehler zuzuschreiben. Erfahren Eltern Wertschätzung und Anerkennung als kompetente Partner, werden auch Informationen zum Bereich Sprache (durch regelmäßige Elternabende, Infomaterial, Plakate) und die Dokumentation der Kita-Arbeit (in Portfolios, Bil-dungstagebüchern, mit Foto-, Videodokumenta-tion u.a.) besser wahrgenommen.

Zeit haben und Ressourcen nutzen Die Sprachförderung gelingt, wenn die, von positiven Emotionen getragene und aus

Inte-resse am Kind erfolgte Kommunikation Unter-stützung durch einen theoretisch fundierten, flexiblen und individuellen Einsatz vielfältiger Methoden erfährt. Allgemeine Förderung, die die Individualität der Kinder berücksichtigt, bedarf darüber hinaus der Vor- und Nachberei-tung. Die Erzieherinnen brauchen deshalb effektive Strukturen innerhalb ihrer Kita und eine arbeitszeitliche Berücksichtigung des quantitativen Umfangs, den Sprachförderaktivi-täten einnehmen, durch die Träger der Einrich-tungen.

Auch die Lust der Erwachsenen daran, Spra-che kreativ zu nutzen, sich verständlich zu machen und auszudrücken, weckt Neugier und Nachahmungswillen. Wieso nicht unsere Lieb-lingsdichter mit den Kindern gemeinsam lesen, den lokalen Stadtschreiber in die Einrichtung einladen, Eltern Lieder auf eine CD singen las-sen - auch in verschiedenen Sprachen, mit den Kindern die Bibliothek besuchen, Bücher über das Internet bestellen oder den letzten Buch-binder in der Region aufstöbern und eine eigene Radiosendung planen usf.? Zur allge-meinen Sprachförderung gehören „klassische“

Methoden und eine entwicklungsgemäße Didaktik ebenso wie das gemeinsame Erobern und Eröffnen von Sprachumwelten mit Kindern und ihren Familien.

Stella Valentien, Diplom-Pädagogin, Dozen-tin in der Aus- und Fortbildung pädagogi-scher Fachkräfte Brandenburg/Berlin, Mit-arbeiterin der Deutschen Liga für das Kind, Tätigkeiten in Kitas/und Einrichtungen der Familienbildung

Quellen und Literaturverweise:

Ellersiek,W. (2004)

Berührungs- und Handgestenspiele, Verlag freies Geistesleben

Häuser, D. & Jülisch B.-R.: (2006)

Sprachentwicklung, Sprachstörungen, Sprach-förderung. Ein Praxistext. verlag das netz (in selber Form als : Band 2 Elementare Bildung Grundsätze und Praxis)

Hellrung, Ute:

Sprachentwicklung und Sprachförderung.

Beobachten – verstehen – handeln. 2006 (1. Aufl. d. vollst. überarb. Neuausgabe), Herder. ISBN-13:978-3-451-28931-6 kiga Fachverlag (2006):

Projekt Frühes Lernen: Lesen & Erzählen, kiga Fachverlag

Kreusch-Jakob, D. (3. Aufl. 2003) Finger spielen, Hände tanzen.

Das große Buch der Kinderreime und Finger-spiele, Don Bosco Verlag

Mannhard, A. & Scheib, K. (2005):

Was Erzieherinnen über Sprachstörungen wis-sen müswis-sen. Mit Spielen und Tipps für den Kindergarten, Ernst Reinhard Verlag Tietze, W. & Viernickel, S. (2004):

Pädagogische Qualität in Tageseinrichtungen für Kinder.

Ein nationaler Kriterienkatalog, Beltz

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Ulich, M. (2004)

Lust auf Sprache – sprachliche Bildung und Deutsch lernen in Kindertageseinrichtungen (Video), Herder Verlag

www.bildungsserver.de

www.dbl.de (Bundesverband der Deutschen Logopäden e.V.)

www.dji.de (Deutsches Jugendinstitut) www.jugendhilfeportal.de

Kontakt zur Autorin über das

Berliner Institut für FrühpädagogikMarch-lewskistraße 101

10234 Berlin

Telefon: 030/74 73 58 66 E-Mail: buero@biff.eu