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Arbeitszeit und Belastungsintensität

4 Lange Arbeitszeiten und gesundheitliche Beeinträchtigungen

4.2 Arbeitszeit und Belastungsintensität

Neben der Analyse konfundierender Effekte sollten weiterhin die durch das Belastungs-Beanspruchungsmodell vorhergesagten Zusammenhänge zwischen der Belastungsintensität und -dauer und der Höhe gesundheitlicher Beeinträchtigungen untersucht werden. Als Operationalisierung des Konstrukts „Physische Belastung“

wurde zunächst beispielhaft Arbeit unter Einschluss von Zwangshaltungen (statische Muskelarbeit, Halte- und Haltungsarbeit) ausgewählt. In der Befragung GA 2004 wurde nicht nach vergleichbaren physischen Belastungskomponenten gefragt, weshalb diese Stichprobe für einen Vergleich nicht verwendet werden konnte.

Erwartungsgemäß stehen die MSB der Befragten stärker mit der Intensität der körperlichen Belastung in Verbindung als mit der Dauer der wöchentlichen Arbeits-zeit, andererseits ergibt sich aber auch in den unterschiedlichen Belastungsgruppen i. d. R. eine leichte Zunahme der Beschwerden mit zunehmender Arbeitszeitdauer, bei gelegentlichen Inkonsistenzen zwischen den Stichproben (siehe Abb. 4.23). Es kann in der Gruppe mit hoher körperlicher Belastung möglich sein, dass eine Anfangsüberhöhung vorliegt, da bereits im Bereich der niedrigen Wochenarbeits-zeiten recht hohe Beeinträchtigungen berichtet werden. In den Gruppen mit hoher Belastungsintensität und gleichzeitig langen Arbeitszeiten von mehr als 44 Stunden pro Woche ist – wahrscheinlich aufgrund eines Deckeneffektes – kein Anstieg der MSB mit zunehmender Arbeitszeit zu erkennen. Wie in Tab. 4.19 aufgeführt ist, klärt das Arbeiten unter Zwangshaltung gegenüber der Arbeitsdauer erwartungsgemäß den weitaus größeren Varianzanteil der MSB auf. Ein Haupteffekt der wöchentlichen Arbeitszeit lässt sich – wenn auch schwächer – dennoch in allen Stichproben zeigen.

Auch für die PVB lassen sich Effekte der hohen körperlichen Belastung zeigen, wie im Anhang grafisch dargestellt ist (vgl. Anh. 3, Abb. 22). Die PVB variieren allerdings deutlich weniger stark in Abhängigkeit von der Häufigkeit von Arbeit mit statischer Muskelarbeit, wohingegen erwartungsgemäß die Dauer der Arbeitszeit einen stärkeren Effekt auf die PVB ausübt. In der Varianzanalyse der PVB lassen sich weiterhin für die Interaktion Zwangshaltung*Arbeitszeit signifikante, allerdings recht schwache, Effekte zeigen (siehe Tab. 4.20).

Abb. 4.23 MSB (MAVGs) in Abhängigkeit von Zwangshaltung und der wöchentlichen Arbeitszeit

Tab. 4.19 Varianzaufklärung der MSB durch Zwangshaltung und die Arbeitsdauer

Stichprobe

Zwangs-haltung Arbeitszeit Zwangshaltung*Arbeitszeit

BB 2006 3,5 % 0,2 % 0,1 %

EU 2005 (EU 15) 3,3 % 0,4 % n. s.

EU 2000 (EU 15) 5,1 % 0,3 % n. s.

Tab. 4.20 Varianzaufklärung der PVB durch Zwangshaltung und die Arbeitsdauer

Stichprobe

Zwangs-haltung Arbeitszeit Zwangshaltung*Arbeitszeit

BB 2006 0,1 % 1,0 % 0,4 %

EU 2005 (EU 15) 0,3 % 1,2 % 0,2 %

EU 2000 (EU 15) 0,3 % 1,1 % 0,2 %

Der von den Beschäftigten empfundene Zeitdruck wurde als Operationalisierung des Konstrukts „Psychische Belastung“ verwendet. Im Gegensatz zur physischen Belastung zeigt sich für Zeitdruck, wie auch bei den anderen psychischen Belastungsfaktoren, ein klarer und konsistenter additiver Einfluss von Intensität und Expositionsdauer (Dauer der Arbeitszeit) auf die Höhe der PVB. Die Beschwerden steigen mit zunehmender Arbeitszeit linear an und sind dabei in allen vier Stichproben erwartungsgemäß bei den Personen stärker, die angeben, bei der Arbeit häufig unter Zeitdruck zu stehen als bei Beschäftigten mit geringem Zeitdruck (siehe Abb. 4.24 und Abb. 4.25). Ein interaktiver Zusammenhang lässt sich dagegen bisher nicht belegen. Wie aus den Ergebnissen der Varianzanalysen mit Zeitdruck und Arbeitszeit als unabhängigen und PVB und MSB als abhängigen Variablen in

Tab. 4.21 und Tab. 4.22 hervorgeht, gibt es konsistente Haupteffekte für die wöchentliche Arbeitszeit und Zeitdruck. Die Zusammenhänge zwischen den MSB, der Arbeitsdauer und Zeitdruck sind im Anhang dargestellt (Anh. 3, Abb. 23 und Anh.

3, Abb. 24).

Abb. 4.24 PVB (MAVGs) in Abhängigkeit von Zeitdruck und der wöchentlichen Arbeitszeit, deutsche Stichproben

Abb. 4.25 PVB (MAVGs) in Abhängigkeit von Zeitdruck und der wöchentlichen Arbeitszeit, europäische Stichproben

Tab. 4.21 Varianzaufklärung der PVB durch Zeitdruck und die Arbeitsdauer

Stichprobe Zeitdruck Arbeitszeit Zeitdruck*Arbeitszeit

BB 2006 0,8 % 0,4 % n. s.

EU 2005 (EU 15) 0,6 % 0,8 % n. s.

GA 2004 3,5 % 0,8 % n. s.

EU 2000 (EU 15) 0,6 % 1,0 % 0,1 %

Tab. 4.22 Varianzaufklärung der MSB durch Zeitdruck und die Arbeitsdauer

Stichprobe Zeitdruck Arbeitszeit Zeitdruck*Arbeitszeit

BB 2006 0,1 % 0,1 % 0,2 %

EU 2005 (EU 15) 0,2 % 0,5 % n. s.

GA 2004 0,8 % n. s. n. s.

EU 2000 (EU 15) 0,3 % 0,3 % n. s.

Die hier dargestellten Belastungskomponenten Zwangshaltung und Zeitdruck sind beispielhaft für die Konzepte der körperlichen und psychischen Belastung ausge-wählt worden, bilden jedoch die Belastungsbedingungen natürlich nicht adäquat ab.

Um von den einzelnen Bedingungen abstrahieren zu können und um eine bessere Vergleichbarkeit der verschiedenen Stichproben zu ermöglichen, wurden, wie oben beschrieben, die einzelnen Belastungskomponenten sowie die den Handlungs-spielraum beschreibenden Variablen mittels Faktorenanalyse zu drei Faktoren zusammengefasst: „Psychische Belastung“, „Physische Belastung“ und „Autonomie“.

Die Belastungsfaktoren wurden weiterhin zu gruppierten Variablen umcodiert, um eine Einteilung der Befragten in Gruppen mit hoher und niedriger physischer und psychischer Belastung sowie mit hohem und geringem Handlungsspielraum vor-nehmen zu können. Es wurden dabei 8 Gruppen von unterschiedlichen Belastungs-konstellationen gebildet (siehe Tab. 3.13 auf S. 84), die aus den Kombinations-möglichkeiten der Variablen Physische Belastung, Psychische Belastung und Autonomie (jeweils in den Ausprägungen hoch und niedrig, Teilung am arithme-tischen Mittel) hervorgingen.

Einerseits gehen unter Umständen durch die Zusammenfassung in Belastungs-faktoren und die anschließende vereinfachende Gruppierung in „hohe“ und „niedrige“

Belastung Informationen über differenzielle Wirkungsmuster verschiedener Belastungskomponenten verloren. Andererseits ist im Rahmen der Kreuzvalidierung durch die Bildung von Gruppen mit ähnlichen Belastungskonstellationen ein auf alle Stichproben anwendbarer Ansatz zur Kontrolle der Belastung gegeben. Denn durch die Gruppen ähnlicher Belastungsbedingungen können die Belastungseffekte konsistent gehalten und damit die Effekte der Arbeitsdauer auf die Höhe der gesund-heitlichen Beeinträchtigungen abgeschätzt werden. Es kann angenommen werden, dass die Arbeitsdauer mit der Belastungsintensität konfundiert ist, da sich die angegebene Höhe der Belastung bzw. Beanspruchung in den Arbeitszeitgruppen unterscheidet (s. o.). Es könnte demnach sein, dass Unterschiede zwischen den Arbeitszeitgruppen bezüglich der Beschwerdehöhe nicht durch die Veränderung der Dauer, sondern durch die Veränderung der Intensität der Belastung entstehen. Wenn diese Annahme korrekt wäre, ließen sich in Gruppen gleicher Belastung keine Effekte der Arbeitsdauer mehr zeigen.

Zur Untersuchung dieser Fragestellung wurde die Beeinträchtigungsfreiheit verwendet, die zum Vergleich der Ergebnisse aus den vier Stichproben in z-Werte transformiert worden war. Die Zusammenhänge zwischen der Beeinträchtigungs-freiheit und der wöchentlichen Arbeitszeit in Gruppen unterschiedlicher Belastungs-intensität sind beispielhaft für die Daten der EU 2005 (EU 15) in Abb. 4.26 bis Abb.

4.29 aufgeführt. Die strukturell ähnlichen Ergebnisse aus den anderen Stichproben sind im Anhang dargestellt (siehe Anh. 3, Abb. 25 bis Anh. 3, Abb. 30).

Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden die Gruppen der Belastungs-konstellationen auf zwei Grafiken aufgeteilt, sodass die hohe und die niedrige Autonomiestufe getrennt dargestellt sind. Aufgrund der teilweise zu geringen Zellen-besetzung können die Mittelwerte aus einigen Arbeitszeitgruppen nicht dargestellt werden (z. B. die Gruppe „A-, psych.-, phys.+“ jenseits von 54 Stunden). Es ist jedoch deutlich zu erkennen, dass die berichtete Beschwerdefreiheit in allen Grup-pen mit zunehmender Arbeitszeit abnimmt. Weiterhin wird deutlich, dass eine hohe körperliche Belastung tendenziell mit geringerer Beeinträchtigungsfreiheit einhergeht als eine hohe psychische Belastung. Die Kombination von hoher physischer mit hoher psychischer Belastung führt erwartungsgemäß zu den meisten Beein-trächtigungen bzw. zur geringsten Beeinträchtigungsfreiheit. Das Vorhandensein von Autonomie hingegen scheint nur einen sehr geringen Einfluss auf die Beeinträchtigungsfreiheit auszuüben und die Beschwerden tendenziell etwas abzumildern.

Zum Vergleich der Strukturen in den einzelnen Stichproben und Belastungsgruppen wurden Regressionsgeraden für die Belastungsgruppen berechnet, die in Abb. 4.28 und Abb. 4.29 dargestellt sind. Es weisen alle Gruppen der Belastungs-konstellationen in EU 2005 (EU 15) einen deutlichen negativen Zusammenhang der Beschwerdefreiheit mit der wöchentlichen Arbeitszeit auf. Die Trends der einzelnen Geraden sind dabei überaus stabil. Das heißt, dass auch in relativ homogenen Gruppen ähnlicher Belastung die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit mit dem Ausmaß der Beeinträchtigungsfreiheit zusammenhängt. Dies lässt sich anhand der Trends in den anderen Stichproben ebenfalls zeigen (siehe Anhang), mit leichten Inkonsistenzen in den Befragungen BB 2006 und GA 2004. Bei der statistischen Prüfung auf Gleichheit der Regressionskoeffizienten auf Gruppenbasis zeigt sich, dass sich die in Tab. 4.23 dargestellten Regressionskoeffizienten aller Stichproben und aller Belastungsgruppen nicht signifikant voneinander unterscheiden (p>0,05), dass also in allen Stichproben sehr ähnliche strukturelle Zusammenhänge bestehen und additive Effekte von Belastungsintensität und -dauer nachweisbar sind.

Abb. 4.26 Beschwerdefreiheit (z-standardisiert, MAVGs) in Abhängigkeit von der wöchentlichen Arbeitszeit in verschiedenen Belastungskonstellationen bei niedriger Autonomie, EU 2005 (EU 15)

Abb. 4.27 Beschwerdefreiheit (z-standardisiert, MAVGs) in Abhängigkeit von der wöchentlichen Arbeitszeit in verschiedenen Belastungskonstellationen bei hoher Autonomie, EU 2005 (EU 15)

Abb. 4.28 Trends der Beschwerdefreiheit (z-standardisiert, MAVGs) in Abhängigkeit von der wöchentlichen Arbeitszeit in verschiedenen Belastungs-konstellationen bei niedriger Autonomie, EU 2005 (EU 15)

Abb. 4.29 Trends der Beschwerdefreiheit (z-standardisiert, MAVGs) in Abhängigkeit von der wöchentlichen Arbeitszeit in verschiedenen Belastungs-konstellationen bei hoher Autonomie, EU 2005 (EU 15)

Tab. 4.23 Regressionskoeffizienten für Gruppen der Belastungskonstellationen,

4.3 Prädiktion gesundheitlicher Beeinträchtigungen mit Hilfe