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Prädiktion gesundheitlicher Beeinträchtigungen mit Hilfe logistischer Regressionen

4 Lange Arbeitszeiten und gesundheitliche Beeinträchtigungen

4.3 Prädiktion gesundheitlicher Beeinträchtigungen mit Hilfe logistischer Regressionen

Um die gewonnenen Erkenntnisse über konfundierende Effekte, welche arbeitszeit-, belastungs- und personenbezogene Merkmale auf die Zusammenhänge zwischen der wöchentlichen Arbeitszeit und gesundheitlichen Beschwerden ausüben, in die Untersuchungen einbeziehen zu können, wurden multiple logistische Regressionen gerechnet. Das Ziel war, die potenziell konfundierenden Merkmale nicht nur, wie bislang, einzeln zu kontrollieren, sondern gleichzeitig in ein Kontrollmodell einzu-schließen. Dabei wurde die Nennung mindestens einer Beschwerde (entspricht der fehlenden Beschwerdefreiheit) als abhängige Variable verwendet. Als unabhängige Variablen wurden in einem ersten Block die personenbezogenen Merkmale Alter und Geschlecht sowie die arbeitsplatzbezogenen Variablen „Physische Belastung“,

„Psychische Belastung“ und Autonomie (aus den dichotom gruppierten Faktorwerten) in das Regressionsmodell eingefügt. Damit wurden die Varianzanteile in der abhängigen Variable, welche durch die potenziell konfundierenden Merkmale aufge-klärt werden, statistisch eliminiert. Im zweiten Schritt wurden dann die Arbeits-zeitmerkmale (Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit, gruppiert in Teilzeit (<35 Std.), Vollzeit (35-47,9 Std.) und lange Arbeitszeiten (≥ 48 Std.) sowie Schichtarbeit, Nachtarbeit, Arbeit an Samstagen und Sonntagen, jeweils gruppiert in „vorhanden“

und „nicht vorhanden“) in der schrittweisen Prozedur in das Regressionsmodell ein-bezogen. Damit sollte ermittelt werden, ob und in welchem Ausmaß eine Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit das Risiko erhöht, mindestens eine gesundheitliche Beschwerde zu berichten, nachdem bereits die Effekte der personen-, arbeitszeit- und belastungsbezogenen Merkmale herausgefiltert wurden.

Die Odds Ratios (Exp(B)) sowie die dazugehörigen 95 %-Konfidenzintervalle (KIu; KIo) der in den Modellen verbliebenen unabhängigen Variablen sowie die Varianzaufklärungen der Gesamtmodelle sind in Tab. 4.24 bis Tab. 4.27 aufgeführt.

Die stärkste Erhöhung des Risikos für das Vorhandensein mindestens einer gesundheitlichen Beeinträchtigung geht erwartungsgemäß in den meisten Fällen von körperlich beanspruchenden Tätigkeiten aus. Eine hohe psychische Belastung erhöht das Risiko für gesundheitliche Beschwerden ebenfalls nicht unwesentlich. Wie

erwartet, senkt wiederum das Vorhandensein eines überdurchschnittlich hohen Handlungsspielraumes (hohe Autonomie) das Beeinträchtigungsrisiko. Besonders deutlich aber wird die substantielle Erhöhung des Beeinträchtigungsrisikos durch die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit, die auch nach statistischer Kontrolle aller potenziell konfundierender Variablen in allen Stichproben konsistent bestehen bleibt.

Als einzige Variable aller Arbeitszeitmerkmale ist die tatsächliche wöchentliche Arbeitszeit in allen vier Regressionsmodellen nach Kontrolle der konfundierenden Effekte als signifikante Einflussgröße nachweisbar. Die Erhöhung des Beein-trächtigungsrisikos durch Arbeit in Vollzeit (35-47,9 Std.) beträgt dabei gegenüber der Teilzeit (<35 Std.) zwischen 18,7 % in EU 2005 (EU 15) und 69,6 % in GA 2004.

Das Beeinträchtigungsrisiko steigt weiterhin durch Arbeit in langen Arbeitszeiten von über 48 Wochenstunden gegenüber der Teilzeitarbeit um etwa 49,9 % in EU 2000 (EU 15) bis hin zu 102 % in GA 2004 an (vgl. Tab. 4.24 bis Tab. 4.27). Auffällig ist, dass die Odds Ratios der wöchentlichen Arbeitszeit in GA 2004 wesentlich höher sind, als die der anderen drei Stichproben. Für dieses Ergebnis scheint es keine plausible Erklärung zu geben, sodass es als leicht inkonsistent mit den anderen drei Stichproben zu sehen ist. Ohne GA 2004 beträgt die Erhöhung des Beeinträchtigungsrisikos gegenüber Teilzeitarbeit durch Vollzeitarbeit etwa 19-36 % und durch lange Arbeitszeiten 50-88 % und kann somit als strukturell und numerisch konsistent über die untersuchten Stichproben hinweg angesehen werden. Die Varianzaufklärung ist mit 9 % bis knapp über 15 % nicht außerordentlich hoch, aber bei den vorhandenen großen Stichproben noch zufriedenstellend und deutlich besser als für die wöchentliche Arbeitsdauer alleine.

Als weiteres Arbeitszeitmerkmal neben der Arbeitsdauer lässt sich in den europäischen Befragungen die Arbeit an Sonntagen und an Abenden als Risiko für Beeinträchtigungen identifizieren (siehe Tab. 4.25 und Tab. 4.27), wohingegen Schicht- und Nachtarbeit sowie Arbeit an Samstagen keine signifikante Risiko-erhöhung bewirken. Es kann vermutet werden, dass die Höhe der körperlichen Belastung mit der Tätigkeit in Schicht- und Nachtarbeit zusammenhängt. Da die Variablen der physischen und psychischen Belastung im ersten Block bereits recht viel Varianz der gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufklären, bewirkt vermutlich das Vorhandensein von Schicht- und Nachtarbeit darüber hinaus keine weitere bedeutsame Erhöhung des Risikos.

Tab. 4.24 Odds Ratios für das Risiko für mind. 1 Beschwerde, BB 2006

Variable Exp(B) (KIu; KIo) 1. Block:

Geschlecht (m vs. w) 2,079 (1,887; 2,289) Alter (in Jahren) 1,014 (1,010; 1,018) Phys. Bel. (hoch vs. niedrig) 2,367 (2,171; 2,582) Psych. Bel. (hoch vs. niedrig) 1,912 (1,761; 2,076) Autonomie (hoch vs. niedrig) 0,597 (0,549; 0,648) 2. Block:

AZ 35-47,9 Std. vs. <35 Std. 1,369 (1,230; 1,524) AZ ≥ 48 Std. vs. <35 Std. 1,546 (1,338; 1,788)

R2 = . 090

Tab. 4.25 Odds Ratios für das Risiko für mind. 1 Beschwerde in EU 2005 (EU 15)

Variable Exp(B) (KIu; KIo) 1. Block:

Geschlecht (m vs. w) 1,191 (1,083; 1,308) Alter (in Jahren) 1,017 (1,013; 1,021) Phys. Bel. (hoch vs. niedrig) 3,211 (2,933; 3,516) Psych. Bel. (hoch vs. niedrig) 1,695 (1,549; 1,856) Autonomie (hoch vs. niedrig) 0,690 (0,632; 0,754) 2. Block:

AZ 35-47,9 Std. vs. <35 Std. 1,187 (1,061; 1,327) AZ ≥ 48 Std. vs. <35 Std. 1,881 (1,579; 2,240) Abendarbeit (ja vs. nein) 1,280 (1,158; 1,415) Sonntagsarbeit (ja vs. nein) 1,370 (1,228; 1,529)

R2 = .153

Tab. 4.26 Odds Ratios für das Risiko für mind. 1 Beschwerde, GA 2004

Variable Exp(B) (KIu; KIo) 1. Block:

Geschlecht (m vs. w) 1,017 (1,004; 1,029) Alter (in Jahren) 1,904 (1,412; 2,566) Phys. Bel. (hoch vs. niedrig) 2,692 (2,019; 3,589) Psych. Bel. (hoch vs. niedrig) 2,987 (2,303; 3,874) Autonomie (hoch vs. niedrig) 0,443 (0,345; 0,570) 2. Block:

AZ 35-47,9 Std. vs. <35 Std. 1,696 (1,231; 2,337) AZ ≥ 48 Std. vs. <35 Std. 2,026 (1,290; 3,181)

R2 = .128

Tab. 4.27 Odds Ratios für das Risiko für mind. 1 Beschwerde, EU 2000 (EU 15)

Variable Exp(B) (KIu; KIo) 1. Block:

Geschlecht (m vs. w) 1,262 (1,171; 1,361) Alter (in Jahren) 0,805 (0,644; 1,008) Phys. Bel. (hoch vs. niedrig) 2,954 (2,740; 3,185) Psych. Bel. (hoch vs. niedrig) 1,917 (1,788; 2,055) Autonomie (hoch vs. niedrig) 2,954 (2,740; 3,185) 2. Block:

AZ 35-47,9 Std. vs. <35 Std. 1,284 (1,180; 1,398) AZ ≥ 48 Std. vs. <35 Std. 1,499 (1,302; 1,727) Sonntagsarbeit (ja vs. nein) 1,210 (1,107; 1,321) Abendarbeit (ja vs. nein) 1,304 (1,206; 1,409)

R2 = .133

Die Ergebnisse der logistischen Regressionen weisen deutlich darauf hin, dass auch nach Kontrolle belastungsbedingter und biografischer Merkmale eine zunehmende Anzahl wöchentlicher Arbeitsstunden eine substantielle Erhöhung des Risikos gesundheitlicher Beeinträchtigungen bewirkt. Das Risiko, mindestens eine gesund-heitliche Beschwerde zu berichten, und damit nicht mehr beeinträchtigungsfrei zu sein, steigt bereits im Vollzeitbereich gegenüber dem Teilzeitbereich an und erhöht sich noch einmal in der Gruppe der Personen mit langen Arbeitszeiten (≥48 Stunden pro Woche). Der Anstieg des Beeinträchtigungsrisikos in der Gruppe der Personen

mit über 48 Wochenstunden ist deutlich ausgeprägt, auch wenn in den meisten Fällen der direkte Vergleich der Odds Ratios der Gruppen mit 35-47,9 Std. und

≥48 Std. anhand der Konfidenzintervalle keine signifikanten Unterschiede ergibt. Die Strukturen gleichen sich dabei in allen vier untersuchten Stichproben, da nicht nur die wöchentliche Arbeitszeit als signifikante Einflussgröße in allen Modellen nach-gewiesen werden kann, sondern sie zudem in allen vier Stichproben eine ähnliche Erhöhung des Risikos für Beeinträchtigungen bewirkt.

Aus den berichteten Ergebnissen lässt sich festhalten, dass die Zusammenhänge zwischen der Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit und der Höhe gesundheitlicher Beeinträchtigungen konsistent über verschiedene unabhängige Stichproben hinweg nachweisbar sind. Auch in verschiedenen Subgruppen mit ähnlichen biografischen Merkmalen, körperlicher und psychischer Belastungssituationen und vergleichbarer Arbeitszeitkonstellationen lässt sich immer wieder ein Anstieg gesundheitlicher Beschwerden mit steigender Arbeitsdauer zeigen. Insbesondere im Bereich der psychovegetativen Beschwerden aber auch für den Indikator der Beein-trächtigungsfreiheit lässt sich eine substantielle Erhöhung des Beeinträchtigungs-risikos durch lange Arbeitszeiten in allen Gruppierungen nachweisen.

Die Muskel-Skelett-Beschwerden hängen dagegen weniger deutlich mit der wöchentlichen Arbeitszeit zusammen, da diese vergleichsweise stark durch das Ausmaß der körperlichen Belastungssituation am Arbeitsplatz bedingt sind. Arbeit in körperlich und psychisch beanspruchenden Tätigkeiten sowie in potenziell ungünstigen Arbeitszeitkonstellationen wie Schicht- und Nachtarbeit sowie Arbeit am Wochenende verstärken die negativen Effekte der Arbeitsdauer auf die Gesundheit weiter.

Die Belastungsintensität und die Dauer der Arbeitszeit scheinen dabei, entgegen der Vorhersagen des Belastungs-Beanspruchungsmodells, eher additiv als interaktiv auf die Höhe der gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu wirken. Weiterhin sind starke Selektionseffekte bezüglich des Alters im Sinne des Healthy-Worker-Effekts zu beobachten, sodass die Gruppe der Ältesten i. d. R. niedrigere Beschwerden aufweist als Personen im mittleren Alter. Diese Selektionshypothese kann durch die geringen Erwerbstätigenquoten der älteren Beschäftigten gestützt werden (siehe S. 76). Dennoch lassen sich in allen Altersgruppen strukturell gleiche Zusammen-hänge zwischen der Arbeitsdauer und der Gesundheit der Beschäftigten zeigen.

Mittels logistischer Regressionen ist es gelungen, strukturell gleiche Zusammen-hänge in allen vier Stichproben nachzuweisen und die Effekte ihrer Stärke nach abzuschätzen. Diese strukturell und teilweise auch numerisch gut überein-stimmenden Relationen belegen, dass die gefundenen Ergebnisse nicht mit der Stichprobe, der Methode, der Operationalisierung oder dem Untersuchungszeitpunkt zusammenhängen und erhöhen daher die Validität dieser Ergebnisse deutlich.

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